António Lobo Antunes - Guten Abend Ihr Dinge hier unten

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  • Geschafft. Die Lektüre dieses Buches hinterlässt den Leser wie ein Marathonlauf über Stock und Stein. Selten habe ich 750 Seiten als so anstrengend erlebt. Das richtige Gefühl für das, was man da gerade absolviert hat, stellt sich erst nach einer Weile ein. Deshalb kommt mein Bericht mit einer Woche Nachlauf.


    Bücher von António Lobo Antunes erkennt man auch ohne Nennung des Autors. Der Gegenstand - Portugal, der Umsturz der politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse nach der "Nelkenrevolution" 1973, das Ende des jahrhundertealten kolonialen Traums in dem Chaos und der Verwüstung in Angola, wohin Lobo Antunes als Militärarzt zwangsverpflichtet wurde, das sind die beherrschenden Themen. Der Stil ist an sich ebenfalls unverwechselbar.


    "Guten Abend Ihr Dinge hier unten" erzählt auf seinen vielen Seiten drei im Grunde minimalistische Geschichten, die sich zu einem ausweglosen Reigen aneinanderketten. In jedem der drei "Bücher" sendet ein "Dienst" im heimatlichen Lissabon, albern getarnt als Marmeladen-Exportfirma, jeweils einen Agenten los, um im entlegenen Angola jeweils eine "Zielperson" aufzuspüren und auszuschalten - angeblich eine Aufgabe von drei, vier Tagen, und dann ab nach Hause, auf einen bequemen Druckposten im "Dienst", in eine Art Vorruhestand etc etc. Die drei Agenten, nacheinander Seabra, Migueis und Morais, vollführen, in Angola angekommen, den geheimdienstüblichen Mummenschanz mit falschen Pässen, Informanten, toten Briefkästen, lernen dieselben Prostituierten kennen, verheddern sich auf der Suche nach ihren Zielpersonen in den Wirren eines aberwitzigen Stellvertreterkriegs. Jahr um Jahr vergeht, keiner von ihnen kehrt zurück.


    Die Klammer um die Fabel besteht darin, dass die drei begreifen, dass sie nur die Bauern in einem Spiel sind, in dem die großen Player, darunter auch der "Dienst", die Figuren verschieben und dessen Ziel die Ausplünderung des Landes ist, symbolisiert durch eine Sendung Diamanten, die mehrfach den Besitzer wechselt. Nachdem sie dieser Konterbande zu nahe kamen, werden sie selbst zur Zielperson ihres Nachfolgers: Migueis erschießt Seabra an einem gottverlassenen Ort im Hinteland, Morais erledigt Migueis in einem Hinterhalt an der Grenze zum Kongo.


    Der zeitliche Fortschritt der drei Geschichten ist minimal; im Grunde werden, ausgehend von der jeweiligen Schlusskatastrophe, kurze Rückblenden eingeworfen, die die Ereignisse bis dahin begreiflich machen. Diese Rückblenden sind allerdings in winzige Schnipsel gebrochen; deren Anordnung erfolgt nicht in chronologischer Reihenfolge, die Zuordnung zu Personen ist schwer nachzuvollziehen und manchmal mehrdeutig, irgendwie scheint alles gleichzeitig abzulaufen. Dazu tragen auch die vielfachen, manchmal leicht abgewandelten Wiederholungen von Erinnerungsfetzen bei. Das alles flirrt wie in fiebrigen Fantasien durcheinander.


    Das gilt auch für die Rückblenden ins heimatliche Portugal, wo die Erteilung der Aufträge durch scheinheilige Vorgesetzte - "der Oberstleutnant", der "Direktor", der "Verantwortliche für den achten Stock" - erzählt wird. Und die familiären Geschichten der drei Helden: Biographien, deren Verwüstung an den Zustand eines Eingeborenendorfes nach Durchzug diverser Kombattanten erinnert: nur verkohlte Reste, eine perfekte Spiegelung oder Vorwegnahme der Trostlosigkeit des Schauplatzes Angola.


    Dieses Buch ist, auch für einen mit Lobo Antunes vertrauten Leser, schwer zu lesen. Es ist mit 750 Seiten umfangreich, und keine davon macht es dem Leser leicht. Ausdauer, Konzentration und gute Nerven braucht man bei diesem Autor ohnehin, und hier ist das umso nötiger. Das Buch ist auf seine Weise eine Zumutung. Mehr als einmal musste ich die Frage niederkämpfen, ob ich mir diese Mühewaltung wirklich antun will. Aber so ist das eben: der Lohn der Ausdauer stellt sich erst nach einer Weile ein. Auf keinen Fall möchte ich rückblickend auf dieses Leseerlebnis verzichtet haben.


    Und noch etwas: wenn man nach über740 Seiten meint, es sei geschafft, gibt es noch einen Tritt in die Hacken: den Epilog, eine fünfseitige Suada buchstäblich ohne Punkt und Komma, ohne Absätze und ohne Luftholen. Es geht um die gesellschaftlichen Verhältnisse und den sogenannten Aufschwung in Angola nach überstandenem Krieg, und es ist ein bösartiges Satyrspiel voll bitterem Sarkasmus, das dem Leser noch einmal die Haare zu Berge treibt.


    Die Wertung? Das ist ein veritables Problem bei einem Text, der mit seiner formalen und inhaltlichen Gnadenlosigkeit polarisiert. Es ist keine Schande, wenn jemand damit so gar nichts anfangen kann. Wer damit zurecht kommt, wird die volle Punktzahl verleihen wollen. Dazwischen geht eigentlich nichts.


    Meine Wertung: 5ratten

  • Das richtige Gefühl für das, was man da gerade absolviert hat, stellt sich erst nach einer Weile ein.


    Zitat

    Es ist keine Schande, wenn jemand damit so gar nichts anfangen kann. Wer damit zurecht kommt, wird die volle Punktzahl verleihen wollen. Dazwischen geht eigentlich nichts.


    Auch wenn ich nun gerade dieses Werk von António Lobo Antunes nicht gelesen habe, dafür aber einige andere, kann ich nur sagen, dass es kaum treffendere Sätze wie die obigen zu seinen Büchern gibt!
    Nach jeder Lektüre hatte ich das Gefühl, das Gelesene erst einmal sacken lassen zu müssen und nach dieser 'Pause' kam grundsätzlich ein sehr positives Fazit heraus. Lobo Antunes' Bücher sind Arbeit, aber sie hinterlassen eine echte Quintessenz im Kopf...


    Und ich schließe mich Gronauer an: es ist keine Schande, wenn man mit dem sehr eigenen Stil Lobo Antunes' nichts anzufangen weiß, schon nach wenigen Seiten nicht mehr mag.
    Als kleiner Tipp: wer den Autor lesen und nachvollziehen möchte, ist vielleicht nicht allzu schlecht beraten, wenn er mit "Elefantengedächtnis" startet. Dieses Buch ist vergleichsweise schmal und erklärt einiges über die Hintergründe zum Werk Lobo Antunes'.


    Ansonsten ist mir unverständlich, warum António Lobo Antunes nicht den Literaturnobelpreis erhält - im Gegensatz zu seinem portugiesischen Kollegen Saramago.


    Liebe Grüße
    dubh

    Liebe Grüße

    Tabea

    Einmal editiert, zuletzt von dubh ()