Christa Wolf - Der geteilte Himmel

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    Ich hoffe, die Kategorie "Klassiker" passt, aber da es den Staat, den Christ Wolf beschreibt (DDR) nicht mehr gibt, bin ich mir sicher, dass "Der geteilte Himmel" hier gut reinpasst.


    Inhalt:


    Erzählt wird vordergründig die Geschichte von Rita Seidel und ihrem Freund Manfred Herrfurth und dabei beinhaltet der Roman so viel mehr. Die beiden lernen sich 1959 in Ritas Dorf kennen, wo sie arbeitet und gelangweilt ist. Auch Manfred, Besuch aus der Stadt, ist gelangweilt und abgestumpft. Ihre gemeinsame Sehnsucht nach Wärme, Geborgenheit und Liebe verbindet sie.


    Nach dreimonatiger Fernbeziehung beschließt Rita, ihren Job zu kündigen und sich dem Lehrerseminar in der Stadt anzuschließen. Sie zieht zu Manfred in das Haus seiner Eltern ein (entgegen der Wünsche seiner Mutter) und beginnt ein für sie neues und aufregendes Leben.


    Bevor sie allerdings mit ihrer eigentlichen Ausbildung beginnen darf, muss sie mehrere Monate in der Mildner-Waggonba-GmbH verbringen, weil "jeder Lehrer heutzutage einen Großbetrieb kennen muss" (1959). Dort fällt sie natürlich sehr auf. Sie wird aber bald akzeptiert und agiert als stummer Beobachter der Situation vor Ort: Mangelwirtschaft, stagnierende Produktion, dann wieder Produktion im Überfluss und über allem der sich "formende Sozialismus".


    Unter diesen Gegebenheiten lebt sie sich in der Stadt (Halle?) ein und wird erwachsen. Manfred ist und bleibt lange Zeit ihr Lebensmittelpunkt. Auch wenn sie Freundschaften schließt und unabhängig von ihm wird. Doch Manfred ist dem Druck, der Heuchelei und der Propaganda der neuen Gesellschaft nicht gewachsen und wird zunehmend verzweifelter. Er sieht nach langem Abwägen seine einzige Chance zu überleben, darin in den Westen zu gehen. Und so kommt er eines Tages im Jahr 1961 von einem Chemikerkongress in Berlin nicht wieder...


    Meine Meinung:


    Ich habe dieses Jahr schon einige sehr gute Bücher gelesen, aber dieses hier lässt mich gar nicht mehr los! Der Leser weiß von Anfang an, dass die Beziehung zwischen Manfred und Rita gescheitert ist, denn die Geschichte wird in Rückblicken erzählt. Man muss schon sehr genau lesen, um sich in den wechselnden Zeit- und Erzählformen nicht zu verlieren, aber wer durchhält wird mit einem außerordentlich vielseitigem Roman belohnt.


    Wie gesagt, erzählt Christa Wolf vordergründig eine Liebesgeschichte, die sehr anrührend und lebensnah beschrieben ist. Sie findet tolle Beschreibungen für das Verhältnis von Manfred und Rita, deren Zusammenleben nicht immer einfach ist.


    Daneben spielt der Arbeitsalltag von - vor allem Rita - eine bedeutende Rolle. Aber auch andere Personen "berichten" ihre Erfahrungen. Besonders hervorheben muss man hier wohl die Figuren Rolf Meternagel, Ernst Wendland und Erwin Schwarzenbach. Ritas Einstellung zu ihrer Arbeit möchte ich gerne zitieren, sagt er doch auch viel über ihre Erwartungen und Gedanken aus:


    Zitat von "S. 21"

    Beim Schreiben merkte sie beschämt, dass sich ihr ganzes Leben auf einer halben Seite unterbringen ließ. Jedes Jahr, dachte sie, müsste man seinem Lebenslauf wenigstens einen Satz zufügen können, der das Aufschreiben wert ist.


    Interessant ist für mich auch gewesen, dass hier aufgrund der Zeit, in der es spielt, drei Generationen aufeinandertreffen, die kaum Verbindungen zueinander haben, z. B.


    Ulrich Herrfurth (Jahrgang 1910), Manfreds Vater
    Manfred Herrfurth (Jg. 1930)
    Rita Seidel (Jg. 1940)


    Die auftretenden Generationenkonflikte sind natürlich geschichtsbedingt, aber in einer Weise eindringlich, die mir mal wieder vor Augen führte, wie stark geschädigt damals alle vom Krieg und seinen Folgen waren.


    Man muss bedenken, dass der Roman zu einer Zeit geschrieben wurde, als die Schriftsteller der DDR durch die Bitterfelder Doktrin aufgefordert waren, in den Betrieben des Landes die Arbeiter klennenzulernen und ihre Erfahrungen in ihren Schriften zu verarbeiten. Ziel war natürlich, den Arbeiter zu erreichen und ihm Literatur nahezubringen (bzw. ihn zum künstlerischen Schaffen zu animieren). Dies scheint in "Der geteilte Himmel" immer wieder durch. Zudem geht es aber auch darum, seine Zweifel an der neuen Ordnung "einordnen zu lernen". Christa Wolf macht ganz klar, dass von Anfang an nicht alle der SED hörig waren und zieht Grenzen zwischen den Funktionären, Kommunisten und den Politikverdrossenen. Ehrlich gesagt, war ich erstaunt, wieviel Kritik in dem Roman steckt. Naiverweise dachte ich, dass sei verboten gewesen und Grund für Zensur und Publikationsverbot. Aber in den 50er und frühen 60ern war man wohl noch etwas freier in seiner Meinungsäußerung als später.


    Es gäbe noch soooooo viel anzumerken, aber wo anfangen, wo aufhören?! Deshalb nur noch mein Fazit:


    5ratten

    Ich werde kein&nbsp;Geld hinterlassen. Ich werde keinen Aufwand und Luxus hinterlassen. Aber ich möchte ein engagiertes Leben hinterlassen.<br />(Martin Luther King)

  • Hallo!


    Dieses Buch habe ich in meinem Regal wiederentdeckt- obwohl, das ist eigentlich das falsche Wort, denn ich es stand ungelesen rum, seit mindestens 10 Jahren. Jetzt habe ich es endlich gelesen, und es löst einige Fragezeichen bei mir aus, deswegen bin ich sehr froh, dass ich hier etwas dazu gefunden haben.
    Marilu, zunächst ging es mir genau wie dir: Ich war sehr berührt von der klaren, dichten Sprache der Christa Wolf. Den DDR-Alltag in den frühen 60ern hat sie mir nahegebracht. Aus heutiger Sicht finde ich ihre Darstellung sehr bewegend: Wie damals schon Funktionäre in ihre Macht verliebt waren, und wie parallel dazu Idealisten ihre Kraft für einen menschlichen Sozialismus eingebracht und sich dabei verschlissen haben, einen Sozialismus, an den sie tatsächlich geglaubt haben.
    "Immer noch versuchen manche zu diktieren, anstatt zu überzeugen. Aber wir brauchen keine Nachplapperer, sondern Sozialisten." (S. 295 in meiner alten Ausgabe, Gebr. Weiß Verlag)
    Dazwischen Rita, die ihren eigenen, persönlichen Sinn sucht und die ihrem Freund nicht in den Westen folgt, die bleibt, weil er ihr entfremdet ist. Entfremdet nicht wegen unterschiedlicher Ansichten, sondern wegen seiner Gleichgültigkeit.
    Sie aber trägt immer noch Hoffnung in sich. Wenn sie auch viele Vorgänge in dem Werk, indem sie jobbt, kritisch sieht und wenn sie auch beobachtet, wie andere Kritiker sich aufreiben: In ihren Augen trägt der Alltag der „kleinen Menschen“ ein freundliches Gesicht. Damit schließt das Buch, mit dem Verweis auf das kleine, alltägliche Glück.
    Und damit hat es für mich einen seltsamen Beigeschmack: Etwas Kritik, etwas Wehmut, schön und gut, aber schließlich ist der Verbleib im sozialistischen Deutschland lohnenswert, lebenswert.
    Ist die Schriftstellerin Christa Wolf hier der damals herrschenden Doktrin gefolgt? Oder scheint mir das nur so aus heutiger Sicht? Ich fand es beim Lesen fast nicht zum Aushalten, dass Rita ihrem Freund nicht in den Westen folgte, fand es schwer nachvollziehbar. Ich frage mich: War das für die damalige Zeit ein authentisches, plausibles Verhalten – oder hat Christa Wolf hier der Zensur ihren Tribut gezollt, indem sie ihre Protagonistin ihr Lebensglück im Sozialismus suchen ließ?
    Das Buch muss wohl, wie ich meiner Ausgabe entnehme, in der DDR erschienen sein.


    Hilde

    Ich bin ein trockener Workaholic. (Vince Ebert)