Ian McEwan - Ein Kind zur Zeit

Es gibt 2 Antworten in diesem Thema, welches 5.545 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Kirsten.

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    Ein ganz normaler Vormittag. Während Ehefrau Julie noch schläft, geht Stephen mit der dreijährigen Kate im Supermarkt um die Ecke einkaufen. Dann in der Kassenschlange plötzlich der Schock: Kate ist weg! Spurlos verschwunden, unauffindbar.


    Über diesem Schockerlebnis zerbröselt die Ehe, weil sich die Partner voneinander zurückziehen, statt sich gegenseitig zu stützen und zu trösten. Stephen verbringt seine Tage mit der Whiskyflasche und hirnlosen Talkshows auf dem Sofa, wenn er nicht gerade unmotiviert in seinem parlamentarischen Ausschuss sitzt - der sich ausgerechnet mit dem Thema Kindererziehung befasst und zu dem er als erfolgreicher Kinderbuchautor seine Erfahrungen beisteuern soll. Die einzigen Menschen, mit denen er sich gelegentlich trifft, sind Charles, sein ehemaliger Verleger, der mittlerweile ebenfalls in der Politik unterwegs ist, und dessen Frau Thelma, eine Mathematikerin.


    Als Stephen eines Tages Julie in ihrem neuen Zuhause besuchen will, hat er ein merkwürdiges Erlebnis in einer Kneipe: dort sitzt ein junges Paar, in dem er mit Erstaunen seine Eltern erkennt - wie sie vor seiner Geburt waren! Die Zeit scheint aus den Fugen geraten zu sein ...


    Wie gewohnt besticht McEwan auch in diesem Buch wieder mit präzisen Alltagsschilderungen und einem schonungslosen Blick in die Gedanken- und Gefühlswelt des Protagonisten. Die phantastische Komponente, die durch Stephens "Zeitloch"-Erfahrung ins Spiel kommt, passt indes nicht zu ihm. Den Abstecher in die Vergangenheit der Eltern und die daraus resultierende Beschäftigung mit dem Umständen seiner eigenen Geburt fand ich dennoch gelungen. Eine spätere surreal wirkende Szene führte mir jedoch zu weit in den Grenzbereich von Realität und Phantasie. Das nehme ich einem McEwan einfach nicht ab, und er hat es auch gar nicht nötig, auf solche Kniffe zurückzugreifen.


    Die Szenen im Parlamentsausschuss sind mit spitzer Feder ironisch gezeichnet, aber teils recht langatmig geraten.


    In diesem ist die Verquickung mehrerer Themenbereiche nicht so homogen gelungen wie in seinen anderen Büchern. Auch das Ende war zwar einerseits schön, andererseits aber schon fast kitschig.


    Leider nur 3ratten + :marypipeshalbeprivatmaus:

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Hallo Valentine,


    danke für die Rezi.
    Ich glaube, ich schaue mal, ob unsere Bib das Buch vorrätig hat :smile:


    :winken:

    Books are the ultimate Dumpees: put them down and they’ll wait for you forever; pay attention to them and they always love you back.<br />John Green - An Abundance of Katherines<br /><br />:lesewetter: Caprice

  • Meine Meinung
    Es ist das Schlimmste das Eltern passieren kann: das eigene Kind verschwindet spurlos. Immer wieder grübelt Stephen über diesen Tag nach und fragt sich, was gewesen wäre wenn... Wenn er dieses oder jenes anders gemacht hätte, wäre seine Tochter noch bei ihm?


    Anfangs scheint er der Stärkere zu sein. Er sucht unternimmt etwas, sucht Kate. Er gibt nicht auf. Das ist genau das, was seine Frau tut. Sie bricht zusammen. Sie kann das Leben in dem Haus, in dem sie glücklich waren, nicht mehr ertragen und verlässt ihren Mann. So sieht es auf den ersten Blick aus. Aber ist es wirklich so? Oder ist es nicht vielmehr so, dass Juli sich mit dem Verlust auseinander setzt und für sich beschließt, einen Neuanfang zu machen?


    Die Geschichte hat mich am Anfang sehr betroffen gemacht. Aber je mehr Zeit vergeht und je mehr Stephen den Blick für die Realität verliert, desto weniger konnte sie mich fesseln. Wie schon geschrieben hat, gab es Passagen, die zu langatmig waren und nicht mehr zu den starken Gefühlen des Anfangs passten. Aber vielleicht lag dieses Abschwächen auch daran, dass man bei so einem Verlust irgendwann keinen neuen Schmerz mehr empfinden kann und abstumpft.


    Ein Kind zur Zeit ist kein einfaches Buch. Trotzdem, oder vielleicht deswegen, hat es mich nach dem Lesen noch sehr beschäftigt.
    4ratten

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.

    Einmal editiert, zuletzt von Kirsten ()