Bernhard Schlink - Olga

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  • „Es war ein holpriges Glück, aber ein wirkliches Glück.“ (S. 157)


    Olgas Lebensgeschichte ist eine Geschichte der Liebe: Der Liebe zu Herbert, der zu Eik und der zu Ferdinand; eine Geschichte von Liebe, die sich früh manifestiert und ein ganzes Leben lang Halt gibt. Es ist die Geschichte einer Frau, die ziemlich viel gehabt und eine Menge verloren hat, und zugleich die Geschichte eines Landes, das im zwanzigsten Jahrhundert immensen Stürmen ausgesetzt wird.


    „Die Spiele der Kinder waren eher eine Vorbereitung auf den Daseinskampf als ein Vergnügen.“ (S. 9)
    „Er sah nur das Dunkel der Nacht, so undurchdringlich, als wäre eine Decke über ihn gebreitet, und er wusste nicht, ob er vor dem da draußen Angst hatte oder vor etwas in ihm selbst.“ (S. 44-45)


    Zwischendurch war ich mir nicht sicher, ob der Roman wusste, in welchem Tempo er sich fortbewegen wollte. Manche Episoden waren genüsslich und langsam erzählt, dann wieder wurden mehrere Jahre in wenigen Sätzen abgefrühstückt. Sobald man sich daran gewöhnt hat – und an die teils komplizierte Satzstruktur, die mich über einige Sätze hat stolpern lassen und mich so gezwungen hat, das Lesetempo zu verringern – und sich darauf einlässt, ist die Handlung äußerst spannend, und dann macht es Spaß, das Buch in Ruhe zu lesen.


    Dass es in der Hauptsache um eine Figur namens Olga geht, ist nach dem Titel des Romans wenig verwunderlich. Und wenn ich oben geschrieben habe, dass Olgas Geschichte eine Liebesgeschichte ist, dann ist das genau so gemeint: Die Liebe zu dem einen oder anderen Mann zieht sich durch ihr ganzes Leben. Trotzdem, und das beeindruckte mich ganz besonders, ist Olga keine Figur, die ihr Wohlbefinden von jemand anderem abhängig macht, und bei all den Gefühlen zu anderen ist sie vielleicht eine der selbstständigsten Gestalten, die mir in der Literatur seit langem untergekommen ist. Ihre unaufgeregte, großzügige Art machte sie dabei auch noch wesentlich sympathischer als es ihren Männern je gelungen ist.
    Da ist Herbert, der stolz auf sein Vaterland ist, der am liebsten die ganze Welt kolonialisieren würde und sich mit Begeisterung an den Kämpfen gegen die Herero beteiligt; da ist Eik, der sich in den Reizen des Nationalsozialismus verliert; und ein wenig versöhnlich am Ende Ferdinand, der Olgas Geschichte für sich selbst und den Leser aufdeckt.
    Es fiel mehr ungeheuer schwer, Olgas Gefühle für die ersten beiden Menschen nachzuvollziehen, doch vielleicht hat sie einfach recht damit, wenn sie sagt „Ach, Kind, nicht die Eigenschaften machen, dass zwei zusammenpassen, die Liebe macht’s.“ (S. 108)


    „Ich vermisse Dich bei allem, was wir gemeinsam gemacht haben und was ich jetzt alleine mache.“ (S. 165)
    „Du bist weg, aber Du tust weh, als seist du noch da.“ (S. 212)


    Ich mag es ja eigentlich schon echt ganz gern, wenn ich die Charaktere mag, die in dem Buch vorkommen, das ich gerade lese, und wenn ich die Figuren nachvollziehen kann, die im Kern der Handlung stehen. Bedingt dadurch, dass ersteres bei diesem Buch nicht bei allen geklappt hat, war auch das zweite von Zeit zu Zeit schwierig.
    Trotzdem hat mir die Geschichte wirklich gut gefallen, sie war interessant und vor allem, und das ist ihr größter Pluspunkt, ist sie durch die verschiedenen Teile und Perspektiven einfallsreich und richtig gut erzählt.


    4ratten


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  • Liebe und Treue: das sind zwei Begriffe, die Olga prägen, nicht zuletzt die Treue zu sich selbst und zu ihren Ansichten.


    Eine Jugend in schweren Zeiten ist es, die Olga erlebt, in der es sie von Schlesien nach Pommern verschlägt, in der sie Herbert und Viktoria kennenlernt. Die sind auch anders, aber anders anders als Olga - während diese schon immer knapsen musste, sind die beiden Geschwister reich, zumindest wohlhabend. Und irgendwann wird dies für Viktoria auch wichtiger als die Freundschaft zu Olga. Aber nicht für Herbert. Der hält ihr die Treue.


    Olga ist anders, sie schaut gern zu, zumindest als Kind. Auch später hat sie Spaß am Schauen, aber nicht am Zuschauen, denn sie weiß genau, was sie will und hat ihren eigenen Kopf: Sie setzt sich schon früh gegen ihre Großmutter zur Wehr, die sie zu einer Helga, einer mit einem deutschen Namen machen will und sie bemüht sich eigenmächtig um eine Stelle an einer weiterbildenden Schule.


    Sie schafft es, Lehrerin zu werden. Aber schafft sie es auch, ihren Traum von einem Leben mit Herbert zu verwirklichen?


    So viel sei gesagt: Olga ist ein aufrechter Mensch und sie bleibt es, auch wenn sie in ihrem langen Leben viele Verluste, bspw. den ihres Gehörs, hinnehmen muss. Olga ist ein stiller Mensch, aber keiner, der ungesehen und ungehört bleibt. Und einer, der fast das ganze 20. Jahrhundert miterlebt - zumindest bis in die 1970er Jahre - und sich so seine Gedanken darüber macht. Bernhard Schlink beschreibt ihr Leben und das Drumherum behutsam, wie es so seine Art ist und hat mit "Olga" einen eindringlichen Roman geschaffen, in dem er einmal mehr Frauen eine Stimme gibt.


    Eine ganz andere, als es im "Vorleser" der Fall war, gewissermaßen eine alltäglichere. Aber sich darauf zu verlassen, dass Olga im Romanverlauf so bleibt, wie wir sie kennengelernt haben, das wäre falsch. Denn wer die Romane von Bernhard Schlink kennt, weiß, dass er immer für eine Überraschung gut ist, auch wenn Teile davon diesmal sehr vorhersehbar sind.


    Dennoch ein Lesegenuss, wenn man den eher zurückgenommenen, aber keineswegs zurückhaltenden Stil des Autors so wie ich zu schätzen weiß! Auch Deutsch- und Geschichtslehrer könnten hier hellhörig werden, bietet doch dieser in Stationen deutscher Entwicklungen im 20. Jahrhundert eingebettete Roman jede Menge Stoff für Diskussionen und weitere Recherchen!
    4ratten

  • Meine Meinung zum Buch:


    Titel: Ein lauter Schlag am Ende eines stillen Lebens...


    Vor vielen Jahren habe ich mit Begeisterung "Der Vorleser" gelesen und nun sollte es mal ein neues Buch von Bernhard Schlink sein.


    In der Geschichte geht es um Olga und Herbert, deren Liebe eine einzige Prüfung ist. Herberts Eltern wollen die Verbindung nicht, Olga sei nicht gut genug. Lassen sich die beiden ihre Zukunft vorschreiben? Wird ihre Liebe am Ende siegen?


    Der Roman besteht aus drei Teilen. Im ersten Teil berichtet ein beobachtender Erzähler von Olgas Werdegang. Im zweiten Teil agiert Ferdinand als Ich- Erzähler und berichtet wie er Olga Rinke, die für seine Familie Näharbeiten erledigt hat, erlebt und wahrgenommen hat. Der dritte Teil sind Briefe von Olga an Herbert.


    Olga war für mich als Figur ein kleines Mysterium, denn ihr Leben ist voll von leisen Tönen. Nie beschwert sie sich, muckt nie auf, sondern ist eher immer eine Bereicherung für die Gesellschaft. Anfänglich habe ich sie eher bemitleidet, aber mit der Zeit spürte ich, dass hinter ihrer Genügsamkeit weit mehr steckt.


    Ich habe bis jetzt noch kein Buch erlebt, in dem die Perspektiven so gewechselt werden wie hier. Mir hat gut gefallen, dass Olga ihr Leben aus unterschiedlichen Sichtweisen dem Leser nahe gebracht werden. Am intensivsten habe ich Olga über ihre Briefe an Herbert erlebt, denn hier ist sie die starke Frau, die schreibt was sie denkt und kein Blatt vor den Mund nimmt, was sie ihm wahren Leben ja nicht getan hat.


    Besonders aufwühlend empfand ich ihr Ende. Nie hatte ich die Auflösung erwartet, wer für ihre Verletzungen und letztendlich für ihren Tod verantwortlich ist.


    Beeindruckend empfand ich Olgas Sicht über die Liebe, der so wahr ist, aber in unserer heutigen Gesellschaft keinen Platz hat. Heute will man Liebe mit all ihren Facetten, immer und zu jeder Zeit, dabei sollte man auch die wenigen Momente der Liebe genießen, denn das Glück kann nicht 24 Stunden, 7 Tage die Woche zugegen sein.


    Fazit: Bernhard Schlink hat auch hier wieder verstanden den Leser zu fesseln. Mich hat der Roman zum Nachdenken gebracht und er wird noch lange in mir nachklingen. So schnell werde ich Olga gewiss nicht vergessen. Gelungen!


    Bewertung: 5ratten und :tipp:

    &WCF_AMPERSAND"Das Buch als Betriebssystem ist noch lange nicht am Ende&WCF_AMPERSAND" (H.M. Enzensberger)

  • Gebundene Ausgabe: 311 Seiten

    Verlag: Diogenes (12. Januar 2018)

    ISBN-13: 978-3257070156

    Preis: 24,00 €

    auch als E-Book und als Hörbuch erhältlich


    Das war mir zu wenig


    Bernhard Schlink hat seinen neuen Roman in drei Teile geteilt. Im ersten Teil wird über Olgas Kindheit und Jugend berichtet und darüber, wie ihre Liebe zu Herbert beginnt. Eine Liebe, die nicht sein darf und die immer wieder getrennt wird. Olga arbeitet schließlich für eine Familie, mit deren Sohn Ferdinand sie eine Art Freundschaft verbindet. Ihm erzählt sie von ihrem Leben, von Herbert und seinen Abenteuern. Und er berichtet uns über Olgas zweite Lebenshälfte. Schließlich gelangt er in den Besitz von Briefen, die Olga an Herbert geschrieben hat. Diese Briefe bilden Teil drei des Romans.


    Die Handlung erstreckt sich ab dem Ende des 19. Jahrhunderts bis in die Gegenwart. An Olgas Seite reisen wir Leser durch die deutsche Geschichte. Kolonialkriege, 1. und 2. Weltkrieg werden kurz gestreift. Auch die Entwicklung der Gesellschaft wird deutlich, Klassengegensätze, Machtlosigkeit der Frau und vieles mehr.


    Olga erweist sich als stark und unbeugsam trotz aller Widrigkeiten. Nur leider kam ich ihr nicht nahe. Die Erzählung ist einfach zu distanziert und zu trocken. Erst die Briefe im letzten Teil des Romans bergen Gefühle. Auch der Ich-Erzähler Ferdinand blieb mir fremd. Er wirkt ziemlich blass, mein Bild von ihm ist schemenhaft.


    Die Sprache empfand ich als sehr schön und zur Zeit passend. Aber die Erzählweise war mir einfach zu minimalistisch, zu distanziert und zu emotionslos. Fast wirkte das Buch auf mich wie das Grundgerüst eines Romans, der noch ausgeschmückt werden muss. Das war mir einfach zu wenig.


    ★★★☆☆

  • Olga und Herbert kennen und verstehen sich seit Kindertagen. Jahre später wird daraus die erste große Liebe, doch Herberts Eltern sind gegen eine Verbindung ihres Sohnes mit einer armen Waise. So trennen sich die Wege der beiden jungen Menschen, und doch trägt Olga diese unerfüllte Liebe ein Leben lang im Herzen.


    An und für sich mag ich diese leisen Töne in der Literatur, die Beschreibung unspektakulärer Lebensläufe, deren Helden sich durch die Erfüllung ihrer alltäglichen Pflichten definieren.

    Im vorliegenden Fall stand wohl eine ähnliche Idee dahinter, doch wollte mir die Umsetzung nicht so recht gefallen. Erst recht nicht, wenn man bedenkt, in welchen Zeiten des Umbruchs der Autor seine Protagonistin angesiedelt hat. Dabei waren deren lieblose Kindheit, gefolgt von einer unglücklichen Jugendliebe bei weitem nicht das Schlimmste. Zwei Weltkriege, Krankheit und Flucht, die Verantwortung für ein Kind, von dem niemand wissen darf, und all dies auch noch überschattet von Herberts ungewissem Schicksal, brachten Olga - nicht einmal zeitweise - an die Grenzen ihrer Belastbarkeit. Klaglos fügt sie sich in jede neue Situation, kämpft erst als Lehrerin, dann als Näherin gegen alle Widrigkeiten. Immer ist sie auf sich alleine gestellt, stets meistert sie selbst die schwierigsten Lebensumstände bravourös.

    Aus genannten Gründen ist mir persönlich die Figur der Olga Klinke viel zu glatt dargestellt. Hier fehlen menschliche Schwächen in Form von - zumindest zeitweiser - Verzweiflung, von Hoffnungslosigkeit und Angst. Olga konnte nicht wissen, dass sie das Grauen überleben, dass sie immer einen Ausweg finden würde. Gerade im Scheitern, auch in Misserfolgen kann sich menschliche Größe offenbaren, wird Wärme spürbar, entsteht besondere Sympathie zwischen den Helden der Autoren und ihren Lesern.

    Gewiss ist Olga eine liebens- und bewundernswerte Frau, deren Interesse für Politik mir sehr gut gefallen hat. Besonders originell fand ich ihre Theorie, dass die Ziele und Ideen mancher Menschen (wie ihres Herbert), aber auch mancher Regierungen oft zu groß geraten sind, wie ein Kleidungsstück, in das der Betreffende nicht so recht passen will.

    Ebenfalls gut gefallen hat mir der Aufbau des Romans. Anfangs wird Olgas Geschichte aus der Sichtweise eines unbeteiligten Dritten geschildert. Erst viel später, als bereits die Hälfte ihres Lebens vorbei ist, greift ein bisher unbekannter Ich-Erzähler namens Ferdinand ins Geschehen ein. Dieser Wechsel der Perspektive ist sehr gut gelungen und hat dem Roman neuen Schwung verliehen.

    Unrealistisch hingegen kam mir vor, dass derart viele ungeöffnete Briefe Olgas in einem Antiquariat aufgespürt werden können. Davon abgesehen konfrontieren sie den Leser jedoch mit der Gefühlswelt Olgas, die bisher im Hintergrund geblieben war, und geben Antwort auf viele, wenn auch nicht auf alle Fragen.

    Sehr schön fand ich wiederum den Stil, ein ruhiges, kraftvolles und flüssiges Erzählen, dem Fließen eines mächtigen Stromes vergleichbar, von dem ich mich gerne für einige Stunden in ferne Zeiten habe davontreiben lassen.

    Die Sprache hat mich für so manche inhaltlichen Mängel entschädigt, weshalb ich gerne eine Leseempfehlung abgebe.


    4ratten