Thomas Medicus - Heinrich und Götz George: Zwei Leben

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    In seiner Doppelbiographie "Heinrich und Götz George: Zwei Leben" widmet sich Thomas Medicus den Lebensläufen der beiden deutschen Ausnahmeschauspieler, bezogen auf Götz George steht aber die Auseinandersetzung mit dem fast lebenslang abwesenden Vater im Fokus, die sich auch im schauspielerischen Werk des Sohnes nachvollziehen lässt.


    Heinrich George war bereits in der Weimarer Republik einer der bekanntesten und einflussreichsten Schauspieler und sowohl auf der Theaterbühne wie auch im Filmgeschäft präsent. Es ist nicht wirklich erstaunlich, dass er auch nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten weder auf seine Berühmtheit, noch auf das angenehme Leben, das er sich von seinen Gagen leisten konnte, verzichten wollte - auch wenn das deutliche Veränderungen in seiner Art zu arbeiten und vor allem in seiner politischen Haltung erforderte. Galt George in den 1920er Jahren eher als Linker, der aufgrund seines Kriegstraumas dem Pazifismus zugeneigt war, passte er sich an die ideologischen Vorgaben der neuen Machthaber schnell und vollständig an und profitierte von diesem Entgegenkommmen während der gesamten Dauer der NS-Herrschaft.

    Thomas Medicus weist diese Entwicklung, auch aufgrund seiner exzellenten Recherche, die durch den Anhang und das Quellenverzeichnis belegt wird, eindeutig nach, und entwertet damit auch die vielen Versuche der Familie George, allen voran der Ehefrau Bertha Drews, ihren Mann und Vater nachträglich als großen Künstler zu zeigen, der sich mit den Nationalsozialisten engagierte, um weiterhin als Schauspieler tätig sein zu können, weil dies für ihn lebenswichtig war. Allein Georges Mitwirken in Propagandafilmen wie "Hitlerjunge Quex" oder gar "Jud Süß" lassen bereits Zweifel daran aufkommen, dass es ihm nur um den Kompromiss mit den Nationalsozialisten ging, das Bild des den Hitlergruß zeigenden Heinrich George während Goebbels berühmter Sportpalastrede (mit Gattin Bertha Drews an seiner Seite) dürfte auch diese Zweifel verschwinden lassen.


    Das wirkliche Kunststück dieser Doppelbiographie liegt aber im zweiten Teil des Buches, weil es Medicus hier gelingt, die eigentlich zu kritisierenden Versuche Götz Georges, seinen Vater zu rehabilitieren, nachvollziehbar zu machen und die lebenslange Auseinandersetzung mit der Geschichte des Vaters zu zeigen.

    Der 1938 geborene Götz George war acht Jahre alt, als sein Vater in einem sowjetischen Speziallager an den Folgen einer Blinddarmentzündung starb. Schon vorher hatte der Sohn seine in der Filmindustrie NS-Deutschlands vielbeschäftigen Eltern wenig gesehen, nun verschwand der Vater ganz aus seinem Leben. George teilte damit das Schicksal vieler Nachkriegskinder, in seinem Fall schwebte aber auch immer die Frage, wie intensiv der Vater in das NS-Regime verstrickt gewesen war, über der Familiengeschichte. Götz George selbst trat immer wieder dafür ein, sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen, und machte dies auch durch viele seiner Rollen deutlich, indem er etwa auch Nazi-Täter spielte. Dass er dabei die Beziehung zu seinem Vater aber nicht wirklich klären konnte, wurde durch einen dokumentarischen Film, in dem er selbst 2013 seinen Vater spielte, deutlich: Hier ging es ihm genauso wie seinem Bruder Jan vorrangig um die Würdigung des Lebenswerks der Vaters und auch um dessen Rehabilitation. Medicus schafft es hier, durch einen erneuten Rückblick in die Geschichte Heinrich Georges diese Versuche als fehlgeleitet und fadenscheinig hinzustellen, ohne dass man als LeserIn die Sympathie für den Sohn verliert, weil dessen Sichtweise und Reaktion in einen plausiblen Begründungszusammenhang eingebettet werden.

    Gleichzeitig wird durch die Beispiele zweier weiterer Kinder von Eltern, die eindeutig vom Nationalsozialismus profitierten und dessen Ideologie teilten, gezeigt, dass es auch andere Wege der innerfamiliären Auseinandersetzung gab: Im Falle Thomas Harlans, des Sohnes Veit Harlans, die radikale Abgrenzung vom Leben und Werk des Vaters, im Falle Romy Schneiders die Vermeidung der direkten Auseinandersetzung mit den Entscheidungen der Eltern. Medicus macht aber auch hier deutlich, dass allein schon die Tatsache, dass in diesen beiden Fällen die Eltern noch länger lebten, um eine Auseinandersetzung bzw. den Verzicht darauf zu ermöglichen, eine grundsätzlich andere Ausgangssituation zur Folge hatten als bei Götz George, der eben immer mit dem bereits toten "Übervater" konfrontiert war.


    Die Doppelbiographie der Georges wird damit auch zu einer interessanten Familienstudie in Bezug auf den Umgang mit der NS-Vergangenheit, und liefert viel Stoff zum Nachdenken. Der Autor hat eine angenehme, klare Schreibweise, nur an die zeitlichen Vor- und Rücksprünge musste ich mich erst gewöhnen. Ich kann dieses Sachbuch für diejenigen, die sich für die deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts interessieren, unbedingt empfehlen.


    5ratten

  • Vielen Dank für diese sehr interessante und aufschlussreiche Rezi, liebe Juva ! Götz George gehört auch nach seinem Tod zu meinen Lieblings (charakter)schauspielern und ich werde mir diese Doppel-Biografie von ihm und seinem Vater definitiv merken.

    "Bücher sind meine Leuchttürme" (Dorothy E. Stevenson)