Vikram Seth - Eine gute Partie

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    Indien, 1951 - wenige Jahre nach der Unabhängigkeit von Großbritannien. Nachdem ihre ältere Tochter Savita glücklich unter die Haube gekommen ist (sie ehelicht den Sohn eines Ministers), hat Mrs. Rupa Mehra, ehrbare Witwe und Mutter von vier mehr oder minder wohlgeratenen Kindern, hauptsächlich einen Gedanken: auch für Lata, die Jüngste, eine gute Partie zu finden, einen Hindu-Jungen aus gutem Hause. Die freiheitsliebende Lata selbst ist allerdings anderer Meinung. Erst einmal möchte sie ihr Studium abschließen, und heiraten will sie sowieso nicht. Und dann verliebt sie sich auch noch in einen völlig unpassenden jungen Mann, einen Moslem. Ihre Mutter ist natürlich entsetzt ...


    Dies ist der Aufhänger zum dicksten Buch, das ich jemals gelesen habe, knapp 2000 Seiten umfasst der Wälzer und hat auch mir einigen Respekt abgenötigt, obwohl ich gerne umfangreiche Schinken lese.


    Doch dieses Panorama der indischen Gesellschaft unter Nehrus Regierung ist ein richtiger Pageturner. Im Mittelpunkt stehen neben den Mehras drei weitere Familien, die durch Heirat, Freundschaft und Schicksal miteinander verflochten sind. Etwa ein Jahr lang begleiten wir die zahlreichen Persönlichkeiten durch die Höhen und Tiefen ihres Lebens, in Parlamente und Gerichtssäle ebenso wie in entlegene Bauerndörfer und zu heimlichen Rendezvous, nehmen Anteil am privaten Leben wie an historischen Ereignissen.


    Detailreich, dramatisch und humorvoll schildert Vikram Seth ein Jahr voller Umwälzungen in Politik und Gesellschaft, aber auch auf der persönlichen Ebene. Langweilig wird es nie, höchstens die eine oder andere politische Passage zieht sich ein wenig. Ansonsten hält die Geschichte den Leser mit Szenenwechseln und überraschenden Wendungen bei der Stange, bis man verblüfft feststellt, dass man schon am Ende dieses wunderbaren Romans angekommen ist und ein wenig traurig von den vielen Menschen Abschied nehmen muss, über deren weiteren Lebensweg man gerne noch etwas erfahren hätte.


    Ein Buch voller unvergesslicher Figuren - manchmal skurril, oft sympathisch und immer glaubwürdig; bunt, ein wenig chaotisch (in den Geschehnissen, nicht in der Erzählweise), gefühlvoll und sehr, sehr lebendig. Ein bisschen wie Indien selbst.


    Das umfangreiche, lehrreiche Glossar indischer Begriffe und die Stammbäume der vier Familien haben mir übrigens vor allem zu Beginn gute Dienste geleistet.


    4ratten + :marypipeshalbeprivatmaus:

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Hey, hey, das freut mich jetzt aber, dass dir dieses Buch so gut gefallen hat, Valentine. :klatschen:


    Valentine hat hier eine wunderbare und vor allem sehr treffende Rezi geschrieben, die ich in jeder Einzelheit exakt so unterschreiben kann. Eine gute Partie von Vikram Seth ist für mich, auch jetzt noch nach vielen Jahren, einer der Facetten reichsten Romandarstellungen der indischen Kultur.
    Auf politischer, gesellschaftlicher und vor allem auch menschlicher Ebene, ist es Vikram Seth gelungen eine faszinierende Kulisse voller Farben und Bedrohungen zu zeichnen, die in ihrer Lebendigkeit geradezu auf den Leser überspringt. Freundschaft und Loyalität sind in diesem Buch genauso wichtige Themen wie Religion, Tradition und Politik. Die Vermischung all dieser Themen ist glaubhaft und spannend geschildert, so dass mir kaum eine Seite überflüssig erschien.


    Na wie vor, eines meiner Lieblingsbücher.
    Deshalb von mir… 5ratten


    Liebe Grüssle
    Marion :winken:

    "Die Größe und den moralischen Fortschritt einer Nation kann man daran messen, wie sie ihre Tiere behandelt." Mahatma Gandhi

  • Ich sehe, wir verstehen uns ;)


    Witzig, dass ich erst etwas Respekt vor den 2000 Seiten hatte und am Ende dann beinahe enttäuscht war, dass es schon vorbei sein sollte.

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Dies erging mir Meinerzeit ja ganz ähnlich, weshalb ich dir nicht nur nachempfinden konnte, sondern dir auch unbedingt Mut zusprechen musste, als ich gelesen habe, dass dich die knapp 2000 Seiten zögern ließen. :zwinker:

    "Die Größe und den moralischen Fortschritt einer Nation kann man daran messen, wie sie ihre Tiere behandelt." Mahatma Gandhi

  • Da ich es auf Englisch gelesen habe, waren es zum Glück keine knapp 2000 Seiten sondern „nur“ etwas über 1400, was aber immer noch eine ganze Menge ist. Und es war gut, daß ich es mir in einer Phase mit viel Lesezeit vorgenommen hatte, so daß ich auch kontinuierlich dabei bleiben konnte, sonst hätte ich möglicherweise das Ende nicht erreicht, weil mich andere Bücher nebenher abgelenkt hätten.


    Valentine nannte die Figuren sympathisch und glaubwürdig, letzteres würde ich unterschreiben, ersteres weniger. Mir gingen die weitaus meisten davon, und mit fortschreitender Dauer zunehmend, auf die Nerven, allen voran Mrs. Rupa Mehra. Aber auch der Rest der Truppe hat mich mehr zum Augenrollen gebracht als zum Schmunzeln, so etwas erträgt man als Familie doch eigentlich nur, wenn es die eigene ist. Und die Tatsache, daß mir schon frühzeitig klar war, wer Latas Zukünftiger sein würde, trug auch nicht gerade zur Spannung bei. Das ist nicht unbedingt ein entscheidendes Kriterium, das mir beim Lesen wichtig ist, aber da sich Seth so große Mühe gibt, die Suche nach einem geeigneten Mann für Lata mit drei potentiellen Bewerbern offen und interessant zu gestalten, kann ich nur feststellen, daß es ihm bei mir nicht gelungen ist.


    So muß ich gestehen, daß mich der Roman vor allem in den Passagen gefesselt hat, die Valentine wohl als etwas zähflüssiger empfunden hat, nämlich immer dann, wenn die „große Politik“ oder sonst etwas Abstrakteres, von den Familien wenigstens teilweise Losgelöstes in den Mittelpunkt rückte. Leider waren diese Passagen bei weitem nicht so umfangreich, wie sie für mich hätten sein dürfen. Eine Ausnahme bilden hier die Abschnitte, in denen Cricket gespielt wird, zum Glück waren es nicht so viele. Ich habe von diesem Sport keine Ahnung und auch keinen Drang, seine Regeln verstehen zu wollen, da habe ich also eher schulterzuckend drüber hinweggelesen.


    Bemerkenswert ist aber die Vielseitigkeit von Seths Schreibweise. Auch ohne Namen wäre mir bspw. immer klar gewesen, wann ich es mit einem Mitglied der Familie Chatterji zu tun habe oder mit einem der Khans, das ist alles ziemlich unverwechselbar. Meine englische Ausgabe hatte zwar vorne auch Stammbäume der vier Familien, ein Glossar fehlte allerdings, und das habe ich stellenweise schon schmerzlich vermißt. Möglicherweise sind viele der indischen Begriffe selbst in Großbritannien inzwischen so gängig, daß man sie nicht mehr erläutern muß, aber schade fand ich es trotzdem. Und ansonsten gilt auch hier, was mir bei Romanen dieses Umfangs häufiger auffällt: Ein paar hundert Seiten weniger hätten dem Ganzen gut getan.


    3ratten + :marypipeshalbeprivatmaus:


    Schönen Gruß
    Aldawen

  • Hallo!


    Hier ist der versprochene erste Eindruck :winken:


    Ich habe mir vor dem Lesen noch überlegt, wie die Suche nach dem idealen Mann für Lata zu finden so viele Seiten füllen soll, aber der Autor hat damit keine Probleme. Die Geschichte enthält Stoff für mehr als ein Buch und alle Geschichten sind bis ins Detail erzählt. Außerdem habe ich das Gefühl, das oft an der spannendsten Stelle unterbrochen wird und sich die Handlung in eine andere Richtung bewegt. Das macht es leicht, nicht von der Dicke des Buchs erschlagen zu werden.


    Meine deutsche Ausgabe hat übrigens auch "nur" 1400+ Seiten. Ich wundere mich ein bisschen, woher der Unterschied kommt. Ob es an der Übersetzung liegt oder die Schrift kleiner ist :gruebel:


    Liebe Grüße
    Kirsten

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.

  • Meine Ausgabe war relativ groß gedruckt ;)


    Schön, dass es Dir gefällt!

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Hallo!


    Hier ist der versprochene erste Eindruck :winken:


    ... und hier ist der abschliessende Eindruck.


    Ein bisschen erschlagen hat mich Eine gute Partie gegen Ende dann doch. Ich habe leider nur wenig Ahnung von der politischen Situation, deshalb haben mich diese Passagen ein bisschen gelangweilt. Ich hatte auch kleinere Probleme mit Latas Familie. Die saßen mir alle ein bisschen zu dicht aufeinander- kein Wunder, dass es da immer wieder gekracht hat. Besonders die Mutter war in meinen Augen eine echte Dramaqueen. Lata selbst konnte ich auch nicht immer verstehen. Ich hatte oft das Gefühl, dass sie nicht wirklich nachdenkt. Ihre "Aufklärung" mit dem Buch eines niederländischen Sexologen (wie schon ihrer Schwester vor ihr) hat mich dagegen zum Lächeln gebracht. Zumindest wurde sie aufgeklärt.


    Sehr interessant fand ich das Leben der Menschen. Da gab es vieles, was mich berührt, aber auch erschreckt hat. Das Leben damals war nicht leicht und die Klassenunterschiede haben es nicht einfacher gemacht. Auch die Vorurteile gegenüber den Indern haben mich erschreckt. Besonders in der Schuhfabrik waren die deutlich zu spüren. Die Arbeiter sind Inder, denen von der weissen Leitung nicht viel zugetraut wird, genauso verhalten sie sich auch. Auch in anderen Situationen waren diese Vorurteile deutlich zu spüren.


    Eine gute Partie ist eine sehr vielseitige Geschichte, die mich trotz einiger Längen immer wieder gefesselt hat. Man sollte sich nicht vom Format des Buchs abschrecken lassen, es lohnt sich.
    3ratten :marypipeshalbeprivatmaus:


    Liebe Grüße
    Kirsten

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.