Susan Abulhawa - Während die Welt schlief

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    Amals Leben beginnt in einem palästinensischen Flüchtlingslager und führt bis nach Amerika. Sie wächst auf mit Krieg und Verlusten, aber auch der engen Gemeinschaft Vertriebener. Denn als der Staat Israel ausgerufen wurde, wurden ihre Familie und alle Bewohner des Dorfes aus ihrem Zuhause vertrieben und mussten alles zurücklassen, was ihr Leben einst ausmachte. Vier Generationen lernt man in dieser Geschichte kennen, eine zerrissene Familie, voller Hoffnung auf Versöhnung.


    Die Autorin ist selbst das Kind einer palästinensischen Flüchtlingsfamilie, die als Teenager in die USA ging und nun dort lebt. Sie engagiert sich für Menschenrechte und besonders für die Lebensumstände palästinensischer Kinder in besetzten Gebieten.


    Erster Satz: Amal wollte dem Soldaten genauer in die Augen schauen, doch die Mündung der Schnellfeuerwaffe, die er gegen ihre Stirn presste, verhinderte das.



    Ich habe das Buch vor ein paar Tagen begonnen, bin jetzt auf Seite 80 und bisher sehr beeindruckt von dem Roman. Die Geschichte beginnt 1941. Man lernt auf ein paar Seiten die Großeltern und Eltern (noch als Kinder) kennen und bekommt einen kleinen Eindruck von deren Leben, das von der Olivenernte geprägt ist. Man erfährt, wie sich die Eltern Hasan und Dalia kennenlernten und heirateten, aber auch wie Hasan als Junge den Juden Ari kennenlernte und ein Freundschaft mit ihm begann. 30 Seiten weiter bricht dann 1948 das Unglück über die Familie herein, als sie mit Waffengewalt aus ihrem Haus und dem Dorf vertrieben werden und ihre Heimat verlassen müssen.


    Diese ersten Seiten, der erste Teil des Buches, die mit der Geburt Amals endeten, wirkten auf mich sehr intensiv. Dabei ist die Sprache eher sachlich beschreibend, zum Teil hatte ich am Anfang sogar manchmal das Gefühl, ein Sachbuch und keinen Roman zu lesen, wenn die Autorin die politischen Entwicklungen des Landes und die Reaktionen der Figuren beschrieb. Vieles wirkte etwas distanziert und oft fügte die Autorin kurze Ausblicke in die Zukunft dazwischen, die den beschreibenden, ja fast wie einen Vorspann erklärenden Anfang noch für mich verstärkte. Dann aber schob sie auch immer wieder fast poetische Sätze dazwischen und trotz oder gerade wegen dieses eher distanziert wirkenden Schreibstil wirkten dann die Vertreibungsszene und die Figuren und ihr Schicksal so intensiv auf mich, dass ich eine Kloß in den Magen bekam. Ich konnte den verzweifelten Schrei von Amals Mutter fast hören und das Schicksal des Großvaters ging mir sehr zu Herzen, mir kamen fast die Tränen über sein letzten Aufbäumen, das ihn fast glücklich machte und gleichzeitig so weh tat.


    Die Autorin beschreibt zwar bisher überwiegend das Schicksal der aus Palästina vertriebenen Familie, geht aber auch auf das jüdische Schicksal der Vertreiber ein und gibt einem einzelnen Leid auch ein Gesicht, was die schlimme Tat eines Soldaten

    nicht entschuldigt, aber den Schmerz dahinter auch zeigt. Inwieweit die Autorin weiter auf die andere Seite eingeht kann ich noch nicht sagen, aber da die Freundschaft von Amals Vater mit dem Juden Ari extra erzählt wurde, kommt von dieser Seite ja vielleicht auch noch mehr.


    Im zweiten Teil geht es nun mit Amal weiter. Mittlerweile ist das Jahr 1960, geboren wurde sie 1955. Interessanterweise wechselt nun der Stil zur Ich-Form. Amal erzählt also selbst weiter, nachdem die Autorin bis zu diesem Zeitpunkt in der dritten Form erzählt hat, was die vorherige für mich eher beschreibende Erzählweise noch mehr erklären könnte.


    Schön finde ich übrigens auch, wie die Atmosphäre durch eingeschobene arabische Worte und Sätze intensiviert wird. Da meist im nächsten Satz gleich übersetzt oder erklärt wird, was gesagt wurde, fällt es sehr leicht, diese Worte aufzunehmen. Im übrigen gibt es hinten auch ein Glossar, in dem viele Begriffe erklärt werden.


    So, und nun bin ich sehr auf Amals Leben gespannt...

  • Ich bin mittlerweile fast fertig mit dem Buch und tief erschüttert über das Leid, das die Familie bis nun ins Jahr 2001 ertragen musste. Amal erlebt als Kind Bombardierungen des Flüchtlingslagers und muss den Verlust von Menschen und Heimat ertragen. Oft hatte ich einen dicken Kloß im Hals, wenn ich ihren Schilderungen folgte. Doch gleichzeitig erlebt man auch immer wieder kleine Freuden, wie neue liebe Freundschaften in der Mädchenschule und man staunt manchmal, dass dort sogar Lachen und Schulstreiche die Zeit für Amal zu einer ihrer schönsten werden lassen.


    Später begleitet man Amal nach Amerika, wo sich für sie überdeutlich zeigt, wie fremd ihr das Land und die Menschen dort sind. Allein schon an der Art, Danke zu sagen, trennt sich die Mentalität, und ihr fehlen die lobpreisenden Sätze und Höflichkeiten. Auch wenn das Land für sie eine große Überlebenschance und viele Bildungsmöglichleiten bietet, so ist es doch traurig zu sehen, wie sehr Amal sich und ihre Wurzeln dort zu verlieren scheint. Man freut sich richtig mit ihr, wenn sie wieder zurück in die Heimat geht, auch wenn sich der Zustand dort nur verschlimmert.


    Doch auch jetzt gibt es immer wieder so wunderschöne und herzerwärmende Momente, die berühren und man kann sehr gut nachvollziehen, wenn Amals Schwägerin sagt, nur wer so viel Leid kennt und immer den schnellen Tod vor Augen hat, wie ihr Volk, kann auch richtig intensiv lieben und glücklich sein. Als Leser fragt man sich, genau wie Amal in ihrer Zeit in den USA, immer öfter, wie man aus manch kleinen Alltagsproblemen oft ein großes Problem machen kann.


    Das weitere Geschehen lässt mich schaudern und mich fragen, wie man dies alles aushalten kann. Und einerseits kann ich entsprechend Amals Entwicklung nachvollziehen, anderseits tut es mir sehr weh, sie zu beobachten, denn sie wiederholt, worunter sie als Kind selbst gelitten hat und ich könnte sie deswegen gleichzeitig in den Arm nehmen und doch auch kräftig schütteln,


    Noch ein paar Seiten habe ich vor mir und hoffe, dass Amal irgendeinen Frieden für sich findet.



    Was mir übrigens sehr gut gefällt, ist der immer wieder wechselnde Stil. Amal erzählt oft in der Ich-Form, aber zwischendrin wechselt die Perspektive immer mal wieder zur dritten Person und man erlebt sie und ihre Familie von außen. Ebenso kommt auch mal zwischendrin der Bruder in die Ich-Form. Diese Wechsel finde ich sehr interessant gemacht.

  • Der April ist noch nicht alt und doch breche ich bereits ein Buch ab. Nun ja, eigentlich habe ich es schon vor langer Zeit abgebrochen. Aber da es ein Geschenk war, habe ich es immer wieder versucht. Kein Buch hat je so viele Chancen bekommen wie "Während die Welt schlief" von Susan Abulhawa.


    Aber dies ist der Beweis dafür, dass es nicht funktioniert, einfach wahllos Lieblingsbücher zu verschenken. Meine Freundin liebt dieses Buch und hat mir stundenlang davon vorgeschwärmt. Deshalb überraschte es mich auch nicht, dass sie es mir zum Geburtstag geschenkt hat. Vor ein einhalb Jahren.


    Für mich jedoch ist das Buch nur eine Qual. Das liegt nicht am Inhalt, der eigentlich sehr interessant ist. Auch ich habe Interesse daran, was in der Welt so vor sich geht. Jedoch hapert es bei mir an der Umsetzung. Es ist kein leichtes Thema, aber aus jedem Satz in diesem Buch tropft das Drama. Wie bei einem Sandwich mit zu viel Sauce und schlussendlich ruiniert man sich nur die Hose und hat das ganze Zeugs im Gesicht.


    Natürlich ist die Beziehung zwischen Israel und Palästina dramatisch. Aber eben - das reicht. Man muss ja nicht noch eine Extraschicht draufklatschen. Für manche Leute mag das das Tüpfelchen auf dem i sein, ich jedoch kann damit so überhaupt gar nichts anfangen. Ich hatte schon noch ein paar Seiten genug von Sätzen wie "Das waren unsere letzten glücklichen Tage..." oder "Hätte ich das damals schon gewusst" uvm.


    Es reicht nicht, dass die Familie eine schwere Zeit durchmacht. Es wird natürlich alles noch schwerer gemacht, teilweise hatte ich das Gefühl, dass die Autorin meint, sie würde dem Leser nicht genug vorhalten, wie schlecht es den Leuten geht. Nein, es geht ihnen noch schlechter! Und jetzt tun Amal auch noch ihre Brüste weh. Ach herrje.


    Die Geschichte hätte definitiv Potential gehabt, hat es wohl auch, denn es gibt ja Leute, die das Buch mögen. Ich bin froh, dass ich es endlich über mich bringe, dieses Buch auf das Aussortiert-Regal zu stellen.


    Ich denke, ihr hier werdet klug genug sein, um nicht einfach so mit "Lieblingsbüchern" um euch zu werfen. Denn nur weil euch eine Geschichte gefällt, heisst das noch lange nicht, dass sie auch anderen gefallen wird. Auch nicht, wenn es sich dabei um die beste Freundin handelt.


    Mensch, jetzt fühle ich mich richtig befreit!

    //Grösser ist doof//

  • Susan Abulhawa, selber ein Kind palästinensischer Flüchtlinge, hat einen Familienroman über den Nah-Ost-Konflikt geschrieben. Ein Romanen aus palästinensischer Perspektive, ohne antisemitische Tiefschläge, im Gegenteil.
    Der Leser taucht ein in 60 Jahre Geschichte Palästinas und begleitet die Familie um das Mädchen Amal von 1941 bis 2002.

    Zitat

    "So entstand im Schatten des europäischen Nazismus und trotz der wachsenden Kluft zwischen Arabern und Juden in Palästina eine Freundschaft, die sich dank jugendlicher Unschuld, dank des Rückzugs in die Literatur und eines Desinteresses an Politik vertiefte."


    Die Geschichte beginnt leicht, spielerisch und orientalisch angehaucht um dann regelrecht ungemütlich zu werden. Das sorglose Leben wird plötzlich bestimmt von Vertreibung und Enteignung und der immerwährenden Hoffnung alles möge wieder gut werden.


    Die Autorin hat der Familie viele Schicksalsschläge zugetraut. Ob eine Familie in dieser Region tatsächlich so viel Elend erleidet vermag ich nicht zu beurteilen, soll aber in diesem Zusammenhang gar nicht zur Debatte stehen. Es scheint mir vielmehr ein Versuch verschiedene Konstellationen von Unglück eines Palästinensers zu beschreiben, bzw. in den Fokus zu rücken.

    Zitat

    "Aber das Herz muss trauern. Manchmal verwandelte sich der Schmerz in Freude. Und manchmal konnte man den Unterschied nicht erkennen. Für die Generationen, die in den Flüchtlingslagern geboren wurden, war die Sehnsucht nach dem Tod der einzige Ausweg aus dem Schmerz. Der Tod war das Leben, das Leben war der Tod. Als Amal jung war, wollte sie eine Märtyrerin werden."


    Zitat

    "Huda wollte für ihr Leben gerne am Strand sitzen. "Bloss sitzen," sagte sie, ..."weil ich doch nicht schwimmen kann." Diese Worte habe ich niemals vergessen. Die Bescheidenheit ihres größten Wunsches bringt mich noch heute zum Weinen."


    Es geht aber nicht nur um äußeres Unglück, hervorgebracht durch die israelische Siedlungspolitik und das Verhalten des Westens, es geht ebenso um das kleine, das familiäre Unglück.
    Dalia, die Mutter Amals, kann ihrer Tochter ihre Liebe nicht zeigen. Zu groß ist ihr eigenes Trauma, zu groß ihre eigenen Verluste. Ihr jüngster Sohn kommt ihr bei der Vertreibung aus ihrem Dorf abhanden. Wie der Leser später erfährt, wächst er als Sohn in einer israelischen Familie auf. Ein Palästinenser, aufgewachsen als israelischer Jude. Geschickt stellt Susan Abulhawa in dieser Sequenz die ewige Frage "was wäre wenn".

    Zitat

    "Wir alle werden mit den größten Schätzen geboren, die wir im Leben haben können. Einer dieser Schätze ist dein Verstand, ein anderer dein Herz."


    Ein Buch welches einen anderen Blick auf den immer noch aktuellen Konflikt im Nahen Osten wirft und die Rollen von Tätern und Opfern gehörig durcheinander wirbelt. Nicht unbedingt eine Wohlfühllektüre, aber meines Erachtens sehr lesenswert.


    5ratten

  • Susan Abulhawa - Während die Welt schlief


    Dieses Buch, das ja gerade leider wieder aktuell geworden ist, lag jahrelang bei mir, bis ich mich aufgerafft habe, es zu lesen. Das Thema, der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern, ließ eben schon vermuten, dass es hoch emotional sein wird - und ich bin da beim Lesen von Romanen eben zuweilen ein echter Feigling.


    Auf den Inhalt sind meine Vorschreiberinnen ja schon ausreichend eingegangen - interessant finde ich deren unterschiedliche Aufnahme des Textes: Während die eine schreibt, dass Vieles sehr distanziert dargestellt sei, nimmt die andere eine gute Menge Pathos wahr. Beides Wege / (verschiedene) Sichtweisen, um mit den eigenen aufkommenden Emotionen beim Lesen des Textes umzugehen?? Papyrus stellt die Frage, ob diese Ballung von Schicksalsschlägen in einer einzigen Familie tatsächlich vorkommt oder typisch ist.

    Das Geschehen ist tatsächlich kaum aushaltbar, wenn man es denn nahe an sich herankommen lässt - sicherlich hat die Autorin hier Erlebnisse verschiedener Personen zusammengebracht, was aber für eine "konzentriertere" Darstellung mMn legitim ist.

    Sichtweise ist naturgemäß die palästinensische - wobei gegen die andere Seite tatsächlich erstaunlich wenig polemisiert wird. Ohne anderen Hintergrund als den meiner eigenen Leseerfahrungen würde ich behaupten, dass romanhafte Darstellungen israelischer Schriftsteller ungleich häufiger sind als die palästinensischer, sodass hier ein gewisser nötiger Ausgleich stattfindet. Die Geschichte der Veröffentlichung des Textes war, wie im Nachwort erwähnt, auch durchaus keine direkte.

    Ich bin froh, das Buch endlich gelesen zu haben - Lesen ist halt nicht immer nur "Spaß" und gerade der Sachverhalt, dass die Welt eben nicht schwarzweiß ist und nicht jeder Konflikt elegant lösbar ist, sondern oft sogar eine Zuspitzung stattfindet, kommt für mich sehr gut heraus.