[Sachbuch] David Schnarch - Die Psychologie sexueller Leidenschaft

Es gibt 5 Antworten in diesem Thema, welches 1.875 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Jari.

  • Inhalt:


    Es ist nicht einfach, ein Paar zu sein. Nach der anfänglichen Verliebheit machen sich nach fünf, sechs, sieben Jahre Ehe oder Partnerschaft Langeweile und Errektionsprobleme im Bett breit. Man beginnt, sich über die kleinsten Dinge zu streiten. Man versteht sich nicht mehr und plötzlich fragt man sich, ob man noch an dieser Beziehung festhalten soll oder nicht.


    In dieser Situation befinden sich viele Paare, wenn sie Doktor Schnarch, seines Zeichens seit über 20 Jahren als Sexualtherapeut tätig, in seiner Praxis aufsuchen.
    Doch im Gegensatz zu den weitverbreiteten Ansätzen, wie "Konzentriere dich beim Sex auf dich selbst", hat Schnarch ein ganz neues Konzept entwickelt: Das Konzept der Differenzierung.


    Meine Meinung:


    Es gibt Bücher, die werden erst dann gelesen, wenn die richtige Zeit für sie gekommen ist. Bei mir verhält es sich bei David Schnarchs Buch "Die Psychologie der sexuellen Leidenschaft" so.


    Nein, ich habe weder mit Langeweile noch mit Erregungsstörungen im Bett zu kämpfen, aber in mir keimte schon lange der Gedanke, dass ich eine bessere Beziehung zu mir selbst haben sollte, mehr zu mir selbst stehen soll, auch beziehungstechnisch.


    Und genau da setzt Schnarch an. Das Prinzip der Differenzierung beruht darauf, dass man sich auf sich selbst zurückbesinnt und lernt, sich selbst Halt zu geben und das, ohne den Partner zu etwas zu zwingen. Man trifft Entscheidungen für sich selbst, nicht für den Partner.
    Es geht darum, dass man eine gesunde Beziehung zu sich selbst aufbaut, sodass man seinem Partner nahe sein kann, jedoch nicht aus der Bahn geworfen wird, falls man von ihm/ihr kritisiert wird oder mal eine Zeit ohne die geliebte Person auskommen muss. Dass man seine Meinung äussern und zu ihr stehen kann, ohne sich ausgeschlossen und verletzt zu fühlen, ist ebenfalls ein wichtiger Part des Differenzierungsprozesses.


    Das Prinzip, an sich selbst zu arbeiten, finde ich wahnsinnig interessant. Denn es ist bewiesen, dass eine gute Beziehung zu sich selbst und die Fähigkeit, zu sich selbst zu stehen, sich auf alle Bereiche des Lebens auswirken. Man tritt selbstbewusster auf und fühlt sich dadurch auch so und so kommt es, dass man sich auch in der Beziehung und im Sexleben Neues traut und alte Bahnen verlässt.


    Jedoch macht Schnarch kein Geheimnis daraus, dass dieser Prozess schmerzvoll ist. Man muss alte Pfade verlassen, was für viele Menschen nicht einfach ist. Anstatt den Partner mit Vorwürfen und Wünschen zu überhäufen, tut man sich selber etwas Gutes. Man fängt bei sich selber an. Schnarch sagt, dass die Monogamie kein Versprechen gegenüber einer anderen Person ist, sondern gegenüber sich selber. Geht man fremd, so verrät man nicht den Partner, sondern seine eigenen Prinzipien.


    Schnarch führt den Leser von Beginn an gut durch das Buch. Er erklärt seine Theorien und begründet seine Praxis. Er stellt uns verschiedene Paare vor, die mit verschiedenen Problemen zu kämpfen haben. Dadurch, dass wir viel über diese Menschen erfahren, liest sich das Buch manchmal wie ein kleiner Roman oder eine Kurzgeschichte. Das leichtert die anstonsten doch etwas anstrengende Lektüre auf.


    Nachdem wir über den Grundgedanken des "Differenzierungsprozesses" aufgeklärt wurden und erfahren haben, was Schnarch unter "siamesischen Beziehungszwillingen" (unser heutiges Bild einer Beziehung) versteht, erklärt Schnarch im zweiten Teil des Buches, wie man zu einem gesunden Ich-Gefühl findet und so lernt, wahre Intimität zuzulassen. Denn das, was wir im allgemeinen als "Intimität" wahrnehmen ist nur der Anfang einer tiefergehenden Intimität, die jedoch von unseren Ängsten und Befürchtungen blockiert ist. So führt Schnarch zum Beispiel die "Umarmung bis zur Entspannung" auf. Ausserdem empfiehlt er auch, beim Sex die Augen ab und zu mal offen zu halten.


    Im abschliessenden Part geht es um die Frage der Trennung, der Spiritualität und vor allem den "normalen Sadismus in jeder Paarbeziehung", ein wahrlich aufschlussreiches Kapitel für jeden Leser. Es führt auf, dass jeder zu einem gewissen Grad sadistisch handelt, um vom Partner das zu bekommen, was wir wollen. Dabei verletzen wir nicht nur den Partner, sondern auch uns selber.


    Ich muss sagen, es ist nicht einfach, dieses Buch zu lesen, aber es lohnt sich allemal! "Die Psychologie sexueller Leidenschaft" wird als "Klassiker" im Bereich der Sexualratgeber gehandelt und ich kann dies nur unterschreiben.
    Denn Schnarch bringt wirklich mal etwas anderes. Hier muss man bei sich selber anfangen und nicht beim Partner. Jedoch ist dies nicht leicht zu bewerkstelligen und viele fürchten sich davor, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen. Aber genau das finde ich wichtig. Wie soll mein Partner mich verstehen, wenn ich mich nicht einmal selber verstehe?


    Anmerken muss ich, dass ich gerne etwas mehr Tipps und Hinweise von Schnarch erhalten hätte, wie man zu einer selbstbestimmten Persönlichkeit wird. Ausserdem bemängelt der Autor die Praxis, sich beim Sex in seine Phantasien zurückziehen. Jedoch merkt er an, dass dies nicht an für sich schlecht ist. Da habe ich mich selbst gefragt, wie man sich in Phantasien verlieren kann, ohne den Kontakt zum Partner zu verlieren. Darauf hatte Schnarch wohl keine Antwort, zumindest vermisste ich diese.


    Jedoch muss ich wiederholen, dass sich die Lektüre für mich als Person und für mich als Teil einer Beziehung durchaus gelohnt hat. Ich habe einige von Schnarchs Vorschlägen für mehr Kontakt zum Partner und mehr Intimität bereits in die Tat umgesetzt.
    Nun möchte ich mich also daran machen, von einer Person mit einem einem geringen Differenzierungsgrad zu einer Person mit hohem Differenzierungsgrad zu werden!


    Fazit:


    Ein sehr interessanter Beziehungsratgeber, dem ich jedem empfehlen würde, der sich für die Mechanismen hinter unserem Verhalten interessieren. Man muss nicht unbedingt in einer kriselnden Partnerschaft stecken, um dieses Buch zu lesen, denn man kann den Grundgedanken Schnarchs auf alle Bereiche des alltäglichen Lebens anwenden.


    Jedoch kann man von der Lektüre nur profitieren, wenn man bereit ist, an sich SELBST zu arbeiten und für sich selbst Entscheidungen zu treffen. Dies ist ein langer und schwerer Weg und nicht jeder ist bereit dazu, anstatt den Partner zu kritisieren, sich selbst zu analysieren und sich mit sich selber auseinanderzusetzen.


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    4ratten

    //Grösser ist doof//

  • Danke für die ausführliche Rezi, das klingt wirklich interessant. :winken:

    Die Literatur gibt der Seele Nahrung,<br />sie bessert und tröstet sie.<br /><br />:lesen:<br />Alfred Kerr: Die Biographie

  • Hallo Jari,


    auch ich danke für diese schöne Rezension! Sie hat mich so inspiriert, dass ich das Buch gleich bei amazon in den Einkaufswagen geschubst habe.


    Mich mit mir selber und auch den entsprechenden Auswirkungen auf andere Menschen zu beschäftigen hat mir die letzten Jahre im Rahmen von intensiven Selbstentwicklungsseminaren sehr gut getan. Aber eines habe ich dort auch gelernt: In diesem Bereich muss ich stets am Ball bleiben, nix passiert von ganz alleine...


    Bin schon sehr gespannt!


    LG
    Alexa

  • Hallo Alexa,


    hoffentlich hält das Buch, was du dir davon versprichst. Mir zumindest hat die Lektüre gut getan (sieht man ja an der Rezi :zwinker: ). Ich bin schon auf deine Meinung gespannt, hoffentlich gibt es dann auch eine Rezi von dir?
    Ja, an sich selbst zu arbeiten ist echt hart und man muss sich ständig selbst am Riemchen reissen, sonst fällt man wieder in den alten Trott zurück...

    //Grösser ist doof//

  • Hallo Jari,


    die ersten 143 Seiten habe ich gelesen...und abgesehen davon, dass ich das Wort "Differenzierung" langsam nicht mehr hören kann bin ich sehr angetan. Es ist sehr anstrengend zu lesen, aber immer logisch und schlüssig und ergänzt vieles, das ich bereits gelernt habe. Momentan fühle ich mich damit auch persönlich sehr gut, weil ich (nur für mich selbst!) fühle, auf dem richtigen Weg zu sein...


    Ich freue mich auf die folgenden Kapitel, auch wenn ich vermutlich angesichts der Thematik und der Tatsache, dass ich aufgrund des Anspruchs und Denkpausen nur langsam vorankomme, noch ein wenig daran haben werde.


    LG
    Alexa

  • Ja, es ist kein Buch, das man "einfach so" lesen kann, ich hatte damit auch etwas Probleme. Mit der Differenzierung hast du auch Recht, aber ich hab mich irgendwie daran gewöhnt und ausserdem hat mir die ständige Wiederholung dabei geholfen, das Wort nicht zu vergessen :zwinker:
    Es freut mich, dass dir das Buch zusagt. Hoffentlich bringt dich die Lektüre etwas weiter :winken:

    //Grösser ist doof//