Alois Berger - Föhrenwald, das vergessene Schtetl

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    Alois Bergers informatives, historisches Sachbuch "Föhrenwald, das vergessene Schtetl" trägt den Untertitel "Ein verdrängtes Kapitel deutsch-jüdischer Nachkriegsgeschichte" und das beschreibt recht gut, worum es in diesem Buch geht. Ich habe vorher noch nie von Föhrenwald gehört, und dass es dem Autor, der in unmittelbarer Nähe des heute Waldram heißenden Ortes aufgewachsen ist, genauso ging spricht ja schon für einen nicht selbstverständlichen Umgang mit diesem Ort.


    Der Klappentext liefert die folgenden grundlegenden Informationen:

    "Von 1945 bis 1957 lebten im bayerischen Wolfratshausen im Ortsteil Föhrenwald zeitweise mehr als 5000 Juden, Überlebende des Holocaust - mit Synagogen, Religionsschulen und einer eigenen Universität für Rabbiner. Föhrenwald hatte eine jüdische Selbstverwaltung, eine jiddische Zeitung und eine jüdische Polizei. 1957 wurde Föhrenwald aufgelöst, die Bewohner wurden auf deutsche Großstädte verteilt. Föhrenwald wurde umbenannt und aus dem kollektiven Gedächtnis gelöscht. Der Ort steht exemplarisch für einen weitgehend unbekannten Teil der deutschen Geschichte. Der Autor ist dort aufgewachsen, er hat das Schweigen erlebt. Er verwebt die Spurensuche in seiner Heimat mit den Geschichten der Überlebenden - denen, die nach Israel gingen, und denen, die aus dem Land der Täter nicht wegkonnten."


    Die Beschäftigung mit der Geschichte Föhrenwalds, der Kampf darum, diese nicht zu vergessen und auch für Besucher zugänglich zu machen, wird exemplarisch an der Geschichte des Hauses verdeutlicht, in dem sich die Mikwe (das Ritualbad der jüdischen Gemeinde) befand - diese Geschichte bildet sozusagen die Klammer zwischen Einleitung und Schlussteil des Buches. Dazwischen werden viele Aspekte des Lagers thematisiert und auch miteinander verknüpft, so dass man wirklich sagen kann, dass der Autor eine umfassende Darstellung der Geschichte Föhrenwalds liefert.


    Der Ort selbst wurde durch die Nationalsozialisten als Lager für die Arbeiter der beiden Munitionsfabriken vor Ort errichtet. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges war es nicht tragbar, dass viele Überlebende des Holocaust zunächst weiter in den Lagern leben mussten, in denen sie gequält worden waren, daher errichteten die Besatzungsmächte in Deutschland verschiedene DP-Lager (Displaced Persons), eines davon war Föhrenwald. Im Buch wird die Entwicklung des Lagers und seiner Bevölkerung dargestellt, besonders interessant sind die Kapitel, die sich mit der Auswanderung nach Israel beschäftigen. In einem Nebenlager wurden nämlich etwa 500 Offiziere im Auftrag der Haganah, der späteren israelischen Armee, für den Unabhängigkeitskampf in Israel ausgebildet.


    Es werden verschiedene Lebenswege der ehemaligen BewohnerInnen von Föhrenwald dargestellt, die eben zum Teil nach Israel oder in andere Länder führten, zum Teil aber auch in Deutschland weitergingen. Sehr bezeichnend für die Art und Weise, wie man auch in der frühen BRD noch mit Juden umgegangen ist, ist dann das Ende des Lagers: Um zu verhindern, dass vielleicht einige BewohnerInnen "ihre" Häuser gekauft hätten und da geblieben wären, wurde der gesamte Komplex an die katholische Kirche verkauft, die diese Häuser dann an katholische, vorzugsweise auch kinderreiche Familien verkaufte, dies waren häufig Vertriebene aus den ehemaligen deutschen Gebieten im Osten. Dass diese Menschen, die sich mit den Juden in einer Art "Opferrivalität" befanden, kein Interesse daran hatten, die Erinnerung an die Vorgeschichte ihres Wohnortes wachzuhalten, scheint mit ursächlich dafür zu sein, dass Föhrenwald in Vergessenheit geriet.


    Diese Mentalität scheint sich mittlerweile (zum Glück) abgeschwächt zu haben und es gibt auch vor Ort ein Interesse, die Geschichte zu erzählen, unter anderem in einem kleinen Museum. Zu dieser Kultur des Erinnerns und Aufklärens wird sicher auch das vorliegende Buch beitragen, das detailliert, sachgerecht und abwägend berichtet, dabei aber auch den persönlichen Bezug des Autors zu seiner Heimat berücksichtigt.


    5ratten