Virginia Woolf - Zum Leuchtturm

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  • Virginia Woolf - Zum Leuchtturm, Fischer Taschenbuch Verlag, 233 Seiten.


    Jeder kennt die berühmte "Inselfrage". Drei Bücher sind für den Verbleib auf einer einsamen Insel auszuwählen. Meist werden dann "dicke Schinken" gewählt, also Werke von Dostojewski, Proust, Tolstoi. Etwas Gehaltvolles, das auch nach dem fünften Wiederlesen noch Neues entdecken lässt, würde nicht nur ich auswählen, sondern auch viele prominente Zeitgenossen, wie man es in den veröffentlichten Antworten diverser Zeitungen und Magazine nachlesen kann. Wenn man die Inselfrage nun verschärft und nur noch 250 Seiten mitnehmen dürfte, dann würde ich vermutlich gesammelte Gedichte oder Shakespeares Sonette mitnehmen. Wenn es aber ein Prosa-Werk sein müsste, dann wäre Virginia Woolfs "Zum Leuchtturm" erste Wahl. Ein äußerst anspruchsvolles Werk und kein Pageturner, davor sei der unerfahrene Klassikleser hier gewarnt. Auch ich hatte stellenweise meine Schwierigkeiten damit. Ich empfehle es nur zu einem Zeitpunkt zu lesen, in dem man viel Konzentration aufbringen kann und keine Handlung erwartet. Ist man selber schon in einer melancholisch nachdenklichen Stimmung, dann gelingt es leichter, sich auf dieses Buch einzulassen.


    Worum geht es in dem Buch? Das Buch besteht aus drei Teilen. Im ersten Teil wird nicht einmal ein ganzer Tag geschildert, in dem Mrs Ramsay mit ihrem Sohn eine Fahrt zum Leuchtturm am nächsten Tag plant, die aber aufgrund schlechten Wetters wohl nicht stattfinden wird. Der dritte Teil ist wiederum nicht einmal ein Tag, er beschreibt die Fahrt zum Leuchtturm zehn Jahre später. Im Mittelteil werden diese 10 Jahre poetisch verarbeitet. Der Roman besitzt eigentlich keine Handlung (Proust ist dagegen ein Feuerwerk mit Handlung, obwohl sein Werk auch hier im Forum als handlungsarm klassifiziert wird), die wenigen weiteren Fakten, die erzählt werden, will ich hier aber nicht verraten.


    Den Roman kann man sicher auf viele Weisen lesen. Es geht um den Sinn des Lebens - ganz unmittelbar. Die Antwort die Woolf gibt, erinnert mich an die Bilder von Edward Hopper, der die Verlassenheit des Menschen in der Welt eindringlich darstellt. Woolf gelingt dies auf poetischer Ebene. Einige Ausschnitte verdeutlichen dies: "Wie lange währt schon sein Ruhm? ... Allein schon der Stein, gegen den man mit dem Stiefel tritt, wird Shakespeare überdauern." Und: "Wenn Shakespeare nie existiert hätte, fragte er sich, wäre die Welt dann anders geworden, als sie heute ist?" Und: "Warum, fragte man sich, nimmt man für den Fortbestand der menschlichen Rasse solche Mühen auf sich?" "Ist das menschliche Leben dies? Ist das menschliche Leben jenes? Man hatte niemals Zeit, darüber nachzudenken." Das Buch ist aber keine Sammlung philosophischer Wahrheiten, es wird vielmehr die Gedankenwelt der Menschen im Detail dargestellt.


    Die Vergabe von Literaturratten fällt schwer. Liest man es in der falschen Stimmung, dann kann ich verstehen, dass jemand nur zwei Ratten vergibt und dann mit dem Buch nicht zurecht kommt. Nimmt man sich Zeit, beschäftigt sich mit Hintergründen, lässt sich auf die wunderbare poetische Sprache ein, dann sind fünf Ratten ganz sicher angebracht. Ich persönlich konnte nicht immer die nötige Aufmerksamkeit aufbringen, was aber eigentlich nicht dem Buch anzulasten ist. Bei meiner Bewertung muss aber meine Gemütslage mit einfließen - mir gelingt es nicht mich davon frei zu machen, ich habe ja bereit darüber reflektiert. Daher würde ich zunächst mal vier Ratten vergeben. Ein Buch, welches ich in "reiferen" Jahren gerne wieder lesen möchte.


    4ratten


    Schöne Grüße,
    Thomas

    Einmal editiert, zuletzt von Klassikfreund ()

  • Virginia Woolf beschreibt in „Zum Leuchtturm“ die Geschichte der Familie Ramsay. Über die Handlung gibt es nicht viel zu sagen, denn es gibt eigentlich keine. Im ersten und dritten Teil wird jeweils nur ein Tag beschrieben, im mittleren Teil, der nur 13 Seiten lang ist, werden die 10 Jahre beschrieben, die zwischen diesen beiden Tagen liegen.


    Das Buch hat mich sehr begeistert. Es passiert nicht viel und trotzdem ist es fesselnd. Die Gedanken der verschiedenen Personen zu erfahren, fand ich sehr interessant. Dabei geht es in diesen Gedanken nicht nur um Dinge wie denn Sinn des Lebens oder andere philosophische Fragen, sondern auch um alltägliches. Schwer zu lesen fand ich nur den Mittelteil, der ganz anders ist, als die beiden anderen Teile. In 10 kurzen Kapiteln wird beschrieben, was mit dem Haus passiert, während die Familie Ramsay nicht da ist. In kurzen Anmerkungen wird auch erwähnt, was mit der Familie selbst während dieser Zeit geschieht.


    Vor allem die Figur der Mrs. Ramsay hat mich fasziniert. Ihre Schönheit, ihre manipulative Art, die Fürsorge für ihre Familie und ihren oft sehr seltsamen Mann...


    Ich bin begeistert von dem Buch und werde sicher noch mehr von Virginia Woolf lesen.
    5ratten

    ~~better to be hated for who you are, than loved for who you&WCF_AMPERSAND're not~~<br /><br />www.literaturschaf.de

  • Eure Rezis machen mich sehr neugierig auf das Buch. Ich werde es mir mal ausborgen und sehen ob mir so was auch liegt.


    Katrin

  • Du hast im März-Leseblog geschrieben, dass das Buch / bzw. Dein Exemplar Kommentare enthält, vom vorigen Leser. Hast Du Dir die Kommentare angeschaut und sie mit ins Lesen einbezogen?


    Ich glaube, ich käme nicht drumrum, mich sowohl mit dem Text als auch den Kommentaren auseinanderzusetzen :zwinker: Wäre also eine nette Dreingabe.

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  • Du hast im März-Leseblog geschrieben, dass das Buch / bzw. Dein Exemplar Kommentare enthält, vom vorigen Leser. Hast Du Dir die Kommentare angeschaut und sie mit ins Lesen einbezogen?


    Ich glaube, ich käme nicht drumrum, mich sowohl mit dem Text als auch den Kommentaren auseinanderzusetzen :zwinker: Wäre also eine nette Dreingabe.


    Ja, ich habe mir die Kommentare schon angeschaut und mich teilweise sehr gewundert, warum bestimmte Textpassagen denn nun markiert waren. Die Kommentare waren auch nicht sonderlich spannend und haben mir nichts mitgeteilt, was mir nicht selbst auch aufgefallen wäre. Allgemein finde ich es aber schon interessant, Kommentare von vorigen Lesern in einem Buch zu haben, obwohl ich nie selber etwas in ein Buch schreiben würde.

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  • Hab mir das Buch eben bestellt, weil es mich vom Titel her von allen Woolf-Büchern am meisten anspricht und ich über meine Arbeit an einem Referat über sie dermaßen neugierig geworden bin, dass ich unbedingt etwas von ihr lesen muss. Ich bin ja schon sehr auf die so hochgelobte Sprache gespannt. :heybaby:

    Seit die Mathematiker über die Relativitätstheorie hergefallen sind, verstehe ich sie selbst nicht mehr.<br />~ A. Einstein<br /><br />Man umgebe mich mit Luxus; auf das Notwendige kann ich verzichten. <br />~ Oscar Wilde

  • So, endlich fertig. :breitgrins:


    Meine Meinung: Besonders zu Anfang war ich von den ganzen Person heillos verwirrt. Ich hatte keine Ahnung, wer denn jetzt zu den Kindern der Ramsays gehört und wer dort nur zu Gast ist und das hielt sich streckenweise bis zum Ende. Sehr lustig wurde es, als zwei Personen, die ich als Geschwister und den Kindern zugehörig empfunden habe, plötzlich verlobt waren und eigentlich nicht wirklich etwas mit dem ganzen Haushalt zu tun hatten. ^^
    Das Buch ist in einer wunderschönen Sprache geschrieben, die einen Rhythmus hat, der an Wellen erinnert. Es gibt eine gewisse Spannung zwischen den einzelnen Charakteren, die teilweise nicht wirklich zu erklären ist, aber alles flüssig gestaltet und das ganze Buch zusammenhängender macht. Wie schon mehrfach gesagt: Es passiert nicht viel. Aber ich empfehle trotzdem, es zu lesen. Ein zwei Seiten pro Tag reichen schon aus, um ein wenig zu entspannen und sich von der Sprache einlullen zu lassen. Trotzdem ist es wohl nichts für jeden.
    3ratten

    Seit die Mathematiker über die Relativitätstheorie hergefallen sind, verstehe ich sie selbst nicht mehr.<br />~ A. Einstein<br /><br />Man umgebe mich mit Luxus; auf das Notwendige kann ich verzichten. <br />~ Oscar Wilde

  • Nachdem ich drei mittelmäßige Bücher hintereinander gelesen habe, hat mich diese Lektüre vor einer bevorstehenden Lesekrise gerettet. Virginie Woolfs Art, zu schreiben, holt mich jedes Mal wieder ab. Sie schafft es, die Charaktere so beschreiben, dass sie direkt vor meinem inneren Auge lebendig werden, genauso wie ich mir das Ferienhaus sofort vorstellen konnte.


    Wie schon bei anderen Büchern der Autorin ist mir aufgefallen, wie wenig die Charaktere wirklich miteinander reden. Oft spielen sie mögliche Unterhaltungen nur im Kopf durch oder machen sich endlos viele Gedanken über einen Satz, eine Bemerkung oder vielleicht auch nur eine Geste. Aber gerade dadurch wurde mir die Dynamik in der Gruppe klarer, als sie es durch gesprochene Worte geworden wäre.


    Eine Handlung gibt es nicht, nur den Leuchtturm, der nicht nur für James eine besondere Bedeutung hat. Ich habe die Personen als unbeteiligter Zuschauer bei ihrem ganz normalen Tun beobachten können und der Einblick in ihre Gedankenwelt hat mir diese Normalität interessanter gemacht als eine komplizierte Handlung.

    4ratten

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.