Karolina Kuszyk - In den Häusern der Anderen

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    Der Untertitel von Karolina Kuszyks Sachbuch "In den Häusern der Anderen" verdeutlicht, worum es genau geht: "Spuren deutscher Vergangenheit in Westpolen". Die Autorin ist selbst in Legnica (ehemals Liegnitz) in der Woiwodschaft Niederschlesien geboren und aufgewachsen, sodass sie für die in ihrem Buch thematisierten Aspekte des Umgangs mit der deutschen Vergangenheit ihrer Heimat auch viele persönliche Anknüpfungspunkte und Beispiele hat, auf die sie auch immer wieder eingeht. Eine solche Anekdote liefert sie schon in der Einleitung:


    Zitat

    Die erste Idee zu diesem Buch entstand vor einigen Jahren in Legnica (ehemals Liegnitz), wo mein Mann und ich meine Eltern besuchten. Als wir nach dem Abendessen das Geschirr abwuschen, schrie mein Mann plötzlich auf, als hätte er sich verbrüht.

    [...]

    Er schaute - oder vielmehr starrte - auf die Unterseite einer weißen Keramikschüssel, auf die Stelle, wo sich normalerweise die Bodenmarke befindet. Auch unsere Schüssel hat eine solche Marke, allerdings in Gestalt eines grünen Hakenkreuzes. [...]

    Die Schüssel befindet sich seit jeher im Besitz unserer Familie. Sie steht an keinem besonderen Platz, denn sie ist weniger von ästhetischem als von praktischem Wert. [...] Ich kann mich an kein Weihnachten oder Ostern ohne sie erinnern. Doch das Hakenkreuz sah ich zwanzig Jahre nach meinem Auszug aus dem Elternhaus zum ersten Mal - dank meines deutschen Mannes, der aus dem Staunen nicht herauskam, dass ein NS-Symbol so lange in einem polnischen Haushalt überdauern konnte. [...] Ich weiß nicht, weshalb das Hakenkreuz auf der Unterseite der Schüssel weder mir noch sonst jemandem aus der Familie aufgefallen war, doch an jenem Abend stellte ich mir die Frage, wie viele deutsche Dinge wir in unseren Häusern haben, ohne sie bewusst als solche wahrzunehmen." (S. 9f.)


    Und um diese Dinge - wie auch die Häuser, in denen sie sich befinden - dreht sich dieses historische Sachbuch, das dabei aber neben den historischen und politischen Entwicklungen immer auch die Frage nach den Mentalitäten der Menschen stellt. Als die deutschen Einwohner nach dem Zweiten Weltkrieg die ehemals deutschen, heute polnischen Gebiete jenseits von Oder und Neiße verlassen mussten, blieben ihre Häuser und Besitztümer zurück. Aufgrund der "Westverschiebung" Polens mussten viele Polen die Gebiete östlich der Curzon-Linie verlassen, die an die Sowjetunion gingen (und heute Teil der Ukraine bzw. von Belarus sind). Diese Zwangsumsiedler waren in derselben Lage wie die vertriebenen Deutschen: Sie mussten ihr Hab und Gut zurücklassen und in den "Wiedererworbenen Gebieten" neu anfangen, in der Regel dann durch Übernahme der ehemals deutschen Besitztümer.


    Die Autorin hat viele ZeitzeugInnen und deren Nachkommen befragt, sodass sich ein vielseitiges Panorama ergibt, wie die Menschen damals direkt nach dem Zweiten Weltkrieg, aber auch später, beispielsweise bei Besuchen in der ehemaligen Heimat, mit dieser Situation umgegangen sind. Sie beleuchtet zunächst anhand praktischer Notwendigkeiten den Umgang mit dem materiellen deutschen Erbe (in den ersten drei Kapiteln "Häuser", "Plündern", Möbel") und wendet sich ab dem vierten Kapitel "Dinge" verstärkt auch den dahinter stehenden Mentalitäten zu, insbesondere in der Verbindung der Kapitel "Schätze und Geheimnisse" und "Friedhöfe" wird die ganze Ambivalenz des Umgangs mit der Vergangenheit deutlich: dass nämlich etwa die Schatzsuche nach Nazigold für einige AbenteurerInnen durchaus reizvoll ist, während der Einsatz für die Erhaltung ehemals deutscher (wie auch jüdischer) Friedhöfe oft weniger AnhängerInnen fand. Gerade in diesem Kontext wird aber auch deutlich, dass sich am Blick auf die Geschichte mittlerweile etwas verändert hat, vielleicht auch aus dem Bewusstsein der heutigen EinwohnerInnen Westpolens heraus, dass sie dauerhaft angekommen sind und keine erneute Umsiedlung befürchten müssen.


    Die vielen gut recherchierten Beispiele wie auch das umfangreiche Literaturverzeichnis verdeutlichen, wie intensiv sich die Autorin mit dem Thema auseinandergesetzt hat. Durch die persönlichen Bezüge und die vielen Gespräche, auf die sie Bezug nimmt, bleibt es aber keine trockene historische Abhandlung, sondern ist ein wirklich gut lesbares, sehr informatives Sachbuch zur Geschichte Westpolens und der Auseinandersetzung damit bis in die Gegenwart. Ich kann dieses Buch unbedingt weiterempfehlen.


    5ratten