Jurek Becker - Bronsteins Kinder

Es gibt 1 Antwort in diesem Thema, welches 2.614 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Sille.

  • Jurek Becker: Bronsteins Kinder


    Kaufen* bei

    Amazon
    Bücher.de
    Buch24.de

    * Werbe/Affiliate-Links

     

    Kaufen* bei

    Amazon
    Bücher.de
    Buch24.de

    * Werbe/Affiliate-Links


    Inhalt: (Amazon-Kurzbeschreibung):


    Damals, 1973, lebte Hans zusammen mit seinem Vater. Mit Martha, der Frau, die er liebte, fuhr er häufig zu dem Häuschen des Vaters vor der Stadt. Eines Tages fand Hans das Haus besetzt. Dies war der Beginn einer Geschichte, die sein Leben veränderte: In dem Haus wurde ein Mann gefangengehalten. Der Vater und zwei seiner Freunde hatten herausgefunden, daß er Lageraufseher während des Krieges war. Nun verhörten sie ihn, schlugen ihn. Sie, die Überlebenden, glaubten eine Legitimation für ihr Handeln zu besitzen, wie sie nur Opfern zusteht. Hans ist zum Mitwisser geworden, und der Vater hielt ihn, weil er das Vorgehen mißbilligte, für einen Feind. Jetzt, ein Jahr später, lebt der Vater nicht mehr. Hans wohnt inzwischen bei Martha, aber die Liebe ist erloschen. Er will nicht bleiben und weiß nicht, wohin. Um die Geschichte vom vergangenen Jahr, von der Entführung des Aufsehers und vom Tod seines Vaters, vergessen zu können, erzählt er sie.


    Meine Meinung:


    "Vor einem Jahr kam mein Vater auf die denkbar schwerste Weise zu Schaden, er starb. Das Ereignis fand am vierten August 73 statt, oder sagen wir ruhig das Unglück, an einem Sonnabend. Ich habe es kommen sehen."

    Mit diesen prägnanten, klaren Sätzen beginnt das Buch "Bronsteins Kinder". Im folgenden werden die Ereignisse, die sich vor dem Tod des Vaters abspielten, erzählt, und zwar im Rückblick ein Jahr später von seinem Sohn Hans, inzwischen 19 Jahre alt.


    Nach dem Lesen der Kurzbeschreibung und des (übrigens völlig unzutreffenden, darum zitiere ich ihn hier nicht) Klappentextes dachte ich, in diesem Buch ginge es um die Frage nach der Berechtigung von Selbstjustiz, um die Rache, die die früheren Opfer an ihrem Peiniger nehmen. Weit gefehlt. Diese Frage spielt nur am Rande eine Rolle. Vielmehr geht es um die Versuche von Hans, seinen Vater und dessen Freunde zu verstehen. Es geht um die Befindlichkeit von Hans, der ganz normal wie seine Altersgenossen leben möchte, aber an einem schweren Erbe trägt: an der Vergangenheit seiner jüdischen Eltern und seiner älteren Schwester Elle. Man erfährt nichts Genaues, nur daß die Eltern während des Krieges im Lager waren und Elle, damals ein Kind, bei einem Bauern untergetaucht. Hans´ Mutter starb bei seiner Geburt, lange nach dem Krieg. Elle hat während der Zeit im Versteck einen psychischen Schaden davongetragen, aufgrund dessen sie jetzt in einer psychiatrischen Klinik lebt. Und Hans´ Vater begegnet seinen Fragen mit einer Mauer des Schweigens. Was immer Hans versucht, er kommt mit seinem Vater - der der einzige Ansprechpartner über die Vergangenheit für ihn wäre - nicht ins Gespräch. Und Hans´ Schwester Elle kann ihre Erlebnisse nicht thematisieren. Auch bei den Freunden des Vaters, die an der Gefangenhaltung des ehemaligen Aufsehers beteiligt sind, bekommt Hans keine Antworten. Und aufgrund dieser Nicht-Information muß Hans entscheiden, wie er handeln soll, nachdem er zum Mitwisser dieser Gefangenhaltung geworden ist.


    Das Hauptthema des Buches ist, aus meiner Sicht, genau diese Sprachlosigkeit zwischen den Generationen. Der Vater trägt an etwas, das er glaubt, seinem Sohn nicht verständlich machen zu können. Hans trägt an den Auswirkungen einer Vergangenheit, die er nicht erlebt hat, und die dennoch sein Leben beeinflußt. Der Titel "Bronsteins Kinder" (und nicht "Bronsteins Sohn") verdeutlicht meiner Meinung nach genau das: genau wie Elle unter der erlebten Vergangenheit leidet, leidet Hans unter ihr, obwohl er sie nicht erlebt hat.


    Die Entscheidung, die Hans dann fällt, ist in meinen Augen folgerichtig. Für Hans scheint sie auch moralisch richtig zu sein. Natürlich kann man sich hier auch die Frage stellen: Hätte Hans anders entschieden, wenn sein Vater ihm mehr über die Vergangenheit erzählt hätte, oder hätte das gar nichts geändert?


    Im Jahr nach dem Tod seines Vaters läßt Hans sich ziellos treiben, weiß nichts so recht mit sich anzufangen. Seine Welt zerfällt, seine Beziehung mit Martha, der Tochter jüdischer Freunde seines Vaters, geht in die Brüche, denn im Gegensatz zu Hans, der seinen Status als Jude und Nachkomme von Nazi-Verfolgten nicht ausnutzen möchte, schlägt Martha Kapital aus ihrem jüdischen Aussehen.


    Hans´ Erinnerungen und Gedanken sind nachvollziehbar und in klarer einfacher Sprache formuliert. Das Buch ist sehr flüssig lesbar. Nebenbei bekommt man eine Erinnerung ans (oder einen Einblick ins) DDR-Alltagsleben der siebziger Jahre, und an die Atmosphäre der X. Weltfestspiele in Berlin 1973.


    Meine einzigen Kritikpunkte sind, daß ich die Zeitebenen manchmal nur schwer trennen konnte und daß einige Dinge doch allzusehr im Vagen blieben. So wäre es zum Beispiel meiner Meinung nach schon einer Erwähnung wert gewesen, warum Hans keinen Wehrdienst leistet, der eigentlich zwischen Abitur und Studium hätte stattfinden müssen.


    Bewertung: sehr lesenswert


    4ratten + :marypipeshalbeprivatmaus:


    kaluma

    Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden (R. Luxemburg)

    Was A über B sagt, sagt mehr über A aus als über B.

  • Hallo,
    bei mir ist es schon etwas länger her, dass ich das Buch gelesen habe, deshalb fällt meine Rezension etwas kürzer aus ... Aber ich fand es doch sehr bewegend, deshalb möchte ich kurz was dazu schreiben.


    Mich hat vor allem beschäftigt, wie schwer es ist, "gut oder schlecht", "richtig oder falsch" zu beurteilen. Ja, der Vater ist im Unrecht - aber ja auch irgendwo nicht. Es ist so schwer, nicht gleich Urteile zu fällen, man muss halt doch manchmal erst mehr über etwas wissen ...


    Kurz gesagt: ein Buch, dass zum Nachdenken anregt :breitgrins:

    Liebe Grüße, Sille