William Shakespeare - Der Kaufmann von Venedig/The Merchant of Venice

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  • Noch ein paar Gedanken zum 2. Akt. In der 8. Szene unterhalten sich Salarino und Solanio über Shylocks Reaktion auf das Durchbrennen seiner Tochter mit Lorenzo. Mrs. Dalloway hat das weiter oben schon angesprochen. Shylock ist ziemlich aufgebracht, aber am schlimmsten scheint für ihn der Verlust seiner Dukaten zu sein. Von elterlicher Trauer keine Spur, auch kein Hass, weil die Tochter sich ausgerechnet einen Christen ausgesucht hat. Langsam bekommt man eine Ahnung, dass Vater und Tochter sich das Leben nicht gerade leicht gemacht haben. Jessica hat genau gewusst, womit sie ihn am meisten treffen kann.


    Und dann dieses ominöse Kästchen. Welcher junge Mann lässt sich denn auf einen Handel ein, bei dem er im negativen Fall bereit ist, um keine Frau mehr anzuhalten? Ich kann mir nicht vorstellen, dass es dafür ein historisches Beispiel gibt. Es ist wohl nur ein Mittel, um das Stück für die Zuschauer spannender zu gestalten. Fast wie bei Wer wird Millionär: "Entscheiden Sie sich für A, B oder C. Sie können auf Null zurückfallen." :smile:



    Ich finde die Möglichkeit, dass Antonio in Bassanio verliebt war, ebenfalls sehr interessant und das würde in der Tat einiges erklären, aber ... es wird ja nicht offen ausgesprochen und man kann es sich eigentlich nicht aus dem Kontext ableiten.


    Unter der Prämisse, dass zumindest Antonio eine heimliche Liebe für Bassanio hegt, finde ich Salarinos Worte am Ende des II. Aktes, 8. Szene, eindeutig. Sie enden so: "Und hier, die Augen voller Tränen, wandt er (Antonio) sich abwärts, reichte seine Hand zurück, und, als ergriff ihn wunderbare Rührung, drückt' er Bassanios Hand; so schieden sie." Darauf erwidert Solanio: "Ich glaub, er liebt die Welt nur seinentwegen [...]"
    Ich leide mit ihm.


    Den III. Akt habe ich heute gelesen und einfach nur genossen, ohne große Gedanken. Nur Shylocks Empfindungen entwickeln sich auffallend negativ. Er schaukelt sich gerade so richtig hoch und wittert einen Triumph über Antonio.

  • IV. Akt.
    In der Gerichtsverhandlung kommt ein bisschen der Antisemitismus zum Vorschein. Mir kommt es jedenfalls vor, als hätte Shylock schon wegen seiner Religion von Anfang an keine guten Karten. Objektiv und neutral geht anders. Portias Auftritt hat die ehrenwerten Herren ziemlich alt aussehen lassen. Nachdem so lange hin und her diskutiert wurde, bringt sie mit ein Überlegung und wörtlicher Auslegung die Angelegenheit zu einem relativ schnellen Ende. Ich bin nur erstaunt, dass Shylock doch recht hart bestraft wird und sich auch schnell in sein Schicksal fügt. Wirklich gerecht war das nicht.


    Ich bin gespannt, ob die Beteiligten der Verhandlung noch erfahren, dass eine Frau in der Verkleidung steckte und wie sie darauf reagieren.

  • Ja, das Gericht war wirklich nicht gerecht. Zuletzt zieht man ein Gesetz aus der Schublade, wonach anscheinend ein Jude kein Christenblut vergießen darf. Man darf wohl davon ausgehen, dass es kein umgekehrt lautendes Gesetz gibt.

    Bücher sind Magie zum Mitnehmen.


  • Ja, das Gericht war wirklich nicht gerecht. Zuletzt zieht man ein Gesetz aus der Schublade, wonach anscheinend ein Jude kein Christenblut vergießen darf.


    Es gibt tatsächlich strenge Vorschriften für Juden, was den Umgang mit Blut anbelangt. Das gilt allerdings für Fleisch, das für den Verzehr gedacht ist. Ich habe keine Ahnung, was Shylock mit seinem Stück Antonio vorhatte.

  • Letztendlich hat Shylock in allem nur draufgelegt. Er wurde ja geradezu dafür bestraft, dass Antonio seine Schulden nicht bezahlen konnte. Mich hätte interessiert, wie das Urteil ausgefallen wäre, wäre die Geschichte genau anders herum gewesen. Ich denke, dass auch dann Shylock der Leidtragende gewesen wäre.


  • Mich hätte interessiert, wie das Urteil ausgefallen wäre, wäre die Geschichte genau anders herum gewesen. Ich denke, dass auch dann Shylock der Leidtragende gewesen wäre.


    Das glaube ich auch. Irgendwie hätten sie es so hingedreht, dass er leer ausgegangen wäre.



    Ich habe das Stück heute fertiggelesen.



    Da ging mir auch so. Mich verwundert es sowieso immer bei solchen Verkleidungsaktionen, dass Männer und Frauen sich nicht gegenseitig erkennen, trotz Verkleidung.


    Da kann ich euch zustimmen. Im wahren Leben wäre das sicher anders. Aber Shakespeare schrieb ja in erster Linie für die Bühne, da kommt so eine Verwandlung bestimmt gut an, besonders wenn das Publikum genau weiß, wer in der Verkleidung steckt.


    Dass es für Antonio gut ausgeht, war vorher schon klar, schließlich handelt es sich bei dem Stück um eine Komödie. Portias Eingreifen gefiel mir gut, weil es eine einfache, witzige und gleichzeitig plausible Erklärung gab, warum Shylock nicht zu seinem Recht kommen kann. Dass letztlich seine Schiffe doch noch auftauchen und Portia auf geheimnisvolle Weise darüber Bescheid wusste, war aber dann doch etwas zu viel des Guten.


    Insgesamt gefiel mir das Stück gut, mit kleinen Abstrichen für das plötzliche Ende. Höhepunkt war eindeutig der 3. Akt. Ihn sollte man Leuten als Lektüre vorschlagen, die mit Shakespeare nichts anfangen können. Von der Spannung her lässt er nichts zu wünschen übrig.


  • Dass letztlich seine Schiffe doch noch auftauchen und Portia auf geheimnisvolle Weise darüber Bescheid wusste, war aber dann doch etwas zu viel des Guten.


    Ja, allerdings, da wäre weniger mehr gewesen.


    Insgesamt gefiel mir das Stück gut, mit kleinen Abstrichen für das plötzliche Ende. Höhepunkt war eindeutig der 3. Akt. Ihn sollte man Leuten als Lektüre vorschlagen, die mit Shakespeare nichts anfangen können. Von der Spannung her lässt er nichts zu wünschen übrig.


    Würdest du sagen, dass das Stück eher untypisch ist für Shakespeare?

    Bücher sind Magie zum Mitnehmen.


  • Würdest du sagen, dass das Stück eher untypisch ist für Shakespeare?


    Nein, aus meiner Sicht nicht. Mrs. Dalloway kann da bestimmt genaueres dazu sagen. Der letzte Akt mag etwas kurz gewesen sein, dafür war der 3. mit der Gerichtsverhandlung schön ausführlich. Untypisch ist eher die die Geschichte mit dem Ring, den die Männer trotz ihres Schwures weitergegeben haben. Das kommt uns heutzutage vielleicht überflüssig vor, aber es mag für das damalige Publikum wichtig gewesen sein. Ich kann mich auf Anhieb an keine anderen Stücke erinnern, die ähnliche Episoden aufweisen, die entbehrlich wären.

  • So, endlich bin ich auch mal fertig. :breitgrins:


    Nein, aus meiner Sicht nicht. Mrs. Dalloway kann da bestimmt genaueres dazu sagen.


    Das Stück ist dahingehend ein wenig "anders", weil der eigentliche Höhepunkt einer Komödie - die Doppelhochzeit - hier schon in der Mitte stattfindet und ich mir gut vorstellen kann, dass das Publikum damals ein wenig verwirrt gewesen war. Das ist in etwa so als würde man eine typische Hollywoodromanze schauen und die Protagonisten kommen schon in der Mitte des Films zusammen. Konventionsbruch galore. Von der Thematik her finde ich das Stück aber gar nicht so ungewöhnlich.



    Und dann dieses ominöse Kästchen. Welcher junge Mann lässt sich denn auf einen Handel ein, bei dem er im negativen Fall bereit ist, um keine Frau mehr anzuhalten? Ich kann mir nicht vorstellen, dass es dafür ein historisches Beispiel gibt. Es ist wohl nur ein Mittel, um das Stück für die Zuschauer spannender zu gestalten. Fast wie bei Wer wird Millionär: "Entscheiden Sie sich für A, B oder C. Sie können auf Null zurückfallen." :smile:


    Ich glaube, die merkwürdige Belmontgeschichte dient Shakespeare in erster Linie als märchenhafter Kontrast zum realistischen Venedig. Im Prinzip ist alles an den Belmontszenen überzogen. Wenn man mal genau auf die Sprache achtet, kommen hier so viele blumige Metaphern und verweise auf irgendwelche Sagenhelden vor, dass Shakespeares Publikum diese Szenen mit großer Sicherheit eher als lächerlich empfunden hat. Das leicht durchschaubare Spiel mit den Kästchen, die überzogene Sprache, das plötzliche Happy End... Das einzige, was an den Belmontszenen für mich "realistisch" wirkt, ist tatsächlich, dass die Männer die Ringe weggeben. Bevor Portio und Nerissa heiraten leben sie in dieser weiblich konnotierten, utopischen Märchenwelt und nach der Heirat schleicht sich die Realität ein: Die zunächst schwülstig klingenden Schwüre werden gebrochen und Portia durchschaut sehr schnell, dass das ewige romantische Gelaber der Männer eben nur Konvention ist. Auch Jessica erkennt das. Da sülzt Lorenzo ihr ewig über die Wunder der Musik vor und ihr einziger Kommentar ist, dass sie Musik eigentlich gar nicht mag. Auch lernen die Männer hier nichts dazu: Man sollte doch meinen, dass Antonio aus diesem Handel mit Shylock etwas gelernt hätte, aber nein: Er verschwört sofort seine Seele... :rollen: Die Männer des Stücks (mit Ausnahme von Shylock) sind für mich einzig Witzfiguren und das macht für mich den Reiz des Stückes aus. Gerade die marginalisierten Personengruppen (der Jude und die Frauen) sind runde Charaktere, die wahre Emotionen zeigen und Intelligenz beweisen. Alle andern reden nur in schwülstiger, höchst ironischer Sprache und machen sich dadurch lächerlich.


    Interessant finde ich, dass Shylock im Laufe des Stückes ständig mit einem Hund verglichen wird. Ich frage mich gerade, ob damals ein Hund auch schon für Treue und Loyalität gestanden haben kann. Denn genau das ist ja nicht die Stärke der ganzen christlichen Männer im Stück.

    "This was another of our fears: that Life wouldn't turn out to be like Literature" (Julian Barnes - The Sense of an Ending)


  • Das Stück ist dahingehend ein wenig "anders", weil der eigentliche Höhepunkt einer Komödie - die Doppelhochzeit - hier schon in der Mitte stattfindet und ich mir gut vorstellen kann, dass das Publikum damals ein wenig verwirrt gewesen war. Das ist in etwa so als würde man eine typische Hollywoodromanze schauen und die Protagonisten kommen schon in der Mitte des Films zusammen.


    Für mich war das Stück mehr eine Mischung aus Komödie und Tragödie. Die Hochzeit ist Kennzeichen einer Komödie, aber die Gerichtsverhandlung hatte mehr etwas von einer Tragödie. Da ging es schließlich um Vermögen und Leben. Der letzte Akt machte den Eindruck von etwas eilig Hingeschludertem. Da war das Wesentliche schon gelaufen.



    Gerade die marginalisierten Personengruppen (der Jude und die Frauen) sind runde Charaktere, die wahre Emotionen zeigen und Intelligenz beweisen.


    Und vor allem Charakterstärke! Das gibt es öfter bei Shakespeare und es gefällt mir gut, dass vor allem Frauen den starken Part bilden, z. B. Emilia in Othello. Mit dieser Erkenntnis dürfte er fast so etwas wie ein Vorreiter sein. Man weiß ja um die untergeordnete Rolle der Frau. Shakespeare hat ihnen viele Freiheiten zugestanden.


  • Das gibt es öfter bei Shakespeare und es gefällt mir gut, dass vor allem Frauen den starken Part bilden, z. B. Emilia in Othello. Mit dieser Erkenntnis dürfte er fast so etwas wie ein Vorreiter sein. Man weiß ja um die untergeordnete Rolle der Frau. Shakespeare hat ihnen viele Freiheiten zugestanden.


    Wir sollten als nächstes Der Widerspenstigen Zähmung lesen. Danach denkst du vielleicht anders. :breitgrins: Sehr merkwürdiges Stück.

    "This was another of our fears: that Life wouldn't turn out to be like Literature" (Julian Barnes - The Sense of an Ending)

  • Ab Mitte April wäre mir recht. Vorher bin ich noch mit Proust beschäftigt, außerdem sind bis dahin noch Osterferien, da komme ich erfahrungsgemäß weniger zum Lesen.

  • Mitte April ginge bei mir auch. :winken:

    "This was another of our fears: that Life wouldn't turn out to be like Literature" (Julian Barnes - The Sense of an Ending)