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Aus dem Englischen von Manfred Allié und Gabriele Kempf-Allié
OT: Roumeli. Travels in Northern Greece (1966)
Patrick Leigh Fermor war ein Reiseschriftsteller mit besonderer Beziehung zu Griechenland. Als britischer Offizier war er im kretischen Widerstand gegen die deutsche Besatzung aktiv. Außerdem ließ er sich in den sechziger Jahren auf der Peloponnes nieder.
In "Rumeli" befasst sich Fermor mit dem griechischen Festland zwischen der Nordgrenze und dem Golf von Korinth. Er begleitet Sarakatsanen, ein nomadisches Hirtenvolk, auf ihrem Weg und darf an einer mehrtägigen Hochzeit teilnehmen. Er besucht die Klöster von Meteora und erlebt die Abgeschiedenheit der Mönche. Auf Byrons Spuren - inklusive Besuch bei dessen Enkelin - reist er nach Messolonghi und erlebt weniger angenehme Seiten Griechenlands. Und er begibt sich in die Region Kravara, um einer ausgefallenen Tradition und einer erfundenen Sprache nachzuspüren.
Seine Beobachtungen sind feinsinnig und detailreich. Man liest deutlich seine Liebe zur Natur heraus, aber auch seine Wertschätzung der Menschen. Er beschränkt sich außerdem nicht auf die Beschreibung von Landschaft, Alltag und Kultur, sondern streut immer wieder historische oder wissenschaftliche Exkurse ein, wobei die Linguistik sein Steckenpferd zu sein scheint. Dadurch schafft er ein besseres Verständnis für manche Ansichten oder Verhaltensweisen. Es hilft aber auch, den Autor selbst etwas besser zu verstehen, denn er spart auch nicht mit persönlichen Kommentaren. Allerdings gibt es auch Längen in seinen Schilderungen.
Erstaunlich finde ich, dass vieles aus seinen Beschreibungen noch heute zu entdecken ist, obwohl die Moderne auch in kleinen Bergdörfern angekommen ist. Der Aberglaube, religiös oder nicht, ist noch immer ein fester Teil des griechischen Alltags. Insgesamt habe ich in seinen Beobachtungen vieles entdeckt, was ich selbst erlebt oder beobachtet habe (Meine Schwiegerfamilie stammt aus der Nähe von Florina, im Nordwesten des Landes. Das Dorf hat auch heute noch nur einen kleinen Krämerladen und ein Kafenion, aber drei Kirchen. Und die Gastfreundschaft ist ebenso wie die Lust zu erzählen unverändert, so dass wir auf unseren Touren schon viele Geschichten von völlig Fremden gehört haben.)
Mittendrin ein Kapitel, das komplett aus dieser Stimmung fällt: "Das hellenisch-rhomäische Dilemma" beschreibt Fermors Theorie, dass Griechen zwischen zwei Polen gefangen seien. Zwischen antikem Idealismus und byzantinischem Realismus, Aufklärung und religiösem Aberglauben, westlicher Ausrichtung und Tradition. Er führt sogar eine Liste mit 64 Gegensatzpaaren auf. In diesem Zusammenhang bezeichnet er außerdem Kreta als Inbegriff von Griechenland (S. 195), eine Behauptung, der jeder Grieche - egal aus welcher Region - vehement widersprechen würde. Dieses Kapitel passt für mich nicht zum Rest des Buches und zu seinen sonstigen Beobachtungen.
Ein wenig gruselig ist seine Vorhersage, wie der zunehmende Tourismus Griechenland verändern würde. Seine Befürchtungen treffen auf Athen nicht in der Form zu, auch wenn die Stadt immer wieder tiefgreifende Veränderungen durchläuft und auch konstant in Umbau erscheint. Doch seine Vorhersage, was mit verschlafenen Fischerdörfern und einsamen Stränden passieren wird, ist erschreckend akkurat. Selbst die abgeschiedenen Meteora-Klöster lassen zwischen den Touristenmassen nur noch erahnen, was er damals gesehen hat.
Und bevor das Buch durch Anhang und Register abgeschlossen wird, gibt es das poetisch anmutende Kapitel "Laute der griechischen Welt". Hier ordnet Fermor verschiedenen Orten Geräusche zu. Diese sind teils sehr persönlich ("der Klang einer Spieluhr auf einem Fotoalbum aus verblasstem violetten Samt"), oft tatsächlich mit dem Ort verbunden ("Edessa [ist] ein Wasserfall") oder poetisch abstrakt ("Der Olymp ist das Echo des Himmels"). Häufig schafft er Bezüge zu Mythologie oder Geschichte ("der Hellespont ist der Peitschenknall des Xerxes", "der Pilion das Klappern von Zentaurenhufen in Kastanienwäldern"). Alleine auf diesen wenigen Seiten vermittelt er so viel griechische Natur und Kultur und seine Liebe dazu - es ist erstaunlich.
Wer Lust auf einen etwas anderen Bericht über Land und Leute hat, kann in diesem Buch viel entdecken, auch wenn (oder gerade weil) es selbst schon ein Zeitzeugnis ist. Griechenland ist so viel mehr als die weißen Strände der Inseln und die Ak
ropolis Athens.