Wilhelm Genazino - Wenn wir Tiere wären. 158 Seiten.
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Diese kleine Bändchen kann man in zwei Abenden auslesen und wird dabei gut unterhalten, wenn man denn den Weltschmerz aushält, den Genazinos etwa 45jähriger Protagonist empfindet. Ein solches Buch zu rezensieren ist nicht einfach, denn wenn man nur einen einzigen Absatz über den Inhalt schreibt, dann hat man ja bereits ein Drittel des Buches wiedergegeben. Also begab ich mich auf die Suche nach professionellen Rezensionen, in der Hoffnung von diesen etwas zu lernen.
Nun, in der "Welt" wurde ich fündig und dort wird auch der gesamte Buchinhalt inkl. Ende verraten, aber immerhin ist es so gemacht, dass nur wenige Details präsentiert werden. Ich kann also die "Spoilerfraktion" nur warnen die hier verlinkte Rezi zu lesen. Aber da die Rezension der Welt ein so ungewöhnlich grober Verriss des Buches ist, mit einer derartig negativen Sprache, dass es schon wieder komisch anmutet, will ich Euch dieses "Meisterstück" nicht vorenthalten. Wer über den Inhalt nichts erfahren will, lese bitte meine ausgewählten Zitate darunter.
http://www.welt.de/kultur/lite…nder-Autor-Warum-nur.html
Ein paar Zitate:
"Denn eigentlich geht es nur um das Porträt eines depressiven, antriebslosen, in Selbsthass versinkenden Mannes, den allein seine robuste, eben "tierische" Geilheit ans Leben koppelt. Schon der Kauf eines "Fertigsalats" im Supermarkt macht ihn, tja, fertig: "Jetzt trug ich mein Fertigschicksal in meine Fertigwohnung, wo ich einen Fertigabend vor dem Fernsehapparat verbringen würde." Auf 150 überteuerten Seiten breitet Genazino aus, was man so denkt, wenn man sich wie eine verkalkte Kaffeemaschine fühlt."
'"Ebenso egal wie dem Erzähler sein eigenes Leben ist dem Autor Genazino seine Romanhandlung. Hauptsache, er kann darin genug Weltekelpakete unterbringen [...]"
"Und damit zum schlimmsten Makel dieses skandalös schlecht lektorierten Buchs: Wann spielt das alles eigentlich? In welcher Welt? Es wird mit Euro bezahlt, der Erzähler ist Anfang vierzig, angeblich ein Akademiker, der es aber "außerordentlich" findet, "dass es jetzt eine Zeitung für Obdachlose gab"."
Nun, der Rezensent kritisiert stark die Handlung. Wenn man dem amerikanischen Literaturkritiker James Wood folgt, dessen Werk "Die Kunst des Erzählens" in diesen Tagen auf Deutsch erschienen ist, dann ist die Handlung gar kein so entscheidendes Moment eines guten Buches. Das gilt für Genazino tatsächlich zum großen Teil. In Kapitel 2 wird der Gang auf eine Beerdigung eines Freundes beschrieben und dabei ist das so genau und liebevoll beobachtet, dass es einfach Spaß macht, daran teilzuhaben. Seine Frau forderte ihn zuvor auf, sich einen neuen Anzug dafür zu kaufen, aber der Protagonist geht lieber in seinem alten Anzug, aber dann sollen die Schuhe zumindest geputzt sein, so seine Lebensgefährtin Maria:
"Es ist ein Gebot der Höflichkeit, sagte Maria, bei der Beerdigung
eines Freundes mit geputzten Schuhen zu erscheinen. Autz
war nicht mein Freund, antwortete ich. Trotzdem, sagte
Maria. Ich wollte ihr nicht erklären, dass es ein angenehmer
metaphysischer Zustand ist, Schuhe bei ihrer fortlaufenden
Selbsteinschmutzung zu beobachten. In Wahrheit
waren meine Schuhe nicht einmal schmutzig, sondern nur
staubig. Maria unterschied zwischen diesen beiden Möglichkeiten
nicht. Ich versuchte, ihr die Differenz zu erklären.
Staubig wird etwas von selbst, sagte ich, durch Teilhabe
an dem großen Staub, in dem wir alle leben müssen.
Schmutz hingegen ist ein selbständiges Eintauchen in ein
Konzentrat von Ausscheidungen, das durch die ständige
Umwandlung der Natur entsteht. Schmutzig werde ich,
wenn ich eine Baustelle durchquere oder einen Kohlenkeller
aufräume. Die letzten Sätze sprach ich schon zu mir selber
hin."
(Zitat aus der Leseprobe des Hanser Verlages)
Die Probleme des Protagonisten mögen selbstverliebt daherkommen, aber der Autor zeigt auf diese Weise die Verwundbarkeit des Menschen in seinem Inneren und bleibt nicht nur bei Äußerlichkeiten stehen. Seine Beobachtungen treffen oft und der Spaß der Lektüre besteht darin, schon mal selbst solche Gedanken durchlebt zu haben und sich dabei "erwischt" zu sehen. Der Protagonist hat auch ein ausgesprochen starkes Bedürfnis nach sexueller Befriedigung und das wird auf vielen Seiten im Buch auch ausgelebt. Gekonnt gemacht. Die innere Einsamkeit trotz der Zweisamkeit mit den Frauen wird treffend dargestellt. Es gäbe viele Details, die man hier herausstellen kann und an denen man sich erfreuen kann.
Am Ende wird der Plot dann doch etwas phantastisch und das schadet diesem dünnen Büchlein. Auf den letzten Seiten will er dann noch einen Gag unterbringen, den er wohl schon länger im Kopf hatte - nun ja, selten fand ich ein Ende so unpassend. Aber man kann das auch als Fingerzeig des Autors lesen, sein Buch nicht allzu Ernst zu nehmen. Spaß hat es gemacht.
Gruß, Thomas