Halldór Laxness - Das Fischkonzert

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  • Mir kam dann die ganze Zeit in den Sinn, daß er vielleicht garnicht wirklich singen kann und die Vermarktung im Ausland evtl. nur eine Inszenierung sein könnte - zumal immer wieder erwähnt wird, daß sie Gardar nie singen gehört haben und die angedachten Konzerte immer ganz plötzlich ausgefallen sind. :gruebel:


    Ja, die Idee, daß Gardar gar nicht wirklich singen kann, ist mir auch schon gekommen. Allerdings glaube ich eher, daß er früher durchaus singen konnte und auch im Ausland aufgetreten ist, denn am Anfang war ja durchaus die Rede von Pariser Zeitungen und ähnlichem (oder nicht? müßte man wohl nochmal genau weiter vorne im Buch nachlesen, vielleicht narrt Laxness uns hier auch gewaltig :breitgrins:). Und dann konnte er womöglich plötzlich nicht mehr singen (vielleicht, weil er "den einen reinen Ton" gehört hat, was auch immer damit gemeint sein mag) und möchte das in seiner Heimat, wo alle so viel von ihm halten, nicht zugeben und hält die Illusion aufrecht - was nur möglich ist, weil Island so weltabgeschieden ist.


    Ich frage mich auch, ob er schon die ganzen fünf Jahre seit seinem letzten "Besuch" in Island heimlich in der Scheune gewohnt hat...
    Die Worte von der "Maus unter der Türschwelle", von der immer wieder mal die Rede war, würden dann eine Bedeutung bekommen.


    Im Original heißt das Buch ja "Annalen von Brekkukot". Ich frage mich, warum auf Deutsch der Titel "Das Fischkonzert" gewählt wurde? Dadurch wartet man als Leser die ganze Zeit darauf, wann nun endlich dieses verflixte Konzert mal stattfindet... Ich denke, wenn das Buch "Annalen von Brekkukot" hieße, würde ich den Ereignissen um Gardar Holm gar nicht so eine große Bedeutung beimessen.


    Dass Alfgrimur da immer so stoisch ist kann zweierlei sein. Zum einen die emotionslose Erzählweise, die wir bei den isländischen Sagas auch treffen. Oder Alfgrimur ist tatsächlich so ein Stoffel und Sonderling. Oder beides kommt zusammen. Die Art, sich für gar nix zu interessieren, ist dennoch sehr irritierend.


    Ich glaube auch, daß es zweierlei ist. Sonderlinge und absonderliches Verhalten sind für Alfgrimur Normalität, und Klartext gesprochen wird auf Brekkukot ja bekanntlich auch nicht.



    Hält sie den Jungen denn für so naiv, daß der nicht merkt, was los ist?! Oder braucht sie einen verbündeten in dieser verzwickten Situation?


    Warum Kristin den Jungen mit dem Essen zu Gardar schickt, ist eine gute Frage. Ich tendiere mehr zu der Erklärung, daß sie einen Verbündeten braucht oder sich einfach mal jemandem anvertrauen will.


    Kap. 29 (von der "guten Ehe" :breitgrins:) strotzt wiederum nur so von Ironie. Herrlich! :bang: Ich habe mich herzlich amüsiert beim Lesen.

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  • Die in meinem Buch fehlenden Seiten habe ich jetzt in der schwedischen Übersetzung gelesen und bin so bis zum 29. Kap. vorgedrungen. Übrigens fand ich die schwedishe Übersetzung ebenfalls sehr gut; sie hatte für mich sogar noch einen Touch mehr "Islandgefühl", was aber gut daran liegen kann, dass mir Schwedisch doch nicht so von Kindheit an vertraut ist wie Deutsch und alles eben auf Schwedisch doch ein wenig fremder wirkt.
    Interessanterweise musste ich aber feststellen, dass es Begriffe gibt, die ich nur in der Fremdsprache kenne. Wie ein "stenbit" aussieht, wusste ich zwar nicht, aber gehört hatte ich das Wort schon öfter. Seehase dagegen war mir völlig unbekannt.


    Zum Buch:
    Gardar Holm - tja, an seinem internationellen Ruhm hatte ich ja schon vorher leicht gezweifelt, aber nun stelle ich mir die Frage, ob das vielleicht nur ein großangelegter Betrug seinerseits war. Seine Sponsoren unterstützten ihn und gaben ihm die Möglichkeit, ins Ausland zu gehen und ich stelle mir vor, dass er anfangs zwar sang, aber nie (oder nur kurz) wirklich erfolgreich. Dann hat er ihnen eben Geschichten über seine Konzertreisen vorgelogen und weiter Geld von seinen isländischen Unterstützern eingesackt. Die ausländischen Zeitungen hat ja nie jemand wirklich gesehen; was sollte Gardar daran hindern, sich überschwängliche Besprechungen auszudenken?
    Wobei ich nicht unbedingt glaube, dass es ihm ums Geld ging. Vielleicht traute er sich als Versager nicht nach Hause zurück, wobei ich mit zu Hause weniger seine Mutter als die isländische Bevölkerung, die ja so große Erwartungen in ihn setzte, meine.


    Im Original heißt das Buch ja "Annalen von Brekkukot". Ich frage mich, warum auf Deutsch der Titel "Das Fischkonzert" gewählt wurde? Dadurch wartet man als Leser die ganze Zeit darauf, wann nun endlich dieses verflixte Konzert mal stattfindet... Ich denke, wenn das Buch "Annalen von Brekkukot" hieße, würde ich den Ereignissen um Gardar Holm gar nicht so eine große Bedeutung beimessen.


    :redface: Huch - mit Gardar Holm habe ich den Titel nie in Verbindung gebracht. Für mich bedeutete der Titel nicht Musik für, sondern Musik von den Fischen. Ich warte darauf, dass sie zu singen beginnen. Was mich gerade auf einen Gedanken bringt - wenn Fische als stumme Lebewesen singen können, dann singt vielleicht auch der verstummte (nicht singende) Gardar doch. Zum wirklichen Singen (zum Treffen des reinen Tons) braucht man vielleicht keine Stimme? Aber was denn sonst?
    Ich denke jedenfalls, dass dazu das Buch noch etwas sagen wird. Der deutsche Titel ist bestimmt nicht blind gewählt. Auch der englische Titel geht übrigens in die gleiche Richtung: The Fish Can Sing heißt das Buch auf englisch. Der schwedische Titel dagegen geht eher in die Richtung des Originals: Tidens gång in backstugan (Der Gang der Zeit in der Kate) empfinde ich ebenso wie "Die Annalen von Brekkukot" als ziemlich langweilig und nichtssagend, während die singenden Fische meine Neugier gleich weckten.


    Alfgrimurs weitere Entwicklung, bzw. vor allem das Handeln der Großeltern hat mich überrascht. Ich hatte dem Großvater ja jedes Interesse an Veränderung/Verbesserung abgesprochen, aber er will "das Beste" (Kap. 19) für den Jungen und setzt das Beste doch tatsächlich mit Bildung gleich! Das hatte ich ihm nicht zugetraut. Dass Alfgrimur davon weniger begeistert ist, kann ich gut verstehen. Aber er hat einen klugen Kopf und ihm fällt das Lernen leicht, trotz eklatantem Desinteresse daran. Dass er weiterhin darauf besteht, später mal Grauquappenfischer werden zu wollen, macht ihn mir sehr sympathisch.
    Die Gefahr, dass auch er später wie Gardar zwischen den Stühlen landen könnte, ist dabei wirklich gegeben. Wie der Großvater soll er nicht leben (und könnte es wohl auch nicht; heißt es nicht ziemlich am Anfang des Buches, dass mit Aufkommen der großen Fischereiflotten die Lebensgrundlage der Kleinfischer bedroht wird?), aber zu den feinen Leuten gehört er trotz seiner Bildung noch lange nicht. Es könnte also übel ausgehen, aber vielleicht findet er ja eine Nische für sich selbst.



    So richtig werde ich mit dem Buch nicht warm. Es liest sich zwar gut und ist skurril und auf sympathische Art merkwürdig, aber ich stecke in der Hälfte (Kapitel 22) und mir fehlt der Durchblick. Wo hängen all diese Dinge zusammen? Zwar geben alle möglichen Teile potenziell Hinweise, Ideen oder könnten eine bestimmte Bedeutung haben, aber ich finde das "grosse Ganze" nicht.


    Das große Ganze habe ich bei dem Buch auch noch nicht gefunden, bin aber trotzdem begeistert. Mir gefällt gerade das so gut, dass uns Laxness keine Deutung und keine Erklärungen vorgibt. Er lässt uns sehr viel Arbeit. So wie Alfgrimur selbst den Sinn seines Lebens finden muss, müssen wir den Sinn hinter dem Buch finden. Ob das eine wie das andere gelingen wird, ist dabei unklar.


    Ach ja - anscheinend verschenkt der Aufseher sein Geld tatsächlich. In Kap. 23 heißt es ungefähr "in seinem Goldbeutel war noch ein wenig drin" (während sein Tabaksbeutel leer war). Also nichts mit Geldverleiher. Wusste der Aufseher vielleicht, was mit Gardar wirklich los ist?

    Wir sind irre, also lesen wir!


  • Wie ein "stenbit" aussieht, wusste ich zwar nicht, aber gehört hatte ich das Wort schon öfter. Seehase dagegen war mir völlig unbekannt.


    Was die zahlreichen Fischarten betrifft, die im Buch erwähnt wurden, so waren die mir sowieso alle unbekannt, bis auf den Dorsch und den Heilbutt. Ich habe darüber auch gar nicht weiter nachgedacht, sondern das so hingenommen, daß in einem Land, wo man hauptsächlich von Fisch lebt, auch viel und detailliert über Fische gesprochen wird...



    Gardar Holm - tja, an seinem internationellen Ruhm hatte ich ja schon vorher leicht gezweifelt, aber nun stelle ich mir die Frage, ob das vielleicht nur ein großangelegter Betrug seinerseits war...


    Das glaube ich mittlerweile auch.



    :redface: Huch - mit Gardar Holm habe ich den Titel nie in Verbindung gebracht. Für mich bedeutete der Titel nicht Musik für, sondern Musik von den Fischen.


    In dem Text auf der Rückseite meines Buches wird Gardar Holm als "singender Fisch" bezeichnet. Da liegt es für mich nahe, ihn mit dem Konzert in Verbindung zu bringen (das auch ausdrücklich in diesem Text erwähnt wird). Und dann habe ich mir noch so ungefähr vorgestellt, daß die allgegenwärtigen Fische, die in Brekkukot zuim Trocknen aufgehängt sind, wohl auch beim Konzert anwesend sind. Man sieht sie ja auch auf dem Coverphoto. Damit wäre es dann Musik nicht nur für die Menschen, sondern auch für die Fische - auch wenn die schon tot sind. :breitgrins:
    Daher bin ich nicht auf die Idee gekommen, daß die Fische selber es sind, die hier singen. Ich kannte auch den englischen Titel nicht, der dahingehend natürlich etwas aussagekräftiger ist als der deutsche.


    Wenn man es sich überlegt, ist es aber gar nicht so abwegig, daß die Fische singen. Schließlich singt ja auch das Land, also Island, die ganze Zeit. Man muß dieses wortlose Lied der Fische nur hören und verstehen können.


    Mal sehen, ob sich noch eine tiefere Bedeutung des deutschen Titels ergibt. Ich glaube auch, daß der nicht blind gewählt wurde.




    Alfgrimurs weitere Entwicklung, bzw. vor allem das Handeln der Großeltern hat mich überrascht. Ich hatte dem Großvater ja jedes Interesse an Veränderung/Verbesserung abgesprochen, aber er will "das Beste" (Kap. 19) für den Jungen und setzt das Beste doch tatsächlich mit Bildung gleich! Das hatte ich ihm nicht zugetraut.


    Stimmt, das ist überraschend.



    Das große Ganze habe ich bei dem Buch auch noch nicht gefunden, bin aber trotzdem begeistert. Mir gefällt gerade das so gut, dass uns Laxness keine Deutung und keine Erklärungen vorgibt. Er lässt uns sehr viel Arbeit. So wie Alfgrimur selbst den Sinn seines Lebens finden muss, müssen wir den Sinn hinter dem Buch finden. Ob das eine wie das andere gelingen wird, ist dabei unklar.


    So sehe ich das inzwischen auch, nachdem ich mich von der Fixierung auf Gardar Holm gelöst habe. Der Sinn des Lebens ist (für mich), einfach nur zu leben. Demnach müßte ich gar keinen tieferen Sinn in dem Buch suchen, sondern mich einfach dem Gang der Ereignisse überlassen und den Assoziationen und Gedanken, die mir dabei kommen. Und bei dem Titel "Annalen von..." hätte ich das von Anfang an so gesehen.



    Ach ja - anscheinend verschenkt der Aufseher sein Geld tatsächlich. In Kap. 23 heißt es ungefähr "in seinem Goldbeutel war noch ein wenig drin" (während sein Tabaksbeutel leer war). Also nichts mit Geldverleiher. Wusste der Aufseher vielleicht, was mit Gardar wirklich los ist?


    Das nehme ich stark an. Jedenfalls könnte man diesen Eindruck bekommen, wenn man mit dem Wissen der mittleren Buchkapitel nochmals das Gespräch zwischen dem Aufseher und Gardar Holm in Kap. 16 liest.



    Inzwischen bin ich am Anfang von Kap. 35 gelandet und dieser Teil des Buches gefällt mir wieder sehr gut.


    Interessant finde ich in Kap. 30, daß Alfgrimur bei einer fremden Frau ganz ungeniert singen und musizieren kann, was er zu Hause bestimmt niemals tun würde.


    Auffallend ist dagegen seine extreme Schüchternheit gegenüber dem Mädchen, das ihm gefällt, ihr gegenüber verstummt er völlig und traut sich kaum, einen "Schatten zu stehlen". Ich hoffe, daß diese Seite seiner Persönlichkeit sich noch entwickeln wird.


    Mit der Frau von Ebeneser Draummann (der sich, wie erwartet, nicht gerade als "Traummann" entpuppt :breitgrins:) kommt Alfgrimur jedoch bestens zurecht - vielleicht, weil er da keine Worte braucht. Jaja, Handauflegen! :zwinker: :breitgrins:


    Genial auch die Ausführungen über die Friseurvorlage (Kap. 32). Hier haben wir wieder diese logisch-absurden Argumentationen, die mir bei Laxness so gefallen.


    Übrigens: eine super Zusammenfassung des Inhalts von Goethes "Faust" findet sich auf S. 188! :breitgrins:
    Und wie wir dann mit logischer Klarheit zu folgender Erkenntnis geführt werden: "das, wofür der Deutsche den Mann mindestens mit der Hölle bestrafen wollte, kostete bei den Dänen eine Krone und elf Öre pro Stück" :breitgrins:


    All das ist nicht nur lustig, sondern hier werden eingefahrene Sichtweisen aufgebrochen, eine doppelbödige Moral kritisiert.

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  • Zitat

    Auffallend ist dagegen seine extreme Schüchternheit gegenüber dem Mädchen, das ihm gefällt, ihr gegenüber verstummt er völlig und traut sich kaum, einen "Schatten zu stehlen". Ich hoffe, daß diese Seite seiner Persönlichkeit sich noch entwickeln wird.


    Mit der Frau von Ebeneser Draummann (der sich, wie erwartet, nicht gerade als "Traummann" entpuppt ) kommt Alfgrimur jedoch bestens zurecht - vielleicht, weil er da keine Worte braucht. Jaja, Handauflegen!


    Genial auch die Ausführungen über die Friseurvorlage (Kap. 32). Hier haben wir wieder diese logisch-absurden Argumentationen, die mir bei Laxness so gefallen.


    Alfgrimurs Schüchternheit finde ich vergleichsweise "normal". Der ist so abgeschottet auf dem Hof aufgewachsen, dass er da wahrscheinlich noch schüchterner ist, als ein Teil der jungen Männer das ohnehin ist.
    Dafür allerdings fiel mir das Handauflegen bei Draummanns Frau umso mehr auf. Der ist ja schier umgekippt, als er die Frau ohne Schmerzen splitternackt am Fenster sah. So ganz schlau geworden bin ich aus Draummanns Frau nicht. Ich hatte zwischendurch überlegt, an welcher Krankheit sie leiden könnte. Aber am Ende hatte ich das Gefühl, ihr Problem war eines: Ihr Mann hat sie dermaßen vergötterrt, dass er sie nur noch als Wesen wahrgenommen hat und nicht mehr als Frau.


    Die Verhandlungen zu den Barbiergesetzen war echt irre. Eigentlich hat sie mit dem Buch nicht viel zu tun, aber sie gibt einiges über die Denkweise der Bevölkerung her. Insgesamt eine sehr skurrile Sache. Aus der Entfernung betrachtet, wundere ich mich über das, was für gelehrt gilt oder das, was logisch sein soll. Da frage ich mich aber auch, was aus der heutigen Zeit später mal als skurril und unglaublich da stehen wird.


    Die Sprüche, die da abgegeben werden, um mit Bildung zu glänzen, sind ja der Hammer :breitgrins: Er ging in ein Wirtshaus hinein, um zu Mittag zu essen. Juchu! Und Sardinia insula est sowieso. Und der Händler guckt zu seiner Frau, damit sie ihn dafür bewundert, dass er sich vor alle Leute stellen kann, um eine Rede zu halten. Ich habe mich in Kapitel 35 doch sehr weggekegelt. Das Unkraut aus dem Ausland in den Blumentöpfen, Fuchsien und so was, kam dann für mich noch zur Krönung dazu. In Laxness' Welt steht alles Kopf.

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  • So ihr Lieben, ich bin fertig.


    Die letzten Kapitel des Buches zu lesen, war eine Offenbarung. Endlich ergibt sich der große Zusammenhang, den Bettina und ich vorher vermißt haben. Bei mir fand ein großes Umsortieren im Kopf statt, der Groschen fiel endlich, und jedes Puzzleteil sprang an seinen Platz. So wie Alfgrimur von einem Kind zum Erwachsenen wird und die Welt versteht, so versteht der Leser erst am Ende das ganze Buch.
    Meine Eindrücke lassen sich in etwa so zusammenfassen: :gruebel::pling: :pling: :entsetzt::grmpf: :heul: :knuddel:


    So wie ich es jetzt verstehe, kann Gardar Holm wirklich nicht singen. Er wurde vor Jahren von Gundmunsen ins Ausland geschickt, bekam aber keine Gesangsausbildung von ihm bezahlt, sondern lebte vom Monatslohn des Aufsehers und schlug sich als Clown und Fabrikarbeiter durch. Währenddessen diente er Gundmunsen in Island als Aushängeschild dafür, was für ein toller Förderer der Künste doch ist - zwecks Werbung für sein Geschäft. Gudmunsen war es offensichtlich, der zum Beweis all diese Zeitungsartikel lancierte, und damit Gardar Holm eine Rückkehr unmöglich machte, weil dieser sich ja nicht bis auf die Knochen blamieren wollte... Und als es dann doch herauskommt, daß Gardar Holm nicht singen kann, läßt Gudmunsen ihn fallen (woraufhin Gardar Selbstmord begeht) und nimmt als nächsten Alfgrimur ins Visier.


    Was für eine infame Sauerei das Ganze doch ist! :grmpf: :grmpf:


    Doch Alfgrimur nimmt das Angebot nicht an und so ähnlich wie sein Leben dem Gardar Holms bis zu diesem Moment war, hier ist die Stelle wo Alfgrimur einen anderen Weg einschlägt (er hatte ja Gardars Beispiel vor Augen, und er hat seine Familie, die hinter ihm steht).


    Am Ende erweist sich doch die Familie, erweisen sich die einfachen Leute als treu (wie man es als Leser eigentlich auch erwartet).


    So wird im Nachhinein auch klar, warum Björn seinen Hof nicht an Gudmunsen verkaufen wollte. Es war nicht Widerwille gegen Veränderung, sondern vermutlich wußte Björn, was Gudmunsen für einer ist und daß ihm nicht zu trauen ist.
    Die Erklärung, wie Gudmunsen zu seinem Reichtum kam, und wie er dabei die Lebensgrundlage der einfachen Leute zerstörte, läßt ihn zusätzlich in einem sehr negativen Licht erscheinen.


    Dadurch, daß Björn seinen Hof am Ende doch verkauft, zeigt er, daß er die Veränderungen als unvermeidlich akzeptiert (auch wenn er sie nicht gutheißt) und reagiert darauf. Und nur so kann der Übergang von der alten, ländlichen in die neue, moderne städtische Gesellschaft funktionieren: wenn die einfachen Leute ihr Schicksal selber in die Hand nehmen, und sich sich nicht zum Spielball der Mächtigen machen lassen wie Gardar Holm.


    Auch viele Details bekommen am Ende eine Bedeutung, oder vielmehr erkennt man diese als Leser erst am Ende, wie z.B. der Mann ohne Gesicht, der anfangs beerdigt wurde, die Frau aus dem Landbrot, Ebeneser Draummann und seine Frau.


    Rührend fand ich, daß Gardar Holm am Ende noch ein Konzert für seine alte Mutter gab, weil er ihr ihre Illusion nicht nehmen wollte...


    Nun sollte man das Buch noch einmal von vorne lesen, vermutlich würde man einiges ganz anders lesen.


    Ich melde mich später nochmal, habe noch ein paar Details (jetzt muß ich erstmal die Familie verköstigen).

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  • Meine Eindrücke lassen sich in etwa so zusammenfassen: :gruebel::pling: :pling: :entsetzt::grmpf: :heul: :knuddel:


    Ich bin noch nicht ganz fertig, es fehlt nicht mehr viel. Mein Status derzeit ist noch :gruebel::pling: :pling: :entsetzt::grmpf: :heul:


    Ich dachte und hoffte schon die ganze Zeit, dass noch eine große Erklärung lauert. Bei mir immer dasselbe: Erst die Horde füttern, dann die Eindrücke sammeln.


    Sehr eindrucksvoll fand ich das Gespräch zwischen Gardar und Alfgrimur. Alfgrimur ist offensichtlich kein Star im Sinne der großen Kunst, sondern eine Varieté-Nummer zur Belustigung. Das ist nicht der Ruhm, den sich Gardar selbst erhofft hat und auch nicht der Ruhm, mit dem er daheim punkten könnte. Er weiß zwar wie man damit seinen Unterhalt mehr schlecht als recht hinbekommt (indem man selbst komische Engagements annimmt), aber die Wahrheit darf in Island keiner wissen.


    Ist Alfgrimur der Händlertochter nun nahe gekommen oder nicht? Da sie von Verlobung spricht, wird es wohl so sein, obwohl alle anderen Andeutungen für meine Begriffe sehr vage sind.

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  • Ich bin noch nicht ganz fertig, es fehlt nicht mehr viel. Mein Status derzeit ist noch :gruebel::pling: :pling: :entsetzt::grmpf: :heul:


    Ich stecke noch bei :gruebel::pling: :pling: , habe nämlich gerade das 35. Kap. (Das Festessen im Gudmunsen-Laden) beendet und musste mal wieder feststellen, dass man dem Buch nicht vorwerfen kann, vorhersehbar zu sein.
    Immerhin ist mir jetzt klargeworden, wie Gardar Holm zu seinem Weltruhm gelang. Nicht er, sondern Gudmunsen ist der Betrüger. Gudmunsen hat dem sehr stimmgewaltigen (wenn auch in einer anderen Richtung) Gardar seine "Karriere" in der eigenen Zeitung (Foldin gehört doch Gudmunsen?) zusammengeschrieben, vermutlich um sein eigenes Ansehen als Sponsor dieses Weltstars in der isländischen High Society zu verbessern. Zumindest deute ich die Infos dieses Kapitels so.


    Nicht erklären kann ich mir allerdings, woher Gardar plötzlich so viel Geld hat, wie im 34. Kap. beschrieben. Habe ich da was überlesen oder kommt die Erklärung noch?

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  • Ist Alfgrimur der Händlertochter nun nahe gekommen oder nicht?


    Ja ist er, so habe ich das verstanden. Eine Art One-Night-Stand. An solchen Stellen spricht das Buch ja nie Klartext, sondern deutet nur an.



    Nicht erklären kann ich mir allerdings, woher Gardar plötzlich so viel Geld hat, wie im 34. Kap. beschrieben. Habe ich da was überlesen oder kommt die Erklärung noch?


    Ich weiß es auch nicht, entweder wird keine Erklärung gegeben oder ich habe es auch überlesen. Das war mir dann irgendwie nicht mehr so wichtig, da sich meinem Eindruck nach der Fokus von Geld auf Ansehen verschoben hat.


    Lustig wie ihr euren Status an meiner Smily-Reihe abmessen könnt, und das kommt sogar hin. :smile:


    Ich habe noch ein paar Dinge, die mich verwirren, namensmäßig:


    - Im Kap. 35 wurde mir erstmal so richtig klar, daß der alte Kaufmann und Ladengründer Jon Gudmundsson heißt, sein Sohn Gvendur Gudmunsen und der Laden auch Gudmunsenladen, an einigen Stellen auch Gudmundsenladen. Wie ist das denn zu verstehen? :confused: Ich dachte eigentlich, die Isländer heißen immer nach ihrem Vater, also müßte der Sohn doch "Jonsson" heißen. Oder haben sie nach dänischem Vorbild einen Familiennamen für die gesamte Familie gewählt? Und deswegen auch eine andere Schreibweise?


    - Gardar Holm heißt eigentlich Georg Hansson, so wird mir auch die Namensform Gorgur klar, über die ich mich gewundert hatte. Ersteres ist dann wohl eine Art Künstlername?


    - Der Name der Großmutter wird im ganzen Buch nicht ein einziges Mal erwähnt, oder habe ich auch das überlesen?


    Ich merke immer wieder an Kleinigkeiten, die ich nicht verstehe, daß mir einiges an Hintergrundwissen über Island/Dänemark fehlt. Im Lesefluß mag man dann auch nicht immer gleich nachschlagen.


    Mit den weiteren Kommentaren warte ich mal, bis ihr alle fertig seid, damit ich nicht zuviel vorwegnehme.

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    Einmal editiert, zuletzt von kaluma ()

  • Oder haben sie nach dänischem Vorbild einen Familiennamen für die gesamte Familie gewählt? Und deswegen auch eine andere Schreibweise?


    So habe ich das auch verstanden. Gudmunsen als dänisierte Form von Gudmundsson wird von jungen Gudmunsen als Familienname gewählt.



    - Gardar Holm heißt eigentlich Georg Hansson, so wird mir auch die Namensform Gorgur klar, über die ich mich gewundert hatte. Ersteres ist dann wohl eine Art Künstlername?


    Vermutlich. Georg Hansson klingt viel zu bäuerisch für einen Künstler. Da muss ein Pseudonym her. Es wundert mich nur, das die Händlertochter Gardars eigentlichen Namen nicht kennt, und so nicht versteht, dass der im Brief aus Dänemark erwähnte Hansen (die dänische Form von Hansson) Gardar ist. Oder hat sie es verstanden, gibt es aber nicht zu? Oder habe ich nur nicht verstanden, dass sie es verstanden hat?



    - Der Name der Großmutter wird im ganzen Buch nicht ein einziges Mal erwähnt, oder habe ich auch das überlesen?


    Jetzt wo du es sagst... Ganz sicher bin ich mir aber nicht.



    Ja ist er, so habe ich das verstanden. Eine Art One-Night-Stand. An solchen Stellen spricht das Buch ja nie Klartext, sondern deutet nur an.


    Kann es sein, dass ich so weit noch nicht bin? Ich frage mich vielmehr, was außer Handauflegen noch mit Kloi (der Name erinnert mich immer an unseren Namensthread :breitgrins: ) vorgefallen ist. Siehe letzter Abschnitt 32. Kapitel.

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    Einmal editiert, zuletzt von Saltanah ()


  • Es wundert mich nur, das die Händlertochter Gardars eigentlichen Namen nicht kennt, und so nicht versteht, dass der im Brief aus Dänemark erwähnte Hansen (die dänische Form von Hansson) nicht Gardar ist. Oder hat sie es verstanden, gibt es aber nicht zu? Oder habe ich nur nicht verstanden, dass sie es verstanden hat?


    Äh, ich dachte eigentlich schon, daß er das ist und daß sie das auch verstanden hat...


    Kann es sein, dass ich so weit noch nicht bin? Ich frage mich vielmehr, was außer Handauflegen noch mit Kloi (der Name erinnert mich immer an unseren Namensthread :breitgrins: ) vorgefallen ist. Siehe letzter Abschnitt 32. Kapitel.


    Saltanah, wir haben hier vom jungen Fräulein Gudmunsen geredet.


    Natürlich ist auch mit "Kloi" mehr vorgefallen als reines Handauflegen. :zwinker: :breitgrins:
    Das glaube ich jedenfalls zwischen den Zeilen zu lesen (Ende 32. Kapitel wird das klar, hier wird ja u.a. der Meister Santajama erwähnt), oder habe ich eine zu schmutzige Phantasie? :breitgrins:
    Schließlich war sie ja am Ende geheilt, und zwar durch Alfgrimur.


    Lies mal weiter, all diese Dinge werden dir am Ende vermutlich klarer werden.

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    Einmal editiert, zuletzt von kaluma ()


  • Äh, ich dachte eigentlich schon, daß er das ist und daß sie das auch verstanden hat...


    :redface: Ich sehe gerade, dass mir da eine Verneinung zuviel unterlaufen ist. Ich meine natürlich, "dass der im Brief aus Dänemark erwähnte Hansen (die dänische Form von Hansson) nicht Gardar ist."

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  • Seit gestern Abend bin ich auch fertig. Aber ich habe im Gegensatz zu kaluma noch keine Erleuchtung bekommen. Sortiert habe ich das Buch noch lange nicht.


    Allora, mit Fräulein Gudmundsen war Alfgrimur tatsächlich unter der Bettdecke zugange. Das sagt sie später deutlicher und flennt schon wieder. Das tut sie ohnehin sehr oft, dabei ist Alfgrimur sonst eigentlich gar nicht so garstig zu ihr. Oder bin ich nicht so empfindlich, dass ich das überlesen habe?
    Ach mit Kloi ist mehr passiert. Sie wird Alfgrimur gesagt haben, was er mit seinen Händen zu tun hat. Erinnert mich an den Film "Willkommen in Wellville", wo die Behandlungen vo Dr. Spitzvogel ähnlich ausuferten. "Manuelle Handhabung" nannte sich das.


    Welchen Weg schlägt Gardar Alfgrimur nun ein? Da er nach Dänemark geht, wird es wohl nichts mit Quabbenfischer, vielleicht wird er Pastor, aber explizit wird nichts gesagt. Klar ist nur, dass er auf das Geld von Gudmundsen verzichtet.
    An wen verkauft Björn nun den Hof? Am wahrscheinlichsten ist schon, dass es Gudmundsen ist, denn der ist der einzige, von dem uns Interesse am Hof bekannt ist.


    Was ich nicht verstehe, sind kalumas Anspielungen darauf, dass "z.B. der Mann ohne Gesicht, der anfangs beerdigt wurde, die Frau aus dem Landbrot, Ebeneser Draummann und seine Frau" am Ende einen Sinn ergeben. Mir hat er sich noch nicht erschlossen. Für mich sind sie bisher alle Sonderlinge geblieben. Vielleicht muss man noch eine Nacht drüber schlafen.


    P.S. Tippfehler/Namensverwechslung korrigiert.

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    Einmal editiert, zuletzt von Bettina ()

  • Die Erleuchtung, die ich bekommen habe, bezieht sich darauf, daß die Ereignisse um Gardar Holm nachträglich eigentlich alle recht klar sind.



    Welchen Weg schlägt Gardar nun ein?


    Du meinst Alfgrimur. Das wird nicht gesagt, vermutlich weiß er selber es auch noch nicht. Aber es ist auch nicht so wichtig, denn das hier:


    Klar ist nur, dass er auf das Geld von Gudmundsen verzichtet.


    ist der Knackpunkt!
    Weiter vorne im Buch wird ja angedeutet, daß er literarisch gebildet ist. Ich bin überzeugt, daß er seinen Lebensweg finden wird, denn Björn und die Großmutter haben ihm die nötige charakterliche Festigkeit mitgegeben, und außerdem die Finanzen.


    Der letzte Smily in meiner Reihe (:knuddel:) bezog sich genau darauf, also auf Björn und die Großmutter. Und fast noch mehr auf den Aufseher, der wohl die sympathischste und integerste Person im Buch ist.




    Was ich nicht verstehe, sind kalumas Anspielungen darauf, dass "z.B. der Mann ohne Gesicht, der anfangs beerdigt wurde, die Frau aus dem Landbrot, Ebeneser Draummann und seine Frau" am Ende einen Sinn ergeben.


    Soll ich das genauer erklären?
    Wer mit dem Buch noch nicht zuende ist, sollte das aber vielleicht lieber nicht lesen...
    Also:


    Das alles habe ich im Nachhinein als prophetisch empfunden.


    - Am Anfang des Buches wird ein Ertrunkener ohne Gesicht beerdigt. Am Ende des Buches auch, nämlich Gardar Holm, der sein Gesicht verloren hat. Der Ablauf des Aufbahrens in beiden Fällen wird fast wörtlich identisch beschrieben.


    - Die Frau aus dem Landbrot will nicht zuhause sterben. Sie fragt Björn: "Darf ich bei dir sterben?" Am Ende, als Tote, möchte sie aber doch nach Hause zurückkehren.
    Gardar Holm möchte nicht im Haus seiner Mutter sterben. Er fragt den Aufseher: "Darf ich bei dir sterben?" Aber eigentlich möchte er nach Hause, zu seinen Wurzeln zurückkehren.


    - Ebeneser Draummann ist eine Parallele zu Kaufmann Gudmunsen. Er trägt seine Frau als Aushängeschild bei sich, er benutzt sie, um sich ein Image aufzubauen, das eines durchgeistigten, spirituellen Heilers und Philosophen. Dabei gewinnt er Ansehen und Reichtum, aber er ignoriert die wahren Bedürfnisse seiner Frau - er benutzt und mißbraucht sie. Genauso, auf die gleiche Weise benutzt und mißbraucht wurde Gardar Holm durch Gudmunsen, der sich ja auch auf Gardars Kosten bereichert hat.

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  • Danke für das Aufdröseln :winken: Jetzt verstehe ich Dich.


    Das mit dem Mann ohne Gesicht ist mir gleich gar nicht aufgefallen. Da muss ich nachschlagen, bevor das Buch in die Bib zurück muss. Auch das mit dem Mann ohne Gesicht. Ich fand es zutiefst traurig, dass Gardar sein Leben als so verfahren erlebt hat, dass er sich selbst das Leben genommen hat. Ist der Begriff "ohne Gesicht" ein Synonym für den Freitod? Hat auch der Mann am Beginn des Buchs denselben Weg eingeschlagen? Nach diesem Zusammenhang jedenfalls erscheint mir das so.

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  • Ist der Begriff "ohne Gesicht" ein Synonym für den Freitod? Hat auch der Mann am Beginn des Buchs denselben Weg eingeschlagen?


    Sein Gesicht verlieren = sich lächerlich machen, gesellschaftliches Ansehen verlieren


    Kennt man diese Redensart bei euch in der Schweiz nicht?


    Gardar Holm hat sein Gesicht im Sinne von Ansehen verloren. Der Freitod ist seine persönliche Konsequenz daraus.
    Der Ertrunkene am Anfang des Buches hat sein Gesicht im wörtlichen Sinne verloren (angeknabbert von Fischen oder was auch immer *schauder*)

    Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden (R. Luxemburg)

    Was A über B sagt, sagt mehr über A aus als über B.

  • Hoi kaluma, den Ausdruck kennt man hier schon und ich bin eh' Deutsche :zwinker:
    Aber ich hatte mir überlegt, ob "ohne Gesicht" früher mal ein umschreibender Ausdruck für den Freitod war. Dass das Gesicht des ersten Toten physisch zerstört war, hatte ich nicht mehr in Erinnerung.

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  • Ich habe ein bisschen im Internet recherchiert und mich auch mit einer belesenen Verwandten in Verbindung gesetzt: Der Begriff "ohne Gesicht" wurde wohl auch früher nicht im Zusammenhang mit Selbstmord benutzt. Also: Falsche Fährte.

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  • So, jetzt bin ich auch am Ende angelangt. Am liebsten würde ich das Buch gleich noch einmal lesen. Ich denke, dann würde mir noch vieles klarer.


    Die Frau aus dem Landbrot will nicht zuhause sterben. Sie fragt Björn: "Darf ich bei dir sterben?" Am Ende, als Tote, möchte sie aber doch nach Hause zurückkehren.
    Gardar Holm möchte nicht im Haus seiner Mutter sterben. Er fragt den Aufseher: "Darf ich bei dir sterben?" Aber eigentlich möchte er nach Hause, zu seinen Wurzeln zurückkehren.


    Wow, was dir alles auffällt! Auf diese Parallele war ich nicht gekommen.


    Ich frage mich mittlerweile, wieviel Kristin weiß. Als sie nämlich Alfgrimur beim Abschied bittet, der Frau Hansen in Jütland Socken für ihre Kinder mitzunehmen, kamen mir auf einmal Zweifel an ihrer Unwissenheit. Vermutlich hat ihr die Händlertochter von der Existenz von Gardars dänischer Familie erzählt, aber weiß Kristin nicht noch mehr? Ahnt sie zumindest, dass es mit Gardars Ruhm nicht weit her ist? Immerhin hat sie ihn (die Maus) bei seiner zweiten Rückkehr in ihrer Scheune versorgt und es müsste ihr ebenso wie Alfgrimur aufgefallen sein, dass er ziemlich abgerissen aussah.
    Will sie vielleicht das Konzert nicht besuchen, um Gardar die Heuchelei zu ersparen? Und spielt sie dann im Dom ebensosehr wie Gardar selbst Theater?

    Wir sind irre, also lesen wir!


  • Hoi kaluma, den Ausdruck kennt man hier schon und ich bin eh' Deutsche :zwinker:


    Oh sorry! :redface: Ich werde es mir merken.



    Aber ich hatte mir überlegt, ob "ohne Gesicht" früher mal ein umschreibender Ausdruck für den Freitod war.


    Ah so, jetzt verstehe ich.


    Saltanah,
    ich würde auch am liebsten das Buch gleich noch einmal lesen! (Das ging mir damals mit "Am Gletscher " genauso.) Da gibt es noch so viele Details, über die man endlos sinnieren kann und die Zusammenhänge würde man beim zweitenmal ganz sicher besser verstehen.
    Leider warten noch viele andere Bücher.


    Ich frage mich mittlerweile, wieviel Kristin weiß. Als sie nämlich Alfgrimur beim Abschied bittet, der Frau Hansen in Jütland Socken für ihre Kinder mitzunehmen, kamen mir auf einmal Zweifel an ihrer Unwissenheit. Vermutlich hat ihr die Händlertochter von der Existenz von Gardars dänischer Familie erzählt, aber weiß Kristin nicht noch mehr? Ahnt sie zumindest, dass es mit Gardars Ruhm nicht weit her ist? ...
    Will sie vielleicht das Konzert nicht besuchen, um Gardar die Heuchelei zu ersparen? Und spielt sie dann im Dom ebensosehr wie Gardar selbst Theater?


    Jetzt wo du es sagst, die Fragestellungen sind berechtigt.
    Ich glaube auch, daß Kristin mehr weiß und durchschaut als Gardar denkt. Ich denke nicht, daß die Gudmunsentochter ihr das von der Familie erzählt hat, ich denke eher sie ist selber klug genug. Und auch klug genug, bei dem Konzert im Dom Gardar im Glauben zu lassen, er würde sie im Glauben an seine Karriere lassen... :zwinker:


    Ich frage mich noch eines:
    Warum kündigt Gudmunsen immer wieder Konzerte an, obwohl er weiß, daß Gardar nicht singen kann? Ist es eingeplant, diese Konzerte stets im letzten Moment wieder platzen zu lassen? Aber bei dem Fest haben sie ihn regelrecht gedrängt, zu singen und sich bloßzustellen - warum? Oder war es Gardars Entscheidung, hier einen Schlußstrich zu ziehen?
    Im Nachwort steht, Gudmunsen läßt Gardar Holm fallen, weil seine Tochter sich in ihn verliebt hat. Aber den Zusammenhang kann ich im Buch nicht so recht finden... wie seht ihr das?


    Noch eine technische Frage: wenn ich diesen Thread öffne, ohne eingeloggt zu sein, sehe ich die Spoiler nicht. In anderen Threads sehe ich allerdings sehr wohl Spoiler.
    Und in den Archivthreads zur Leserunde "Am Gletscher" scheinen die Spoiler völlig verschwunden zu sein... wie kommt das?

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  • @Spoilerproblem:
    Stimmt, nicht eingeloggt kann man keine Spoiler lesen. Das wusste ich bisher nicht, das ich immer eingeloggt bin. Musste erst nach dem Ausloggknopf suchen.
    Die verschwundenen Spoiler in manchen älteren Leserunden sind mir auch schon aufgefallen. Wo die hin sind - und wieso es nicht alle Leserunden betrifft - ist mir ein Rätsel.


    @Titel:
    Nach einigem Nachdenken bin auch ich zu dem Ergebnis gekommen, dass "Annalen von Brekkukot" eigentlich der angemessenere Titel ist. Er ist zwar langweiliger, sorgt aber dafür, dass man nicht wie Kaluma die ganze Zeit auf ein Konzert wartet.
    Andererseits ist das Konzert natürlich ein zentraler Punkt im ganzen Buch und von daher passt der Titel dann doch wieder gut.


    Warum kündigt Gudmunsen immer wieder Konzerte an, obwohl er weiß, daß Gardar nicht singen kann? Ist es eingeplant, diese Konzerte stets im letzten Moment wieder platzen zu lassen?


    Ich denke ja. Gudmunsens Ansehen und Wichtigkeit steigen (zumindest seiner Meinung nach) noch weiter, wenn er es schafft, ganz Reykjavik auf etwas warten zu lassen. Die Konzerte dürfen dann natürlich nicht stattfinden, und zumindest das erste wurde ja mit einer weiter das Ansehen erhöhenden Erklärung eingestellt (Gardar wurde anderweitig engagiert).


    Aber bei dem Fest haben sie ihn regelrecht gedrängt, zu singen und sich bloßzustellen - warum? Oder war es Gardars Entscheidung, hier einen Schlußstrich zu ziehen?


    Ich habe die Stelle gerade noch mal nachgelesen. Drängen tut ihn eigentlich niemand. Mir scheint es vielmehr so, dass Gardar von sich aus der Maskerade ein Ende macht.
    Andererseits folgt auf seine Gesangseinlage dann die Rede von Gudmunsen, in der er deutlich erzählt, wie und wieso er Gardar zu einem "Künstler" gemacht hat. Ob er diese Rede von Anfang an geplant hatte? Oder war sie nur eine Reaktion auf den entlarvenden Gesang? Ich weiß es nicht.


    Im Nachwort steht, Gudmunsen läßt Gardar Holm fallen, weil seine Tochter sich in ihn verliebt hat. Aber den Zusammenhang kann ich im Buch nicht so recht finden... wie seht ihr das?


    Im ersten Moment fand ich diese Behauptung auch aus der Luft gegriffen. Aber dann fielen mir ein paar Nebensätze ein, die durchaus in diese Richtung weisen könnten. Nur finde ich natürlich die Stellen nicht mehr. Eine Wieholek wäre auch für diese Frage dringend erforderlich.

    Wir sind irre, also lesen wir!