Jeff Talarigo - Die Perlentaucherin

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  • Jeff Talarigo - Die Perlentaucherin


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    Erster Satz: Ihre Worte sind das einzig verbliebene Artefakt aus den Tagen vor ihrer Ankunft.


    Sie liebt das Meer, das Tauchen nach den Austern mit ihren verborgenen Schätzen. Sie sehnt sich jeden Tag danach und zählt im Winter die Wochen bis zum Beginn ihrer Arbeit als Perlentaucherin.
    Eine junge Frau im Japan der 40er Jahre ist mit Leib und Seele Perlentaucherin. Sie weiß um die Gefahr, die sie mit jedem Tauchgang eingeht - aber sie liebt die Ruhe, die sie tief unter der Meeresoberfläche findet. Eines Tages jedoch bemerkt sie, dass sie in einem roten Fleck an ihrem Arm kein Gefühl mehr hat, ebenso in einem Fleck auf dem Rücken. Die Diagnose: Lepra. Dieses Wort verurteilt sie zur Isolation, weit weg auf einer Insel der Lepra-Kranken. Sie ist nun eine Schande für ihre Familie, welche sie aus dem Familienregister streichen lässt und nicht mehr über sie spricht. Das Tauchen, ihre Passion, bleibt nun für lange Zeit ein Traum der Vergangenheit. Verbannt auf die Insel, abgeschnitten von ihrem früheren Leben, muss sie nun lernen, mit der neuen Situation zurechtzukommen. Ihren früheren Namen, den man nie erfährt, muss sie ablegen. Ihr neuer Name lautet nun Fräulein Fuji - nach dem Berg Fuji, welchen sie mit ihrem Onkel in ihrer Kindheit bestiegen hat.
    Ein neues Heilmittel, was kurze Zeit nach ihrem Eintreffen auf der Insel wirksam angewandt wird, bleibt den japanischen Lepra-Kranken allerdings verwehrt. Vom Eintritt der Krankheit als 19-Jährige kräftige Perlentaucherin bis zu ihrem Dasein als alte Frau mit 64 Jahren lebt sie auf der Insel Nagashima und lernt dabei zahlreiche andere Lepra-Kranke kennen, die sich alle in irgendeiner Weise mit dem Leben auf der Insel arrangiert haben. Die scheinbare Aporie ihrer Situation zerstört Fräulein Fuji allerdings nicht - sie trägt weiterhin die Hoffnung auf ein besseres, freies Leben in sich.


    Der Roman von Talarigo übermittelt durchgehend eine sehr melancholische, traurige Atmosphäre. Als Leser begleitet man Fräulein Fuji von ihrem glücklichen Leben als Perlentaucherin bis zu ihrem Leben als alte Frau auf der Insel Nagashima. Einfühlsam werden ihre Empfindungen beschrieben - angesichts ihrer Situation als Ausgestoßene, auf ihrer Suche nach Hoffnung, aber auch angesichts der Dinge, die ihr immer wieder verdeutlichen, das sie eine Schande ist. Ausgestoßen aus der Gesellschaft ist sie ihrer Freiheit weitgehend beraubt, mit gesunden Menschen ist der Kontakt verboten. Anhand von "Artefakten", welche die Überbleibsel des Lebens der Lepra-Kranken auf der Insel sind, wird der Mittelteil gegliedert. Jeder dieser Gegenstände spielt dabei im folgenden Kapitel eine wichtige Rolle. Einige Male sind diese Kapitel nur wenige Zeilen lang - aber sie enthalten oft eine prägende Botschaft, welche die Situation Fräulein Fuji's als Ausgestoßene verdeutlicht. Allerdings gibt es auch Hoffnung: Jedes Jahr an ihrem Geburtstag leuchtet ein Feuer auf der Nachbarinsel - nicht alle Menschen ihres früheren Lebens haben sie vergessen.
    "Die Perlentaucherin" lässt mich sehr nachdenklich zurück. Noch immer habe ich das Gefühl, nicht die treffenden Worte für diese einmalige, berührende Geschichte gefunden zu haben. Fräulein Fuji ist eine beeindruckende Person. Weder versinkt sie im Selbstmitleid oder begeht Suizid, wie so viele andere, noch wird sie als leidende Heldin dargestellt. Stattdessen bekommt man einen Einblick in ihre Gedanken und Gefühle, in ihre Art, mit dieser niederschmetternden Diagnose mehr als 50 Jahre weitgehend isoliert leben zu können. Nicht zuletzt beruht diese Geschichte auf einer wahren Begebenheit - tatsächlich ging man vor wenigen Jahrzehnten noch auf diese unmenschliche Art mit Lepra-Kranken um, deren Leiden schon viele Jahre lang hätte gemindert werden können.


    5ratten und ein :tipp: für mein bisheriges Lesehighlight des Jahres 2009.

    "Eine Welt ohne Magie ist unmöglich. Magie ist das, woran die Menschen glauben, und an irgendetwas werden sie immer glauben."

  • Vielen Dank für deine Rezi, Grotesque. Dieses Buch liegt noch auf meinem SUB. Gekauft habe ich es mir, weil mir ein anderes Buch von Talarigo sehr gut gefallen hat. Der Ginsengjäger.

  • Ich danke auch für Deine tolle Rezi, Grotesque. Das Buch ist gleich auf meiner Liste gelandet. Die Kombination der Leidenschaft für das Tauchen und der Isoliertheit macht es für mich interessant. Ohne Deine Eindrücke wäre ich daran vorbeigegangen :knuddel:.


    Liebe Grüße
    Doris

  • Freut mich, das es euch gefällt. :winken:
    Den Ginsengjäger werde ich mir in nächster Zeit auch zulegen, ich bin gespannt, ob Talarigo in diesem Buch ebenfalls diese einmalige Atmosphäre kreieren kann. Allerdings ärgert es mich hierbei ein wenig, dass der Ginsengjäger nur als Taschenbuch erschienen ist. :rollen:

    "Eine Welt ohne Magie ist unmöglich. Magie ist das, woran die Menschen glauben, und an irgendetwas werden sie immer glauben."

  • Wie schön, wenn sich der Eindruck aus der Rezi im Buch bestätigt! Ich habe es am Wochenende gelesen und bin noch immer ganz gebannt. Das Buch besticht nicht nur durch seine schlichte, aber schöne Sprache, sondern auch durch die Intensität mancher Beschreibungen, die in wenigen Worten so viel aussagen. Als Taucher konnte ich die Verbundenheit Fräulein Fujis mit dem Wasser gut nachvollziehen, ebenso die Ruhe und Geborgenheit, die sie trotz der Isolation auf der Insel empfand. Mit der typischen japanischen Mentalität der Ruhe und Besonnenheit findet sie einen Weg, sich mit ihrer fast aussichtslosen Situation abzufinden, der viel Bewunderung abverlangt.


    Das Buch ist in kleinen Episoden geschrieben, die oft mehrere Monate oder Jahre auslassen und auf diese Weise verdeutlichen, in welcher Monotonie das Leben auf der Insel verläuft. Aber gerade manche Abschnitte oder Sätze, die große Zeiträume zusammenfassten, haben mich mehr getroffen als es ausführliche Beschreibungen vermocht hätten. Es hat einfach zur Aussage des Buches gepasst.


    4ratten + :marypipeshalbeprivatmaus:


    Nun freue ich mich schon auf Der Ginsengjäger, das ich demnächst lesen werde.


    Grüße
    Doris