Kristin Marja Baldursdóttir – Möwengelächter

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    Kristin Marja Baldursdóttir – Möwengelächter



    Inhalt:


    Island, 1950-er Jahre. In einem kleinen Fischerdörfchen wächst die 12-jährige Waise Agga bei ihren Großeltern auf. Eines Tages ändert sich die bis dahin recht fest gefügte Ordnung durch einen unerwarteten Gast. Freyja, die Tante aus Amerika kehrt nach dem Tod ihres Mannes zurück in ihren Heimatort und quartiert sich prompt bei Aggas Familie ein. Freyja, die "eine Figur wie eine Coca-Cola-Flasche hatte, eine Haut wie Alabaster und Augen wie Diamanten, dunkles Haar und Lippen wie Schneewittchen", wirbelt die ganze Familie gehörig durcheinander. Auch die Dorfbewohner bekommen bald zu spüren, dass sich einiges geändert hat. Freyja verdreht der gesamten Männerwelt den Kopf - und zieht sich damit natürlich den Missmut eines nicht unbeträchtlichen Teils der ansässigen Damen zu. Hinzu kommt, dass Freyjas Verhalten mehr als merkwürdig ist: sie erklimmt des Nachts unwirtliche Hügel, hat Wutanfälle und führt Selbstgespräche. Agga beobachtet dies alles aus nächster Nähe, und sie erfährt auf diese Weise manches über ihre Tante, das sie (trotz überschäumender Neugier) vielleicht dann doch lieber nicht gewusst hätte.



    Meine Meinung:


    Frostig ist nicht nur die Winterlandschaft Islands, sondern auch Freya mit ihren eiskalten Augen. Dieser Meinung ist jedenfalls die 12-jährige Agga, die der Heimkehrerin mit skeptischer Neugier begegnet.
    Und damit wären wir schon bei der heimlichen Hauptfigur dieses Romans: die Neugier.
    Agga schleicht überall herum, lauscht und horcht, ist wie zufällig an den informationsträchtigsten Orten und hat ihre Ohren wirklich überall. Ihr entgeht nichts.


    Der Klappentext sagt über Agga: „...alles verändert sich, und es ist nicht nur der Abschied von der Kindheit und die Schwierigkeiten mit dem Frauwerden, die ihrem Leben eine neue Richtung geben.“
    Ich selbst habe mit Schrecken daran gedacht, zu welch einer Art Frau Agga heranreifen wird, sollte sie die „neue Richtung“ beibehalten. Ein Tratschweib erster Güte vermutlich.
    Doch ohne die Neugier Aggas wäre das Buch nur halb so interessant.


    Sehr gut gelungen ist das Zusammenspiel der „Frauen-WG“, bestehend aus der Großmutter und ihrer Schwägerin, 2 erwachsenen Töchtern, Agga und schließlich Freya, in der feste Hierarchien bestehen und alles seinen Platz hat. Freya als die „femme fatal“ bringt die bestehende Ordnung in jeder Hinsicht ziemlich durcheinander.


    Fazit:
    Ein Roman der leisen Töne, der das Leben in einem isländischen Dorf der 50-er Jahre schildert. Nett und amüsant, ein bisschen ironisch – jedoch nicht herausragend.
    Zu lesen am besten in der kälteren Jahreszeit.


    3ratten

    Liebe Grüße

    SheRaven

  • Um ehrlich zu sein ... dieses Buch lässt mich leicht ratlos zurück. Als ich es zugeschlagen habe dachte ich nur "Und das war es? Was wollte mir die Autorin sagen. Was sollte das Buch mir sagen?" Es ist nicht so das es mir gar nicht gefallen hätte. Aber mir fehlte etwas ... der rote Faden scheint das Aufwachsen der Figur Agga zu sein, von dem vorlauten, frechen Kind was gerne spioniert (und noch lieber ausplaudert auch bei ihrem Polizistenfreund :rollen: ) zu einem ... ja was denn? Vielleicht einem jungen Mädchen, etwas erwachsener geworden, das nun merkt das man nicht mehr alles ausplaudern muss? Ich weiß es nicht. Ansonsten gab es da keine roten Fäden. Die Handlung erinnerte mich an einen Betrunkenen. Mal hierhin, mal dahin trudelnd, ohne Erkennbaren Handlungsstrang, einen großen Zeitbereich abdeckend und hört einfach ... auf. :gruebel: Spannend ist da ohnehin gar nichts, ich habe zwei Wochen für die nicht einmal 400 Seiten gebraucht.


    Ansonsten - die Charaktere waren nicht alle liebenswert aber menschlich, unterschiedlich. Die Dynamik zwischen den Frauen (denn Agga lebt ja in einem Frauenhaushalt, der Großvater ist ja kaum da), war teilweise sehr unterhaltsam und so konnte mich die Autorin trotzdem bei der Stange halten. Der Schreibstil passt dazu, teilweise leicht ironisch und dabei immer leicht. Das mochte ich.


    Von mir gibt es dafür auch 3ratten

  • Die Geschichte an sich fand ich ganz gut. Das Buch hat aber auch bei mir nicht die volle Rattenzahl ergattern können.


    Ich denke, Du solltest Dir mal den Film dazu ansehen. Der ist absolut genial gemacht - ist ja auch ein isländischer Film, wobei auch ein bekannter deutscher Schauspieler mitspielt.


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    Auf irgendeinem Filmportal gibt es den auch kostenlos, weiß aber leider nicht mehr welches das war.

  • Ja, den Film hatte ich auch schon entdeckt und ihn neugierigerweise bereits vor Abschluß des Buches auf meine Wunschliste gesetzt. :breitgrins:


    Aber danke für den Tipp. Den Film gibt es sowohl z.B. auf Youtube und mit unserer Wii U können wir ihn auf dem Fernseher angucken, das machen wir demnächst dann mal. :klatschen:

  • Das Buch:
    Die zwölfjährige Agga wächst in den 50er Jahren in einem beschaulichen isländischen Fischerdörfchen auf. Der Großvater ist als Seefahrer oft unterwegs und so ist die heranwachsende Agga von vier sehr gegensätzlichen Frauen unterschiedlicher Generationen umgeben. Eine sprengt jedoch bald den Rahmen:
    Freyja, schön, reich und als Witwe aus Amerika zurückgekehrt. Agga begegnet der neuen Mitbewohnerin mit Skepsis, was nicht nur daran liegt, dass sie ihr Zimmer für sie räumen muss. Argwöhnisch verfolgt Agga, wie sich in Freyjas Kielwasser unruhige Zeiten, Streit und sogar Leichen anhäufen....


    Meine Meinung:
    Ich habe "Möwengelächter" von einer Kollegin in die Hand gedrückt bekommen und bin sehr froh darüber, denn sonst wäre mir ein ganz besonderes Buch entgangen.
    Aggas Welt im isländischen Dorf der 50er Jahre hat mich sofort gefesselt und ich konnte das Buch kaum aus der Hand legen, obwohl die Spannung eher unterschwellig vorhanden ist. Der Fortgang der Handlung war für mich bis zum Schluss nicht vorauszusehen. Im Verlauf des Buches musste ich außerdem immer wieder meine vorgefassten Meinungen über die Protagonistinnen ändern. Es gibt hier keine typischen Sympathieträger; gnadenlos zeigt die Autorin auch die Schwächen der einzelnen Personen auf.
    Trotzdem ist mir vor allem Agga ans Herz gewachsen, deren aufmüpfiges Auftreten in großem Kontrast steht zu den ganz altersgemäßen Ängsten und Gedanken, die sie plagen. Das ist keins dieser ermüdenden superklugen Kinder, die denken und handeln wie kleine Erwachsene, sondern eine aufgeweckte Zwölfjährige, die das, was die Erwachsenen um sie herum veranstalten, oft sehr fragwürdig findet und sich nicht vorstellen kann, selbst mal so zu werden.


    Spannend fand ich auch das soziale Gefüge im Dorf dargestellt und die tiefen Gräben zwischen den wenigen wohlhabenden "Konservativen", mit denen sich Aggas Großvater als glühender Sozialist im ewigen Zwist befindet sowie dem Großteil der Bevölkerung, der gerade so über die Runden kommt und unter den ständigen Erhöhungen der Lebensmittelpreise schwer zu leiden hat.
    Und dann gibt es auch noch die Menschen am Rand der Gesellschaft, Säufer mit scheinbar lustigen Namen wie Jonni Heulboje und Tobbi Sprit - sie gehören für die meisten einfach zum Dorfbild dazu, ohne dass sich jemand große Gedanken um ihre Lage machen würde. Freyja ist die Erste, die wirklich in Begegnung mit ihnen geht (womit sie allerdings ihre eigenen Ziele verfolgt, z.B. die ihr verhasste, versnobte Schwiegermutter in den Wahnsinn zu treiben).


    In dieser Gesellschaft, in der bisher jeder seinen festen Platz hatte, schafft Freyja es Schritt für Schritt, was Sozialisten und Kommunisten schon seit Jahren vergeblich versuchen: Die Klassenschranken zwischen den Menschen im Dorf zu durchbrechen.
    So kurios ich die Wahl ihrer Mittel und ihr Vorgehen finde - was Freyja durch ihr Handeln oder auch nur durch ihr Vorbild an Freiheiten für die Frauen in ihrer Umgebung erkämpft, ist bewundernswert. Am Ende erkennt selbst Aggas Großvater, dass in seinem Haus und bald auch im ganzen Dorf längst andere das Sagen haben, und packt frustriert seinen Seesack, um dem unberechenbaren "Weiberhaushalt" möglichst schnell wieder den Rücken zu kehren.
    Bei der Erreichung ihrer Ziele geht Freyja nicht immer zimperlich vor und setzt alles ein, was ihr zur Verfügung steht:
    Weibliche Reize, ihr Geld, ihre eiskalten blauen Augen und die seltsame Kälte, die sie zu umgeben scheint.
    Mitunter fühlte ich mich beim Lesen an Ingrid Noll erinnert; Kristín Marja Baldursdóttir hat ein ähnliches Talent dafür, einen Mord aus dem "sex & crime"- Szenario der herkömmlichen Kriminalromane zu lösen und mitten in eine scheinbar heile Welt zu verpflanzen, Augenzwinkern inklusive.


    Den etwas abrupten Schluss habe ich so verstanden, dass


    Ich habe diesen Ausflug in eine andere Zeit und ein fremdes Land sehr genossen und mir gleich zwei weitere Bücher der Autorin bestellt, "Die Eismalerin" und "Die Farben der Insel".
    Ich kann "Möwengelächter" allen Leserinnen und Lesern empfehlen, die unbequemen, aber authentische Protagonisten Interesse entgegenbringen können und ausreichend Geduld haben, um deren Entwicklung mitzuverfolgen, ohne dass sofort klar ist, wo der rote Faden der Geschichte ist oder worauf alles hinauslaufen wird.
    Wer wie Agga einfach nur neugierig ist und wissen will, wie es weitergeht, der wird mit einem ungewöhnlichen Buch belohnt, das einen selbst im Hochsommer geistig in gegenden versetzen kann, wo es zugefrorene Seen, eingeschneite Häuser und todbringende Stürme auf dem Meer gibt.
    4ratten