Anne Applebaum - Roter Hunger: Stalins Krieg gegen die Ukraine

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    Aufgrund des Überfalls Russlands auf die Ukraine im Februar 2022 hat das 2019 erschienene und preisgekrönte Sachbuch der amerikanisch-polnischen Historikerin Anne Applebaum eine bedrückende Aktualität gewonnen. Neben dem eigentlichen Thema, dem Holodomor, der menschengemachten Hungersnot in Teilen der UdSSR in den 1930er Jahren, werden hier viele Aspekte der konfliktbeladenen Geschichte der Ukraine im Verhältnis zur Zentralmacht UdSSR thematisiert, die auch den aktuellen Konflikt besser verständlich machen.


    Die ersten Kapitel des Buches erschienen mir sehr zäh, da die Autorin, um die Ursachen und Voraussetzungen für die Entwicklung der 1930er Jahre zu verdeutlichen, die Geschichte der Ukraine seit der Revolution 1917 beleuchtet. Die damals gehegten Hoffnungen auf eine unabhängige Ukraine wurden durch die Eingliederung in die UdSSR als Teilstaat zerstört, und um keine gegenläufigen Tendenzen mehr aufkommen zu lassen ging die Zentralmacht von Moskau aus in vielerlei Hinsicht gegenüber den EinwohnerInnen der Ukraine restriktiver vor als in anderen Regionen. Dies zeigte sich insbesondere in Zusammenhang mit der Sowjetisierung, bei der nicht nur die Unterdrückung der einheimischen Sprache und Kultur, sondern vor allem die wirtschaftliche Neugestaltung unter Enteignung der Bauern und Einrichtung von Kolchosen im Fokus stand. Der Widerstand dagegen war ein Grund, warum die Hungersnot, die sich nach zwei Missernten 1931 und 1932 (bei gleichzeitiger Erhöhung der Abgabenormen der Bauern) andeutete, von Stalin bewusst instrumentalisiert wurde, um diesen endgültig zu brechen. Und in diesem Kontext ergeben die detaillierten ersten Kapitel auch einen Sinn, weil deutlich wird, welche Vorgeschichte hinter den Ereignissen des Holodomor steht.


    Applebaum weist darauf hin, dass der "Gedanke, Stalin habe bewusst zugelassen, dass Menschen verhungerten, [...] zu schrecklich [war], zu monströs, selbst für die, die ihn hassten" (S. 466), weist aber in ihrem beeindruckenden Sachbuch unter anderem unter Bezug auf viele verschiedene ZeitzeugInnen nach, dass genau das der Fall war: "die Hungersnot sei bewusst organisiert worden. Stalin habe sie sorgfältig geplant und ihr Ziel sei von Anfang an die "Sowjetisierung" der Ukraine gewesen." (S. 469). Insbesondere die Betrachtung der Nachwirkungen in den letzten Kapiteln zeigen viele Bezüge zum aktuellen Verhältnis zwischen Russland und der Ukraine und verhelfen den LeserInnen damit zu einem besseren Verständnis: "Auch die Russifizierung nach der Hungersnot hat ihre Spuren hinterlassen . Dank der systematischen Zerstörung der ukrainischen Kultur und Erinnerung behandeln viele Russen die Ukraine nicht als eigenständiges Land mit eigener Geschichte." (S. 506).


    Gerade die zutreffende Analyse der Auswirkungen der Geschichte auf die Gegenwart verdeutlicht zum Ende hin noch einmal die Qualität der Autorin und ihrer Publikation, die ich für Interessierte als uneingeschränkt lesenswert empfehle - auch wenn die ersten 200 Seiten gelegentlich etwas langatmig erscheinen lohnt sich das Durchhalten:

    Zitat

    Die gegenwärtige Führung Russlands ist mit dieser Geschichte nur allzugut vertraut. Wie 1932, als Stalin an Kaganowitsch schrieb, seine größte Sorge sei es, die Ukraine zu "verlieren", glaubt auch die heutige russische Regierung, eine souveräne, demokratische und stabile Ukraine, die durch Kultur- und Handelsverbindungen mit dem Rest Europas verbunden ist, bedrohe die Interessen der russischen Führung. Wenn die Ukraine zu europäisch würde - wenn ihr also eine erfolgreiche Integration in den Westen gelänge - könnten Russen fragen: Warum nicht wir? (S. 509)


    Insofern handelt es sich bei Anne Applebaums historischem Sachbuch "Roter Hunger" um ein gelungenes und wichtiges Beispiel dafür, was Geschichte mit uns heute zu tun hat, und ich vergebe gerne 5 Ratten.

    5ratten

  • Das klingt sehr interessant Juva ich hab mich mit dem Thema etwas beschäftigt, als ich letztes Jahr Bulgakows - Die weiße Garde gelesen habe.


    Da gings vor allem um die Zeit ab 1917 - als in der Ukraine und Russland alles in Aufruhr war. Ein Terrorregime dem anderen folgte. Könnte dir auch gefallen.

  • Vielleicht gebe ich Bulgakow damit nochmal eine Chance, nachdem ich mit "Der Meister und Margarita" auch im zweiten Anlauf nicht warm wurde. Vielen Dank für den Tipp, b.a.t. !