Christa Wolf - Stadt der Engel oder The Overcoat of Dr. Freud

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    Titel: Stadt der Engel oder The Overcoat of Dr. Freud
    Autor: Christa Wolf


    Allgemein:
    416 S.; Suhrkamp, 2010


    Inhalt:
    Los Angeles (auch Stadt der Engel genannt) Anfang der 90er Jahre:
    Eigentlich will sich die Erzählerin den Briefen einer L. die sie im Nachlass einer verstorbenen Freundin gefunden hatte widmen. Doch eigentlich verbringt sie die Zeit auch damit ihre eigenes Leben zu überdenken, ihre Zeit in der DDR ebenso wie auch die Aufforderung ihrer amerikanischen Freunde, sie müsse ja jetzt wohl emigrieren. Jetzt wo Deutschland wieder vereinigt sei. Auch hierzu nimmt sie Stellung und überlegt wie gut oder schlecht sie diese Tatsache findet.


    Meine Meinung:
    Es ist manchmal nicht ganz einfach, die Autorin von der Erzählerin in diesem Roman zu trennen. Vieles von dem, was die Erzählerin erlebt könnte, so oder ähnlich auch Christa Wolf erlebt haben. Ich denke schon das einges von dem, was sie selbst über die Wende dachte und wie sie empfunden hat in den Roman mit eingeflossen ist. Interessant finde ich persönlich vor allem auch die Amerikaner die sie beschreibt und die zumindest in ihrer Erzählung Deutschland vor allem mit dem Holocaust verbinden und nun auch erwarten, das man die Wende gefälligst positiv empfindet. Was die Erzählerin wirklich denkt, verschweigt sie allzu oft, weil sie merkt, das man von ihr eine bestimmte Antwort erwartet und nichts Anderes. Die Beschreibung eines Freundeskreises der sich in New York zusammenfindet und irgendwie Intelektuell diskutiert und bei politischen Fragen doch immer wieder die die Meinung vertritt, dass die Erzählerin unbedingt emigrieren müsste –und diese sich nicht nur einmal fragt warum sollte sie das tun? Andererseits bekommt man gerade durch den Blick von der Ferne irgendwie eine andere Sichtweise, ebenso wie die Erzählerin, die ihre Zeit auch dazu nutzt, über ihre eigene Rolle nach zu denken.


    Die Athmosphäre die Christa Wolf aufbaut kann mich einmal mehr begeistern. Kritisch beleuchtet sie nicht nur die Zeit über die sie schreibt, sondern auch ihre eigenen Figuren und nicht zuletzt auch ihre Erzählerin.Und das in ihrem wunderbaren Stil der mich, wie immer nicht loslässt. So manches mal bin ich dann auch anderer Meinung als die Figuren was aber irgendwie eher zu einer Stummen Diskussion mit mir selbst führte, ab und an hätte ich mir gewünscht in die Gespräche im Roman mit ein steigen zu können. Ein Roman, der den Leser fordert und nicht nur so vor sich hinplätschert. Andererseits habe ich nicht wirklich etwas Anderes erwartet. Denn eigentlich wundere ich mich ja nicht darüber das mit der Roman so gefallen hat, Christa Wolf ist eine meiner Lieblingsschriftstellerinnen und eine der wenigen Zeitgenössischen anspruchsvoll schreibenden Autoren, die ich mag.[Und sie noch am leben sind ;) (Mit vielen anderen tu ich mich ja eher schwer und kann oft nichts mit ihnen anfangen) ]
    Ganz klar von mir:


    5ratten

  • Deine Rezi hat mich so neugierig gemacht, Holden, dass ich mir das nun heute das Buch gekauft habe. Ein Weilchen wird es noch warten müssen, weil noch ein paar andere Bücher warten, ich freue mich aber schon sehr darauf, nachdem ich von "Nachdenken über Christa T." so begeistert war. :winken:

  • Hallo Holden,


    schade, dass so wenige Leute das Buch hier bisher gelesen haben.


    Ich habe es also vor kurzem sozusagen zweimal gelesen. Das heißt beim ersten Lesen habe ich mir an sehr vielen Stellen im Buch kleine Klebezettel angebracht und nach einigen Tagen bin ich diese Stellen noch einmal durchgegangen, teils um über bestimmte Autoren noch was nachzulesen, von denen sie spricht, die auch nach LA ausgewandert sind, auch um mir in ein Büchlein noch einige Gedanken aufzuschreiben.


    Ich möchte zunächst so beginnen, dass für mich die Erzählerin und Christa von Anfang an, ein und dieselbe Person waren, ich habe da nicht trennen können. Wahrscheinlich weil ich Christa Wolf zu gut auch als Mensch kenne, wie sie hin und wieder in der Öffentlichkeit auftrat (und einmal habe ich sie bei einer Lesung erlebt). Christa Wolf war zumindest in meinem Bekanntenkreis immer eine Persönlichkeit mit Vorbildcharakter, wir haben sie geschätzt für ihre kritische Offenheit und waren natürlich von ihrem Tod sehr betroffen.


    Da bin ich schon mitten in meinen Gefühlen, die mich beim Lesen dieses Buches ergriffen haben. Ich fühlte mich ständig mit ihr seelenverwand. Hier möchte ich ihre Gefühle bei der Maueröffnung herausgreifen: "zwiespältige Gefühle, keine Freude, kein Triumpf, keine Erleichterung sondern Schrecken, Scham, Bedrückung und Resignation. Irgendwann zieht sie nach Gesprächen mit den amerikanischen Freunden über Ostdeutsche und Westdeutsche für sich folgenden Schluss: Nimm dein Verhängnis an, lass alles unbereut.


    Einmal kommt sie mit der Sally auf ein Bild von Frida Kahlo zu sprechen, "Das kleine Wild" (Reh mit Frauengesicht - Frida - von vielen Pfeilen durchbohrt). Spätestens das war der Punkt (und es gab aber noch andere Stellen), die bei mir den Schluss zuließen, dass der zweite Teil des Buchtitels - oder the overcoat of Dr. Freud - der eigentlich zutreffende Titel ist. Hast du mal was von Freud gelesen. Ich hatte vor kurzem die Gelegenheit, eine sehr gute Biografie über ihn zu lesen.


    Meiner Meinung nach ist es für Christa Wolf Liebhaber auch ein Muss, dieses Buch zu lesen. 5ratten


    Demnächst steht bei mir "Nachdenken über Christa T." zum Lesen an. Aber vorher lese ich das erste Mal Vicki Baum "Liebe und Tod auf Bali". :tipp:


    Auf Vicki Baum bin ich übrigens durch das Buch Stadt der Engel gekommen. :winken:

  • Meeresrauschen
    Hier im Forum gibts schon ein paar andere Christa Wolf Leserinnen aber dieser Roman ist ja noch relativ neu. :)
    Mir gefällt Christa Wolf grade auch deshalb weil sie für mich keine einfach Person ist und sie doch sehr ambivalent bleibt. Ich mag es wenn ich mich an einer Person reiben kann und gerade ihre Romane lassen das zu.

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    oder The Overcoat of Dr. Freud


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    Inhalt: (Text aus dem Buch):


    Los Angeles, die Stadt der Engel: Dort verbringt die Erzählerin Anfang der Neunziger einige Monate auf Einladung des Getty Center. Sie spürt dem Schicksal einer gewissen L. nach, die aus dem nationalsozialistischen Deutschland in die USA emigrierte. Ein ums andere Mal wird sie über die Lage im wiedervereinigten Deutschland verhört: Wird der »Virus der Menschenverachtung« in den neuen, ungewissen deutschen Zuständen wiederbelebt? In der täglichen Lektüre, in Gesprächen, in Träumen stellt sich die Erzählerin einem Ereignis aus ihrer Vergangenheit, das sie in eine existentielle Krise bringt und zu einem Ringen um die Wahrhaftigkeit der eigenen Erinnerung führt.


    Christa Wolf erzählt von einem Menschenleben, das drei deutschen Staats- und Gesellschaftsformen standhält, von einer Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte, von der Kunst, sich zu erinnern.


    Meine Leseeindrücke:


    Ich habe das Buch schon einmal begonnen zu lesen, als ich es 2012 gekauft habe, und bin nicht über die ersten 60 Seiten hinausgekommen, weil ich wohl etwas anderes erwartet habe. Jetzt scheint mir ein besserer Zeitpunkt - ich genieße das Lesen.


    Christa Wolf hat 1992-93 ein Dreivierteljahr in Los Angeles verbracht, das Buch aber viele Jahre später geschrieben, es erschien 2010. Sie berichtet hier über Erlebnisse und Beobachtungen im L. A. der Neunziger, Gespräche mit Amerikanern, Nachkommen von Exilanten und Leuten, die wie sie auf Zeit in L. A. leben. Dazu kommt ein Mix aus Erinnerungen, Reflexionen und tagebuchartigen Gedanken. Das alles nicht unbedingt chronologisch und manchmal etwas verschachtelt, sie springt von Thema zu Thema. Beim ersten Lesen kam ich damit nicht klar, außerdem schreibt sie mir manchmal eine Spur zu pathetisch. Man muss für das Buch in der richtigen Stimmung sein und sich darauf einlassen. Ich kann ihren Gedankengängen momentan gut folgen. Vieles wird nur angedeutet und etliche Leute, über die sie schreibt, nicht beim Namen genannt (ich bin ständig am Rätseln). Es ist für das Verständnis hilfreich, einiges über DDR-Literatur und -Geschichte zu wissen oder (wie ich) einen Teil der DDR-Zeit miterlebt zu haben.


    Wie der Zufall es will, war ich selber im August 1992 für ein paar Wochen in den USA und auch für ein paar Tage in Los Angeles. Daher kann ich viele ihrer Beobachtungen aus dem Alltagsleben nachvollziehen und habe z.B. die Obdachlosen, die auch mich sehr beeindruckt haben, direkt vor Augen. Das Lebensgefühl dieser Zeit wird in Christa Wolfs Text lebendig, auch wenn es manchmal nur im Kleinigkeiten geht.


    Sie wird von den Amerikanern befragt über die Ereignisse im Herbst 1989. Ich bewundere, mit welchen treffenden Worten sie vieles auf den Punkt bringt, vor allem die wichtigen Dinge. So schreibt sie: "Ich sagte, ja, daß ich das erleben, daß ich teilnehmen durfte an einer der seltenen Revolutionen, welche die deutsche Geschichte kennt, das habe mir jeden Zweifel darüber genommen, ob es richtig gewesen sei, in dem Land geblieben zu sein, das so viele mit Grund verlassen hätten. Nun sei ich sogar froh darüber." (S. 25) Das habe ich ganz genauso empfunden, das war das Lebensgefühl der ersten Zeit nach der Wende, bevor es von der Realität und einer gewissen Ernüchterung eingeholt wurde.


    Sie erwähnt auch einen Kollegen, der die DDR wenige Jahre vor dem Zusammenbruch verlassen hat, und nun nachträglich meint, die Revolutuion sei zu unblutig gewesen, "Köpfe hätten rollen müssen". Ich frage mich, wer damit gemeint ist.Ein weiteres Thema ihrer Erinnerungen und Gedanken ist das Leben in der DDR im Rückblick (gab es "ein richtiges Leben im Falschen?"), Themen im Gespräch mit Amerikanern sind die damals in Ostdeutschland aufflackernde Fremdenfeindlichkeit - ja, die gab es, aber in meiner Erinnerung war sie nicht das bestimmende Thema, auch nicht in meinen damaligen Gesprächen mit Amerikanern -, und die Rückübertragung von Eigentum, vor allem Immobilien und Fabriken, an Westdeutsche. Hier geht es um das verschiedene Verhältnis, das Ost- und Westdeutsche zu Eigentum und privatem Besitz haben. Zu diesem Thema sagt ihr ein Amerikaner: "Da seht also nicht nur ihr euch in Frage gestellt, auch die Westdeutschen müssen sich durch eure Art zu denken angegriffen fühlen." (S. 130) Wieviel Wahrheit darin steckt, war mir damals nicht so klar, heute umso mehr. Und es gibt immer noch diese Spaltung und Abwehr, ich erlebe es immer wieder und habe es gerade vor wenigen Wochen wieder erlebt, dass eine Westdeutsche mir gegenüber äußerte, dass sie mich als Ostdeutsche für einen minderwertigen Menschen hält (und das, wo ich schon seit 15 Jahren in Baden-Württemberg lebe).


    Ich finde Christa Wolfs Erlebnisse und Gedanken bisher sehr spannend, auch wenn es ein paar Längen gibt, und bin nun vor allem gespannt auf ihre Recherchen zu der Briefschreiberin L., die sie finden möchte, sowie auf ihre Erinnerungen an ihre Stasi-Verstrickungen, um die es in dem Buch ja auch gehen soll.

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  • Ich finde es auch immer wieder faszinierend, dass es für jeden Roman eine bestimmte Zeit im Leben gibt. Das ist mir neulich beim Lesen von Amélie Nothomb aufgefallen, die ich schon seit vielen Jahren lese. Ihr erster Roman hat mir dieses Jahr überhaupt nichts gegeben, aber wenn eine 19jährige Bina ihn gelesen hätte, dann wäre das genau mein Ding gewesen. Jetzt, über zehn Jahre später, hab ich da leider keine Anknüpfungspunkte mehr.
    So war es vielleicht bei dir mit Stadt der Engel auch und vielleicht hast du den Roman deswegen abgebrochen.


    Es ist bestimmt sehr berührend, wenn du durch das Lesen alte Erinnerungen an deine Zeit in LA wieder auffrischen kannst.


    Ich bin auch sehr gespannt, wie es weitergeht.


  • Ich finde es auch immer wieder faszinierend, dass es für jeden Roman eine bestimmte Zeit im Leben gibt. Das ist mir neulich beim Lesen von Amélie Nothomb aufgefallen, die ich schon seit vielen Jahren lese. Ihr erster Roman hat mir dieses Jahr überhaupt nichts gegeben, aber wenn eine 19jährige Bina ihn gelesen hätte, dann wäre das genau mein Ding gewesen. Jetzt, über zehn Jahre später, hab ich da leider keine Anknüpfungspunkte mehr.
    So war es vielleicht bei dir mit Stadt der Engel auch und vielleicht hast du den Roman deswegen abgebrochen.


    Nein, eher umgekehrt. Vor vier Jahren hatte ich wohl keinen Sinn und keine Ruhe für dieses Buch. Es war mir zu episodisch, sprunghaft, unzusammenhängend und zu unpraktisch. Inzwischen habe ich vieles gelernt und zu mehr innerer Ruhe gefunden, habe familiär mehr Muße und befinde mich gedanklich sowieso sehr viel in der Vergangenheit nach allem, was mir/uns in diesem Jahr geschehen ist. So gesehen ist es jetzt der rechte Zeitpunkt für dieses Buch. Ich kann Christa Wolfs Gedankengängen gut folgen.



    Es ist bestimmt sehr berührend, wenn du durch das Lesen alte Erinnerungen an deine Zeit in LA wieder auffrischen kannst.


    Das ist ein nettes Beiwerk, aber eher nebensächlich. Viel berührender und für mich wichtiger sind Christa Wolfs Erinnerungen an die DDR-Zeit und die Wende und Nachwendezeit, um die es ja in diesem Buch hauptsächlich geht. Das wird nur manchmal in den USA-Zusammenhang gesetzt und vergleichend betrachtet. Zum Beispiel, wenn sie eine amerikanische Familie am Strand sieht und sich fragt, ob diese keine Schuld auf sich geladen haben einfach dadurch, weil sie eben in den USA leben und nie solchen Zeitumständen wie in der DDR ausgesetzt waren, unter denen man kaum vermeiden konnte, sich nicht irgendwie zu verstricken.


    Christa Wolf reiht weiter Erinnerungen aneinander, jetzt geht es um ihre Stasi-Akten. Neben einem dicken Packen Opfer-Akten gibt es da auch eine schmale Täter-Akte, in der sie als IM geführt wird. Sie kann sich nicht erinnern, für die Stasi gearbeitet zu haben. Hat sie es vergessen oder verdrängt? Oder wurde sie befragt, ohne dass ihr gesagt wurde, dass ihre Gesprächspartner Stasi-Leute sind? Sie weiß es nicht mehr. Wie zuverlässig ist Erinnerung?


    Sie spricht immer wieder mit ihrem Nachbarn Peter Gutman, der ein Schriftsteller oder Philosoph ist und ihr Denkanstöße gibt, ohne sie zu bedrängen und zu verurteilen. In diesem Zusammenhang kommt auch die Rede auf den titelgebenden Mantel von Freud, über den es eine kleine Geschichte gibt (er wurde jemandem gestohlen). Ich weiß noch nicht ganz, was dieser Mantel bedeuten soll. Steht er für Vergessen/Verdrängung? Will er etwas verbergen oder schützen?


    Ich kann mich an die Aufregung um Christa Wolfs Stasivergangenheit 1992 gar nicht erinnern, folge aber gespannt ihren Gedanken und sehe es auch so, dass eine differenzierte Betrachtungsweise wichtig ist. Sie erzählt von ihrer Jugend in der Nachkriegszeit, von der Studentenzeit, den 50er Jahren. Will man ihr Handeln von damals verstehen, muss man wissen, wie es damals war. Ein Kapitel beginnt mit den Sätzen:
    "Du bist dabei gewesen. Du hast es überlebt. Es hat dich nicht kaputtgemacht. Du kannst davon berichten."

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  • Ich bin fast am Ende des Buches angelangt. Die Schlammschlacht gegen Christa Wolf wegen dieser Stasisache wird immer wilder, bis dahin, dass sie z.B. eine Postkarte mit dem Text "Ich hasse Sie" bekommt. Sie selbst scheint das allerdinsg weniger und weniger zu beschäftigen, jedenfalls dreht sich der Text meist um Erlebnisse in Los Angeles und Gespräche mit ihren Kollegen am Center und verschiedensten anderen Leuten. Außerdem klärt sich per Zufall die Identität der mysteriösen "L." auf, deren Briefe sie bei sich hat. Sie beschäftigt sich mit den in der Nazizeit aus Deutschland emigrierten Schriftstellern und anderen Künstlern, die ja in L. A. eine richtige Kolonie gebildet hatten und sich regelmäßig trafen. Das war interessant. Allerdings fragt sich schon C. W., wer die heute noch kennt und ob sie noch gelesen werden. Viele ihrer Bücher werden gar nicht mehr aufgelegt. Inzwischen sind ja nun noch ein paar Jahre mehr vergangen und ich sehe ja an der Schullektüre meiner Tochter, dass Autoren wie Thomas und Heinrich Mann, Brecht, Feuchtwanger, Anna Seghers usw. gar keine Rolle mehr spielen. Schade eigentlich, aber für die Jugend von heute ist diese Zeit wirklich sehr lange her.


    C. W. erwähnt eine Reise zu den Hopi-Indianern, die sie vorhat. Ich hoffe sie tritt sie noch an, es bleiben nicht mehr viele Seiten des Buches, aber darüber würde ich gern lesen.

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  • kaluma
    Ich denke es kommt auch auf die Lehrer an. In den Lehrplänen hat man sehr viel Spielraum. In welcher Klasse ist Deine Tochter denn? Grade die von Dir genannten Autoren werden normalerweise erst so ab Klasse 10 gelesen. Es ist ja auch mit mehr Aufwand verbunden z.B. Wolf zu lesen, weil man dann sehr viel mehr Hintergrund braucht. Bei anderer Schullektüre braucht man weniger Vorbereitung z.B bei Schiller, weil das schon seit Jahrzehnten immer wieder im Abi vorkommt.


  • kaluma
    Ich denke es kommt auch auf die Lehrer an. In den Lehrplänen hat man sehr viel Spielraum. In welcher Klasse ist Deine Tochter denn? Grade die von Dir genannten Autoren werden normalerweise erst so ab Klasse 10 gelesen. Es ist ja auch mit mehr Aufwand verbunden z.B. Wolf zu lesen, weil man dann sehr viel mehr Hintergrund braucht. Bei anderer Schullektüre braucht man weniger Vorbereitung z.B bei Schiller, weil das schon seit Jahrzehnten immer wieder im Abi vorkommt.


    @Holden
    Sie ist in der 12. Klasse und macht im Frühjahr Abi. Bis jetzt kein Thomas Mann, kein Faust, und da kommt auch nichts mehr. Gerade liest sie Dantons Tod, bisher gelesen haben sie Schiller: Teile von Wilhelm Tell, Keller: Kleider machen Leute, Hesse: Unterm Rad, Max Frisch (Biedermann/Homo Faber), Peter Stamm: Agnes, und wenigstens ein paar Kurzgeschichten von Wolfgang Borchert. Sicher hab ich noch einiges vergessen, aber die Deutschlehrerin sagte mir auf Anfrage vor 1-2 Jahren, man lege heute nicht mehr so viel Wert auf Literaturkenntnisse, sondern auf Schreib- und Formulierfähigkeit. Da lernt sie tatsächlich mehr als wir damals, das lief bei uns sozusagen nebenbei mit. Auch Gedichtanalysen usw. haben wir nie so detailliert formal gemacht.


    Bloß gut dass sie privat viel liest, u.a. Kafka, und Schiller möchte sie auch lesen.


    Mit "Stadt der Engel" bin ich fertig, mein abschließender Kommentar kommt demnächst. Tatsächlich kam noch die Reise zu den Hopi, hier war Christa Wolfs Blick auf dieses Volk wirklich sehr interessant, wenngleich distanziert. Auch Las Vegas und Los Alamos hat sie bereist. Immer wieder zieht sie Parallelen zu gesellschaftlichen Gegebenheiten in der DDR und den USA. Die zentrale Frage, was macht einen Menschen aus, was bestimmt sein Handeln und wie ändert sich das im Lauf des Lebens mit den Erfahrungen, die er macht, seiner persönlichen Entwicklung, und in Anhängigkeit von den Informationen, die ihm zur Verfügung stehen. Hier kann ich ihr sehr gut folgen. Am Ende schließt sich der Kreis, zum 4. November 1989, der für Christa Wolf eine Erfahrung bedeutet, die ich teile (bei mir war es der 9. Oktober).

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    Inhalt: (Text aus dem Buch):


    Los Angeles, die Stadt der Engel: Dort verbringt die Erzählerin Anfang der Neunziger einige Monate auf Einladung des Getty Center. Sie spürt dem Schicksal einer gewissen L. nach, die aus dem nationalsozialistischen Deutschland in die USA emigrierte. Ein ums andere Mal wird sie über die Lage im wiedervereinigten Deutschland verhört: Wird der »Virus der Menschenverachtung« in den neuen, ungewissen deutschen Zuständen wiederbelebt? In der täglichen Lektüre, in Gesprächen, in Träumen stellt sich die Erzählerin einem Ereignis aus ihrer Vergangenheit, das sie in eine existentielle Krise bringt und zu einem Ringen um die Wahrhaftigkeit der eigenen Erinnerung führt.


    Christa Wolf erzählt von einem Menschenleben, das drei deutschen Staats- und Gesellschaftsformen standhält, von einer Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte, von der Kunst, sich zu erinnern.

    Meine Meinung:


    Christa Wolf schreibt hier über ihren 9monatigen Aufenthalt in Los Angeles 1992/93, das Buch erschien allerdings erst 2010. Sie berichtet hier über Erlebnisse und Beobachtungen im L. A. der Neunziger, Gespräche mit Amerikanern, Nachkommen von Exilanten und Leuten, die wie sie auf Zeit in L. A. leben. Dazu kommt ein Mix aus Erinnerungen, Reflexionen und tagebuchartigen Gedanken, in nicht chronologischer Reihenfolge. Das ist sehr spannend, wenn auch manchmal etwas pathetisch, sprunghaft und verschachtelt. Man kann ihren Gedankengängen gut folgen, wenn man für das Buch in der richtigen Stimmung ist und sich darauf einlässt. Es gibt viele Andeutungen, und es ist für das Verständnis hilfreich, einiges über DDR-Literatur und -Geschichte zu wissen oder (wie ich) einen Teil der DDR-Zeit miterlebt zu haben. Einige ihrer Erlebnisse teile ich, andere nicht, da sie einer anderen Generation angehört. Vieles aus der Zeit um 1989, was sie erwähnt, hatte ich schon fast vergessen. Oft schreibt sie über Personen der Zeitgeschichte, ohne ihre Namen zu nennen, und oft habe ich nicht gewusst, wen sie meint, obwohl das Erzählte mir bekannt vorkam. Auch daran merkt man, wie schnell man vergisst.


    Ein wichtiges Thema im Buch ist die Stasi-Vergangenheit Christa Wolfs, eine eventuelle IM-Tätigkeit, und die Schlammschlacht, der sie deswegen Anfang der neunziger Jahre ausgesetzt war. Dies betrachtet sie unter dem Aspekt, wie zuverlässig Erinnerung überhaupt sein kann, und wie ein Mensch im Laufe seines Lebens aus Erfahrungen lernt und sich in seiner Persönlichkeit wandelt.


    Ein weiteres Thema ist die deutsche Exilliteratur im Los Angeles der vierziger Jahre, die heute (nach meinem Eindruck) für die Deutschen eine schwindende Bedeutung hat, leider.


    Das Buch ist stark autobiographisch, aber wird poetisch überhöht auf eine allgemeinere Ebene transferiert und in Beziehung zu gegenwärtigen Geschehnissen im L. A. der Neunziger gesetzt - es sind zwar Christa Wolf Erlebnisse, Gefühle und Gedanken, aber es gelingt ihr bestens, das Allgemeingültige herauszukristallisieren, auch unterstützt durch das Engelsmotiv, was hier in der Bedeutung eines Schutzengels und auch eines gedanklichen Gegenübers auftritt.


    Zitat: "Du bist dabei gewesen. Du hast es überlebt. Es hat dich nicht kaputtgemacht. Du kannst davon berichten."

    Meine Bewertung:
    Ein wichtiges Buch, auch unter zeitgeschichtlichem Blickwinkel.


    5ratten:tipp:

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    Was A über B sagt, sagt mehr über A aus als über B.