Tilman Jens - Goethe und seine Opfer: Eine Schmähschrift

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    Amazon Kurzbeschreibung
    "Sehr wohl, und behaglich" sei es zumeist nicht gewesen in seiner Nähe, schrieb der Goethe-Verehrer Thomas Mann. Wenn der Olympier in Erscheinung trat, dann habe es "nach Opfer" gerochen. Der Autor nimmt diese These auf und untersucht, wie der 1999 allerorten gefeierte Klassiker einst mit seinen Zeitgenossen umsprang. Jakob Michael Lenz, ein Studienfreund und Dramatiker des Sturm und Drang: wegen einer Satire aus Weimar in einen elenden Tod getrieben. Lorenz Oken, den freigeistigen Naturforscher und späteren Lehrer Büchners, mit übelsten Zensurmaßnahmen verfolgt. Alles darangesetzt, den literarischen Durchbruch seiner Schriftstellerkollegen Kleist und Hölderlin (Goethe sprach von "Hoelterleyn") zu verhindern. Seinen Dienern das Leben zur Hölle gemacht, sich mit einem Schnupfen ins Bett verzogen, während seine Frau Christiane alleingelassen starb.
    Das Buch zeichnet das Psychogramm eines zu jeder sozialen Bindung unfähigen Dichters, außerstande,so hat es Wilhelm von Humboldt formuliert, "sich einem anderen Wesen in der Wirklichkeit hinzugeben".


    Meine Meinung
    Das ist ein kurzes aber überaus interessantes Buch. Wenn es nicht um Goethe gänge, hätte die Lektüre wohl bei mir bewirkt, daß ich Werke des Protagonisten nie wieder zur Hand genommen hätte. Goethe wird als Ekel und A…loch dargestellt (sorry für diese sehr direkte Wortwahl). Und Tilman Jens greift das nicht nur so aus der Luft, sondern untermauert jede seiner Thesen anhand von gut nachvollziehbarer Literatur. Freunde, Geliebte, sein Sohn, seine Diener, niemand ist vor ihm sicher, jeder bekommt auf die eine oder andere Weise Goethes Gewalt zu spüren.
    Ich kann jedem dieses Buch wärmstens empfehlen (besonders auch den Goethe-Liebhabern). Einen Punkt Abzug gibt es für die teilweise zu akademische Ausdrucksweise. 4ratten

    "Es ist die Pflicht eines jeden, es auch auszusprechen, wenn er etwas als falsch erkennt." --- Stefan Heym, 2001

  • Auch ich fand das Buch überaus interessant. Ich selbst wurde von Haus aus nicht gerade zum Goethe-Verehrer erzogen, wobei ich einige seiner Werke wie den Faust durchaus schätze. Dennoch werde ich sie vermutlich jetzt mit etwas anderen Augen lesen. Denn auch wenn Jens nicht der erste ist, der das heroisierende Bild Goethes demontiert, so gibt das Buch doch einen für mich noch neuen, interessanten Überblick über die vielen Menschen, deren Karrieren, Glück oder gar Leben Goethe zum Opfer fielen. Angefangen mit „Freunden“ wie Lenz, dessen Ruf Goethe auf lange Zeit vernichtete, über seine Schwester, die er in Abhängigkeit hielt, seine Gönner, die er finanziell aussaugte und sich ihrer dann entledigte, bis hin zu seiner Frau, die er einsam Sterben ließ.


    Auch wenn man schon grob mit dem Lebensweg und Charakter Goethes vertraut ist, so ist es doch erschreckend, wie selbstherrlich und egoman Goethe zu agieren schien, ohne Rücksicht auf Verluste nur seine eigenen Interessen und vor allem eigene Befindlichkeiten im Blick, scheinbar völlig unfähig, Kritik zu ertragen. Interessant auch zu sehen, wie aktiv Goethe an der Mythenbildung ihn betreffend mitarbeitete und so wird man sich mal wieder bewusst, wie kritisch Tagebücher und Briefwechsel doch zu lesen sind. Jens belegt jede seiner Thesen mit überzeugenden Zitaten, auch wenn das manchmal den Lesefluß etwas stört.


    Vielleicht mag diese Schmähschrift manchem ein bißchen zu einseitig sein, wie der Titel schon sagt war das aber schließlich vom Verfasser intendiert und verherrlichende Schriften gibt es auch heute noch zur Genüge. Abgeschreckt, mich weiter mit Goethe zu beschäftigen, hat mich dieses Buch jedoch nicht, im Gegenteil, ich werde mich die nächste Zeit etwas mehr mit Literatur von und über Goethe beschäftigen- und Lotte in Weimar werde ich auch bald vom SUB-holen.


    4ratten

    Die Literatur gibt der Seele Nahrung,<br />sie bessert und tröstet sie.<br /><br />:lesen:<br />Alfred Kerr: Die Biographie

  • Erst kürzlich las ich in einem Buch mit Briefwechsel zwischen Adele Schopenhauer und Sibylle Mertens mehrfach über Goethe als warmherzigen Menschen und hilfsbereiten Mentor. Dabei fiel mir das Buch von Tilman Jens ein, das mit Goethes Opfern auf sich aufmerksam macht und auf einen ganz anderen Menschen als den von Mertens geschilderten hindeutet. Jens schildert anhand mehrerer Zeitgenossen Goethes, die mit diesem Kontakt hatten, auf welche Weise Goethe mit seinen Kollegen verfuhr, und von warmherzig und hilfsbereit ist da nur wenig zu lesen.


    An seiner Genialität als Schriftsteller gibt es keine Zweifel, aber als Mensch war Goethe mit Vorsicht zu genießen. Er war durchaus freundschaftlich gesinnt, so lange er keine Konkurrenz befürchten musste, doch sobald jemand seinen Ansichten oder seinem Erfolg in die Quere kam, war es angeraten, mit dem Schlimmsten zu rechnen. Aufgrund seines Einflusses hatte er Möglichkeiten, unliebsame Zeitgenossen so auszubremsen, dass sie im schlechtesten Fall zeitlebens keinen Fuß mehr auf den Boden bekamen. Selbst wenn es nicht ganz so drastisch ausfiel, war ihr Ruf zumindest im Wirkungskreis des Meisters deutlich angekratzt. In den neun Kapiteln der „Schmähschrift“ wird beschrieben, welche Erfahrungen beispielsweise Schiller, Hölderlin und Kleist machen mussten. Auch vor Frauen machte Goethe nicht Halt. Charlotte von Stein, mit der er eine Beziehung hatte, machte diese Erfahrung. Zuerst heiß umworben, wurde sie nach einer Beziehungskrise zugunsten einer anderen Frau fallen gelassen. Ein krasser Gegensatz ist auch, dass er in seinen Werken einfühlsam über Frauen schreibt, andererseits aber in seiner Eigenschaft als Beamter die Hinrichtung einer jungen Frau veranlasst, die aus tiefster Not heraus zur Kindesmörderin wurde. Natürlich ist es immer Interpretationssache. Auch Goethe wird sich Gedanken gemacht und Gründe für sein Handeln gehabt haben, doch so, wie er hier dargestellt ist, sind sie entweder egoistisch oder unüberlegt.


    Mit dem „Werther“ und „Faust I“ als einziger Lektüre kenne ich mich in seinen Werken nicht aus und von Goethe als Mensch hatte ich wenig Ahnung. Letzteres hat sich nun etwas geändert. Auch wenn stets ein Hauch Ironie durch Tilman Jens‘ Schmähschrift weht, sind es doch Tatsachen, von denen er erzählt, und die eine Seite des Literaten zeigen, die nicht so bekannt ist. Ein unterhaltsames und aufschlussreiches Buch.


    4ratten