Gerd Koenen - Vesper, Ensslin, Baader. Urszenen des deutschen Terrorismus

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    Titel: Vesper, Ensslin, Baader - Urszenen des deutschen Terrorismus
    Autor: Gerd Koenen


    Allgemein:
    368 S., Fischer, 2005



    Inhalt:
    Koenen versucht die Zeit in den 60er Jahren und auch das Milieu in dem sich Gudrun Ensslin und Andreas Baader bewegten bevor sich die RAF gründete und die beiden in den Untergrund abtauchten auf zu zeichnen und in ihre Denkweise ein zu tauchen. Sein Schwerpunkt liegt dabei auch auf Bernward Vesper, der langjährige Lebensgefährte Gudrun Ensslins. Er war der Vater ihres Sohnes Felix. Vesper selbst, Sohn eines Autoren der in den Zeiten des Nationalsozialismus zu einigem Rum gelangte starb 1971. Just in dem Jahr in der die RAF ihren eigentlichen "Auftritt" hatte. Der Roman Die Reise von Bernward Vesper, bietet für Koenen den roten Faden an dem er die Gedankenwelt von Vesper aufzeigt, aber auch Briefe die sich er und Gudrun schrieben. Ebenso Zeitzeugen und andere journalistische Recherche.


    Meine Kommentar:
    Über die Taten der RAF und ihre Entstehung, vor allem in Bezug auf Ulrike Meinhof und Andreas Baader sind inzwischen sehr sehr viele Bücher geschrieben worden. Auch von ehemaligen Mitgliedern der 2. Generation. Koenen legt seinen Schwerpunkt auf eine Zeit die vielen nicht so im Blick ist, dabei erscheint sie eigentlich viel wichtiger als die Taten selbst. Die Zeit vor der Gründung, das Milieu aus dem Gudrun Ensslin stammt und wie Andreas Baader auf sie traf. Aber vor allem auch Bernward Vesper, der Vater von Ensslins Sohn Felix spielt eine wichtige Rolle. Wie passt es ins Bild einer sich selbst als antifaschistischen Gruppe bezeichnet, das Ensslin die Bücher des Nationalsozialistischen Autors Vesper Verlegen wollte? Koenen enttarnt in seinem Buch ein Stück Selbstinszenierung und Selbsterfindung durch Ensslin und Baader und das sehr gelungen meiner Meinung nach. Er Zeigt die Verbindungslinien der Denkmuster und auch die Verschleierungstaktik in der Argumentation der späteren Terroristen.


    Für mich waren vor allem die Passagen zu Bernward Vesper und Gudrun Ensslin sehr interessant. Ich habe immer den Eindruck das Ensslin in Beschreibungen hinter Meinhof zurücktritt, obwohl sie wie man inzwischen weiß die eigentliche Chefin war und Meinhof sich sehr von ihr unterbuttern lies. Vesper war für mich sehr interessant weil man hier vieles darüber erfährt wie ein junger Mensch von der Nationalsozialistischen Vergangenheit des Vaters geprägt werden kann. Aber auch wie er sich damit selbst neu inszeniert und erfindet. Er versucht sich als Autor und tritt eigentlich nach seinem Tod 1971 erst wieder ins Bewusstsein als seine Texte im Zuge der Selbstmorde der RAF Mitglieder rezipiert werden. Im Grunde auch schon wieder eine Inszenierung. Denn er selbst war nie ein Mitglied der Gruppe und er und Ensslin hatten sich da schon weit voneinander entfernt. Trotzdem scheint es Parallelen in ihrem Denken gegeben zu haben, zumindest Koenen versucht dies hier auch auf zu zeigen. Eine Art Denkfamilie scheint es zu geben. Koenen übertreibt es aber meiner Meinung nach zum Teil sehr mit seinen Zitaten von Vesper, die er manchmal ohne weiteren Kommentar stehen lässt und man nicht so recht weiß was man damit nun tun soll. Außerdem finde ich auch das sein Schwerpunkt schon ein wenig sehr auf der Person des Bernward Vesper liegt. Ich hatte manchmal das Gefühl es gehe viel stärker um ihn als um Baader und Ensslin. Für mich war es aber schon sehr interessant, weil mir davor nie so bewusst war, was eigentlich in den 60er Jahren da genau lief und wie vor allem Ensslin eigentlich in das ganze linke Milieu hineinkam und schließlich zur Terroristin wurde.


    Indem diese Vorgeschichte das Ziel des Buches ist, bekommt man einen weiteren Zugang zur RAF wie man ihn allein durch die Lektüre des Baader Meinhof Komplexes (als bekanntestes Beispiel) nicht erhält, einfach weil sich dieser damit kaum auseinandersetzt und wenn dann vor allem mit dem Fokus auf Ulrike Meinhof. Im Grunde entlarvt sich Ensslin durch ihr früheres Handeln selbst und Koenen muss nur darfstellen, wie sich das dann weiter entwickelt hat. Ich habe mich lange immer wieder mit der RAF auseinandergesetzt und für mich war dieses Buch eine gelungene Ergänzung meines bisherigen Wissens.
    Zwar könnte man sicher auch damit einfach beginnen (der Chronik geschuldet) aber ich persönlich hatte schon den Eindruck, das der Autor ein gewisses Grundwissen voraussetzt. Man sollte zumindest den groben Rahmen wissen und sich meiner Meinung nach auch schon mit Baader als Person beschäftigt haben. Zumindest im Rahmen der allgemeinen Darstellungen des deutschen Herbstes. Auf die weitere Geschichte der RAF geht er dann nur ganz kurz ein, und beschreibt in einem Schlusskapitel knapp die weiteren Ereignisse bis zum Selbstmord der Inhaftierten in Stammheim. Das ist ihm aber auch gelungen, da er seinen Schwerpunkt ja auch ganz anders setzte. Das Schlusskapitel scheint mir auch ein wenig dem Wunsch geschuldet zu sein kein offenes Ende zu haben. Obwohl es sich hier ja um ein Sachbuch handelt. Ich persönlich hätte es eher als Epilog bezeichnet, da es mit dem eigentlichen Thema des Buches dann nicht mehr viel zu tun hat.


    Fazit: Wenn man daran interessiert ist sich selbst ein Bild über die RAF zu machen lohnt es sich nicht nur ein Werk über die RAF zu lesen sondern verschiedene. Denn je nach Blickwinkel entsteht ein weiteres Mosaikteilchen. Auch Koenen trägt dazu bei, dieses Mosaik vollständiger zu machen, gerade weil er sich nicht wie viele Autoren mit der eigentlich Hochzeit der RAF beschäftigt sondern eben mit den sechziger Jahren und ihrem Gedanklichen Milieu. Für mich persönlich sehr interessant und auch wichtig, weil Koenen Ensslin und Baader entlarvt, und damit aufzeigt das auch sie der Öffentlichkeit ein Bild von sich präsentierten das sie selbst inszeniert hatten.