6 - Die Flüchtige

Es gibt 32 Antworten in diesem Thema, welches 7.045 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Doris.

  • Am 3. Oktober geht es hier weiter mit dem 6. Band:


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    Leider lesen wir nur noch zu zweit. Da diskutiert es sich nicht so gut, daher dürfen gerne alle hier mitschreiben und natürlich -lesen, die Lust dazu verspüren.


    Liebe Grüße
    Doris

  • Hallo Doris :winken:,


    Sorry dass ich mich jetzt erst melde, aber obwohl ich Urlaub habe und gestern der Feiertag war, bin ich zu nichts gekommen - lesetechnisch gesehen :rollen:.
    Ab Morgen bin ich aber mit dabei :smile:

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  • Hallo knödelchen,


    macht nichts. Mir gefällt es, Proust wieder zu lesen, daher bin ich schon irgendwo knapp vor Seite 70. Allerdings wird bei mir am Wochenende wenig Ruhe sein, da wirst du dann schon aufholen.


    Dieser sechste Band schließt wieder nahtlos an den Vorgänger an. Françoise hat - mit Genugtuung, möchte ich meinen - Marcel informiert, dass Albertine die Wohnung mitsamt ihren Koffern verlassen hat.


    Er befindet sich jetzt in einem Wechselbad der Gefühle. Einerseits ist er froh, dass sie weg ist, andererseits macht er gerade das durch, was die meisten fühlen, wenn sie verlassen werden. Man ist irgendwie der Unterlegene. Es ist immer einfacher zu gehen, als gegangen zu werden. Er möchte sie zurückhaben und versucht, dies auf Umwegen zu realisieren, z. B. indem er ihr einen Brief schreibt, in der er erklärt, dass es für beide besser ist, wenn sie getrennte Wege gehen. Eigentlich hofft er, in Albertine damit das Gegenteil zu bewirken. Außerdem beauftragt er seinen Freund Saint-Loup auszuspionieren, wie sich Albertine verhält. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass Proust in seinen Briefen Passagen aus Briefen verwendet, die er tatsächlich selbst einmal geschrieben hat. Ich denke, die Gefühle des Marcel aus der "Recherche" sind 1:1 von Proust übernommen.

  • So, ich bin nun gestern bis Seite 40 gekommen.


    Marcel scheint durch Albertines Weggang doch sehr aus der Fassung gebracht zu sein. Auch wenn er von ihr doch schon genervt war und wegen ihr auf Venedig und andere Frauen verzichten musste, wünscht er sich nun doch sehnlichst, sie möge bis zum Abend wieder zu ihm zurückkommen. Und an einer Stelle gibt er sogar zu, bisher immer nur so getan zu haben, als liebste er Albertine nicht. ("Um die Mittel zur Herbeiführung dieser Rückkehr wirksam zu machen, war ich noch einmal ... so zu tun verdammt, als liebte ich sie nicht ...; ich war dazu verdammt, sie auch fortan zu belügen")


    Etwas befremdlich fand ich die Szene mit dem kleinen Mädchen, auch wenn er es "nur" zu sich holt, um es auf seinem Schoß sitzen zu lassen. Noch schlimmer war allerdings die Reaktion des Polizisten, der ihm den Ratschlag gibt, die Mädchen beim nächsten Mal nicht offen von der Straße mitzunehmen :sauer:


    Auch seine Idee, Albertines Tante zu bestechen damit diese Albertine zur Rückkehr überredet, stößt mir unangenehm auf. Könnte er den je glücklich sein mit einer Frau, die er zur Heirat mehr oder weniger gezwungen hat? Mit einer Frau, die er im Endeffekt gekauft hat? Mich wundert auch, dass Saint-Loup bei diesem Bestechungsversuch mitspielt. Anscheinend dachten die jungen reichen Herren dieser Zeit, mit ihrem Geld können sie alles kaufen. Sehr traurig, denn gegenseitige Liebe gibt es bei Proust anscheinend einfach nicht...


    Gut gefallen hat mit die Szene, in der Marcel Saint-Loup Albertines Bild zeigt und dieser fast entsetzt reagiert, weil für ihn das Mädchen auf dem Foto unscheinbar und nichtssagend ist. Genauso erging es Marcel ja mit Rahel, die für Saint-Loup sein Ein und Alles war. Es ist ja tatsächlich so, dass jeder Mensch an anderen Menschen (und auch Dingen) hängt, die für andere wiederum gar nichts bedeuten.



    Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass Proust in seinen Briefen Passagen aus Briefen verwendet, die er tatsächlich selbst einmal geschrieben hat. Ich denke, die Gefühle des Marcel aus der "Recherche" sind 1:1 von Proust übernommen.


    Ich glaube ich bin noch nicht soweit gekommen (bisher kann nur der Brief von Albertine vor, oder ist der auch aus Proust "echtem" Leben?), aber das ist natürlich sehr interessant. Das zeigt wieder, dass Proust kein sehr glücklicher Mensch gewesen sein kann und sicher viele Enttäuschungen erlebt hat, die er in seinem Werk verarbeitet.


    Ich freue mich schon aufs Weiterlesen und wünsche dir einen schönen Sonntag (mit vielleicht doch ein bisschen Ruhe zum Lesen :smile:)!

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  • Marcel scheint durch Albertines Weggang doch sehr aus der Fassung gebracht zu sein.


    Das zieht sich auch noch geraume Zeit so hin. Eigentlich ist er bemitleidenswert, aber es kommt doch deutlich zum Ausdruck, dass er mehr darunter leidet, dass sie die Beziehung beendet hat und nicht er. Der Verlust an sich kommt da erst an zweiter Stelle.



    Etwas befremdlich fand ich die Szene mit dem kleinen Mädchen, auch wenn er es "nur" zu sich holt, um es auf seinem Schoß sitzen zu lassen. Noch schlimmer war allerdings die Reaktion des Polizisten, der ihm den Ratschlag gibt, die Mädchen beim nächsten Mal nicht offen von der Straße mitzunehmen :sauer:


    Ich muss gestehen: Ich bin gar nicht auf die Idee gekommen, dass er dabei unzüchtige Absichten haben könnte. Allerdings konnte ich das Alter des Mädchens nicht einordnen, das hätte mir sicher auf die Sprünge geholfen. Erst das kurze Nachspiel der Episode brachte mich dann auch auf den gedanklich richtigen Weg. Seither überlege ich, ob es dazu eine tatsächliche Begebenheit in Prousts Leben gab. Spontan konnte ich mich an nichts erinnern, aber ich bin auch kein Proust-Experte.



    Ich glaube ich bin noch nicht soweit gekommen (bisher kann nur der Brief von Albertine vor, oder ist der auch aus Proust "echtem" Leben?), aber das ist natürlich sehr interessant.


    Natürlich finde ich den bewussten Brief gerade nicht, aber in den Anmerkungen steht auch nichts darüber, dass er ihr den Wortlaut aus echter Post untergeschoben hat. Später kommen aber noch Briefe, deren Inhalt auszugsweise aus wirklichen Briefen von Proust oder Agostinelli stammt.
    Ich weiß gar nicht mehr, welche Ausgabe du liest, knödelchen. Gibt es darin Anmerkungen?



    Auch seine Idee, Albertines Tante zu bestechen damit diese Albertine zur Rückkehr überredet, stößt mir unangenehm auf. Könnte er den je glücklich sein mit einer Frau, die er zur Heirat mehr oder weniger gezwungen hat? Mit einer Frau, die er im Endeffekt gekauft hat?


    Und vor allem eine Frau mit Neigungen, die er nicht kontrollieren kann. Er ist so vernagelt von dem Gedanken die Niederlage des Verlassenwerdens, dass er unbewusst alles in Kauf nimmt, um ihre Entscheidung wieder rückgängig zu machen. Seine Zweifel würden ihn nie verlassen, das wäre ein ewiges Grübeln.



    Wir hatten heute einen ruhigen Tag Zuhause, an dem ich tatsächlich Zeit für Proust fand. Gerade vorhin habe ich aber bemerkt, dass ich außer einem heute angefangenen Zweitbuch ab morgen noch eine weitere Leserunde laufen habe. Dann werde ich hier wohl täglich etwas weniger lesen können als bisher. Aber wir müssen uns ja nicht beeilen. Ich sollte meinen Kalender öfter konsultieren, wenn ich die Termine schon eintrage :rollen:.

  • Ähm, ich bin von Albertines Tod so früh in diesem Band schon irgendwie überrollt :traurig:.
    Mir war sie nicht übermäßig sympathisch, ich habe immer an ihrer Liebe zu Marcel gezweifelt und vermutet, dass sie (ähnlich wie Odette) nur auf eine reiche Heirat aus war. Aber dieses profane Telegramm mit der Schreckensnachricht, gefolgt von dem Briefen, in denen Albertine darum bittet, doch wieder zu Marcel zurückkommen zu können - das hat mich doch berührt, auch wenn klar ist, dass die beiden nie miteinander hätten glücklich werden können.
    Marcel schwankt zwischen Trauer und Eifersucht, zwischen schönen Erinnerungen und Misstrauen. Er ist sich bewusst, dass das Vergessen wie schon bei Gilberte irgendwann den Schmerz lindern wird, er fürchtet aber auch das Vergessen weil er damit Albertine ganz verlieren würde. Ich frage mich, wie er mit diesem Schicksalsschlag umgehen wird, so labil und sensibel wie er ist.


    Saint-Loup zeigt in diesem Band ein ganz anderes Gesicht. Schon dass er Marcels Idee, Albertine zurückzukaufen, unterstützt, war mir ja suspekt, aber die Szene in der er Tipps gibt wie man einen ungeliebten Diener loswerden kann... :rollen:



    Ich weiß gar nicht mehr, welche Ausgabe du liest, knödelchen. Gibt es darin Anmerkungen?


    Ich lese eine 10bändige Suhrkamp-Ausgabe von 1988. Anmerkungen gibt es leider nicht.



    Aber wir müssen uns ja nicht beeilen.


    Das sehe ich genauso :smile:

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  • Ähm, ich bin von Albertines Tod so früh in diesem Band schon irgendwie überrollt :traurig:.
    Mir war sie nicht übermäßig sympathisch, ich habe immer an ihrer Liebe zu Marcel gezweifelt und vermutet, dass sie (ähnlich wie Odette) nur auf eine reiche Heirat aus war.


    Mit Albertines Tod ging es mir genauso. Aus unerklärlichen Gründen ging ich davon aus, dass sie erst am Ende dieses sechsten Bandes stirbt. Aber mittlerweile ist mir das Licht aufgegangen, dass der Titel gerade mit dem Tod erst richtig passt, denn auf diese Weise ist sie vor dem Leben mit Marcel geflüchtet. Eine gute Partie zu machen war für viele Frauen erstrebenswert. Der Entschluss zu heiraten bedeutet in Albertines Fall auch, dass sie ihre lesbischen Neigungen nicht ausleben kann. Wobei das damals auch nicht so ohne weiteres ging, zumindest nicht in der biederen Provinz, in der die beiden leben. Ich glaube schon, dass sie Marcel auf ihre Weise geliebt hat. Sie musste eben auch sehen, wo sie bleibt. Ihr Leben war schon so nicht einfach mit ihrer Veranlagung.


    Dagegen ist Marcel gar nicht so aufrichtig gewesen, wie ich später zwischen den Zeilen herauslese. Zum einen jammert er anfangs vor allem deshalb so, weil er der Verlassene ist und nicht umgekehrt. Dann kristallisiert sich heraus, dass genauso gut Madame Stermaria das Ziel seiner Verliebtheit hätte werden können. Ich hatte zwar den Eindruck, dass es Zeiten gab, in denen er Albertine aufrichtig geliebt hat, aber meist fand er es doch schön, dass sie da war, weil er dann nicht alleine ist. Es wurde ja früher öfter erwähnt, dass er es anheimelnd fand, wenn er bei der abendlichen Heimkehr das Licht in Albertines Zimmer sah. So hätte er aber bestimmt auch empfunden, wenn eine andere Frau in dort auf ihn gewartet hätte.



    Marcel schwankt zwischen Trauer und Eifersucht, zwischen schönen Erinnerungen und Misstrauen. Er ist sich bewusst, dass das Vergessen wie schon bei Gilberte irgendwann den Schmerz lindern wird, er fürchtet aber auch das Vergessen weil er damit Albertine ganz verlieren würde. Ich frage mich, wie er mit diesem Schicksalsschlag umgehen wird, so labil und sensibel wie er ist.


    Er wird schon damit fertig werden, so macht es zumindest auf mich den Eindruck. Ich muss gestehen: Im Moment sehe ich ihn sehr kritisch. Er hat sein Spielzeug verloren. Wenn die Trauer der ersten Tage vorbei ist, wird er wie Phoenix wieder auferstehen und sein nächstes Objekt finden.



    Saint-Loup zeigt in diesem Band ein ganz anderes Gesicht. Schon dass er Marcels Idee, Albertine zurückzukaufen, unterstützt, war mir ja suspekt, aber die Szene in der er Tipps gibt wie man einen ungeliebten Diener loswerden kann... :rollen:


    Männer :rollen:. Was seine Hilfe bezüglich Albertine anbelangt, will er wahrscheinlich einfach nur einen Freundschaftsdienst leisten. Es zeigt aber, wie er Albertine einschätzt.



    Stutzig machte mich Marcels Gedanke auf Seite 129, er habe seine Großmutter "ermordet". Wie kommt er auf diesen Gedanken?

  • Stutzig machte mich Marcels Gedanke auf Seite 129, er habe seine Großmutter "ermordet". Wie kommt er auf diesen Gedanken?


    Nur aus dem Gedächtnis: Hatte sie nicht einen Herzanfall auf einer öffentlichen Toilette, wobei Marcel unaufmerksam war und sich seitdem schuldig fühlt?


    Steht in den Anmerkungen nichts dazu?


    Gruß, Thomas

  • Nein, im Kommentar steht nichts zu dieser Bemerkung. Die Stelle, die ich meine, lautet


    Zitat

    "Und es kam mir so vor, als hätte ich durch meine ausschließlich egoistische Zärtlichkeit Albertines Tod herbeigeführt, wie ich meine Großmutter ermordet hatte."


    Ich kann mich nur noch schwach an die Einzelheiten um den Tod der Großmutter erinnern, aber in Verbindung gebracht mit dem, was du schreibst, klingt es nachvollziehbar, dass er sich schuldig fühlt. Als "Mord" würde ich es nicht bezeichnen.


  • Stutzig machte mich Marcels Gedanke auf Seite 129, er habe seine Großmutter "ermordet". Wie kommt er auf diesen Gedanken?



    Nur aus dem Gedächtnis: Hatte sie nicht einen Herzanfall auf einer öffentlichen Toilette, wobei Marcel unaufmerksam war und sich seitdem schuldig fühlt?


    Ich glaube auch mich erinnern zu können dass Marcels Großmutter im Park auf der Toilette einen leichten Schlaganfall oder so etwas in der Richtung hatte. Außerdem machte er doch kurz vor ihrem Tod eine gemeine Bemerkung (über ihren Hut?), die er bitterlich bereut hat. Vielleicht sieht er also seine Schuld tatsächlich darin, unaufmerksam und nicht feinfühlig genug gewesen zu sein? Und bildet sich ein, seine Großmutter hätte länger leben können, wenn er auf die ersten Anzeichen ihrer Krankheit besser eingegangen wäre?


    Im Moment hänge ich etwas in Marcels Trauerverarbeitung fest und kann mich nicht entscheiden, ob er mich nun nervt oder doch auch ein bisschen leid tut :rollen:.
    Die Stelle, an der er zu dem Schluss kommt, dass er sich in jede andere Frau, die in versetzt oder zurückgewiesen hätte, genauso gut hätte verlieben können, ist mir auch aufgefallen. Es kann schon sein dass ein bisschen Zurückhaltung oder eifersüchtig machen der Liebe auf die Sprünge helfen kann, aber bei Marcel bzw. Proust scheint die Liebe auf nichts anderem zu basieren. Eine normale Beziehung mit gegenseitiger, annähernd gleichwertiger Liebe scheint hier einfach nicht möglich zu sein.
    Ob Marcel nun Albertine geliebt hat oder nicht, darüber scheint er sich selbst nicht sicher zu sein. Es kann sogar sein, dass er sie nur deswegen jetzt lieb, weil sie gestorben ist ("Denn sehr oft ist, damit wir entdecken dass wir verliebt sind, vielleicht sogar, damit wir es tatsächlich werden, erst einmal notwendig, dass der Tag der Trennung erscheint").


    Die einzige Tätigkeit, zu der Marcel sich aufraffen kann, ist die Nachforschung, ob Albertine nun Verhältnisse zu Frauen hatte oder nicht. Aimés Briefe scheinen dies nun endgültig zu bestätigen. Marcel will sich diese unnötigen Wunden zufügen, damit er das gesamte Leid erlebt, es für ihn etwas Gewohntes wird und er es dann - zusammen mit Albertine - vergessen kann. Seine Eifersucht reicht noch weit über Albertines Tod hinaus und nimmt - in meinen Augen - schon fast groteske Züge an, z.B wenn Marcel behauptet, er hätte Albertine gewähren lassen, wenn sie nur ehrlich gewesen wäre. Das glaube ich im Leben nicht...


    Die lesbischen Szenen sind in den Briefen, vor allem in dem zweiten Brief, in der es um die Wäscherin geht, sehr genau beschrieben für die die Zeit, in der der Roman entstand. Oder war Homosexualität tatsächlich so üblich und verbreitet? Heutzutage würde das natürlich niemanden mehr vom Hocker reißen, aber hier hätte ich so eine Schilderung nicht erwartet.


    Ich hoffe ehrlich gesagt, dass Marcel sich aus seinen Erinnerungen herausreißen kann und auch mal wieder etwas passiert.

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  • Ich glaube auch mich erinnern zu können dass Marcels Großmutter im Park auf der Toilette einen leichten Schlaganfall oder so etwas in der Richtung hatte. Außerdem machte er doch kurz vor ihrem Tod eine gemeine Bemerkung (über ihren Hut?), die er bitterlich bereut hat. Vielleicht sieht er also seine Schuld tatsächlich darin, unaufmerksam und nicht feinfühlig genug gewesen zu sein? Und bildet sich ein, seine Großmutter hätte länger leben können, wenn er auf die ersten Anzeichen ihrer Krankheit besser eingegangen wäre?


    Als der Verlust noch frisch war, hat er vielleicht so empfunden. Inzwischen sieht das anders aus. Er erwähnt ja des öfteren, dass ihn seine Großmutter quasi nicht mehr interessiert, aber gerade weil er es immer wieder einmal anspricht, glaube ich, dass schon noch ein bisschen mehr dahinter steckt als Gleichgültigkeit, wenn auch nicht so viel wie unmittelbar nach dem Tod.



    Die einzige Tätigkeit, zu der Marcel sich aufraffen kann, ist die Nachforschung, ob Albertine nun Verhältnisse zu Frauen hatte oder nicht. Aimés Briefe scheinen dies nun endgültig zu bestätigen. Marcel will sich diese unnötigen Wunden zufügen, damit er das gesamte Leid erlebt, es für ihn etwas Gewohntes wird und er es dann - zusammen mit Albertine - vergessen kann. Seine Eifersucht reicht noch weit über Albertines Tod hinaus und nimmt - in meinen Augen - schon fast groteske Züge an, z.B wenn Marcel behauptet, er hätte Albertine gewähren lassen, wenn sie nur ehrlich gewesen wäre. Das glaube ich im Leben nicht...


    Es wäre auch spannend zu wissen, wie er reagiert hätte, wenn Albertine sich mit Männern abgegeben hätte anstatt mit Frauen. Ich glaube nicht, dass er Frauen als ernsthafte Rivalen betrachtet, sonst hätte er schon viel früher etwas dagegen unternommen. Schließlich war ihm bekannt, dass Albertine andere Mädchen nicht nur zum Spazierengehen getroffen hat. Aber: Er verurteilt sie wegen ihrer Affären, wenigstens am Anfang, während er selbst tut, was ihm gefällt (z. B. sich mit käuflichen Dorfmädchen einlassen).



    Die lesbischen Szenen sind in den Briefen, vor allem in dem zweiten Brief, in der es um die Wäscherin geht, sehr genau beschrieben für die die Zeit, in der der Roman entstand. Oder war Homosexualität tatsächlich so üblich und verbreitet?


    Verbreitet war es damals bestimmt auch schon, nur wurde es nicht in der Öffentlichkeit ausgelebt. Proust weiß ja aus eigener Erfahrung, wovon er schreibt.



    Ich hoffe ehrlich gesagt, dass Marcel sich aus seinen Erinnerungen herausreißen kann und auch mal wieder etwas passiert.


    Es ist zwar arm an Handlung, aber so unspannend finde ich es im Moment gar nicht. Was für eine Analyse einer Beziehung! Dieses Hin und Her der Gefühle und Entschuldigungen oder Erklärungen suchen hat auch seinen Reiz. Er setzt sich so intensiv mit den neuen Erkenntnissen auseinander, die Aimé ihm zuträgt, dass er richtiggehend Visionen von Gesprächen mit Albertine hat. Vielleicht auch zum Selbstschutz findet er Entschuldigungen für sie, da sie nichts für ihre Neigungen kann. Somit ist bei ihr keine Schuld im eigentlichen Sinn zu sehen. Er verzeiht ihr, denn mit dieser Schlussfolgerung kann er leben. Das zu lesen, finde ich schon spannend.

  • Langsam wird es für mich auch etwas beschwerlich. Vielleicht liegt es aber auch an meiner Tagesform, dass ich die letzten Seiten nur schwer in meinen Kopf reinkriege. Derzeit bin ich auf Seite 215.


    Bei dem ständigen Wechsel der Gefühle kommt es mir momentan so vor, als würde Marcel Albertine richtiggehend glorifizieren. Er bringt Verständnis auf und klagt nicht wieder an. Seine Träumereien von ihr führt er auch fort. Er ist ausschließlich damit beschäftigt, die Beziehung aufzuarbeiten. Ich sehe ihn vor mir, wie er sich einschließt in seiner Traumwelt, so wie Proust in seinem Zimmer von der Welt abgeschottet schrieb.

  • Den für mich etwas zähen, ganz nach innen auf das Erinnern gerichteten Teil dieses Bandes habe ich nun hinter mich gebracht.
    Marcel beginnt sich wieder für die Außenwelt zu interessieren, am Anfang zwar noch im Bezug auf Albertine wenn er sich Mädchen auf sein Zimmer oder ins Stundenhotel holt (die Szene mit den zwei Mädchen, denen er anscheinend beim Sex zusieht fand ich wieder etwas krass und auch gewagt für Proust Zeiten, oder habe ich hier zu viel hineininterpretiert?), die ihr gleichen, später aber auch wieder ohne dass er immerzu an Albertine denken muss; das Vergessen setzt langsam ein.


    Die erste Begegnung mit Gilberte ist ja schon eher peinlich, nur wegen einem Namen, den er mal bei Saint-Loup im Zusammenhang mit einer etwas anrüchigen Geschichte gehört hat, interessiert ihn eine junge Frau, die ihm auf der Straße einen Blick zuwirft und er ist enttäuscht, als sie sich als seine alte Liebe Gilberte entpuppt. Marcel scheint es selten um die Frau selbst zu gehen, sondern um das Bild, das er sich von ihr gemacht hat. Immer wieder taucht z.B. auch die Jungfer der Baronin von Putbus in seinen Gedanken auf, die er noch nie gesehen hat, die er aber alleine deshalb kennenlernen will, weil sie wohl leicht zu haben ist. Ob sie schön, hässlich, dumm oder klug ist, scheint dabei keine Rolle zu spielen...


    Gilberte scheint sich auf jeden Fall so sehr verändert zu haben, dass er sie nicht mehr wiedererkennt (sie wird als blond beschrieben, war sie als Kind nicht rothaarig?). Nach Swanns Tod hat Odette ihren Liebhaber Foucheville geheiratet und so sind Mutter und Tochter nun in der höheren Gesellschaft zu finden.


    Das Diner bei den Guermantes hat mir insgesamt wieder Spaß gemacht zu lesen. Wieder geht es um den schönen Schein, der mit allen Mitteln gewahrt werden muss. Ein bisschen traurig fand ich, dass Gilberte ihren Vater so verleugnet, anscheinend rechtfertigt die angebliche Zugehörigkeit zu Menschen wie Madame de Guermantes alles, auch wenn ich mir sicher bin, dass sie Gilberte genauso schnell wieder fallen lassen wird, wenn sich de Umstände wieder ändern.

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  • Tolle Leserunde. Ich lese das hier gerne.


    Gruss Thomas


  • Tolle Leserunde. Ich lese das hier gerne.


    Das freut uns natürlich :smile:! (Ich denke ich kann für Doris mitsprechen, mehr sind wir ja nicht mehr :rollen:)
    Für Kommentare und Denkanstöße sind wir immer dankbar!

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  • Das freut uns natürlich :smile:! (Ich denke ich kann für Doris mitsprechen, mehr sind wir ja nicht mehr :rollen:)


    Du kannst für mich mitsprechen :smile:. Ich freue mich, wenn es dir gefällt, Thomas.



    knödelchen, deinen Beitrag von oben kann ich so unterschreiben, zumindest bis zu dem Diner bei den Guermantes. So weit bin ich noch nicht.


    Marcel macht verschiedene Trauerphasen durch und gewöhnt sich langsam an den Gedanken an ein Leben ohne Albertine. Er ist voller Liebe und sucht jemanden, dem er sie schenken kann. Anfangs sieht er noch Albertine in anderen Frauen, aber ich denke auch, dass sie vielleicht sie nur das Sinnbild der Liebe war, nach dem er strebt. Ist es nicht eher ein Gefühl, das er ausleben möchte, und zu dem Albertine am besten passte? Kaum drängt sich dieser Gedanke auf, bekommt man schon die Bestätigung dafür. Er sieht eine junge Dame und entflammt für sie, oder besser gesagt, er entflammt für das, was er in sie hineininterpretiert. Ich habe nicht schlecht gestaunt, als sie sich als Gilberte entpuppte. An sie hatte ich gar nicht gedacht.



    ... wenn er sich Mädchen auf sein Zimmer oder ins Stundenhotel holt (die Szene mit den zwei Mädchen, denen er anscheinend beim Sex zusieht fand ich wieder etwas krass und auch gewagt für Proust Zeiten, oder habe ich hier zu viel hineininterpretiert?)...


    Die Szene mit den beiden Mädchen war schon eindeutig. Ich habe sie genauso wie du verstanden. Gewagt mag sie schon sein, aber so bedächtig forumuliert, dass sich eigentlich niemand darüber aufregen sollte. Wobei - Moralapostel gibt es überall. In Verbindung mit den Bemerkungen über die Dorfmädchen und anderen amourösen Abenteuern zeigt uns das eine Seite von Marcel, die er wohl lieber versteckt hält, falls sie ihm überhaupt bewusst ist: Er mag gewagte Geschichten mit Frauen, die nicht zurückhaltend sind, erwartet aber andererseits von seiner Freundin, dass sie die Tugend in Person ist. Dazu fällt mir auch die Jungfer der Putbus ein oder der Gedanke, dass Marcel der Name d'Eporcheville in Zusammenhang mit Saint-Loup im Stundenhotel in Erregung versetzt.


  • Er mag gewagte Geschichten mit Frauen, die nicht zurückhaltend sind, erwartet aber andererseits von seiner Freundin, dass sie die Tugend in Person ist.


    Das ist ja eine alte Geschichte: für eine kurze Affäre soll die Frau erfahren und sexy sein, zuhause will Mann dann aber die Jungfrau sitzen haben, sie sich für ihn aufgespart hat :rollen:. Manche Dinge ändern sich wohl nie... Wobei Proust bei diesem Thema ja wohl nicht aus eigener Erfahrung schreiben konnte, außer dieses Klischee läuft bei homosexuellen Neigungen genauso ab.


    Nachdem Marcel Gilberte wiedergetroffen hat, bekommt er einige Male Besuch von Andreé, die ihm nun, mehrere Monate nach Albertines Tod, pikante Einzelheiten über Albertine Neigungen und der Beziehung zu ihr preisgibt. So ganz scheint Marcel aber wohl nicht sicher zu sein, ob er Andreé alles glauben soll oder ob sie ihm diese Dinge nicht vorlügt, um ihm wehzutun.
    Als wahren Grund für Albertines Flucht gibt Andreé ihm nicht das Verlangen nach anderen Frauen an, sondern ihre Situation als unverheiratete junge Frau im Haus eines jungen Mannes, die ihr die Chancen auf eine gute Partie verderben könnte. Marcel bekommt nun (zu recht!) ein schlechtes Gewissen, denn darüber hat er sich natürlich gar keine Gedanken gemacht. Wobei auch ich gestehen muss, dass ich den Aspekt, dass es zu diesen Zeiten ja nicht üblich war, dass ein unverheiratetes Paar zusammenlebt, auch vergessen habe. Wir hatten ja mal schon darüber geschrieben, ob es niemanden gibt, der dieses "schlampige Verhältnis" kritisieren könnte, aber dass das der wahre Grund für Albertines sein könnte, Marcel zu verlassen, habe ich nicht mehr auf dem Schirm gehabt. Ich dachte einfach, Albertine habe genug von der ständigen Bewachung.
    Andreé erzählt Marcel auch, dass Albertine gehofft habe, von Marcel durch eine Heirat von ihren Neigungen befreit zu werden. Ein für mich erst mal seltsamer Gedanke, denn natürlich wäre sie dann eine ehrbare Ehefrau und vielleicht auch Mutter geworden, ihre Gefühle wären aber doch sicher noch die gleichen gewesen. Wobei sie sicher nicht die Erste ist, die auf diese Idee kommt, auch Charlus war ja "glücklich" verheiratet und in der Realität haben sicher auch schon viele Männer und Frauen versucht, so ihre wahre sexuelle Orientierung zu vertuschen.

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  • Ich bin noch nicht so weit wie du, knödelchen, aber das fiel mir gleich auf:



    Nachdem Marcel Gilberte wiedergetroffen hat, bekommt er einige Male Besuch von Andreé, die ihm nun, mehrere Monate nach Albertines Tod, pikante Einzelheiten über Albertine Neigungen und der Beziehung zu ihr preisgibt. So ganz scheint Marcel aber wohl nicht sicher zu sein, ob er Andreé alles glauben soll oder ob sie ihm diese Dinge nicht vorlügt, um ihm wehzutun.


    Na, was ist denn das für eine Freundin? Solche Details auszuplaudern, ist ein absolutes No-Go! Und dabei ist es ganz egal, ob die Albertine tot ist oder nicht. Es gibt doch auch Solidarität über den Tod hinaus. Ich bin gespannt, ob Andrée einen plausiblen Grund für diese Indiskretion hat. Da könnte doch Rache eine Rolle spielen.




    Wir hatten ja mal schon darüber geschrieben, ob es niemanden gibt, der dieses "schlampige Verhältnis" kritisieren könnte ...


    Françoise zumindest hat keinen Hehl aus ihrer Abneigung gegen Albertine gemacht :breitgrins:.



    Was ich zuletzt gewesen habe, war Gilbertes Besuch bei den Guermantes, und dazu gibt es nicht viel für mich zu sagen.

  • Den Besuch von Andrée bei Marcel habe ich nun miterlebt. Ich kann mir nicht vorstellen, warum sie so freizügig über Albertine plaudert. Was auch immer dahintersteckt, für mich sieht das auch ein wenig nach Rache aus.


    Das Thema der verlorenen Zeit taucht nun ganz konkret auf. Ich bin nicht sicher, ob ich Marcels Empfindungen richtig gedeutet habe. So, wie er sein Leben jetzt lebt, verschwendet er seine Zeit; die verlorene Zeit liegt im Prozess des Vergessens. Beschäftigt er sich deshalb so lange mit Albertine, will er sie nicht vergessen, um diese Zeit nicht zu verlieren? Andererseits will er ein neues, richtiges Leben anfangen, um die Zeit wieder aufzuholen. Das erfordert eine deutliche Wandlung, also auch Vergessen und Zeit verlieren.


    Ich drehe mich im Kreis mit meinen Gedanken. Das alles leuchtet mir nicht ein. Wahrscheinlich bin ich auf dem völlig falschen Weg. Aber ich merke deutlich, dass jetzt das einsetzt, was der Titel des Romanzyklus ankündigt. Zumindest für mich :smile:.

  • Heute habe ich "Die Entflohene" beendet. Ich hatte mir ja gewünscht dass nach Marcels Trauerzeit etwas mehr passiert und dieser Wunsch hat sich zum Ende hin erfüllt.


    Ich denke mal, dass du auch bald mit dem Buch durch bist, deshalb verwende ich keine Spoiler.
    Marcel fährt mit seiner Mutter endlich in seine Traumstadt Venedig, wo er herumstreift und jungen Mädchen aus der Arbeiterschickt nachstellt. Ein verstümmeltes Telegramm lässt in glauben, Albertine sei gar nicht tot und möchte wieder mit ihm Kontakt aufnehmen. Freuen tut er sich darüber aber nicht, ganz im Gegenteil will er sogar so tun, als hätte er das Telegramm nicht bekommen. Seine Argumentation, er sei nicht mehr derselbe, der Albertine einst so sehr geliebt hat, erscheint mir etwas fadenscheinig, denn selbst wenn er sie jetzt nicht mehr liebt, kann er ihr doch das Leben gönnen. Oder hätte er bei einer lebendigen Albertine doch wieder das Problem der Eifersucht? Für mich zeigt sich Marcel hier in einem sehr schlechten, weil komplett Ich-bezogenen Licht. Ich bin gespannt, Doris, wie du diese Situation beurteilst, denn ich bin ehrlich entsetzt über Marcels Gedankengänge...


    Eine weitere Neuigkeit ist der Verlust eines Großteils von Marcels Vermögen, das zwar nur kurz angedeutet wird, sicher aber doch noch eine Rolle spielen wird, oder? Wie soll er sein sorgenfreies Leben in den Salons der High Society fortführen? Und wie seine Gespielinnen an sich binden?


    Und dann natürlich am Schluss der Paukenschlag mit der Hochzeit zwischen Saint-Loup und Gilberte und Saint-Loups Verhältnis mit Morel, dem ehemaligen Geliebten von Charlus. Saint-Loup hätte ich niemals auf der Seite der Homosexuellen gesehen, aber bei Proust scheint wohl jeder diese Neigung in sich zu tragen.
    Interessant fand ich die Anmerkung, Marcel und Robert hätten beide Albertine wegen ihrer Neigung heiraten wollen; Marcel, um sie davor zu bewahren, Robert um in Ruhe seine eigenen Gelüste ausleben zu können.


    Also ich muss das Gelesene jetzt erst mal verarbeiten. Mit soviel "Action" hatte ich dann doch nicht gerechnet :zwinker:. Ich bin wirklich gespannt, wie deine Kommentare zum Ende dieses Bands sind...



    Das Thema der verlorenen Zeit taucht nun ganz konkret auf. Ich bin nicht sicher, ob ich Marcels Empfindungen richtig gedeutet habe. So, wie er sein Leben jetzt lebt, verschwendet er seine Zeit; die verlorene Zeit liegt im Prozess des Vergessens. Beschäftigt er sich deshalb so lange mit Albertine, will er sie nicht vergessen, um diese Zeit nicht zu verlieren? Andererseits will er ein neues, richtiges Leben anfangen, um die Zeit wieder aufzuholen. Das erfordert eine deutliche Wandlung, also auch Vergessen und Zeit verlieren.


    Für mich ist die verlorene Zeit die, die durch das Vergessen verschwindet oder in der Erinnerung verändert wird. Denn ein Mensch blickt ja immer anders auf eine zurückliegende Zeit, je nachdem in welcher Verfassung er sich gerade befindet. Außerdem erinnert man sich ja nicht objektiv an alles so, wie es sich tatsächlich zugetragen hat. Eine Zeit, die vergangen ist, kann also nie mehr so auferstehen, wie sie tatsächlich war.
    Wenn Marcel sich an die Erinnerungen an Albertine klammert, dann vielleicht, weil er weiß, dass er mit dem Vergessen die gesamte Zeit mit Albertine und mit der subjektiven Erinnerung auch die wirkliche Albertine verlieren wird. Wobei, wer ist die wirkliche Albertine? Denn Marcel kennt sie ja auch nur aus seiner Sicht, kennt also nur einen Bruchteil dieses Menschen. Sehr interessante, aber nicht ganz einfache Gedankenspiele... :gruebel:

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