Sechster Teil

Es gibt 8 Antworten in diesem Thema, welches 2.589 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Mrs Brandon.

  • Da ich am Freitag Nachmittag übers Wochenende wegfahre, versuche ich, "Anna Karenina" bis morgen Abend fertig zu bekommen.


    Hier meine Meinung zum sechsten Teil, in diesem Posting bis einschließlich Kapitel 5:


    Auch hier bemerkt man wieder die eingeschränkte Frauenrolle zu der Zeit: Liebe, Männer und Familie waren die „Hauptfragen im Leben einer Frau“.


    Dolly tut mir wieder leid, weil sie schon wieder von ihrem Mann aufs Land abgeschoben wird. Sie ist wirklich eine treue Seele, z.B. wie sie bedauernd an Anna denkt, und so einen Mann wie Fürst Stepan hat sie einfach nicht verdient. Bin schon gespannt, wie Dollys und Stepans Ehe am Ende des Buches aussehen wird.


    Wie sich Dollys und Kittys Mutter über Anna äußert, fand ich gemein, und dass verletzter Stolz da mitspielt, macht es auch nicht besser. (Ja, ich mag Anna.)


    Kichern musste ich über folgenden Satz: „[Sergej Iwanowitsch] ist liebenswürdig, einige [Frauen] gefallen ihm, aber man fühlt, daß sie einfach Menschen für ihn sind und nicht Frauen...“


    Natürlich weiß ich, wie Lewin diesen Satz meint, aber nur von den Worten her könnte man denken, dass Frauen für ihn keine Menschen sind. :zwinker:


    Beim Lesen über Kitty und Lewin muss ich oft schmunzeln, ihr Glück macht mir gute Laune.


    Sergej und Warenjka reden statt übers Heiraten über...Pilze! :gruebel: Ob das mit den beiden wohl noch etwas wird?

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  • Kapitel 6 bis einschließlich Kapitel 19:


    Die alte Fürstin leidet also am „Leeren-Nest-Syndrom“: wie bei Wronskijs Langeweile frage ich mich auch hier, warum sie sich nicht eine andere (geistige) Beschäftigung sucht. Allerdings macht das die damalige Frauenrolle wohl schwierig.


    Lewin ist am Ende des 6. Kapitels in ärgerlicher Stimmung: teils aus Eifersucht, teils aber auch wegen des Müßiggangs der anderen. Lewin denkt bei sich: „Die alle haben immer Feiertag, [...] aber für diese Arbeit hier ist kein Feiertag; sie kann nicht warten und ohne sie kann man nicht leben.“ Hier musste ich wieder an Wronskijs „Langeweile“ aus dem 5. Teil denken - immer mehr wird Lewin zu Wronskijs Gegenpart.


    Lewins übertriebene Eifersucht, dieses Sich-etwas-Zusammenreimen, das ist wieder so ein Charakterzug, den ich eher von Frauen kenne. Aber gerade diese seine „Schwäche“ macht mir Lewin sympathisch.


    Die Jagd selbst habe ich überblättert, sowas mag ich nicht lesen. Die Gespräche zwischendrin habe ich gelesen und fand sie sehr interessant und charakteristisch für die Personen:


    Hier nervten mich Lewins Zweifel überhaupt nicht („Kann man denn nur negativ gerecht sein?“), dafür fand ich Stepans Äußerungen schlimm: „Ein Mann muß unabhängig sein, er hat seine männlichen Interessen. Ein Mann muß männlich sein“. Wie Lewin musste ich nach dieser Äußerung sofort an die arme Dolly denken.


    Nach der Jagd:


    Kitty und Lewin haben sich versöhnt und danach schmeißt Lewin den Nebenbuhler einfach aus dem Haus - diese Szene fand ich herrlich; dass Wassenjka überzeugt wurde vom „Anblick dieser angespannten Arme und der Muskeln“ Lewins, ließ mich besonders schmunzeln.


    Dass Stepan Lewins Verhalten „lächerlich“ findet, hätte ich von ihm auch nicht anders erwartet.


    Dolly fährt Anna besuchen:


    Dollys Gedanken, die sie sich auf dieser Reise sowohl über ihre eigene Situation als auch über Anna macht, haben mich sehr berührt. Wieder bemerkt man, wie klar Dolly ihr Leben sieht: dass sie sich auf Stiwa nicht verlassen kann und ihre eigene „geistige Stumpfheit“, z.B..


    Nur ob sie Annas Beziehung mit Wronskij richtig einschätzt, da bin ich mir nicht so sicher: „Sie ist glücklich, macht einen andern Menschen glücklich“. Ob Anna und Wronskij jetzt wohl wirklich glücklich zusammen sind?


    Und falls nicht: was wäre dann die Alternative? Dolly ist in ihrer Ehe nicht glücklich, Anna nicht mit ihrer außerehelichen Liebe - wo ist dann der Ausweg für eine Frau?


    Zumindest Anna scheint (momentan) glücklich zu sein, ihre Schönheit steht in krassem Gegensatz zu Dollys „magerem, zerquälten Gesicht“. Aber ob es wohl stimmt, was sie über Wronskij sagt, dass er sich nicht mehr langweilt?


    Auch einige andere Fragen habe ich noch:


    Anna und Wronskij leben auf ihrem Gut in großem Luxus. Hat sich Wronskij wirklich zu einem fleißigen Mann gemausert oder ist das auch wieder alles auf Pump? (Annas Äußerung "Es ist notwendig, daß es bei uns lebhaft und lustig zugeht und daß Alexej sich nicht nach etwas Neuem sehnt" ließ bei mir die Alarmglocken schrillen...)


    Dolly und Anna wollten eigentlich ein ernstes Gespräch führen, Anna sagt aber öfters nur „davon sprechen wir später“. Ob es zu diesem Gespräch überhaupt noch kommt?


    „Der Besuch der Mutter im Kinderzimmer [war] ein ungewöhnliches Ereignis“ (gegen Ende des 19. Kapitels): hätte das Tolstoi auch so tadelnd geschrieben, ginge es um den Besuch des Vaters?


    Edit sagt: Jetzt hoffentlich ohne Schreibfehler. :rollen:

    Einmal editiert, zuletzt von Mrs Brandon ()

  • @Mrs. Brandon
    Eigentlich brauche ich deinen Ausführungen nichts mehr hinzuzufügen.
    Ich habe es genauso auch empfunden und gelesen.
    Ganz eigenartig fand ich auch, dass Wronskij plötzlich Geld zu haben scheint.
    Deutlich wird eben, dass die Rolle er Frau eine ganz miese ist.
    Ich möchte nicht in der Rolle dieser gelangweilten Menschen stecken. Wie hat so
    ein System nur funktionieren können?
    Wahrscheinlich auf dem Rücken der armen Leute.
    Näher betrachtet kritisiert Tolstoi die damalige - seine - Gesellschaft.

    🐌


  • Näher betrachtet kritisiert Tolstoi die damalige - seine - Gesellschaft.


    Da hast Du Recht.


    Aber gerade was die Frauenfrage betrifft, frage ich mich, wo Tolstoi privat stand: Wenn ich bei wikipedia lese, wie oft seine Frau schwanger war, weil Tolstoi Empfängnisverhütung ablehnte... :gruebel:

  • (Kapitel 20 bis zum Ende des sechsten Teils)



    Leider hat mein Schreibprogramm gerade meine langen Anmerkungen gefressen, deswegen hier nur die wichtigsten Stichpunkte:



    *Dolly und Anna:


    schade, dass die beiden sich mittlerweile so fremd sind.


    So ganz glaube ich es Dolly auch nicht, dass sie unbedingt wieder zu ihren „quälenden Muttersorgen“ will, weil sie sich bei Anna und Wronskij „unzufrieden und unbehaglich“ fühlt. Zuhause bei ihrem Mann und ihren Kindern ist sie doch auch nicht glücklich! Da fand ich ihre Gedanken auf der Reise viel ehrlicher und nachvollziehbarer.


    Und dass gerade Dolly so gegen Empfängnisverhütung ist, liegt wahrscheinlich daran, dass aus ihr in der Frage eigentlich Tolstoi selbst spricht...


    *Anna und Serjosha:


    Anna scheint ihren Sohn wirklich sehr zu vermissen; so sehr, dass sie seinetwegen die Scheidung von Karenin nicht vorantreiben will - aber wieso schreibt dann Tolstoi nicht öfter von ihren Gefühlen und stellt sie dadurch als eine Frau hin, die ihr Kind "mal einfach so" verlässt?


    *Anna und Wronskji:


    Wie schon vermutet, ist Anna wirklich nicht glücklich. Und Wronskji wird mir immer unsympathischer und mit seiner „männlichen Unabhängigkeit“ und dem dementsprechenden Verhalten Stepan immer ähnlicher. Einerseits mag er, dass Anna ihm „dient“, andererseits fühlt er sich in ihrem „Liebesnetz“ gefangen.
    Seine Liebesschwüre am Ende dieses Teils nehme ich ihm jedenfalls nicht ab. Und dass Anna aus Verzweiflung nun doch Schritte wegen der Scheidung unternimmt, spricht nicht gerade für kommendes Glück...


    *Lewin, Wronskij und die Wahlen:


    Die Szenen bei der Wahl fand ich herrlich entlarvend. Und dass Wronskij von der Wahl „tiefberührt“ war, Lewin jedoch das Ganze als Theater durchschaut hat...wieder ein Punkt, der gegen Wronskij spricht und für Lewin.



    Wobei ich mir mittlerweile schon die Frage stelle, was uns Tolstoi mit Annas auswegloser Lage (unglücklich mit Karenin, unglücklich mit Wronskij) eigentlich sagen will...

  • Ich bin irgendwo so Richtung Kapitel 8


    Die Fürstin geht mir auf den Geist. "Kitty tu dies nicht, Kitty tu das nicht" - meine Güte, sie ist schwanger und nicht krank! Klar wußte man damals einiges zur Schwangerschaft noch nicht (obwohl es heute immer noch genügend Frauen gibt, die tun, als seien sie schwer krank), aber mit ein bischen gesundem Menschenverstand muss man doch auch sehen, dass es sich die Bauersfrauen - um mal vor ihrer Nase zu bleiben - auch nicht leisten können, nur rumzusitzen. :rollen:


    Kitty und Ljewin sind echt süß miteinander. Das kann ich mir richtig bildlich vorstellen. Auch wenn Ljewins Eifersucht und das nicht drüber reden mal wieder typisch für ihn ist.



    Sie hat halt nur solange funktionieren können, wie keine Einigkeit bei den kleinen Leuten bestanden hat und kein neuer "Anführer" da war. In Russland haben sich auf Grund der Strukturen und sicher auch der Größe des Landes manche Dinge einfach ein wenig länger gehalten als in Mitteleuropa. Als Agrarstaat war die Entwicklung eben langsamer.
    Ich versuche mich die Ganze Zeit zu erinnern, was man uns in der Schule über Tolstoi beigebracht hat, aber ich weiß es einfach nicht mehr. Werd wohl doch alt :zwinker:


    Zitat von Mrs.Brandon


    Die Jagd selbst habe ich überblättert, sowas mag ich nicht lesen. Die Gespräche zwischendrin habe ich gelesen und fand sie sehr interessant und charakteristisch für die Personen:


    Hier nervten mich Lewins Zweifel überhaupt nicht („Kann man denn nur negativ gerecht sein?“), dafür fand ich Stepans Äußerungen schlimm: „Ein Mann muß unabhängig sein, er hat seine männlichen Interessen. Ein Mann muß männlich sein“. Wie Lewin musste ich nach dieser Äußerung sofort an die arme Dolly denken.


    Bei dem Satz von Stepan konnte ich auch nur mit den Augen rollen und dachte: "Was für ein Macho!"

    LG<br />Anne

  • Tolstoi, so weit ich mich erinnere, hat sich für die Aufhebung der Leibeigenschaft eingesetzt, hat, wie Ljewin, gemeinsam mit seinen
    Bauern gearbeitet.
    Ich denke, in Ljewin sehen wir eine Menge Tolstoi. Vielleicht nicht eins zu eins. Aber vielleicht so, wie er sich gerne gesehen hat.

    &#128012;

  • Teil 6 hab ich nun auch fertig.


    Ich habe den Eindruck, dass sich Anna und Wronskij etwas vormachen. Auch wenn sie sich lieben - das wird für mich nicht ganz klar, ob das wirklich so ist - scheinen sie sich doch eine eigene Welt aufzubauen. Vielleicht um die Ablehnung, die gerade Anna in der normalen Gesellschaft erfährt, zu überspielen. Aber ob das auf Dauer genug ist?
    Wronskij kann ja immernoch in ein normales Leben zurück, bei Anna wird das schwierig.
    Wo die zwei plötzlich das Geld her haben, habe ich mich auch gefragt. Nur Antwort habe ich keine gefunden.


    Dolly tut mir einfach nur leid. Sie ist dermaßen in ihrem Leben und ihrer Stellung gefangen, dass sie sich gar nicht befreien könnte, selbst, wenn sie es wollte. Ich denke, an der Stelle mit dem Gespräch über Verhütung kam ihre Erziehung so richtig zum Vorschein. Ihre Rolle wurde ihr so eingetrichtert, dass sie einfach nicht aus ihrer Haut kann.


    Insgesamt bin ich irgendwie unzufrieden mit dem Buch. Ich kann nicht genau festmachen, was mich stört, aber ich lese es nicht mit soviel Genuß wie zum Beispiel "Krieg und Frieden". Das ist ja nun auch nicht dünner oder mit weniger Personen befrachtet. Komisch, komisch....

    LG<br />Anne


  • Die Fürstin geht mir auf den Geist. "Kitty tu dies nicht, Kitty tu das nicht" - meine Güte, sie ist schwanger und nicht krank!


    Genau das musste ich auch denken, als ich vom Verhalten der alten Fürstin gelesen habe. :rollen: