Daniel Kehlmann - Lichtspiel

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    Als die Nazis in Deutschland an die Macht kommen, dreht G. W. Pabst gerade in Frankreich. Da an eine Rückkehr nicht zu denken ist, macht er sich auf nach Hollywood, wo er auch eine Chance bekommt. Aber er kann seine Vorstellungen nicht durchsetzen und so wird der Film ein Flop. Damit ist er in dem Filmparadies gescheitert und kann auf keine Hilfe hoffen. Als er ein Telegramm von seiner kranken Mutter erhält, reist er nach Österreich, jetzt Ostmark genannt. Die Machthaber wollen ihn für neue Filme gewinnen. Zunächst lässt er sich auf die Angebote nicht ein, doch dann ist Krieg de und die Grenzen sind geschlossen. So kommt es, dass er sich doch auf die Anfragen einlässt. Für Propagandafilme steht er zwar nicht zur Verfügung, aber für ihn ist wichtig, dass er wieder drehen kann.


    Eingerahmt wird die Geschichte des berühmten Regisseurs G. W. Pabst durch die fiktive Figur des Franz Wilzek, der mit Pabst beim verschollenen Film "Der Fall Molander" zusammengearbeitet hat.


    Erzählt wird diese Geschichte aus unterschiedlichen Perspektiven und so lernte ich Georg Wilhelm Pabst kennen, der mir aber dennoch immer ein bisschen fremd blieb. Er hat schon früh erkannt, wie er Menschen dazu bringt, das Beste vor der Kamera aus sich herauszuholen. Obwohl er in der Weimarer Republik sehr berühmt war, so blieb er beim Filmen selbst stets im Dunkeln. Mir kam Pabst oft ein wenig naiv vor. Das ging los mit seinen Verhandlungen in Hollywood, wo er aufgrund fehlender Sprachkenntnisse sich nicht durchsetzen kann. Dann reist er zurück, weil seine kranke Mutter einen Hilferuf losgeschickt hat, was ihn ehrt. Doch er hätte erkennen müssen, dass er wahrscheinlich nicht mehr ohne Weiteres ausreisen kann. Aber ganz besonders hätte er sehen müssen, dass man nicht für die Nazis Filme drehen kann ohne sich zu korrumpieren. Man spürt, wie zerrrissen er ist, aber für ihn geht das Filmemachen über alles. Seine Familie tat mir oft leid. Trude hat es nicht leicht mit ihm und seiner Besessenheit. Sie sieht, dass er in Gedanken ständig bei einer anderen - Louise Brooks – ist. Aber auch für seinen Sohn Jakob ist es nicht leicht und so wird er ein begeisterter Anhänger des Regimes und zieht sogar in den Krieg.


    Daniel Kehlmann ist ein meisterhafter Erzähler, der kein Urteil über seine Figuren fällt. Er überlässt es dem Leser, sich selbst seine Gedanken darüber zu machen, was Pabst für ein Mensch war und was man im Namen der Kunst tun darf.


    Ein tiefgründiger und lesenswerter Roman.


    5ratten

  • Gekränkt oder gelobt?


    Ja, das fragen sich die Zeitgenossen des berühmten Regisseurs des öfteren nach einer Beurteilung seinerseits: war dies nun eine Kränkung oder ein Lob?


    Ein bunter Reigen an Stars und Sternchen, aber auch der Akteure im Hintergrund begegnet uns in Kehlmanns Roman "Lichtspiel", der den Regisseur G.W. Pabst in den Mittelpunkt stellt, einen Filmemacher der mehr oder weniger ersten Stunden, der in der Weimarer Republik reüssierte, die große Greta Garbo entdeckte und bis zu seinem Tod ihrer Konkurrentin Louise Brooks verfallen war. Ihn gab es natürlich tatsächlich, ebenso wie die beiden Damen sowie Trude Pabst, seine Ehefrau.


    Aber viele andere Charaktere entstammen der Feder des Autors und so entstand eine wilde Mischung aus Wahrheit und Fiktion, wie es ja in der Belletristik nicht unüblich ist. Allerdings ist dieses Werk keineswegs der Gattung "Historische Romane" zuzuordnen, zu virtuos mäandert Kehlmann zwischen Sein und Schein und denkt sich hier und da etwas dazu, an anderen Stellen wiederum entfernt er etwas.


    Das mag man mögen oder auch nicht, ich selbst taste mich an diese Art von Literatur eher vorsichtig heran. Von Haus aus Historikerin, kann ich aber durchaus einschätzen, welche ungeheure Arbeit an Recherchen ebenso wie am Feilen sowohl von Handlung als auch von Stil dem Autor hier abverlangt wurde - schließlich ist es nichts anderes als ein Spiel mit dem Lauf der Geschichte und das will gekonnt sein.


    Ich bin eigentlich kein Kehlmann-Fan, mochte "Die Vermessung der Welt" nicht sonderlich, obwohl (oder vielleicht auch weil) ich im Bereich der Wissenschaftsverwaltung tätig bin, hatte so gar keine Lust auf "Tyll", habe hingegen das weniger beachtete Buch "F" durchaus mit Freude gelesen.


    Und jetzt auch dieses, wobei ich mich durchaus kritisch herantastete. Aber die Überzogenheiten, die sich der Autor gestattete, haben mich amüsiert, ich habe das Buch schnell und mit Genuss gelesen. Dass man einer so schweren Thematik wie dem menschlichen Bestehen im und nach dem Dritten Reich mit einer solchen Leichtigkeit begegnen kann wie Kehlmann es tut - das bewundere ich!

    4ratten

  • Zum Inhalt wurde oben ja bereits geschrieben. Wobei ich glaube, dass vielen einiges an Ironie entgeht, weil so typische österreichische Nachkriegsfernsehserien erwähnt werden. Vor allem die einfach gestrickte wöchentliche Sendung von Heinz Conrads, in der die Handlung des Buches beginnt und fast auch endet.


    Wie weit darf/kann/soll/muss man für die Kunst gehen?

    Wann gibt es Grenzen? Wann muss der Egoismus überwunden werden und Haltung gezeigt werden. Das sind für mich die zentralen Fragen des Buches.


    Nach dem Krieg haben die Schauspieler und Filmtreibenden einfach weiter gemacht. Volkstümelnde nichtssagende Komödien wurden gedreht, und vom Publikum aufgesogen.


    Pabst in den Fängen der Nazis, weil er zu feige war sich zu wehren? Weil er seine Familie schützen wollte, die er ja in den Schlamassel mit reingezogen hat? Er galt ja als Kommunist und der rote Pabst. Im Endeffekt wurde er sein Leben lang misstrauisch betrachtet. Zunächst erfolgreich im Stummfilm, seine Stärke war vor allem der Schnitt. In den USA floppte er und scheiterte vor allem an seinen mangelnden Englisch-Kenntnissen. Zurück in Europa waren die Nazis sehr misstrauisch. Sie brauchten ihn, weil er arisch-unbedenklich war und gute Filme machen konnte. Es wurde ihm aber auch ein Spitzel und Parteigenosse vom Klumpfuß-Minister an die Seite gestellt.


    Er lebte in ständiger Angst von der SS abgeholt zu werden.

    Besonders perfide ist die Geschichte des Hausmeisters Jerzabek (sehr dt. Name), der in der örtlichen Nazi-Schergen-Politik aufstieg, und somit den Pabst samt Familie im wahrsten Sinne des Wortes zum Abstieg in den Dienstbotentrakt des Schlosses zwang. Die Rollen wurden umgekehrt. Der Pöbel kommt an die Macht, wie in vielen Fällen dieser Zeit.


    Das Buch ist eingeteilt in

    Draußen - Geschichte als Pabst im Exil in den USA war

    Drinnen - Zurück in Nazi-Deutschland

    Danach - Wie geht man mit der erlebten Misere um


    Mir hat der Schreibstiel gefallen. Man kippt sehr schnell in das Buch rein, eine klare und prägnante Sprache. Kehlmann versteht es Menschen in Büchern zu fesseln. Ich bin keine Cineastin, aber bin sehr in die Welt des alten Kinos eingedrungen. Ich mochte auch die vielen Perspektivenwechsel.


    Die Persönlichkeiten, die echten und erfundenen sind auch sehr glaubhaft rübergekommen. Die unnahbare Greta Garbo, die Pabst ja entdeckt hat, die eiskalte, abscheuliche Leni Riefenstahl, selbst der Dialog mit Göbbels im riesigen saalhaften Büro in Berlin, der unsympathische Heinz Conrads, ......


    Für mich war dieses Buch definitiv ein Highlight.

    Einmal editiert, zuletzt von b.a.t. ()