Wie auch bei meiner Lektüre von "Krabat" versuche ich mich auch bei der von "Kaltblütig" häppchenweise an Eindrucks-Schilderungen. Es ist ja doch ein recht dickes Buch mit 533 Seiten und dazu sehr ausführlich geschrieben, sodass ich es nicht ganz so schnell durchkriege. Aber es macht irre Spaß, das zu lesen, auch wenn sich manche Passagen ziehen.
Gerade lese ich fairys Beitrag und erschrecke mich etwas - gestern noch fragte ich mich, was die beiden Mörder zu ihrer Tat bewogen hat (weil das ja so ganz klar nicht wird, zumindest nicht bis Seite 163, auf der ich mich gerade befinde) und was es ihnen denn jetzt "gebracht hat"... Ich dachte, da wär noch was anderes.
40$. Auch wenn sie was anderes vor hatten, mehr wollten.
Aber dass es darauf hinaus läuft, passt ja zu dem, wie Capote das schildert. Unfassbar. Ich meine damit jetzt natürlich nicht den kleinen Betrag, ein solches Verbrechen wird durch nichts gerechtfertigt, ich meine das Paradoxe daran, das irgendwie von Beginn an die Geschichte bestimmt.
Capotes Werk ist eine Mischung aus Rekonstruktion, Indiziensammlung, Interview und reportagenhaften Erzählstil.
- Ich für meinen Teil habe so was noch nie gelesen. Darin begründet sich auch die Wirkung, die ich meine. Zum Beispiel - und das finde ich besonders gelungen - bekommt man als Leser detailgenau und chronologisch die Ermittlungen und auch die Reaktionen der Freunde, Bekannten und Nachbarn mit, gleichzeitig lässt Capote uns auch daran teilhaben, was in genau diesen Momenten die Mörder tun und das hat gar nicht mit der Tat zu tun, zumindest nicht direkt, sie unterhalten sich über dies und das, ihnen geht das eine oder andere durch den Kopf. Dabei verkörpert vor allem Perry, wie im Thread oft erwähnt, eigentlich einen Sympathieträger. Doch man weiß ja, der ist ein Mörder! Die gerade vier Menschen brutal hingerichtet haben, verspeisen im nächsten Moment leichten Gemüts ein Mittagessen oder schlafen sich erstmal gründlich aus....
[...] vor allem zu Anfang erfährt der Leser viel über die Opfer und ihre letzten Stunden. Über das angesehene Ehepaar Herbert und Bonnie Clutter, den 15-jährigen Kenyon Clutter und die 16-jährige Nancy Clutter, die einen festen Freund hat, mit ihrer Freundin Susan Pläne für die Zukunft schmiedet, der Nachbarstochter beim Kuchenbacken hilft und ihr Lieblingskleid für den nächsten Tag rauslegt, obwohl wir genau wissen, dass sie es nie tragen wird.
- Mir war die Familie, wie andere User bereits schrieben, auch zu perfekt. Eigentlich mag ich so was gar nicht; also dieses "Und die Tochter ist ja so bildhübsch und so intelligent und beliebt und dazu auch noch gar nicht eingebildet" und "der Sohn kann dieses und jenes ja so toll, repariert alles selber, hat die besten Noten, etc." und dann noch der Vater. .... Zuerst störte es mich sehr, dann habe ich mich daran gewöhnt. Wären sie nicht so perfekt gewesen, hätte ich es besser gefunden, für die Geschichte einfach, aber durch die genauen Schilderungen hatte ich dann doch so sehr das Gefühl, irgendwie bei ihnen gewesen zu sein und fand auch hier und da Macken und schwelende Konflikte, dass ich mich doch mit ihnen identifiziert habe irgendwie.
Da ist der grausame und brutale Mord an vier hilflosen, unschuldigen Menschen, da ist der schüchterne Perry mit seiner Gitarre.
Das trifft es sehr gut! Zusätzlich würde ich hinsichtlich Perrys Charakter noch ergänzen, dass man fortwährend versucht, ihn für sich fassbar zu machen. Sicher ist er schüchtern, aber z. B. seine Träume von dem Tauchen nach Schätzen etc. und seine vielen Fantasien sowie die Freundschaft zu diesem Willie-Jay, dass er irgendwie immer auf mehr hofft, verstanden zu werden, und gleichzeitig, was Dick an einer Stelle über ihn sagt bzgl. seiner Kaltblütigkeit, dass er, Dick, ihn braucht, um das durchzuziehen und auf diesen Charakterzug von Perry baut und ihm deshalb vorspielt, auch von Schätzesuchereien zu träumen, das macht ihn irgendwie ... erschreckend real, weil unfassbar.
Da sind blutbespritzte Wände und da ist jemand, der nach der Urteilsverkündung in seiner Zelle weint. Da sind aufgebrachte und geschockte Bewohner einer Kleinstadt und da ist ein Gericht voller voreingenommener Richter und Geschworener, die allesamt die Opfer persönlich kennen, so dass man sich fragt, ob sich das „kaltblütig“ auf die Mörder oder auf die Verhänger der Todesstrafe bezieht.
Darauf bin ich ja noch gespannt.
Man versucht, Perry zu verstehen und Erklärungen für sein schreckliches Handeln zu finden, doch das letztes Stück fehlt, das letzte Bisschen, dass einen überzeugt und einen verstehen lässt fehlt und die Zerrissenheit schmerzt, wie sie wohl auch Truman Capote geschmerzt haben muss, der schon fast wie ein Verrückter jeden einzelnen befragte, der auch nur im entferntesten irgendetwas über die Familie und den Fall wusste.
Aber die hilfloseste Erklärung liefert wohl Perry Smith selbst: „I think there must be something wrong with us. To do what we did. Deep down, I never thought I could do it. Anything like that.”
Ihn zu verstehen, versuch ich erst gar nicht, aber ja: Erklärungen zu finden. Ich bin ja noch nicht so weit, aber ich kann mir schon vorstellen, wenn es so weitergeht, dass sich da ein Bild dieses Menschen aufbauen wird, das immer mehr in die Richtung wie bisher geht: Einerseits das Sympathische, Nachvollziehbare, fast schon in der Art, dass man ihn irgendwie trösten will, dann die andere Seite, der Kontrast, der sich einem komplett verschließt, so unverhältnismäßig, man will es sich eigentlich gar nicht vorstellen.
Und ja, es schmerzt schon irgendwie, wenn man das liest. Dass man nicht dahinter kommt, es sich nicht erklären kann, vielleicht weil man es sich gar nicht verstehen will. Gerade dass Capote aber, ohne zu urteilen (wie auch?) hinter allem, was irgendwie Erklärungen liefern könnte, her ist, dass er sich da so rein hängt, macht das Buch besonders.
In dem, was Perry da sagt, zeigt sich auch allgemein ganz gut seine Authentizität. Er ist nicht das typische Schlitzohr, das man sich unter so einem Menschen vorstellt, er jagt hoffnungslosen Träumen hinterher, liest gerne und viel, korrigiert anderer Grammatik, sucht Freunde, die es ehrlich mit ihm meinen, singt .... das passt halt nicht zusammen.
[...] das „Wie“ noch das „Warum“. Die zwei spannendsten Fragen spart sich der Autor geschickt für das letzte Drittel des Buches auf. [..]
Während des jahrelangen Wartens im Todestrakt lernen Dick und Perry andere Todeskandidaten kennen, deren Mordfälle ebenfalls kurz geschildert werden. Auch bei ihnen ist absolut kein Motiv zu erkennen. Das Problem ist nicht sichtbar, sondern viel tiefer verwurzelt.
Bin gespannt, da mehr Einblicke zu erhalten... und hoffe, dass das mit den schlimmen Kindheiten meinen bisherigen Fünf-Ratten-Eindruck nicht zerstört. Keine Gründe zu liefern ist manchmal besser, gerade weil manche Taten nicht erklärbar sind.
[...] Das ganze Buch ist ein Plädoyer für das genaue Hinschauen, für das Verstehenwollen, welches nicht mit Entschuldigen einhergehen muss, darf. [...]
Es unter den Aspekten zu lesen, macht es wirklich interessant, das denke ich auch. Darin besteht m. E. die Qualität des Buches.