Jaroslav Seifert – Alle Schönheit dieser Welt

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    Klappentext: Liebesbriefe an das Leben, an ein Jahrhundert und an ein ganzes Volk – besser kann man die Erinnerungen des tschechischen Dichters Jaroslav Seifert, der 1984 den Nobelpreis für Literatur erhielt, nicht schildern. Voll Heiterkeit und Ironie beschreibt er das Leben in seiner geliebten Heimatstadt Prag.
    Nach und nach vervollständigt sich das bunte Mosaik eines langen und wechselvollen Lebens, in dem Jaroslav Seifert aus der Begegnung mit Freunden immer wieder die Kraft geschöpft hat, Kriegs- und Notzeiten sowie die Unterdrückung durch totalitäre Regime zu ertragen.
    Alle Schönheit dieser Welt: ein Buch von großer Kraft und leidenschaftlicher Lebensbejahung. Ein literarisches Dokument und ein Zeugnis der Menschlichkeit.



    Meine Meinung: Diesen Klappentext habe ich zitiert, weil er trotz allen Pathos, das dabei mitschwingt, den Inhalt insgesamt recht gut trifft. Es sind Geschichten und Erinnerungen, wie sie ein Großvater seinen Enkeln erzählt, nur das dieser Großvater viel interessantere Leute kennengelernt und Dinge erlebt hat, als die meisten anderen Großväter. Dabei stört auch überhaupt nicht, daß hierzulande wohl die wenigsten Leser die vielen Künstlerkollegen Seiferts kennen, die sich in diesen Erinnerungen ein Stelldichein geben. Da half mir zumindest auch das mehrseitige Verzeichnis am Ende eher wenig, das macht aber überhaupt nichts.


    Seifert sagt selbst, er sei nicht begabt für Prosa, das ist zwar nicht ganz falsch, denn seinen Geschichten und Erzählungen mangelt manchmal schon der rote Faden, und besonders auskomponiert sind sie auch nicht. Aber sie werden dadurch umso authentischer. Und Seifert wirkt, auch wenn er schon ein kleiner Schwerenöter ist, auch ungeheuer sympathisch, denn er macht sich über seine eigenen Fehler und Macken lustig. Das kann schließlich auch nicht jeder. Durch die Form ist es nichts, was man am Stück wegliest, aber es vermittelt einen netten Eindruck von einem hochgeehrten Dichter, von dem ich zuvor nicht allzu wußte. Darüber hinaus hat es mir aber auch den Eindruck bestätigt, den sein Gedichtband Der Halley'sche Komet bei mir hinterlassen hat, und das Rätsel seiner Frankreich-Faszination hat sich für mich jetzt auch gelöst.


    Dieses Buch umfaßt die ersten beiden Teile der tschechischen Originalausgabe (die übrigens 1981 in tschechischen Exilverlagen in Deutschland und Kanada erschien), der zweite Teil ist auf Deutsch unter dem Titel Ein Himmel voller Raben veröffentlicht worden. Das wird jetzt nicht unbedingt meine dringende nächste Lektüre, aber bei Gelegenheit werde ich mich danach mal umschauen.


    3ratten + :marypipeshalbeprivatmaus:


    Schönen Gruß,
    Aldawen

  • Seifert erhielt den Nobelpreis 1986 „für seine Dichtung, die mit frischer Sinnlichkeit und reicher Erfindungsgabe ein befreiendes Bild menschlicher Unbeugsamkeit und Vielfalt gibt“. Der Lyriker hat jedoch auch seine Memoiren geschrieben, die in diesem Buch vorliegen. In einzelnen Kapiteln schwelgt er in verschiedenen Erinnerungen, die keiner Chronologie folgen. Auch innerhalb einer Episode springt er zwischen Zeitebenen und Orten oder kommt von einer Anekdote zur nächsten. Er betrachtet in einem Exkurs das Lebenswerk eines Bekannten, beklagt dessen Tod und die eigene Vergänglichkeit und kehrt abrupt zum eigentlichen Thema zurück. Nur um sich im nächsten Satz erneut selbst abzulenken. Erinnerungen an seine Kindheit finden ebenso Raum wie Episoden mit politischem Bezug. Am eindringlichsten habe ich seine Erinnerungen an die deutsche Besatzung wahrgenommen. Der Großteil ist jedoch - in meiner Wahrnehmung - belangloses Gelaber oder solches, das man nur mit Bezug zur Zeit und zum Land verstehen kann. Er beschreibt detailverliebt Orte, die für mich trotzdem farblos bleiben.


    Immer wieder schildert er die Reaktionen anderer, wenn er als Kind oder junger Mann verkündet, er wolle Dichter werden. (Und wenn er nicht Dichter werden wollte, wollte er malen, und die Reaktionen sind ebenso verhalten.) Immer wieder befasst er sich mit Gedanken an den Tod, sowohl von Freunden als auch dem bevorstehenden eigenen. Aus diesen düsteren Gedanken scheint er sich selbst durch anzügliche Schilderungen zu erlösen. Es ist erstaunlich (und unangenehm), wie häufig er von “blutjungen” und hübschen Mädchen spricht oder die Rotlichtbezirke einer Stadt beschreibt. Das Signieren seiner Bücher ließ er sich von besagten “blutjungen Mädchen” auch gerne mit “keuschen Küssen” danken. Man kann fast froh sein, wenn er an anderer Stelle nur schreibt “Die Moldau [...] räkelte sich wonnevoll wie eine Frau nach dem Liebesspiel.” (S. 246)


    Offenbar hatte Seifert einen großen Freundes- und Bekanntenkreis, den er in seinen Erinnerungen aufleben lassen kann. Es betreibt teils reines Namedropping von meist tschechischen Persönlichkeiten aus dem Literaturbetrieb oder Künstlerkontext. Auch das Personenverzeichnis am Ende des Buches hilft mir nicht, einen Bezug zu den Personen herzustellen. Mir ist auch nach der Hälfte des Buches sogar ziemlich egal, mit wem er Schnitzel essen ging, wen er persönlich oder flüchtig kannte und mit wem er in Korrespondenz stand.


    Insgesamt halte ich die Memoiren für kein gutes Aushängeschild des Nobelpreisträgers. Zu unstrukturiert, zu belanglos, so dass die interessanten Passagen untergehen. Immerhin stellt er selbst fest: "Ich bin kein guter Erzähler.” (S. 272)


    1ratten :marypipeshalbeprivatmaus:

    "Natürlich kann man sein ohne zu lesen, ohne Bücher, aber ich nicht, ich nicht." J. L. Borges