Ulla Hahn - Wir werden erwartet

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    Hilla Palm steht am Ende ihres Studiums, arbeitet an ihrer Promotion und freut sich auf eine gemeinsame Zukunft mit ihrem Verlobten Hugo, auch wenn seine hochnäsige Familie nicht begeistert ist von der jungen Frau aus einfachem Elternhaus. Ein bisschen fühlt es sich immer noch an wie ein Seiltanz zwischen ihrer Herkunftswelt und der jetzigen Lebensrealität mit politischen Debatten und literarischen Spitzfindigkeiten, doch alles in allem ist sie glücklich.


    Bis etwas geschieht, das alles völlig auf den Kopf stellt und dazu führt, dass sie sich neu orientieren und neuen Halt suchen muss. Diesen findet sie zunächst im linken Milieu, bei gemeinsamen Träumen vom gesellschaftlichen Umsturz und dem Ende des Kapitalismus, über eine neue Freundin landet sie in der kommunistischen Partei. Als Arbeiterkind ist sie aus Sicht der Parteigenossen das perfekte Aushängeschild, aber so gänzlich überzeugt ist sie nicht, vor allem nicht von den extremeren Ansichten und dem auf seine eigene Art elitären Denken der linientreuen Mitglieder. Wichtiger als die Politik ist ihr immer noch die Literatur, die ihr Herzensthema ist und bleibt. Sie macht erste Gehversuche als Dichterin und erste Karriereschritte im akademischen Umfeld, was manchmal schwer vereinbar mit ihrem politischen Engagement ist.


    Im vierten und letzten Band der Tetralogie um Hilla Palm begleiten wir sie durch die Zeit von 1969 bis Mitte der 70er Jahre, ganz nah an den großen gesellschaftlichen und politischen Themen, die Deutschland damals bewegt haben, von der Studentenrevolte bis zur RAF. Mindestens genauso wichtig ist Hillas persönliche Auseinandersetzung mit den Fragen "wo komme ich her" und "wo will ich hin". Es ist sehr berührend zu lesen, wie sie als erwachsene Frau Ende 20 erstmals begreift, warum ihre Eltern manchmal früher so gehandelt haben, wie sie es taten, und sich mit dem Unverständnis, das ihr als büchernärrischem Kind oft entgegengebracht wurde, ein stückweit aussöhnt.


    Wie schon im dritten Teil der Reihe gefielen mir die Geschehnisse rund um Hillas Familie und Hugo um einiges besser als der ganze politisch-aktivistische Themenkomplex, vielleicht auch, weil ich mich da persönlich mehr einfühlen konnte. Die ideologischen Debatten, politischen Aktionen und verschiedenen Denkströmungen sind zwar einerseits interessant als Bild der beschriebenen Zeit, vermutlich auch gespeist aus eigenen Erfahrungen der Autorin, und es gibt einige Charaktere mit bemerkenswertem Hintergrund - aber die ewigen Diskussionen um Formulierungen, Ideen und die "reine Lehre" sind streckenweise etwas ermüdend und ab und zu habe ich sie zugegebenermaßen quergelesen. Auch Hilla selbst ist irgendwann desillusioniert und von manchen Mitstreitern enttäuscht, die die Ideologie über das Zwischenmenschliche stellen.


    Der doch recht dominante politische Fokus hat für mich die Freude am Lesen teilweise geschmälert, dafür gibt es aber auch viele sehr starke Szenen, die mit viel Wärme und Einfühlungsvermögen wunderbar beobachtet und beschrieben sind, in einer ausdrucksvollen Sprache mit oft ungewöhnlichen Bildern und dem einen oder anderen eingestreuten Gedicht. Ein etwas surreal anmutender, aber auch anrührender Epilog setzt dann den Schlusspunkt hinter die Gratwanderung einer jungen Frau zwischen katholischem Arbeiterhaushalt, Linksaußen-Gesellschaftskritik und beginnender akademischer Karriere, und man hat das Gefühl, dass Hilla an einem Punkt angekommen ist, an dem sie für sich eine gute Balance gefunden hat und endlich weiß, wer sie ist und was sie wirklich vom Leben will.


    3ratten + :marypipeshalbeprivatmaus:

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Äh, der schien wirklich doppelt zu sein, wahrscheinlich hatte das Forum beim Posten gerade Schluckauf.


    Ich habe den einen jetzt eliminiert. Danke Dir!

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