Beiträge von bücherbelle

    Ich muss sagen, dass mir der Roman so gar nichts gesagt hat...


    „Dieses langsame Ersterben der Umgebung gefiel mir.“ (S. 32)

    Keiko war schon immer anders, das hatte ihre Familie schon vor der Grundschule bemerkt. In ihrem Umfeld stößt das auf wenig Verständnis: Endlich normal werden soll sie, und sich in die Gesellschaft einfügen. Das ist nur schwierig, wenn einem gesellschaftliche Normen so fremd sind…


    Mit Keiko ist die Protagonistin dieses Romans eine Figur, die ich wahnsinnig spannend fand, und eigentlich ist sie der Hauptgrund dafür, dass ich ihn überhaupt gelesen habe. Nachdem sie in ihrer schnell feststellt, dass sie am besten durchs Leben kommt, wenn sie so wenig wie möglich sagt, scheint die Entdeckung der Arbeitswelt in dem kleinen Supermarkt, in dem sie als Aushilfe arbeitet, einer Offenbarung gleichzukommen. Im Prinzip hätten damit alle glücklich sein können.


    Die Wirklichkeit in Japan sieht aber anscheinend anders aus, und an der Stelle bin ich dann leider aus diesem Roman ausgestiegen. Wieso ist es so ein großes Thema, wie Menschen leben? Wieso ist man nur dann ein vollwertiges Mitglied der Gemeinschaft, wenn man sich anpasst? Es mag natürlich sein, dass das kein typisch japanisches Phänomen ist, dass die Situation bei uns nicht so viel anders ist und man es bloß nicht bemerkt, wenn man ausreichend angepasst ist. Aber ich kam aus dem Kopfschütteln gar nicht mehr heraus.


    Ich kann gut verstehen, dass dieser Roman in Japan ein voller Erfolg gewesen ist. Ich konnte mit fast allem daraus jedoch einfach nichts anfangen und fand die Figuren um Keiko herum beinahe ohne Ausnahme furchtbar. In seiner Funktion als Gesellschaftskritik möchte ich ihm die Relevanz jedoch nicht absprechen.


    2ratten

    Drei Generationen Liebe und Streit


    So unmöglich es dem Leser auch erscheinen mag: Nelson ist mit Leib und Seele Pfadfinder, obwohl niemand der anderen ihm das leicht macht, am allerwenigsten sein Vater. Doch irgendwie fügen sich die Dinge und schließlich erleben wir drei Generationen einer Familie, die sich in Nelsons Dunstkreis als Hauptcharaktere dieses Romans durchs Leben schlagen.


    Betrachtet man das Cover aus dem ästhetischen Blickwinkel, ist es schon hübsch; schaut man es sich jedoch nach dem Lesen des Romans an, eröffnet es eine ganz neue Tiefe: Nelson, der kleine Junge, der in die Herzen der Männer (und Frauen) sieht. Das gefällt mir ziemlich gut, obwohl ich befürchte, dass ich der Motivwahl damit zu viel Bedeutung beimesse. Aber gerade solche Details sind es, die mir auffallen und die mich begeistern können – und so auch die Geschichte.


    An nicht wenigen Stellen ist diese Geschichte nur schwer erträglich. Nelsons Campkameraden springen echt nicht zimperlich mit ihm um, die von ihm ausgesprochene Geburtstagseinladung schreit geradezu danach, in einem demütigenden Ereignis zu münden, wir bekommen kleine Einblicke in Geschichten aus dem Krieg und kommen auch um (Achtung, manche könnten das als Spoiler empfinden) (Achtung, ich hätte an dieser Stelle gern vorher eine Triggerwarnung gehabt) eine Vergewaltigung nicht herum. (Spoiler Ende)

    Harter Tobak, meinem Empfinden nach jedenfalls.


    Sehr interessant und stellenweise gruselig fand ich die Einblicke in das amerikanische Pfadfindersystem. Dass Homosexualität dort in vielen Fällen nicht einmal stillschweigend geduldet wird, hatte ich spätestens seit der Serie „The New Normal“ im Kopf, doch auch abgesehen davon fällt es mir schwer zu glauben, dass man dort mit einer weltoffenen Einstellung glücklich wird. Es würde mich wirklich interessieren, wie nah das hier geschilderte an der Realität ist.


    Insgesamt hat mir „Die Herzen der Männer“ wirklich richtig gut gefallen. Es besitzt eine gesunde Portion Handlung, die mich schlucken ließ, es wird zum Ende hin richtig spannend und ließ mich sogar ein, zwei Tränen vergießen. Und trotzdem bin ich nicht restlos begeistert, ein kleines Fünkchen fehlte mir noch.


    4ratten

    „Du bist nicht seltsam“, sagte Mammut. „Du bist selten“ (S. 121)

    Vom Erwachsenwerden in einem tristen Vorort von Sankt Petersburg: Sowohl Oksana als auch Lena wollen diesem Leben entfliehen. Während sie zunächst an einen Ort flüchten, den nur sie beide sich teilen, bietet sich Lena bald die Möglichkeit, tatsächlich das Land zu verlassen und in China zu modeln. Daraufhin verschwindet auch Oksana, in die Vergangenheit und ins Internet…


    Das Setting dieses Romans über das Erwachsenwerden bietet schon an sich eigentlich genug Inhalt für einen ganzen Roman. Da ist zum einen Lena, die in der Fremde ganz und gar nicht das erlebt, was sie sich vorgestellt hatte; da ist eine eingeschworene Forengemeinschaft, auf deren Feindschaft man gerne verzichten möchte; und schließlich ist da der geschichtliche Anteil, den ich wahnsinnig spannend und, in mindestens derselben Intensität, unheimlich und eklig fand.


    Dabei hat es mir besonders gut gefallen, dass jeder einzelne Handlungsstrang gut recherchiert und glaubwürdig war und einem das Gefühl gegeben hat, direkt dabei zu sein. Besonders wenn es um Details zur Belagerung von Leningrad ging, musste ich mehr als nur einmal schlucken: Die Hintergründe sind so unfassbar grausam, der Schrecken ist so real, dass ich Angst hatte, von den Bildern in meinem Kopf Albträume zu bekommen. Gleichzeitig hatte ich den Eindruck, dass das Thema sehr sensibel und respektvoll behandelt wurde, was in meinen Augen an der Stelle auch unbedingt notwendig ist.


    Oksana und Lena stehen sich, wie es so schnell passiert im Teenager-Alter, sehr konsequent selbst im Weg. Ihre Umgebung, ihre Prägung und der eigene Schatten, über den man springen müsste, um der anderen etwas einzugestehen, das man nicht wahrhaben möchte – denn durchs Aussprechen würde es ja irgendwie real –, trennen sie in einer Weise voneinander, die gar nicht nötig wäre.

    Das verleitete mich zwischendurch ein wenig dazu, die Augen zu verdrehen, doch nach einer kurzen Erinnerung daran, dass das Jugendliche sind, gings dann wieder.


    „Ständig sagte man Oksana, dass die Jugend die glücklichste Zeit des Lebens sei. Aber das konnten nur Menschen behaupten, die vor langer Zeit jung gewesen waren und vergessen hatten, wie das war.“ (S. 32)

    „Dabei spürte sie es selbst, dieses Kribbeln hinter den Augen, das sie kannte, wenn ihr Kopf nicht weinen wollte, aber ihr Körper doch.“ (S. 134)

    „Fliegende Hunde“ bietet eine ganze Menge. Neben den geschichtlichen Hintergründen sind das vor allem zwischenmenschliche Dramen, die sich zwischen Oksana und Lena abspielen, und mit denen ich mich gut identifizieren, mit denen ich gut mitfühlen konnte.

    Einzig das letzte Kapitel ließ mich, auch nach mehrmaligem Lesen, verwirrt zurück.


    4ratten

    „Und dann schloss ich die Augen doch mein Herz schlug schnell vor Aufregung und obwohl mein Körper ganz still im Bett lag tobte mein Geist wild herum und wollte nicht stellstehen, als wäre er eine Biene im Sommer.“ (S. 79)

    Mary ist jung, als sie zwangsweise ihr Leben hinter sich lassen muss und an einen neuen Ort kommt: Von der elterlichen Farm, auf der das Leben hart aber vorhersehbar ist, in den Haushalt des Pfarrers, um dessen kranke Frau zu pflegen. Die Geschichte der darauf folgenden Geschehnisse erzählt sie selbst aus der Perspektive der ein Jahr älteren Mary – und man wird das Gefühl nicht los, dass zwischendurch etwas Gravierendes geschehen ist.


    Es hat wirklich eine ganze Zeit gedauert, bis ich mich an den doch sehr eigenwilligen Stil in „Die Farbe von Milch“ gewöhnt habe, und obwohl dieser sicherlich zur Atmosphäre beiträgt, bin ich mir nicht sicher, ob es meiner Meinung nach nicht auch ein allwissender Erzähler getan hätte. Aber es ist wie es ist, und irgendwann hatte ich mich dann auch an die fehlenden Kommata gewöhnt.


    Während also die Aufmachung es mir erst schwer machte, in das Buch einzutauchen, war die Handlung schon deutlich ansprechender: Zunächst scheint das Leben auf dem Bauernhof hart und grausam zu sein, was für mich als unbeteiligte Leserin das Gefühl aufkommen ließ, das Leben im Pfarrhaus sei deutlich erstrebenswerter; langsam tritt jedoch die Erkenntnis ein, dass die Vorhersehbarkeit des Farmlebens im Pfarrhaus völlig fehlt, und ab dem Moment hatte mich das Buch fest im Griff.


    Mary ist klug, trotz der widrigen Umstände, und häufig klüger als es gut für sie ist. Diese Idee hat mir sehr gut gefallen, denn ich kann mir gut vorstellen, dass ein Leben wie ihres in der Geschichte unserer Gesellschaft häufiger vorkam als man wahrhaben möchte. Die meisten anderen Charaktere scheinen mehr oder weniger (eher mehr) eindeutig im übermächtigen sozialen Gefüge und den Gepflogenheiten der damaligen Zeit (immerhin spielt sich die ganze Geschichte in einem Bauerndorf des 19. Jahrhunderts ab) zu stecken und zeigen auch keine Ambitionen, diesen Umstand zu ändern oder auch nur darüber nachzudenken.

    „Du solltest weniger drauf schauen was andere Leute machen, sagte ich, und lieber selbst mehr machen.“ (S. 9)

    „Oh Mary, sagte sie. Ich will kein Morgen und ich will nicht dass die Zeit jemals weiterläuft.“ (S. 67)

    „Die Farbe von Milch“ war überraschend grausam, überraschend ehrlich und überraschend schmerzhaft, dabei jedoch ein Buch, bei dem ich froh bin, es gelesen zu haben. Gerade die Betrachtung aus dem Blickwinkel der Frauenrechte zeigt hier, dass ein Buch, das in einem historischen Kontext angesiedelt ist, durchaus auch für unser Leben Erkenntnisse bieten kann.

    4ratten

    „Ich blättere darin herum, ich bleibe an einzelnen Wörtern hängen, ich muss das nicht verstehen.“ (S. 244)

    Eine Schulklasse um die Zeit der Wende führt uns in diesem Roman vor Augen, wie sehr die Änderungen des politischen Systems jeden einzelnen persönlich beeinflusste. Dabei begleiten wir die einzelnen Schüler zunächst in der Zeit der politischen Umbrüche, um sie dann im zweiten Teil in unserer Zeit wieder zu treffen. Besonders dort wird deutlich, wie sehr der ein oder andere mit den Umständen zu knapsen hatte.


    Ich will nicht sagen, dass mir dieses Buch nicht gefallen hat, dafür habe ich zu wenig davon verstanden. Und dabei fing es so gut an: Eine Schulklasse um die Zeit der Wende, ganz unterschiedliche Figuren, die ganz unterschiedliche Einstellungen zum System haben, und plötzlich wird alles anders. Die politischen Auswirkungen sind uns allen hinlänglich bekannt, doch einen Blick auf die persönlichen Auswirkungen zu erhaschen, das fand ich ziemlich reizvoll.


    Leider fiel es mir so schwer, dem Buch zu folgen, dass es für mich keinen Lesegenuss bot. Die Schulklasse scheint nahezu vollständig aus Philosophen zu bestehen, den Eindruck erwecken jedenfalls die vielen tiefsinnigen Gedanken, doch abgesehen davon?

    Jedes Kapitel ist aus der Sicht eines anderen (ehemaligen) Schülers geschrieben, die sich keine Mühe geben, ihre Handlungen und Gedanken mit Hintergrund zu unterfüttern. Schon klar, für die Personen ergibt das auch keinen Sinn, und mich nerven übertriebene Nebensätze im Sinne von „Der Hans, der ja letzten Monat seine Frau verloren hat…“, die nur der Erklärung für den Leser dienen, im Normalfall auch. Aber dass ich mir Zeitsprünge selbst überlegen muss, ebenso den Fall der Mauer (sie können problemlos in den Westen fahren, also wird das jetzt wohl schon passiert sein), warum irgendjemand eine Alibibeziehung braucht (lesbisch? Wer weiß das schon…), das wird auf fast dreißig Seiten dann doch anstrengend.

    Hinzu kommt die Fülle an Figuren, zu denen ich durch den Aufbau einfach keine Bindung aufbauen konnte, und der Sätze wir „Ellen rief mich an“ kompliziert macht. Wer war Ellen noch gleich?


    „Vielleicht ist alles ganz einfach, wenn etwas tatsächlich passiert. Vielleicht ist das Schreckliche immer nur die Vorstellung.“ (S. 35)

    „[…] die Geschichte der Menschheit ist die Geschichte wandernder Grenzzäune, jedes Mal mit viel Natur dazwischen.“ (S. 85)

    „Das Scheißsystem macht sich vom Acker, aber das Schlechte lässt es da, findest du das nicht ungerecht?“ (S. 108)

    All das sorgte leider dafür, dass ich keinen Spaß daran hatte, dieses Buch zu lesen. Es lief nebenher mit, wenn ich mich zwischendurch mal überwinden konnte, weiter zu lesen, und machte mir ansonsten eher ein schlechtes Gewissen. Ich hoffe jedoch sehr, dass es Menschen gibt, die meine Kritikpunkte eher reizvoll finden und diesem Roman die Aufmerksamkeit zuteilwerden lassen, die ich ihm durchaus gönne.

    2ratten

    „Es war ein holpriges Glück, aber ein wirkliches Glück.“ (S. 157)


    Olgas Lebensgeschichte ist eine Geschichte der Liebe: Der Liebe zu Herbert, der zu Eik und der zu Ferdinand; eine Geschichte von Liebe, die sich früh manifestiert und ein ganzes Leben lang Halt gibt. Es ist die Geschichte einer Frau, die ziemlich viel gehabt und eine Menge verloren hat, und zugleich die Geschichte eines Landes, das im zwanzigsten Jahrhundert immensen Stürmen ausgesetzt wird.


    „Die Spiele der Kinder waren eher eine Vorbereitung auf den Daseinskampf als ein Vergnügen.“ (S. 9)
    „Er sah nur das Dunkel der Nacht, so undurchdringlich, als wäre eine Decke über ihn gebreitet, und er wusste nicht, ob er vor dem da draußen Angst hatte oder vor etwas in ihm selbst.“ (S. 44-45)


    Zwischendurch war ich mir nicht sicher, ob der Roman wusste, in welchem Tempo er sich fortbewegen wollte. Manche Episoden waren genüsslich und langsam erzählt, dann wieder wurden mehrere Jahre in wenigen Sätzen abgefrühstückt. Sobald man sich daran gewöhnt hat – und an die teils komplizierte Satzstruktur, die mich über einige Sätze hat stolpern lassen und mich so gezwungen hat, das Lesetempo zu verringern – und sich darauf einlässt, ist die Handlung äußerst spannend, und dann macht es Spaß, das Buch in Ruhe zu lesen.


    Dass es in der Hauptsache um eine Figur namens Olga geht, ist nach dem Titel des Romans wenig verwunderlich. Und wenn ich oben geschrieben habe, dass Olgas Geschichte eine Liebesgeschichte ist, dann ist das genau so gemeint: Die Liebe zu dem einen oder anderen Mann zieht sich durch ihr ganzes Leben. Trotzdem, und das beeindruckte mich ganz besonders, ist Olga keine Figur, die ihr Wohlbefinden von jemand anderem abhängig macht, und bei all den Gefühlen zu anderen ist sie vielleicht eine der selbstständigsten Gestalten, die mir in der Literatur seit langem untergekommen ist. Ihre unaufgeregte, großzügige Art machte sie dabei auch noch wesentlich sympathischer als es ihren Männern je gelungen ist.
    Da ist Herbert, der stolz auf sein Vaterland ist, der am liebsten die ganze Welt kolonialisieren würde und sich mit Begeisterung an den Kämpfen gegen die Herero beteiligt; da ist Eik, der sich in den Reizen des Nationalsozialismus verliert; und ein wenig versöhnlich am Ende Ferdinand, der Olgas Geschichte für sich selbst und den Leser aufdeckt.
    Es fiel mehr ungeheuer schwer, Olgas Gefühle für die ersten beiden Menschen nachzuvollziehen, doch vielleicht hat sie einfach recht damit, wenn sie sagt „Ach, Kind, nicht die Eigenschaften machen, dass zwei zusammenpassen, die Liebe macht’s.“ (S. 108)


    „Ich vermisse Dich bei allem, was wir gemeinsam gemacht haben und was ich jetzt alleine mache.“ (S. 165)
    „Du bist weg, aber Du tust weh, als seist du noch da.“ (S. 212)


    Ich mag es ja eigentlich schon echt ganz gern, wenn ich die Charaktere mag, die in dem Buch vorkommen, das ich gerade lese, und wenn ich die Figuren nachvollziehen kann, die im Kern der Handlung stehen. Bedingt dadurch, dass ersteres bei diesem Buch nicht bei allen geklappt hat, war auch das zweite von Zeit zu Zeit schwierig.
    Trotzdem hat mir die Geschichte wirklich gut gefallen, sie war interessant und vor allem, und das ist ihr größter Pluspunkt, ist sie durch die verschiedenen Teile und Perspektiven einfallsreich und richtig gut erzählt.


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    „Das Mädchen sah müde und traurig aus, sie hatte die Decke um die Schultern gewickelt wie jemand, der ein Zugunglück oder eine Überschwemmung überlebt hat, trauriges Überbleibsel einer Katastrophe, die ihren Schaden angerichtet hat und weitergezogen ist.“ (S. 37)


    Kent Harufs „Lied der Weite“ verspricht eine unterhaltsame Geschichte vor dem Hintergrund einer amerikanischen Kleinstadt, in der das Schicksal eines Mädchens das Leben anderer Stadtbewohner auf den Kopf stellt.


    „Ihre Augen hatten immer noch eine wunde Direktheit, als wären Trauer und Zorn nur knapp unter die Oberfläche gesunken.“ (S. 104)


    Auf den ersten Seiten dieses Romans konnten mich Sprache, Figuren und vor allem die Stimmung des Textes ziemlich nachhaltig fesseln, deswegen wollte ich es auch unbedingt lesen. Die vorgestellten Personenkonstellationen und Hintergründe versprachen einen spannenden Verlauf mit vielen potentiellen Reibungspunkten, auf den ich mich echt gefreut habe; rückblickend hätte ich zumindest die ein oder andere Anstrengung voraussehen können. Insbesondere die fehlenden Anführungszeichen in der wörtlichen Rede machten mir das Lesen schwerer als gedacht, und auch die abgehackten Sätze, die zu Beginn reizvoll erschienen, begannen irgendwann zu nerven: „Seit acht Tagen war die Schule aus. Aber das Freibad war noch nicht geöffnet. Die Baseball-Sommersaison hatte noch nicht angefangen. Und auch auf dem Rummelplatz würde es erst in der ersten Augustwoche losgehen.“ (S. 253)


    Zu all dem kam, dass mir nicht klar war, worauf der Autor hinauswollte. Das kann natürlich genauso gut auch an mir gelegen haben, sodass diese Feststellung allein mich nicht dazu bringen würde, vom Lesen dieses Romans abzuraten, doch eine Erwähnung ist es mir wohl wert. Auch bei dem Satz „In der Spüle stand kein Geschirr, der Tisch war geschrubbt, auf den Stühlen war nichts mehr von den Lappen und Maschinenteilen zu sehen, und der Boden wirkte so sauber gefegt, als hätte eine Immigrantin den Besen geschwungen.“ (S. 114) musste ich doch sehr schlucken und gleichzeitig überlegen, was damit gemeint sein könnte.


    Zuletzt hatte ich den Eindruck, dass es Haruf zu viel Aufwand war, den Brüdern unter seinen Figuren eigenständige Charaktere zu verleihen: Besonders die beiden Jungen hatten kaum eine eigene Persönlichkeit und Absätze wie „Oben im Bad kämmten sie sich mit nassem Kamm, zogen ihr Haar zu Wellen hoch und lockerten es mit den hohlen Händen auf, bis es über der Stirn steil nach oben stand. Wasser tröpfelte ihnen auf die Wangen und hinter die Ohren. Sie trockneten sich ab gingen auf den Flur hinaus und blieben zögernd vor der Tür stehen[…]“ (S. 19) sorgten in meinem Kopf für zugegebener Maßen amüsante Episoden von sich synchron bewegenden Kindern.


    Insgesamt fehlt mir leider das, was im Klappentext versprochen wird: Dass das Schicksal des Mädchens, dass die gute Tat der Brüder, die sie aufnehmen, „das Leben von sieben Menschen in der Kleinstadt Holt in Colorado umkrempelt und verwandelt“ (Zitat Klappentext). Ja, wir können in sehr gemächlichem Tempo einer gewissen Entwicklung folgen, wir kommen den Bewohnern dieser Kleinstadt auch sehr nahe, doch leider hatte ich nie das Gefühl, dass wirklich etwas passierte.


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    Mit einem Eisblock im Kofferraum fährt Eva zurück in das Dorf ihrer Kindheit und damit zurück in die Vergangenheit – ihre eigene, die ihrer Familie, die ihrer Freunde und die der anderen Dorfbewohner. Was ist passiert, damals in jenem verhängnisvollen Sommer und wer trägt die Schuld daran?


    „Die Einladung traf vor drei Wochen ein und war übertrieben frankiert.“ (S. 7)


    Schon das Cover dieses Buches hat mir wahnsinnig gut gefallen, auch wenn ich mich immer wieder arg wundere, was die Gestaltungsmenschen deutscher Romanausgaben sich bei ihrer Arbeit so denken – man vergleiche dazu einfach einmal die niederländische oder englische Ausgabe mit der deutschen um festzustellen, dass die Unterschiede größer sind als die Parallelen. Mir fehlt auch der Zusammenhang der deutschen Gestaltung zum Inhalt des Buches, wieder einmal, und trotzdem gehört dieses Buch für mich zu den schönsten dieses Jahres. Allein das kräftige Grün in Kombination mit dem dunklen Violett gefallen mir sehr gut.


    Wenn es zum Inhaltlichen kommt, ist es gar nicht so einfach, etwas über dieses Buch zu sagen. Während ich es gelesen habe, wurde ich mehrfach von Freunden gefragt, worum es ginge, und in den seltensten Fällen konnte ich darauf eine zufriedenstellende Antwort geben.
    Viel eher löst das Buch ein diffuses Gefühl der Unbehaglichkeit aus. Es erinnert daran, wie wir selbst vielleicht sogar einmal waren, und an all die Dinge, die wir lieber vergessen wollten und so sicherlich auch vergessen haben. Lize Spit legt ihren Finger dorthin, wo es wehtut, und manchmal tut es sogar weh, ihre Worte zu lesen, so ehrlich und erschütternd, so gnadenlos offen sind sie; sie stellt mehr Fragen als sie beantwortet. Das ist zugleich gut und beunruhigend.
    Nicht ganz glücklich bin ich mit der Übersetzung, auch wenn ich nicht zu packen vermag, woran das liegt. Häufig klingt die Wortwahl für meine Ohren hölzern, mir ist noch immer nicht klar, ob Eva von ihrer Kommunion oder ihrer Firmung spricht, und auch diverse andere Kleinigkeiten sind mir sauer aufgestoßen. In meinen Augen ist eine Übersetzung, über die ich als Leser stolpere, keine gute.


    In den Figuren findet man wieder, was auch schon den Inhalt so atemberaubend gut gemacht hat. Sie sind schmerzhaft realistisch. Es tut weh, ihnen zuzuschauen, weil sie so sind, wie man selbst auch sein könnte, gewesen sein könnte, oder sogar so, wie man war und ist. Lize Spit beschönigt auch hier nichts und man möchte eigentlich wegschauen von dem Unheil, das sich zusammenbraut, während man zugleich wissen möchte, wie es ausgehen mag. Alles in allem sind auch die Charaktere, wie schon die Handlung, beängstigend gut.


    „Auch wenn wir auf dasselbe schauen, Elisa und ich, werden wir doch immer verschiedene Dinge sehen.“ (S. 261)
    „Ich passte nicht mehr so hinein, wie ich immer hineingepasst hatte. Ich war das Duplomännchen in einem Legohaus.“ (S. 287)
    „Vielleicht kann man sie daran erkennen, die Familien, in denen die grundlegendsten Dinge schieflaufen – zum Ausgleich haben sie eine Unmenge lächerlicher Regeln und Prinzipien.“ (S. 387)


    Es hatte mich skeptisch gemacht, wie über diesen Roman geredet wurde. Nicht, weil ich glaubte, die Brutalität zu grausam zu finden, sondern weil ich befürchtete, dass das Buch den Erwartungen nicht gerecht werden könnte. Mein Fazit ist jedoch recht einfach: Es kann.


    5ratten

    „Du denkst, du kannst die Leere in dir auskotzen. Aber Leere kann man nicht auskotzen. Man muss sie füllen.“ (S. 289)


    Zusammenfassung. Was braucht die Gesellschaft noch, was brauchen die Menschen noch in der nahen Zukunft, in der alles ausgehöhlt und leer ist? Die Antwort versucht jeder der Protagonisten zu finden und wir begleiten die Mutter und Geschäftsfrau Britta auf ihrem Weg in einer absurden Welt, die vordergründig immer fortschrittlicher wird und doch mit ihrer Rückschrittlichkeit zu kämpfen hat.


    Erster Satz. Knut und Janina kamen um fünf.


    Cover. Ich mag das Gefühl des geriffelten Einbands sehr, sehr gern und auch die Optik gefällt mir: Irgendwie gelingt es, den Titel „Leere Herzen“ greifbar zu machen durch die Leere des Buchcovers. Ob man die schwarzen Tupfen nun als anachronistische Tintenflecke interpretiert oder als versprengte Bluttropfen, ich hätte im Laden nicht lange gezögert.


    Inhalt. Juli Zeh zeichnet das Bild einer Gesellschaft, in der ich nicht leben möchte und die trotzdem leider nicht allzu unrealistisch ist. Zugleich finden wir jedoch nicht, wie ich im Vorfeld befürchtet hatte, einen dystopischen Politthriller mit panischem Unterton vor, sondern vielmehr eine Charakterstudie vor politischem Hintergrund. Was bleibt übrig von uns, wenn die Gesellschaft ausgehöhlt wird? Wie wird man glücklich in dieser Welt? Und gibt es vielleicht unter all dem, was unabänderlich scheint, doch noch die Möglichkeit, etwas zu tun?
    Dieses Buch hat es geschafft, mich zu überraschen. Es gefällt mir, wie es aufgebaut ist, wie lange man (auf jeden Fall ich) rätseln musste, wie genau Britta nun ihre Praxis aufgezogen hat und was dahintersteckt, und wie logisch am Ende trotzdem alles erscheint.
    Was mir außerdem gut gefällt: Wie selbstverständlich die Dinge eingeführt und erwähnt werden, die für Britta und ihre Mitmenschen normal, für uns jedoch beinahe schockierend, mindestens jedoch irritierend sind. Die Welt wird nicht erklärt, sondern sie fließt als Selbstverständlichkeit, als gegebene Umgebung in den Roman mit ein. Das machte mir persönlich das Lesen angenehmer als ein Buch, in dem zuerst über Seiten hinweg erklärt wird, wie die Welt aussieht.


    Personen. Die Protagonisten in Juli Zehs Roman haben alle ihre eigenen Kämpfe auszufechten, besonders gut können wir dabei Britta beobachten. Ihre Entwicklung ist in meinen Augen ziemlich gut gelungen – ihre Erkenntnisse in Bezug auf die Welt um sie herum laufen in gewisser Weise parallel zu ihrer körperlichen Entwicklung und das findet Erwähnung, drängt sich aber dabei nicht auf.


    Fazit. Insgesamt muss ich feststellen, dass es mir schwerer fällt als gedacht, meine Begeisterung in Worte zu fassen. Dieser faszinierende Roman ist spannend, zugleich auf die offensichtliche, handlungsbezogene Weise wie auch in einem irgendwie unterschwelligen Sinne. Weder der Begriff des Polit-, noch der des Psychothrillers wird ihm gerecht, vielmehr ist es ein entlarvend ehrliches Bild einer möglichen Zukunft und der Menschen – und damit uns – in dieser zukünftigen Welt, das uns die Augen öffnen kann und sollte.


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    „Hast du Angst?“
    „Ein bisschen.“
    „Wovor?“
    „Kann ich nicht sagen. Es gibt kein Wovor. Ich habe einfach Angst.“ (S. 100)


    Zusammenfassung. Aza kämpft mit vielem, vor allem mit ihren Gedanken. Sich mit diesem Hintergrund auf die Suche nach einem verschwundenen Milliardär zu machen, das war sicherlich nicht ihr Plan; und daran, dass sie sich bei der ganzen Sache verlieben könnte, hätte sie sicherlich im Vorfeld auch nicht gedacht. Und so begibt sie sich so weit in ihre eigene Gedankenspirale wie niemals zuvor…


    Erster Satz. Als mir zum ersten Mal klar wurde, dass ich vielleicht Fiktion bin, verbrachte ich meine Tage an einer öffentlichen Bildungsanstalt namens White River High im Norden von Indianapolis, wo ich von fremden Kräften, die so übermächtig waren, dass ich sie nicht ansatzweise identifizieren konnte, dazu gezwungen wurde, jeden Tag zu einer bestimmten Uhrzeit Mittag zu essen, nämlich zwischen 12 Uhr 37 und 13 Uhr 14.


    Cover. Man darf bei diesen Büchern ja nicht anfangen, die deutschen mit den originalen Coverbildern zu vergleichen. Denn obwohl mir das deutsche Cover echt ganz gut gefällt, fehlt ihm das Bedrohliche der Spirale, das einen nicht unerheblichen Teil dieses Buches ausmacht. Auch den Titel finde ich nicht optimal – Idee und Formulierung gefallen mir schon, er ist allerdings für meinen Geschmack zu wenig griffig. Ich musste schon mehrfach länger überlegen, wie das Buch noch gleich heißt; das wäre mir mit „Turtles All the Way Down“ vermutlich nicht passiert.


    Inhalt. Die Story ist etwas weniger „Wir suchen einen Milliardär“ als ich erwartet hatte, und das fand ich gut. Allerdings kann man ihr so unter Umständen vorwerfen, dass insgesamt etwas zu wenig passiert – wir befinden uns stattdessen die meiste Zeit tief in den Abgründen von Azas Gedankenwelt.
    Das, was uns als Geschichte vorgesetzt wird, das ist jedoch absolut lesenswert und hatte auch seinen Anteil daran, dass ich das Buch nicht weglegen mochte, nachdem ich begonnen hatte, es zu lesen.


    Personen. Naturgemäß, bei einem Jugendroman, der hauptsächlich um die Gedankenwelt eines jungen Mädchens kreist, sind die Figuren ein wichtiger Faktor, der den Unterschied zwischen gut und mies ausmachen kann. Und obwohl ich den Hang dazu habe, mich von Figuren (gerade diesen Jugendlichen) nerven zu lassen, und obwohl Aza so viele anstrengende Charakterzüge besitzt, ist das bei diesem Buch nicht passiert. Es gelingt John Green einfach so unfassbar gut, die gedanklichen Zwänge im Ansatz nachfühlbar zu machen, dass in meiner Kehle ein Kloß zurückblieb und ich viel schlucken musste. Und auch die Charaktere um Aza herum sind großartig, besonders in Daisy konnte ich mich sehr gut hineinversetzen. So glaubwürdig muss man es erstmal beschreiben, das Gefühl, nur die Nebendarstellerin einer um sich kreisenden besten Freundin zu sein – es ist kein gutes.


    Lieblingsstellen. „In die Augen kann man jedem sehen. Aber jemand zu finden, der dieselbe Welt sieht, ist ziemlich selten.“ (S. 13)
    „Aber so was kann man nicht laut sagen, und man steht vor der Wahl, ob man lügen oder ernsthaft gestört wirken will.“ (S. 38)
    „Sorgen sind die angemessene Reaktion auf das Leben. Das Leben ist besorgniserregend.“ (S. 45)
    „Und obwohl ich mitlachte, hatte ich das Gefühl, ich würde das Ganze durchs Fenster beobachten, als sähe ich einen Film über mein Leben, statt es selbst zu erleben.“ (S. 73)
    „Mir all die Zukunftsszenarien auszumalen, all die Azas, die ich sein konnte, war eine willkommene Auszeit von dem Leben mit dem Ich, in dem ich im Moment feststeckte.“ (S. 102)
    „Das Leben reimt sich, aber nie an der Stelle, wo man es erwartet.“ (S. 110)
    „Was ich an der Wissenschaft so liebe, ist, dass man beim Forschen eigentlich keine Antworten findet. Man findet nur bessere Fragen.“ (S. 125)
    „Sie sagte – mehr als einmal –, der Meteorschauer findet statt, über den Wolken, auch wenn wir ihn nicht sehen. Wen interessiert, ob sie küssen kann? Sie kann durch die Wolken sehen.“ (S. 133)


    Fazit. Ich bin sehr begeistert von den Figuren und von der Intensität, mit der hier dargestellt wird, wie schmerzhaft Gedanken sein können, wie beängstigend es sein kann, sich in sich selbst gefangen zu fühlen, und wie sehr die Psyche das tägliche Leben beeinflussen kann. Das macht die kleineren Schwächen, die die Story selbst in meinen Augen hat, mehr als wett; vielleicht ist es sogar eine der Stärken dieses Romans, nicht zu sehr auf tatsächliche Handlung zu setzen.


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    "Denk daran, dass die Stille, die du erlebst, ein wenig anders ist als die, die andere erfahren. Alle haben ihre eigene." (S. 102)


    Zusammenfassung. In diesem Buch finden wir die Gedanken, die sich Erling Kagge zum Thema Stille gemacht hat, in insgesamt 33 längeren und kürzeren Kapiteln. Dabei spricht er vom offensichtlichen bis zu den weniger offensichtlichen Teilen alles Denkbare an - ob er von der Stille am Südpol redet, von der Stille bei DJ-Sets oder von der Stille in der Großstadt.

    Cover und Aufmachung.
    Die schlichte Optik des Umschlags hatte mich schon von Beginn an, doch das Buch hat es geschafft, meine Begeisterung noch vor Lesebeginn zu steigern: Nimmt man den Schutzumschlag ab (was ich grundsätzlich während des Lesens mache, sonst könnte ja was drankommen), so findet man das laute, rauschende Leben auf dem Buchdeckel. Wie könnte man ein Buch über Stille besser präsentieren?
    Ebenfalls beachten muss man die Fotos und Bilder zwischen den Texten, die eine beeindruckende Ruhe ausstrahlen und deutlich machen, wieso der Autor einen Faible für Kunst hat.


    Inhalt. Man darf auf keinen Fall einen durchgehenden roten Faden (abgesehen von der Stille als Thema) erwarten. Kagge liefert uns insgesamt 33 Ansätze einer Erklärung auf der Suche nach dem, was Stille bedeutet, was Stille sein kann und warum sie wichtig für uns ist, dabei stehen diese einzelnen Ansätze aber weitgehend alleine.
    Auf die von ihm angesprochene Stille in moderner Musik achtete ich dann natürlich unbewusst in jedem Stück, dass ich seitdem gehört habe, über einige der von ihm referenzierten Menschen (Künstler, Dichter, Unternehmer) musste ich kurz recherchieren, denn ich kannte so gut wie niemanden von ihnen - insgesamt kann man also wohl sagen, dass mich das Buch sehr nachhaltig zum Nachdenken angeregt hat.
    Zwischendurch zweifelte ich trotz meiner Begeisterung jedoch an der Notwendigkeit all dieser 33 Kapitel und hatte den Eindruck, dass Kagge ein wenig um etwas herum redet statt auf den Punkt zu kommen. Das waren aber nur sehr vereinzelte Momente.


    Lieblingsstellen. "Zuhause fährt immer ein Auto vorbei, ein Telefon klingelt, pfeift oder brummt, irgendjemand redet, flüstert oder schreit. Insgesamt gibt es so viele Geräusche, dass wir sie kaum noch hören." (S. 23)
    "Heißt das, wir - du und ich - sind verrückt? Ja, ich glaube, wir sind auf dem Weg, vollkommen verrückt zu werden." (S. 50)
    "Die besten Dinge im Leben sind manchmal umsonst. Die Stille, die mir vorschwebt, findest du dort, wo du bist und wenn du es willst, in deinem Kopf." (S. 73)
    "Du fährst zur See, und wenn du zurückkehrst, findest du möglicherweise das, wonach du gesucht hast, in dir selbst." (S. 81)
    "Er wollte vermeiden, dass die Gruppe sich den ganzen Tag lang gegenseitig erzählt, wie fantastisch es ist, statt sich auf das Fantastische zu konzentrieren." (S. 96)
    "Die Stille ist ebenso inhaltsreich wie die Wörter." (S. 116)
    "Unterwegs zu sein, ist nahezu immer zufriedenstellender, als am Ziel anzukommen." (S. 123)


    Fazit. Ein Buch, dass ich jedem empfehlen kann, der sich gern Gedanken über die Welt um ihn herum macht; ein Buch, das mich zum Nachdenken angeregt hat und sicherlich Einfluss auf meinen Blick auf die Welt um mich herum genommen hat; ein Buch, in das ich sicherlich wieder schauen werde.


    4ratten

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    „Hier unten klingt die Stille anders. An der Erdoberfläche ist Stille etwas Großes, Volles. […] Hier ist die Stille verschlossen und gespannt.“ (S. 147)


    Zusammenfassung. Eine Gruppe Jugendlicher, eine Reise nach Frankreich und ein unterirdischer Palast, damit beginnt Stefan Bachmanns „Palast der Finsternis“. Doch was darauf folgt, das überrascht jeden einzelnen der Beteiligten: Hinter den Türen des Palastes lauern Fallen und sehr bald weiß niemand mehr, wem er trauen kann, und wie er aus diesem Palast der Finsternis entkommen soll.


    Erster Satz. Ich hörte, wie es gebaut wurde, Vaters geheimes Versailles, ein Palast unterhalb eines Palastes, ein Reich aus Gold und Kristall, verborgen in den Wurzeln Frankreichs.


    Cover. Das größte Plus des Covers ist die schicke, glänzende Optik. Abgesehen davon ist das Bild vor allem ein Traumbild, dessen Zusammenhang mit dem Inhalt des Romans sich mir nicht so ganz erschließt. Aber hübsch ist es!


    Inhalt. Bis die Geschichte wirklich richtig in Gang kommt, dauert es zugegebenermaßen eine Weile – dann jedoch ist sie spannend, rasant und jedes Kapitel endet so, dass man auf keinen Fall jetzt schon aufhören kann, sondern auf jeden Fall wenigstens noch ein Kapitel lesen muss. Das erinnert fast ein wenig an die Serien dieser Zeit, die uns nach jeder Episode in der Überzeugung zurücklassen, dass wir noch weiterschauen müssen, um das nächste Geheimnis zu lüften.
    Ein wenig zu sehr erinnert der Aufbau des Buchs und Palastes, einige Fallen und einzelne Szenen an Das Phantom der Oper und Filme wie Cube, Resident Evil oder Der Exorzist, aber man kann das Rad ja nicht immer wieder neu erfinden. Und wenn man darüber hinwegsieht, dann hat man mit dem Palast der Finsternis wirklich spannenden Jugendhorror, den man eigentlich nur ungern wieder aus der Hand legen möchte.


    Personen. An den Figuren wird vielleicht deutlich, dass das Buch ein Jugendbuch ist: Besonders Anouk, aus deren Perspektive wir einen Großteil der Geschichte erleben, hat einen ausgeprägten Hang zum düster Gucken, der Überzeugung, dass niemand es so schwer haben kann wie sie selbst, und zu dem Gefühl, alles zu wissen. Mein Lieblingssatz in dem Zusammenhang: „Hast du das gehört, Bruder? Du bist tot. Anouk hat es gesagt, und sie weiß alles.“ (S. 336)
    Aber vielleicht sind diese Überzeugungen das Privileg von Teenagern und man muss darüber etwas mehr hinwegsehen, als es mir gelungen ist. Und Anouks zynisches, sarkastisches Verhalten in akuten Gefahrensituationen hat uns auch mehr als einmal zum Lachen gebracht.
    Ein weiteres Manko: Eine der Figuren ist derartig überflüssig, dass man ihre Existenz beinahe optischen Gründen mit Blick auf eine Verfilmung zuschieben möchte. Wer das Buch schon gelesen hat, sollte darauf kommen können, um wen es geht – allen anderen möchte ich das an dieser Stelle nicht verraten.


    Fazit. Auch wenn der Palast der Finsternis kein Wunderwerk an innovativen Ideen ist, auch wenn die ein oder andere Figur mich bisweilen sehr tief hat durchatmen und das Buch einen Moment zur Seite legen lassen, ist es empfehlenswert für jeden, der Lust auf ein kleines bisschen Coming of Age vor spannender, nahezu filmisch anmutender Horrokulisse hat.
    3ratten

    Zusammenfassung. "Sex Story" erzählt die Geschichte einer so existentiellen Sache für das Überleben unserer Spezies, die trotzdem in den letzten Jahrhunderten vor unserer Zeit mit Verachtung gestraft wurde. Dabei ist von witzigen Anekdoten bis hin zu geschichtlichem Wissen alles dabei.


    Cover und Aufmachung. Während das Cover ja vergleichsweise schlicht daherkommt und sich mit Andeutungen der Zeichnungen zufrieden gibt, die sich im Inneren des Einbands finden, sind die Zeichnungen im Buch wirklich hübsch und unterlegen den Inhalt sehr überzeugend mit Hintergrund. So ist es leicht, trotz des möglicherweise im Grunde erst einmal trockenen Themas, sich fesseln zu lassen und Bilder im Kopf zu haben - das ist bei den meisten anderen Büchern wahrscheinlich einfacher als bei einem Sachbuch über Sex.


    Inhalt. Den Hauptteil des Buchs machen die geschichtlichen Abschnitte im Comicstil aus, die durch jede Epoche der menschlichen Entwicklung gehen und in denen echt viel Wissen steckte, das mir neu war. Etwas irritiert hat mich, dass im letzten Kapitel die Gegenwart mit der Zukunft zusammen gepackt wurde, aber die ersten 17 Jahre des 21. Jahrhunderts boten vermutlich noch nicht genug Stoff für einen eigenen Abschnitt.
    Mit ein paar Seiten zu übergreifenden Themen und Erklärungen greift das Buch dann am Ende noch einige Dinge auf, die bis dahin nur kurz Erwähnung fanden und/oder weiterer Erklärungen bedürfen. Dieser Teil hätte für meinen Geschmack auch in einer etwas seriöseren Schriftart präsentiert werden dürfen (und ob man Sado-Maso grundsätzlich als psychische Störung abkanzeln muss weiß ich auch nicht so genau), aber seis drum.


    Fazit. Abgesehen von kleineren Kritikpunkten bietet "Sex Story" einen wirklich umfassenden und spannenden Einblick in diverse interessante Themen um dieses eine große Thema, das seit Jahrhunderten die Menschheit beschäftigt.

    Gut gesättigt und zufrieden lächelnd kann ich mich nun endlich an die Rezension dieses Kochbuchs machen. Eines schon vorweg: Alles, was wir getestet haben, fand durchweg Anklang, und das ist auf jeden Fall schon viel wert!


    Das Buch. „Green Bonanza“, schon der Titel verspricht viel, kann aber auch ein wenig bedrohlich aufgefasst werden: Gibts hier etwa nur grünes, gesundes Zeug?
    Mich hat es angesprochen, weil ich gern häufiger mit frischen Gemüse kochen möchte – das mit dem Fleisch dazu lässt sich ja auch recht unkompliziert ergänzen.


    Die Aufmachung. Die Fotos sind super und ich mag besonders gern diejenigen, auf denen nicht nur Lebensmittel, sondern auch Menschen sind. Genau die schaffen es nämlich, dem Ganzen eine Atmosphäre zu geben, die Lust auf das Kochen mit Freunden macht. Und ich habs extra getestet: Das geht ganz wunderbar!


    Die Texte. Ein weiteres Highlight in meinen Augen waren die Einleitungstexte, die sich zum Teil nicht nur zu Beginn eines neuen Kapitels finden, sondern auch vor einzelnen Gerichten. Die sind so sympathisch geschrieben (besonders schön die Stelle, an der Linsen als „umgänglich“ beschrieben werden), dass es richtig Spaß macht, sich hinzusetzen und zu lesen. Wenn das mal nicht überzeugend ist bei so einem Kochbuch!


    Die Rezepte. Alles, was wir bisher ausprobiert haben, hat ganz hervorragend geschmeckt, und ganz besonders die Blumenkohl-Wings sowie die Frühlingsrollen haben es uns angetan. Für das „was“ gibt es daher auf jeden Fall Lob. Etwas weniger Begeisterung für die teils doch sehr speziellen Zutaten, denen Ersatzvorschläge gut täten für diejenigen unter uns, die in Orten wohnen, deren größter Lebensmittelladen ein kleiner Rewe ist; und noch mehr überzeugt hätten mich die Rezepte, wenn sie einen Schwierigkeitshinweis und eine ungefähre Zeiteinschätzung beinhalten würden.


    Fazit. Insgesamt ist mein Haushalt durchaus überzeugt von diesem sympathischen Kochbuch und einige der Rezepte werden es sicherlich ins Standardrepertoire schaffen. Für vollständige Begeisterung fehlte dann aber doch das letzte Fünkchen Perfektion beim Rezeptaufbau.

    „Denn das Meer ist niemals profan, langweilig und grau. In Wirklichkeit ist es das Einzige, das zu sehen sich lohnt in dieser Welt.“ (S. 181)


    Zusammenfassung. Ein einziger Tag und ein Etwas in der linken Brust reichen aus, um Katharina ihr Leben rekapitulieren zu lassen: Kindheit, Studium, Familie, eigene Kinder, die Ehe – was hatte sie erreichen wollen, an welcher Stelle in ihrem Leben befindet sie sich nun?


    Erster Satz. Ich will nicht sterben, und ich will auch nicht durch diese Tür gehen.


    Cover. Das Cover von „Sieh mich an“ gehört zu denen, in die ich mich schon verliebt hatte, ehe mir überhaupt klar war, worum es in diesem Buch geht. Eigentlich war da schon festgelegt, dass ich das Buch würde haben müssen.
    Etwas kritischer müsste man nun wahrscheinlich festhalten, dass der Zusammenhang zwischen dem Inhalt des Romans und dem Fuchs auf dem Cover mit der Lupe zu suchen ist (es gibt ihn, aber es dauert, bis man ihm im Buch begegnet), doch das ändert nichts daran, dass dieses Cover im Buchladen für mich absolut überzeugend gewesen wäre.


    Inhalt. Ich war etwas überrascht als ich feststellte, dass es Krügel tatsächlich gelungen war, einen einzigen Tag über 250 Seiten interessanter und fesselnder Unterhaltung zu strecken. Und dieser Tag ist dabei so widersprüchlich: Zwar passiert eine ganze Menge, von Unfällen über körperliche Entwicklungssprünge bis hin zu alkoholinduzierten Weinkrämpfen, doch zugleich fühlte es sich für mich so an, als sei gar nicht so richtig etwas passiert.
    Was genau macht denn aber nun die Faszination dieses Romans aus? Es wird nicht langweilig, Katharinas Gedankensprüngen nachzuschauen, es macht Spaß, den Weg nachzuvollziehen, den sie hinter sich gebracht hat, bevor sie die Frau wurde, die sie heute ist. Es sind so viele Kleinigkeiten, so vieles, das eigentlich belanglos scheint, das aber im Kontext des Familienlebens keineswegs belanglos ist.

    Personen.
    Wie sich das in einer Familie so gehört, treffen in diesem Buch gleich eine ganze Reihe sehr verschiedener Figuren mit sehr unterschiedlichen Ansichten aufeinander. Da ist der Kerl, der früher mal eine Frau war und nun damit kämpft, männliche Geschlechterrollen möglichst umfassend auszufüllen; da ist der Kerl, in dessen Augen den armen Männern das Leben ungebührlich schwer gemacht wird (und dem ich von Herzen beherzten Widerspruch gewünscht hätte); da ist die alte Schulfreundin, die das mit den Ehemännern für unnötig hält; und schließlich unsere Protagonistin selbst, die eigentlich immer geplant hatte, deutlich emanzipierter zu sein als es sich am Ende als praktikabel erweist. Diese Vielfalt ist in meinen Augen die beste Besonderheit dieses Romans.


    Lieblingsstellen. „Umarmungen machen etwas mit meiner Stimme, sie entziehen ihr Energie.“ (S. 21)
    „Es gibt Wahrheiten, die sind so offensichtlich, dass es nicht wehtut, sie auszusprechen.“ (S. 27)
    „Es gibt Fragen, denen so viele weitere Fragen folgen würden, dass man sie besser beiseiteschiebt.“ (S. 64)
    „Aber heute, hier und jetzt, frage ich mich doch, ob es sein kann, dass eine Mutter erst dann ein Etwas findet – dass sie sich erst dann überhaupt erlauben kann, ein Etwas zu finden –, wenn sie spürt, dass sie sich aus dem Staub machen kann, ohne allzu großen Schaden anzurichten.“ (S. 103)
    „Es ist eher wie die unbewusste Erinnerung an das Dasein im Mutterleib: Es klebt als unstillbare Sehnsucht an jeder Stunde des Tages und vermiest einem als Referenzfolie selbst die weniger chaotischen Zeiten.“ (S. 130)
    „Costas‘ Anwesenheit in diesem Moment hätte absolut nichts genützt, aber alles verändert.“ (S. 158)
    „Und ich finde, es gibt nichts Schlimmeres als Männer, die besoffen sind und trotzdem meinen, jede Situation beurteilen zu können.“ (S. 227)


    Fazit. Dieser Roman ist eines der seltenen Exemplare, bei denen mir so viele Textstellen wahnsinnig gut gefallen haben, dass ich eigentlich völlig begeistert sein müsste – es aber trotzdem nicht so ganz bin, und ich weiß einfach nicht, woran das liegt. Das erschwert mir die Bewertung erheblich, denn wo mir sonst zur vollen Punktzahl die sprachliche Überzeugungskraft fehlt, ist es in diesem Fall einfach nur gefühlt am Ende keine Begeisterung. Ach, es ist gar nicht so einfach…

    „Jeder Gedanke musste stets von neuem bearbeitet und poliert, ausgestrichen und wieder eingefügt werden.“ (S. 41)


    Zusammenfassung. In „Und Marx stand still in Darwins Garten“ werden wir Zeuge der letzten Jahre zweier großer, umstrittener Denker, die sich im echten Leben nie begegnet sind – von deren ausgemalter Begegnung wir hier aber lesen dürfen.


    Erster Satz. Charles hatte, als ihm die drei Gestalten am Zaun auffielen, gerade darüber nachgedacht, was eine Heckenbraunelle empfindet, wenn sie mehr als hundert Mal am Tag für eine Zehntelsekunde kopuliert.


    Cover. Das Cover ist von der Idee her gelungen, gefällt mir in der Umsetzung jedoch optisch einfach nicht so gut. Der Titel hingegen hatte mich schon von diesem Buch überzeugt, ehe ich überhaupt den ersten Satz gelesen hatte.


    Inhalt. Ich hätte im Vorfeld nicht gedacht, dass ich in diesem Buch so viel über Darwins Arbeitsweise, seiner Erkenntnisse und seine Forschungsreisen erfahren würde, das hat mir jedoch gut gefallen. Etwas weniger gut gefallen hingegen hat der Stil: Irgendwie hatte ich zwischendurch den Eindruck, dass die Geschichte etwas planlos erzählt wird. Da ist ein Rückblick, der mich im Gesamtkontext eher verwirrt hat; da sind ständige Perspektivwechsel, die nicht unbedingt schlecht, aber zumindest bisweilen irritierend waren.
    Abgesehen davon überzeugt das Buch hauptsächlich durch seine


    Personen. Einiges war anders als ich es erwartet hatte. Das Treffen der beiden Hauptfiguren wurde stark herausgezögert und geschieht erst deutlich nach der Hälfte, das hat mich überrascht; außerdem lag der Fokus deutlich mehr auf Darwin und seinem Leben als auf Marx (durchaus keine schlechte Entscheidung, scheint doch Darwin der deutlich sympathischere Zeitgenosse gewesen zu sein). Zweiteres hinterließ bei mir nur leider das Gefühl, dass der Marx im Titel hauptsächlich Leser anlocken soll, denn bei aller historischer Genauigkeit (soweit das eben möglich ist) hätte ich mir bei einem Roman mit dem Titel „Und Marx stand still in Darwins Garten“ doch etwas mehr Marx-und-Darwin-Action gewünscht.
    Gut war jedoch, dass bei mir der Eindruck entstand, dass die von den historischen Persönlichkeiten gezeichneten Bilder nah an der Realität gelegen haben könnten.
    Eine völlig andere Situation bei dem Bindeglied zwischen Marx und Darwin, Doktor Beckett, der der Phantasie der Autorin entspringt und so vielleicht einfacher mit Leben zu füllen war; auch das ist gut gelungen und hat einen Protagonisten geschaffen, der sympathisch und spannend war.


    Lieblingsstellen. „Gesetzt den Fall, es gibt einen Gott, welche Rolle spielt er dann bei der Evolution? Könnte es nicht sein, dass sich Gott statt in Wundern in Naturgesetzen äußert?“ (S. 223)


    Fazit. Zu meinem Bedauern konnte mich der Roman selbst nicht in dem Maße begeistern wie es dem Titel gelungen ist. Zu sehr am Rand blieb Marx, zu inkonsistent schien mir der Stil.
    Doch Spaß gemacht und gefesselt hat er dennoch, die an ihn gestellten Erwartungen waren bloß einfach zu hoch.