Gore Vidal mochte den Truman Capote nicht leiden. Fragte man ihn, weshalb, erklärte er lakonisch: ein Lügner sei das gewesen. Dies ist, scheint mir, kein gutes Kriterium, will man über einen Dichter urteilen. Auf "Kaltblütig" (und Capote überhaupt) bin ich vor Jahren aufmerksam geworden, als ich den Film "Capote" mit dem grandiosen Philip Seymour Hoffman gesehen hatte, welcher just die Entstehungsgeschichte dieses Buches erzählt. Ja, Capote hat manchmal gelogen und manipuliert. Wenn wir dem Film glauben schenken, hat er sich zuletzt sogar den Tod des Perry und des Dick gewünscht, um endlich sein Buch abschliessen und sich etwas anderem zuwenden zu können. Er war schon vorher auf dem besten Wege, ein schwerer Alkoholiker zu werden, hinterher ging es nur noch bergab und Capote hat kein Manuskript mehr vollendet. Über die Qualität von "Kaltblütig" ist mit all dem freilich noch nichts gesagt.
Der Autor nimmt sich viel Zeit, beschreibt (zugegebenermassen, wie oben von jemandem vermerkt, vielleicht etwas zu bieder) das Dorf, die Familie, die Menschen, man bemerkt sowohl die ebenso in- wie extensive Recherche, als auch die bewusste literarische Stilisierung. Die beiden Täter durchleuchtet Capote noch ausführlicher, ihre ganze Lebensgeschichte wird mit bemerkenswerter Einfühlung nachgezeichnet und selbst eine "Nebenfigur", wie der zum Tode verurteilte, offenbar emotionslose Dicke, bei dem man heute wahrscheinlich eine neuronale Störung feststellen würde, wird mit einem umfangreichen Abschnitt bedacht. Das ganze Buch ist ein Plädoyer für das genaue Hinschauen, für das Verstehenwollen, welches nicht mit Entschuldigen einhergehen muss, darf. Capote verleiht all jenem eine Stimme, das die Richter und Henker nicht interessiert hat, Familie und Freunde der Opfer auch nicht zu interessieren brauchte. Ich las "Kaltblütig", als in Norwegen gerade der Breivik-Prozess stattfand und das Verfahren gegen den Perry und den Dick, mit seiner bewussten Ignoranz für alle psychologischen Aspekte, die die Zurechnungsfähigkeit der Verbrecher in Frage stellen könnten, erschien mir beinahe wie das nicht weniger schädliche Gegenstück zur grotesken Komödie, welche die beiden vermeintlichen Experten, nach deren Vorstellungen die halbe Menschheit unzurechnungsfähig wäre, bei Gericht vorgeführt zu haben sich nicht schämten.
"Kaltblütig" mag nicht die letzte Wahrheit über alles, was zu diesem brutalen Verbrechen gesagt werden kann, enthalten, es ist aber durchaus ein ernsthafter Versuch, zu verstehen, und, vor allem, schlicht grosse Literatur.