Eine Lesung mit Javier Marias

Es gibt 2 Antworten in diesem Thema, welches 1.506 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von kat.

  • Das Literaturhaus Frankfurt, dessen schöne Architektur man im hinterlegten Link bestaunen kann, hatte zur Lesung mit Javier Marias eingeladen. Javier Marias ist nur an 4 Orten zu Gast (noch in Hamburg, Köln und Berlin).


    Von Javier Marias ist gerade der 3. Band seines Romans "Dein Gesicht morgen" auf Deutsch erschienen. Die Übersetzerin Elke Wehr übersetzte bis Seite 287, da sie dann leider verstorben ist, den Rest besorgte Luis Ruby.


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    Zusammen mit drei interessierten Arbeitskolleginnen besuchten wir die Veranstaltung in dieser Woche. Die Karten haben wir rechtzeitig telefonisch reserviert. Das war auch gut so, denn die Veranstaltung war ausverkauft. Der Eintrittspreis betrug äußerst moderate 8 Euro. Vor der Lesung stärkten wir uns noch mit einer Kleinigkeit im angeschlossenen Restaurant. Die gehobene Küche ist vorzüglich, noch nicht Sterne-Niveau, aber deutlich besser als "gut bürgerlich". Die Preise sind noch im Rahmen.


    Um 20 Uhr ging es dann los. Ein Saal des Literaturhauses war mit 200 Sitzplätzen bestuhlt, die restlos gefüllt waren. Ein paar Leute mehr durften dann noch auf einigen zusätzlich geschaffenen Plätzen in den Saal hinein. Ruth Stäblein gab eine kurze Einführung zu Autor und Werk und stellte die vier Personen auf der Bühne vor. Neben dem Autor war noch der Schauspieler Jochen Nix anwesend, der die deutschen Passagen aus dem Buch las, ein Moderator vom Hessischen Rundfunk (dessen Name nicht im Programm vermerkt ist), der Einführungen zu den Texten gab und die Fragen an Marias stellte, die Übersetzerin Julia Weih, die die deutschen Fragen ins Spanische übersetzte und die spanische Antwort wieder zurück ins Deutsche. Sie war der eigentliche Star dieses Abends, dazu später mehr.


    Nach einem Überblick über den Inhalt der drei Bände (der Moderator ließ keine Geheimnisse mehr offen) las Marias eine erste Stelle. Auch wenn ich des Spanischen nicht mächtig bin, war diese Lesung kein Highlight. Marias las monoton, ein Wort wie das andere spulte er seinen Text hinunter. Den sich anschließenden Text las dann der Schauspieler Jochen Nix, dessen wunderbar weiche Stimme zu vielerlei Literatur passt. Von diesem Sprecher wünscht man sich Hörbücher in Hülle und Fülle und ich kann verstehen, dass er als Lieblingssprecher des Frankfurter Literaturhauses vorgestellt wurde. Anschließend wurden wenige Fragen gestellt. Jede Frage des Moderators ging dabei über mehrere Minuten. Die Übersetzerin schrieb fleißig mit, übersetzte dann und dann folgte wiederum die minutenlange Antwort Marias. Auch hier wieder fleißige Mitschrift und dann wurde die Antwort in druckreifen Deutsch minutenlang durch Frau Weih zurückübersetzt. Kurzer Szenenapplaus für diese Leistung durch das Publikum. Das Spielchen wiederholte sich dann noch einige Male, insgesamt sprach man über drei Stellen. Schade dass der Moderator sich mit seiner Belesenheit ein gutes Stück selber darstellen wollte anstatt stärker den Autor sprechen zu lassen.


    Die ausgewählten Stellen beleuchteten eher die "ernsten" Aspekte des Romans. Dabei gibt es durchaus sehr komische Stellen im Buch, die das Publikum doch etwas mehr, im inzwischen doch sehr warmen und schlecht belüfteten Saal, mitgerissen hätten. Oder auch sehr erotische Stellen. Kein Wort dazu. Es wurden auch keine persönlichen Fragen an Marias gerichtet, sondern es wurde lediglich über das Buch gesprochen. Man erfuhr dennoch, dass Marias Schriftsteller geworden ist, weil er keinen Chef haben will und gerne lange schläft. Aber auch hinsichtlich des Romans gab es einige interessante Aspekte. So ist im Roman die Erfahrung seines Vaters verarbeitet, der während des Krieges von zwei sehr guten Freunden verraten wurde. Marias selber sagt von seinen Büchern, dass sie fast alle Aspekte des Lebens abdecken. Ein länger diskutiertes Thema war der Aspekt der Zeitwahrnehmung. Marias benutzt Romane dazu, Zeit zu dehnen und dies dem Leser auch erfahrbar zu machen. Wenige Sekunden können sich bei ihm über viele Seiten hinziehen und so den nicht enden wollenden Moment verdeutlichen. Ich finde das meisterhaft gemacht. Ein großer Teil der Fragen behandelte dann die Rolle der Gewalt in seinen Büchern und es wurde deutlich, dass seine Bücher auch eine politische Dimension haben. Seine Antworten waren immer (ein wenig zu) ausführlich, dennoch wirkte er durch und durch sympathisch.


    Aufgrund der Lesung wäre ich wohl nicht zum Marias Fan geworden. Die Kunst seiner Sprache und die Vielfältigkeit seiner Themen kam kaum heraus. Mich interessieren auch vielmehr die Erkenntnissse, die seine Protagonisten über sich erfahren und die man dann an sich selber reflektieren kann. Da ist dieser Autor großartig.


    Am Ende gab es dann die Möglichkeit zum Signieren. Marias, der als einziger im Saal rauchen durfte, holte seinen goldenen Füllhalter aus dem Jacket und schrieb lange Widmungen in die Bücher. Entsprechend lange dauerte es bis alle ihre Bücher signiert hatten. Aus der Ruhe bringen ließ er sich jedoch angesichts der langen Schlange in keinem Moment. Ich verzichtete auf "Pour ..." und wollte neben seinem Namen unbedingt noch das Datum hinzugefügt wissen. Seine Unterschrift mit dem englisch geschriebenen Monat März ("March") ziert nun den 1. Band von "Dein Gesicht morgen", während seine Unterschrift mit dem spanisch geschriebenen Monat März ("Marzo") im Band "Schwarzer Rücken der Zeit" thront.


    Schöne Grüße,
    Thomas

    Einmal editiert, zuletzt von Klassikfreund ()

  • Deine Berichte sind immer großartig, Thomas. Vielen Dank!


    Das Literaturhaus sieht in der Tat wunderbar aus :herz:

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Danke für deinen Bericht. Ich wäre gerne dabei gewesen. Dass Marías, wie du sagst, monoton gelesen hat, hätte mich wahrscheinlich nicht gestört. Ich erwarte von Schriftstellern eigentlich gar nicht, dass sie gut lesen. Sie sind ja keine gelernten Sprecher oder Schauspieler. Ich finde es sogar fast ein bisschen sympathisch, wenn ihnen das nicht so leicht fällt.
    Gratuliere zu deinen signierten Büchern. Tolle Schätze!