[Senegal] Ousmane Sembène – Xala. Die Rache des Bettlers

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    Inhalt: El Hadji Abdu Kader Bèye hat es geschafft: er ist ein wohlhabender (wenn auch nicht ganz sauberer) Geschäftsmann, der es sich leisten kann, eine dritte Frau zu nehmen. Seine Kollegen von der Handelskammer nehmen natürlich auch alle an den Hochzeitsfeierlichkeiten teil, so wie große Teile der „besseren Gesellschaft“ Dakars. Die Hochzeitsnacht allerdings endet in einer Blamage, denn El Hadji kann die Ehe nicht vollziehen. Das kann nur einen Grund haben: Jemand hat ihm ein Xala angehext, eine (vorübergehende) Impotenz, um ihm zu schaden. El Hadji beginnt eine Odysee zu den verschiedensten Heilern, die ihm allesamt nur das Geld aus der Tasche ziehen, aber ihm nicht helfen können. Zusätzlich gerät er unter Druck durch seine zweite Ehefrau, die ihre Stellung als Favoritin durch die neue Frau bedroht sieht, durch die älteste Tochter seine ersten Frau, die grundsätzlich gegen Polygamie ist, durch die Tante und Heiratsvermittlerin seiner dritten Frau, die für ihre Verwandte und damit den Rest der dazugehörigen Familie vor allem materielle Sicherheit will. Darüber vernachlässigt El Hadji auch sein Geschäft – mit desaströsen Folgen ...



    Meine Meinung: Ich liebe die Romane von Ousmane Sembène, und das aus mehreren Gründen. Zum einen setzen sie sich sehr gezielt mit Gewohnheiten, Mißständen, aber auch – selbst wenn das hier in Xala nicht an der Oberfläche zu finden ist – den Liebenswürdigkeiten seiner afrikanischen Landsleute auseinander und zeigen dabei eine Gesellschaft im Umbruch, die einerseits noch geprägt ist von traditionellen (in diesem Fall) Wolof-Vorstellungen und sich andererseits Verhaltensmuster der früheren Kolonialherren zu eigen gemacht hat. Dabei benötigt Sembène keine epische Breite, sondern ist fein pointiert – Xala kommt auf knapp 150 Seiten daher. Zum anderen merkt man Sembène auch in seinen Büchern die Nähe zum Film an, sie lesen sich einfach wie mit einer guten Kameraführung eingefangen. Die Erzählung rollt wirklich wie eine Inszenierung vor dem Leser ab, mit starken Bildern besonders am Ende (die ich aber hier natürlich nicht verraten will :zwinker: ).


    Sembène fängt hier vor allem zwei Bereiche in seine kritische Betrachtung ein: die städtische Polygamie, die nicht mehr der Vergrößerung der familiären Arbeitskraft dient, sondern zum reinen Versorgungverhältnis verkommen ist, weshalb auch jede Frau mit ihren Kindern in einem eigenen Haus lebt, und das unternehmerische Bürgertum, das seinen Wohlstand und Aufstieg zweifelhaften Methoden auf Kosten anderer verdankt und seine Gewinne nicht reinvestiert, sondern für einen luxuriösen, protzigen Lebensstil zum Fenster hinauswirft.


    Interessanterweise hatte ich zwei Übersetzungen zum Vergleich vorliegen. Die eine stammt bereits vom Ende der 1970er Jahre, inzwischen gibt es eine Neuübersetzung (die oben abgebildete). Insgesamt scheint mir die neue Ausgabe sprachlich etwas runder und sie ist, sicher ein Verdienst der Lektorin Gudrun Honke, in vielen Begrifflichkeiten näher am afrikanischen Original (Grioten sind nun mal keine Zauberer, nur mal so als Beispiel). Bei Interesse würde ich also dazu raten, diese Neuausgabe zu wählen. Und keine Sorge: Man muß keine besonderen Kenntnisse über Afrika im allgemeinen, den Senegal im Besonderen oder in afrikanischer Literatur haben, Sembène hat immer auch für ein europäisches Publikum geschrieben, daher ist er auch für Einsteiger in afrikanische Literatur gut lesbar.


    4ratten + :marypipeshalbeprivatmaus:


    Schönen Gruß,
    Aldawen

    Einmal editiert, zuletzt von Aldawen ()


  • Und keine Sorge: Man muß keine besonderen Kenntnisse über Afrika im allgemeinen, den Senegal im Besonderen oder in afrikanischer Literatur haben, Sembène hat immer auch für ein europäisches Publikum geschrieben, daher ist er auch für Einsteiger in afrikanische Literatur gut lesbar.


    Ja, das kann ich jetzt bestätigen. Ich habe mit afrikanischer Literatur (und damit meine ich Autoren aus Afrika, die über Afrika schreiben) nicht viel Erfahrung. Umso interessanter fand ich den Einblick, den Ousmane Sembène mir in Senegals Kultur ermöglicht hat.
    Am Anfang habe ich zwar etwas gebraucht, um mich in den Schreibstil bzw. in die Geschichte einzufinden. Man wird Knall auf Fall hineingeworfen und einige Begriffe werden nicht erklärt. Macht aber nix, diese versteht man mehr oder weniger intuitiv und in den Schreibstil hat man sich auch bald eingelesen.
    Die Geschichte selbst fand ich ebenfalls gut. Irgendwie hatte ich mit einem Krimi gerechnet, im Nachhinein weiß ich aber auch nicht mehr, warum. Das Wort Xala hat mir nichts gesagt, deswegen habe ich mich auf den Untertitel verlassen. Und der klingt doch ein wenig nach Krimi, oder? :rollen: Trotzdem hat mich die Story gefesselt. Konflikte zwischen Erst-, Zweit- und Drittehefrau, Impotenz des Mannes, sinkendes Selbstbewusstsein, finanzieller Ruin ... vermischt mit afrikanischen Glauben und Kultur.
    Letztendlich ist es wohl nicht ganz mein Genre, trotzdem wird es bestimmt nicht das letzte Buch von Ousmane Sembène gewesen sein.


    3ratten

    "Bücher lesen heißt wandern gehen in ferne Welten, aus den Stuben über die Sterne." (Jean Paul)

  • Durch den deutschen Untertitel ist schon klar, wer der Verursacher des Xala, des Fluchs oder auch Bösen Blicks, ist, der den bis dahin so erfolgreichen senegalesischen Geschäftsmann El Hadji gefangen nimmt. Dieser ist allerdings fast das ganze Buch hindurch auf der Suche nach Verursacher und vor allem Heilung. Auch wenn der Fluch „nur“ zu Impotenz im Hochzeitsbett seiner frisch angetrauten dritten Frau führte, so zerstört dieser Angriff auf sein Männlichkeit, seine Identität, letztlich sein Leben, weil er sich nur noch damit beschäftigt und seine Geschäfte – die wie die all seiner Kollegen mehr auf Schein als auf Sein beruhen - vernachlässigt. Das Ende des Buches findet ihn am Boden ist dabei aber nicht nur moralisch völlig offen.


    Sembène kritisiert in seinem Buch die halbseidenen Geschäftsleute seines Heimatlandes ebenso, wie er vor der Vielehe als für das städtische Leben überkommene Institution warnt. El Hadji dient seinen Frauen und Kindern praktisch nur noch als Versorger, als reine Geldquelle und eifersüchtig wird beobachtet, dass man selber in seiner Gunst nicht den Kürzeren zieht. Er hingegen fühlt sich nirgendwo wirklich heimisch – eine Situation, die eigentlich niemandem Vorteile bringt und doch als Statussymbol dient.


    „Xala“ hat mir gut gefallen, die Schilderungen sind lebensnah, in gewisser Weise aber fremd und trotzdem auch für europäische Leser jederzeit nachvollziehbar.


    4ratten


  • Auch wenn der Fluch „nur“ zu Impotenz im Hochzeitsbett seiner frisch angetrauten dritten Frau führte, so zerstört dieser Angriff auf sein Männlichkeit, seine Identität, letztlich sein Leben


    El Hadji Abdu Kader Bèye definiert sich nur über seine Männlichkeit, daher hat der Xala letztendlich die Macht sein Leben komplett zu zerstören. Dies zeigt sich schon darin, dass er sich von der Tante seiner dritten Ehefrau N`Gone ihn in eine Ehe drängen kann, die er eigentlich gar nicht eingehen will. Durch ihr provozierendes: "Du hast Angst vor deinen Frauen! Die Frauen haben bei dir zu Hause wohl das Sagen, haben sie die Hosen an?" sieht er sich gezwungen, seine Ehre zu verteidigen und zu beweisen, dass er in allen Belangen der Mann in seinen Häusern ist. Er erkennt bis zum Schluss nicht, wie hohl er selbst und sein Leben ist. Seine zweite Ehefrau und seine Kinder sehen in ihm nur den Geldesel. Bei jedem seiner Besuche fordern und erhalten sie Geld. Eine echte Beziehung hat er zu keinen von ihnen, dass zeigt sich auch darin, dass er sich in keiner seiner Villen zu Hause fühlt. Einzig bei seiner ersten Frau spürt er eine gewisse Geborgenheit und Ruhe. Sie leidet still vor sich hin, fordert und erwartet nichts von ihm. Dies ist aber gleichzeitig der Grund, warum er sie verachtet und meidet. Durch ihre passiv aggressive Art weckt sie sein schlechtes Gewissen, lässt ihn unbewusst erkennen, wie er sich seit ihrer Hochzeit verändert hat.


    Sémbene schafft es in seiner kurzen Erzählung ein dichtes Bild seiner Heimat in den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts zu zeichnen. Der Leser ist sofort mitten im Geschehen und steckt in einer Welt, die der unseren so vollkommen fremd ist. Zur selben Zeit ist die Geschichte aktueller denn je, denn wie die jüngsten globalen Entwicklungen gezeigt haben, beruhten nicht nur die Geschäfte der Senegalesen in den Siebzigern größtenteils auf imaginären Blasen.


    5ratten :tipp:




    Danke illy, dass du mir dieses tolle Buch geschenkt hast :winken:

    Einmal editiert, zuletzt von dodo ()