Im Rahmen der <a href="http://www.literaturschock.de/literaturforum/viewtopic.php?t=4355">SUB-Wettbewerb 2006</a>-Liste hier meine sechste Rezension:
Fattaneh Haj Seyed Javadi: Der Morgen der Trunkenheit
415 Seiten, Suhrkamp taschenbuch, 2004
"Der Morgen der Trunkenheit" so lautet der Titel des Debütromans der iranischen Schriftstellerin Fattaneh Haj Seyed Javadi, der im Iran nach seinem Erscheinen innerhalb kürzester Zeit in der Bestseller-Liste auftauchte.
Alles beginnt damit, daß Sudabeh (Gegenwart) einen Mann heiraten will, den ihre Eltern nicht akzeptieren wollen, weil sie ihn für einen neureichen Nichtsnutz halten und Schlimmes für ihre Tochter befürchten. Der Konflikt ist zwischen der modernen und willensstarken Sudabeh und ihren Eltern allein nicht zu lösen. Da schlägt ihre Mutter vor, die auch von Sudabeh sehr verehrte inzwischen 80jährige Tante Mahbube entscheiden zu lassen. Beide Seiten wollen deren Urteil akzeptieren. Und dann setzen sich die alte Tante und ihre Nichte zusammen und Mahbube erzählt aus ihrem eigenen Leben, denn in den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts setzte sie den Mann ihrer Wahl, einen Schreinerlehrling, gegen den Willen der Eltern durch.
Javadi erzählt diese Lebensgeschichte so authentisch und überzeugend, daß es einen als Leser unwillkürlich packt und hineinzieht in dieses Leben. Zugleich gewinnt der westliche Leser viel Einblick in die Funktionsweise iranischer Familien, in das Ehe- und Familienleben und die Gesellschaft an sich. Mahbube wird auf Dauer mit ihrem selbstgewählten Mann nicht glücklich und bezahlt einen hohen Preis für ihre Wahl und jetzt am Ende ihres Lebens ringt sie immer noch darum sich mit ihrem Schicksal auszusöhnen (unbestritten bleibt, daß natürlich auch Frauen die sich in eine sog. arrangierte - nicht Zwangs- (!) Ehe begeben unglücklich werden können). Am Ende sagt Mahbube ihrer Nichte "Ich möchte, daß du weißt, der nächtliche Wein ist nicht den Morgen der Trunkenheit wert" und verweist darauf, daß eine Ehe nicht nur aus der ersten Zeit der Verliebtheit besteht und das große Unterschiede in der Herkunft auch große Probleme mit sich bringen, die bewältigt sein wollen und an denen viele solcher Ehen scheitern. Wahrheiten die generell für Ehen gelten und die bedacht sein wollen auch jenseits des Iran.
Das Thema dieses Romans ist also nicht das Thema "Zwangsehe", denn sowohl der jungen Mahbube wird kein Zwang angedroht ebensowenig der jungen Sudabeh. Es scheint eher darum zu gehen, zu zeigen, daß arrangierte Ehen (bei der alle Seiten aus freien Stücken zustimmen) nicht schlecht sein müssen und daß die Eltern mit ihrem Vorsprung an Lebenserfahrung unter Umständen eher merken, daß da etwas nicht zueinander paßt und es zumindest ratsam ist ihre Bedenken ernstzunehmen und sie nicht nur aus erster Verliebtheit zu verwerfen. Dem westlichen Leser mögen Traditionen und Denkweisen die in diesem Roman auftauchen fremd und unverständlich sein, einen Einblick in das Leben vieler iranischer Frauen gibt er allemal. Es gefällt mir sehr, daß Javadi den Roman offen enden läßt und es jedem überläßt seine eigenen Schlüsse zu ziehen.
Ein beeindruckendes Debüt, das von mir bekommt.
[size=1]EDIT: Land im Betreff eingefügy. LG, Saltanah[/size]