Ismail Kadare – Der zerrissene April

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    Inhalt: Gjorg Berisha erfüllt endlich seine Pflicht und erschießt den Nachbarn, der seinen Bruder tötete – dem unerbittlichen Gesetz des Kanun und seinen Regeln zur Blutrache folgend. Die Gegenseite gewährt ihm das Große Ehrenwort, und damit bleiben Gjorg noch 30 Tage, in denen er sicher ist. 30 Tage bis zum 17. April. Danach droht ihm immer und überall das gleiche Schicksal.


    Der Schriftsteller Besian Vorpsi und seine junge Frau Diana aus der Hauptstadt Tirana verbringen ihre Hochzeitsreise im albanischen Hochland. Vorpsi ist fasziniert vom Kanun und seinen Regeln, bewundert dieses Werk und seine Überlebenskraft. Auch seine Frau scheint dem archaischen Lockruf zu erliegen. Die Kutsche der beiden begegnet Gjorg auf seinem Rückweg vom Turm von Orosh, wo er die allfällige Blutsteuer bezahlte. Diana und Gjorg tauschen nur einen Blick, der letzteren aber dazu veranlaßt, seine geschützte Zeit im Hochland auf der Suche nach der Kutsche zu verbringen, und auch Diana geht der junge Hochländer nicht aus dem Kopf.



    Meine Meinung: Hatte mir Kadares Der General der toten Armee schon gut gefallen, so ist dieses doch noch besser. Nicht angenehm, sondern eher schockierend, denn die Handlung spielt nicht irgendwann in grauer Vorzeit, sondern im 20. Jahrhundert. Aus den Gesprächen Besians mit seiner Frau sowie aus deren Diskussionen mit dem Kanun-Ausleger Ali Binaku erfährt man als Leser vieles über die inneren Strukturen dieses Gesetzessystems.


    Gjorg dagegen ist ein junger Mann, der für dieses archaische Auge-um-Auge-Prinzip zuviel nachdenkt. Aber gerade die Abschnitte, die aus seiner Sicht erzählen, sind besonders eindringlich und spiegeln die innere Zerrissenheit des jungen Mannes gut wieder. Einerseits zweifelt er nämlich gar nicht an den Regeln des Kanun, andererseits fühlt er sich schon um sein Leben betrogen. Es war interessant zu verfolgen, wie er mit seinem quasi feststehenden Todesdatum umgeht.


    Das alles erzählt Kadare geradezu unprätentiös, aber mit einem guten Blick für Details. Und gerade dadurch wirkt die Geschichte noch viel intensiver, denn die Unausweichlichkeit des Geschehens wird damit unterstrichen. Nach Gjorgs vollzogener Rache am Anfang ist schon klar, wie das Buch enden wird, es bleibt vor allem Mitleid mit ihm und ein ordentliches Maß an Wut über ein solches Gesetz, das die Ehre über das Leben stellt.


    4ratten


    Schönen Gruß,
    Aldawen

  • Hallo!



    Das alles erzählt Kadare geradezu unprätentiös, aber mit einem guten Blick für Details. Und gerade dadurch wirkt die Geschichte noch viel intensiver...


    Das ist mir auch in seinem Buch Das verflixte Jahr aufgefallen. Es war kein dickes Buch aber unglaublich vollgepackt (im positiven Sinn).


    Liebe Grüße
    Kirsten

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.


  • Hallo!



    Das ist mir auch in seinem Buch Das verflixte Jahr aufgefallen. Es war kein dickes Buch aber unglaublich vollgepackt (im positiven Sinn).


    Das gefällt mir auch wirklich sehr gut. Kadare ist für mich eine absolute Entdeckung durch meine International-Lesen-Ziele, von ihm werde ich sicher noch mehr lesen.


    Schönen Gruß,
    Aldawen

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    OT: Prilli i thyer
    OA: 1980
    240 Seiten
    ISBN: 978-3596157617


    Inhalt:
    Ein Roman von archaischer Wucht. In >Der zerrissene April< erzählt Isamil Kadare die Geschichte der albanischen Blutrache, die nach einem tausendjährigen Gesetzeskodex noch bis in die 70er Jahre des 20. Jahrhunderts hinein gültig war. Zwei Familien hoch oben in den albanischen Bergen sind seit Jahren miteinander im Blut. Auf dem Friedhof sind je vierzig Opfer bestattet. Jetzt ist Gjorg Berisha an der Reihe zu töten. Nach der Tat bleiben ihm nur 30 Tage Frist, bevor er getötet wird. Kadare erzählt von der Intensität, die das Leben im Angesicht des Todes gewinnt.(Quelle: Amazon)


    Eigene Meinung:
    Dieses Buch wurde mir von mehreren Seiten empfohlen. Einmal von meinem Buchhändler und von zwei albanischen Kollegen. Ich habe es nicht bereut auf diesen Tipp gehört zu haben. Dieses Buch beeindruckt nicht nur durch seine Geschichte, sondern auch die Wahl der Worte. Sie sind treffend und stark. Die bildhafte Sprache des Autors verleiht diesem noch Nachdruck. Bei diesem sehr ernsten Thema gibt der Autor keine eigene Meinung vor. Dies lässt er seine Protagonisten tun und so kann sich der Leser selbst seine Meinung bilden. Dass diese Geschichte aus verschiedenen Blickwinkeln erzählt wird (positiv wie auch negativ), verleiht diesem Buch noch einen ganz besonderen Charakter. Liest man die Geschichte von Gjorg, so kann man kaum glauben, dass sich dies alles in unserem Jahrhundert abspielt; in diesem Roman, wie aber auch in der Realität. Dieses kleine Buch hat mich sehr beeindruckt und mir die Augen geöffnet, für eine mir völlig fremde Kultur, die gar nicht so weit von mir entfernt lebt, wie man denkt.


    5ratten


    Tina

  • Wow, dieses Buch muss ich mir merken. Ein ernstes, aber dennoch interessantes Thema.

    //Grösser ist doof//

  • Der zerrissene April dokumentiert das Gesetz der Blutrache im albanischen Hochland. Gjorg folgte dem „Kanun“ und hat den Nachbarn erschossen – ordnungsgemäß den überlieferten Regeln gehorchend. Obwohl er eigentlich nur ein ganz normales Leben gewollt hätte, sah er keine Möglichkeit dem Gesetz des „Kanun“ zu entkommen und so bleiben ihm nun nur noch 30 Tage, um seine Angelegenheit zu regeln, bis er stets damit rechnen muss, selbst getötet zu werden. Zur gleichen Zeit unternimmt ein Schriftsteller seine Hochzeitsreise ins Hochland. Seine Frau ist zwischen Abscheu und Faszination gegenüber den uralten Riten gefangen und wird in ihrer Kutsche selber für Gjorg zum Symbol der letzten Chance seines bald beendeten Lebens.


    Während die beiden Hauptfiguren aneinander vorbeilaufen, steht man als Beobachter daneben und fragt sich, in welchem Jahrhundert man denn eigentlich gelandet ist. Dabei ist das Buch seltsam zeitlos, das Leben der Menschen ist von archaischen Gewohnheiten geprägt und nur ein am Himmel hinwegfliegendes Flugzeug beweist, dass wir eigentlich bereits im 20. Jahrhundert angekommen sind.


    Hier gab es für mich übrigens auch ein Verständnisproblem bei mir, denn wenn der Kanun Jahrhunderte alt ist, so kann er doch nicht schon seit Jahrhundert den Vollzug der Blutrache nur per Schusswaffe als Regel beinhalten. Das heißt Änderungen sind möglich und vielleicht ist so irgendwann auch ein Ende dieses Gesetzes erreichbar, wenn die Menschen es denn erreichen wollen…


    „Der zerrissene April“ verdeutlicht den Konflikt zwischen Moderne und (überkommener) Tradition in Albanien vermutlich besser als so manches Sachbuch zum Thema und ich würde gerne sagen, dass es einen die Menschen besser verstehen lässt, aber ich will dieses System des geregelten Tötens einfach nicht verstehen und so trauere ich einfach nur um die Opfer – die lebenden wie die toten..


    4ratten

  • ich würde gerne sagen, dass es einen die Menschen besser verstehen lässt, aber ich will dieses System des geregelten Tötens einfach nicht verstehen und so trauere ich einfach nur um die Opfer – die lebenden wie die toten..


    Genau dieser Gedanke ging mir auch durch den Kopf, als ich dieses Buch las. Vor allem wenn man bedenkt, in welcher Zeit sich die Handlung abspielt.