John Lanchester - Kapital

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  • Enid: In Kapital kam ich auch um einiges schneller rein als in den Todesfall, das kann ich also wiederum unterschreiben :smile:


    Mrs.MiaWallace: Die Bewohner und die Verstrickungen finden sich auch in Kapital wieder. Mir kam das Ganze bei Lanchester jedoch etwas flüssiger und "simpler" daher, es liess sich für mich besser lesen als Rowling. Jedoch möchte ich dich nicht dazu überreden, das Buch zu lesen. Am besten hörst du einfach mal auf dein Gefühl und wenn es dir irgendwann sagt, dass du es versuchen sollst, versuch es einfach mal.

    //Grösser ist doof//


  • Und auch mir hat Kapital noch besser gefallen als der plötzliche Todesfall.


    Ui, bis jetzt hatte ich ja dieses Buch noch nicht so wirklich auf dem Radar. Hatte es zwar heute in der Buchhandlung mal in der Hand, aber irgendwie war ich noch nicht so richtig überzeugt. Aber nach dieser Meinung, bin ich jetzt doch neugierig geworden. Mir hat "Ein plötzlicher Todesfall" nämlich schon sehr gut gefallen und wenn dieses Buch sogar noch eine Spur besser ist, bin ich jetzt schon mal sehr gespannt! Das Buch landet gleich mal auf meinem Wunschzettel!


    Liebe Grüße
    Tammy :winken:

    &WCF_AMPERSAND"Jeder der sich die Fähigkeit erhält, Schönheit zu erkennen, wird nie alt werden.&WCF_AMPERSAND" (Franz Kafka)

  • Mir hat das Buch total super gefallen! Hier meine Rezension:


    Dieser opulente, facettenreiche Roman handelt vom Leben in London in den Jahren 2007 und 2008 am Vorabend und während der Wirtschaftskrise. London konzentriert sich hier auf die Pepys Road, eine Straße, in der sich ein buntes, die untere bis obere Mittelschicht repräsentierendes Sammelsurium an Bewohnern und einem Kreis von weiteren Akteuren, die in unterschiedlichster Form einen Bezug zu diesem Umfeld haben, tummelt.


    Ein wenig gemahnt dieser Roman in seinem Ansatz an den Film "Short Cuts" von Robert Altman, der allerdings in L.A. spielt. Wie dort werden fragmentarische Sequenzen aus dem Leben einiger Menschen aufgeführt und wie im Film steht hier die Stadt im Hintergrund und bildet die Kulisse zur Handlung, vielmehr zu den vielschichtigen Parallelhandlungen des Romans.


    Die Rentnerin Petunia, der pakistanische Lebensmittelhändler Ahmed, der Finanzhändler Roger, das hoffnungsvolle senegalesische Fußballtalent Freddy - sie alle leben im Kreise ihrer Familien in der Pepys Road, haben Träume und hegen Hoffnungen und Wünsche... und werden von unheimlichen, regelmäßig eintreffenden Karten mit der Botschaft "Wir wollen das, was Ihr habt" belästigt, denen bald weitere, ähnlich störende Aktionen folgen, um die sich das lokale Polizeipräsidium mehr oder weniger motiviert kümmert.


    Doch das Leben in der Pepys Road zieht weitere Kreise: nicht nur um diese Sendungen rankt sich die Handlung: Nein, weitere Figuren, die in Zusammenhang mit dieser Straße stehen, beispielsweise der polnische Handwerker Zbigniew, das ungarische Kindermädchen Matya, Freddys Vertrauter Mickey, um nur einige zu nennen... sie alle haben ihren Auftritt, ihren Anteil an der Geschichte.


    Ein mitreißendes, pralles und monumentales Buch, das trotz der vielen darin vorkommenden Figuren nie verwirrend ist und nicht eine Länge aufzuweisen hat. Obwohl viel Alltägliches beschrieben wird, ist die hier erzählte Story voll von überraschenden Entwicklungen - es fällt wirklich schwer, die Lektüre zwischendurch zu unterbrechen, zumal neben der Darstellung der Erfahrungen, der Sorgen und Nöte auch der Humor an keiner Stelle zu kurz kommt.


    Der Leser spürt, dass jede einzelne Seite wichtig und bereichernd ist - denn, um es mit Zbigniew, dem polnischen Handwerker zu sagen: "Eines mußte man London lassen: Es gab ziemlich viel davon" (S.541) - und zwar jede Menge pralles Leben, mit dem der Rezipient des Romans konfrontiert, durch das er mit allen Sinnen angeregt und mit Hilfe dessen er amüsiert wird. In diesem Sinne lege ich "Kapital" jedem ans Herz, der einen sowohl anspruchsvollen als auch unterhaltsamen Roman, der gut geschrieben und ebenso gut übersetzt ist, zu genießen vermag.
    5ratten

  • Inhalt

    Die Pepys Road ist eine Straße im Londoner Süden, deren Anwohner entweder schon seit Jahrzehnten hier leben oder Angehörige des gehobenen Mittelstandes sind, die sich in der aufstrebenden Gegend eines der Häuser finanziell leisten konnten. Außer ihnen kommen noch andere Menschen in die Straße: Hausangestellte, Handwerker oder Kunden eines kleinen Lebensmittelladens. So trifft sich täglich eine vielfältige Mischung von Menschen ganz unterschiedlichen Alters und verschiedener Nationen. Zunächst sieht es aus, als hätten die Bewohner der Pepys Road außer ihrem Wohnort nichts gemeinsam, aber mit der Zeit zeichnen sich Berührungspunkte zwischen einzelnen Personen ab, und davon abgesehen gibt es ein mysteriöses Problem, das alle betrifft.



    In der Pepys Road leben unterschiedliche Generationen, jeder in seinem eigenen Mikrokosmos, und vieles, was ein Leben von der Geburt bis zum Tod mit sich bringt, ist von Bedeutung. Mit persönlichen Entscheidungen, Erinnerungen oder Schmerzen muss jeder selbst fertig werden. Ereignisse, die für Außenstehende banal erscheinen, können für den Betroffenen einen wesentlichen Einschnitt darstellen, und einiges davon begegnet uns hier. John Lanchester hat es verstanden, all das so packend zu schildern, dass selbst Alltägliches spannend wird.


    Die Darsteller treten nicht gerade in kleiner Besetzung auf, bleiben aber überschaubar, da sich die Kapitel immer mit einer bestimmten Person oder zusammengehörenden Personengruppe beschäftigen, wobei man alle hinreichend kennen lernt. Es herrscht Abwechslung und bleibt durchgehend spannend, weil die vielfältigen Charaktere und ihre Lebensumstände von Anfang bis Ende eine kontinuierliche Entwicklung durchlaufen.


    John Lanchester nimmt sich Zeit für Menschen und Situationen und schildert oft auch kleinste Details. An manchen Stellen ist deshalb unter Umständen Geduld gefragt. Dennoch ist es spannend, in das Leben der Menschen einzutauchen. Wer von uns schaut nicht gerne mal beim Nachbarn über den Zaun? Je näher man die Bewohner der Pepys Road kennen lernt, desto mehr offenbart sich, dass nach außen hin oft nur eine schöne Fassade aufrechterhalten wird, hinter der sich kleine und große Tragödien abspielen, die, womit der Titel erklärt wird, in den meisten Fällen mit Geld zu tun haben. Jeder strebt danach, seine Ziele zu erreichen und seinen gesellschaftlichen Status wenigstens auf dem gleichen Niveau zu halten, und mancher nimmt dabei selbst personelle Schäden an anderer Stelle in Kauf. In einer Millionenstadt gibt es Bereiche, in denen man immer wieder denselben Leuten begegnet und zwangsläufig Beziehungen aufbaut, daher sind auch soziale Kompetenzen eine Art Kapital und von wesentlicher Bedeutung bei der Interaktion mit Freunden, Nachbarn und Kollegen. Familieninternes Krisenmanagement, Loyalität, Krankheit und Karriere spielen ebenfalls eine Rolle, es bleibt also keine Gelegenheit für Langeweile.


    Kapital ist eine gut konstruierte Studie quer durch verschiedene Gesellschaftsschichten, die zeigt, dass man in einer Großstadt zwar anonym leben kann, aber trotzdem Teil eines Gebildes ist, auf das von vielen Seiten Einfluss ausgeübt wird. Es gibt viel zu entdecken in dieser Straße und es ist fast unmöglich, Sympathien und Abneigungen für Einzelne zu unterbinden. Ein Buch, das Lust auf mehr von diesem Autor macht.


    5ratten