6 - Die Flüchtige

Es gibt 32 Antworten in diesem Thema, welches 7.044 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Doris.


  • Ich denke mal, dass du auch bald mit dem Buch durch bist, deshalb verwende ich keine Spoiler.


    Es dauert noch; ich begleite Marcel derzeit durch Venedig. Wieder etwas, das Proust selbst mit seiner Mutter machte. Er hat so viel aus seinem Leben in der "Recherche" untergebracht, dass man fast von einer Autobiografie sprechen könnte. Seine Schilderungen der Stadt waren wieder bemerkenswert schön. Es ist leicht, sich hineinzuversetzen. Jedesmal, wenn ich solche Beschreibungen lese, bedaure ich, dass sie so selten vorkommen. Wunderschön ist die Entdeckungsreise durch die kleinen Kanäle mit dem Blick für Kleinigkeiten und der Gabe, die Szenerie zum Leben zu erwecken. Seine Vergleiche mit Combray wecken in mir den Verdacht, dass er Heimweh hat, und wenn schon nicht nach dem Ort selbst, dann vielleicht nach der vergleichsweise unbeschwerten Zeit, die er dort erlebte.


    Ein verstümmeltes Telegramm lässt in glauben, Albertine sei gar nicht tot und möchte wieder mit ihm Kontakt aufnehmen.


    Darauf warte ich schon lange. Ich habe mich schon öfter darüber gewundert, dass er bei seinem Misstrauen noch nicht früher auf den Gedanken gekommen ist, sie könne noch leben. Ich glaube, das habe ich oben schon mal geschrieben. Bei dem Telegramm bin ich übrigens noch nicht angekommen.



    Für mich ist die verlorene Zeit die, die durch das Vergessen verschwindet oder in der Erinnerung verändert wird. Denn ein Mensch blickt ja immer anders auf eine zurückliegende Zeit, je nachdem in welcher Verfassung er sich gerade befindet. Außerdem erinnert man sich ja nicht objektiv an alles so, wie es sich tatsächlich zugetragen hat. Eine Zeit, die vergangen ist, kann also nie mehr so auferstehen, wie sie tatsächlich war.


    Ja, das hängt auch nach meiner Erfahrung von der persönlichen Einstellung eines Menschen ab. Wer so pessimistisch eingestellt ist, wie mir Marcel oft erscheint, muss ja fast diese Zeit als verloren betrachten. Da er verlassen wurde, konnte er selbst nicht aktiv werden, sondern musste das Handeln von Albertine hinnehmen. Das zieht sich wie ein roter Faden durch seine Empfindungen und führt dazu, dass er die Beziehung auch negativer einschätzt. So ergibt das für mich dann auch einen Sinn.


    Wobei, wer ist die wirkliche Albertine? Denn Marcel kennt sie ja auch nur aus seiner Sicht, kennt also nur einen Bruchteil dieses Menschen. :gruebel:


    Und muss dann auch noch solche Enthüllungen wie die von Andrée richtig einschätzen. Er hat es schon nicht leicht. Je länger er darüber grübelt, desto weniger blickt er durch.


  • Ein verstümmeltes Telegramm lässt in glauben, Albertine sei gar nicht tot und möchte wieder mit ihm Kontakt aufnehmen. Freuen tut er sich darüber aber nicht, ganz im Gegenteil will er sogar so tun, als hätte er das Telegramm nicht bekommen. Seine Argumentation, er sei nicht mehr derselbe, der Albertine einst so sehr geliebt hat, erscheint mir etwas fadenscheinig, denn selbst wenn er sie jetzt nicht mehr liebt, kann er ihr doch das Leben gönnen. Oder hätte er bei einer lebendigen Albertine doch wieder das Problem der Eifersucht? Für mich zeigt sich Marcel hier in einem sehr schlechten, weil komplett Ich-bezogenen Licht. Ich bin gespannt, Doris, wie du diese Situation beurteilst, denn ich bin ehrlich entsetzt über Marcels Gedankengänge...


    Irgendein Satz sagte mir, dass seit dem Tod Albertines inzwischen ein Jahr vergangen ist. Das ist eigentlich genug der Trauer. Außerdem hat er sich wirklich intensiv damit befasst und alle möglichen Phasen durchgemacht. Wir haben weiter oben ja schon festgestellt, dass er nicht unbedingt Albertine als Empfängerin seiner Liebe braucht. Er hat sich mit der Situation arrangiert. Daher passt sie einfach mehr nicht in sein Leben. Das klingt egoistisch, aber er ist ein wenig der Typ, der verpassten Gelegenheiten eine Zeit lang nachtrauert und sie dann abhakt. Mit Gilberte oder der Guermantes verlief es ähnlich. Für ihn ist es also normal. Und ehrlich gesagt - ich kann ihn sogar verstehen.



    Eine weitere Neuigkeit ist der Verlust eines Großteils von Marcels Vermögen, das zwar nur kurz angedeutet wird, sicher aber doch noch eine Rolle spielen wird, oder? Wie soll er sein sorgenfreies Leben in den Salons der High Society fortführen? Und wie seine Gespielinnen an sich binden?


    Er wird wohl doch endlich ernsthafter anfangen müssen zu arbeiten. Mit dem veröffentlichten Artikel im ... (?) zeigt sich, dass er zwischenzeitlich auch geschrieben hat. Das wird wohl seine Einnahmequelle werden. Immerhin hat er auch noch die Eltern im Rücken, aber ob sie ihm ein sorgenloses und arbeitsfreies Leben finanzieren, ist fraglich.




    Wenn Marcel sich an die Erinnerungen an Albertine klammert, dann vielleicht, weil er weiß, dass er mit dem Vergessen die gesamte Zeit mit Albertine und mit der subjektiven Erinnerung auch die wirkliche Albertine verlieren wird. Wobei, wer ist die wirkliche Albertine? Denn Marcel kennt sie ja auch nur aus seiner Sicht, kennt also nur einen Bruchteil dieses Menschen. Sehr interessante, aber nicht ganz einfache Gedankenspiele... :gruebel:


    Tja, die wirkliche Albertine. Er wird sie nicht mehr kennen lernen. Er kann mit noch so vielen Menschen über sie sprechen und doch ihr wahres Ich nicht finden. Ich glaube, sie war nie wirklich ehrlich zu ihren Freunden, egal, mit wem sie gerade zusammen war. Also wird auch niemand sagen können, wie sie wirklich war. Jeder kannte andere Facetten ihres Wesens. Aber er muss sich keine Gedanken mehr darüber machen. Spätestens die Reaktion auf das Telegramm zeigt, dass er sich von ihr gelöst hat. So gesehen wäre es höchstens verlorene Zeit, sich weiterhin den Kopf über sie zu zerbrechen :zwinker:.


    Die Mutter steht kurz vor der Abreise aus Venedig, aber Marcel möchte bleiben, weil er zufällig entdeckt hat, dass die Baronin Putbus ebenfalls in der Stadt weilt. Hatten wir das nicht schon einmal? Manchmal ist er wirklich sehr spontan. Vielleicht sorgt er sich auch wegen des Gedankens, dass Albertine auf ihn und eine Entscheidung wartet und schiebt die Rückkehr deshalb vor sich her. Das Telegramm ist zu diesem Zeitpunkt noch nicht entschlüsselt. Während dieser kurzen Zeit, als die Mutter schon Richtung Bahnhof unterwegs ist, entdeckt er plötzlich, dass Venedig den ganzen Zauber für ihn verloren hat. Im Gegensatz dazu war die Stadt ja das reinste Juwel, als er dort angekommen war, offen für alles, was sich ihm bietet. Diese Umsetzung gefällt mir sehr gut.


    Ich habe inzwischen weitergelesen bis zu dem Schachern und Buhlen um die heiratsfähigen Erbinnen. Es ist etwas verwirrend, plötzlich wieder diese vielen Namen und wer mit wem verwandt oder verheiratet ist. Gilberte und Saint-Loup - das überrascht mich dann doch!

  • Irgendein Satz sagte mir, dass seit dem Tod Albertines inzwischen ein Jahr vergangen ist. Das ist eigentlich genug der Trauer. Außerdem hat er sich wirklich intensiv damit befasst und alle möglichen Phasen durchgemacht. Wir haben weiter oben ja schon festgestellt, dass er nicht unbedingt Albertine als Empfängerin seiner Liebe braucht. Er hat sich mit der Situation arrangiert. Daher passt sie einfach mehr nicht in sein Leben. Das klingt egoistisch, aber er ist ein wenig der Typ, der verpassten Gelegenheiten eine Zeit lang nachtrauert und sie dann abhakt. Mit Gilberte oder der Guermantes verlief es ähnlich. Für ihn ist es also normal. Und ehrlich gesagt - ich kann ihn sogar verstehen.


    Hm, vielleicht habe ich Marcels Reaktion auch in den falschen Hals bekommen. Wenn für ihn das Kapitel Albertine, die ihn ja letztendlich vor ihrem Tod verlassen hat, nach der intensiven Trauerphase abgeschlossen ist und er deshalb den Kontakt nicht wieder herstellen möchte, kann ich das auch verstehen. Ich dachte nur, er würde sie lieber tot wissen als lebendig, aber von ihm getrennt. Und jemandem, auch wenn er einen verlassen hat, den Tod zu wünschen... Das fände ich schon heftig.



    Tja, die wirkliche Albertine. Er wird sie nicht mehr kennen lernen. Er kann mit noch so vielen Menschen über sie sprechen und doch ihr wahres Ich nicht finden.


    Mich beschäftigt die Frage, ob man überhaupt von einem anderen Menschen das wahre Ich finden kann. Man sieht ja jeden anderen Menschen aus seinem subjektiven Blickwinkel, interpretiert aus seiner Sichtweise in den anderen etwas hinein. Wahrscheinlich findet man nicht mal sein eigenes wahres Ich...
    Marcel verwendet mal das Bild von den vielen verschiedenen Albertinen, die in seinen Erinnerungen existieren. Und so hat jeder Mensch wahrscheinlich unendlich viele Facetten und Ichs, die sich auch nicht so einfach auf einen Nenner bringen lassen.



    Gilberte und Saint-Loup - das überrascht mich dann doch!


    Ja, da habe ich auch gestaunt, die beiden hätte ich überhaupt nicht miteinander in Verbindung gebracht!
    Bei der zweiten Skandalhochzeit habe ich mich etwas schwer getan, Braut und Bräutigam zuzuordnen. Die Braut ist ja wohl die Nichte von Jupien, die mal so unsterblich in Morel verliebt war und der Bräutigam Legrandins Neffe?

    :lesen: Anthony Powell - The Kindly Ones <br /><br />Mein SUB<br />Meine [URL=https://literaturschock.de/literaturforum/forum/index.php?thread/32348.msg763362.html#msg763362]Listen

  • Ich habe gerade dieses Buch im Internet gefunden. Gibt es anscheinend nur englisch, aber ich finde es ganz hilfreich, wenn man mal gar nicht mehr weiß, welche Rolle eine der Figuren bei Proust spielt :redface:...

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  • Hm, vielleicht habe ich Marcels Reaktion auch in den falschen Hals bekommen. Wenn für ihn das Kapitel Albertine, die ihn ja letztendlich vor ihrem Tod verlassen hat, nach der intensiven Trauerphase abgeschlossen ist und er deshalb den Kontakt nicht wieder herstellen möchte, kann ich das auch verstehen. Ich dachte nur, er würde sie lieber tot wissen als lebendig, aber von ihm getrennt. Und jemandem, auch wenn er einen verlassen hat, den Tod zu wünschen... Das fände ich schon heftig.


    Ganz so habe ich es nicht verstanden, dass er ihr den Tod wünscht. Aber selbst wenn, sehe ich das unterschiedlich. Es ist eine Sache, jemanden dem Tod zu wünschen, weil man ihn z. B. hasst, aber Marcel möchte ja lieber, dass sie sozusagen weiterhin tot ist, weil er sich mit dem Gedanken daran schon abgefunden hat. Er hat die verschiedenen Trauer- und Abnabelungsphasen durchgemacht und akzeptiert. Wäre sie jetzt plötzlich wieder da, wären diese Phasen gewissermaßen auch verlorene Zeit. Ganz abgesehen von den Erwartungen, die sie laut Telegramm an ihn hat. Da ist ihr Tod die einfachste Lösung.



    Mich beschäftigt die Frage, ob man überhaupt von einem anderen Menschen das wahre Ich finden kann. Man sieht ja jeden anderen Menschen aus seinem subjektiven Blickwinkel, interpretiert aus seiner Sichtweise in den anderen etwas hinein. Wahrscheinlich findet man nicht mal sein eigenes wahres Ich...


    Kann man das jemals finden? Wer ist schon so ehrlich und schätzt sich selbst völlig objektiv ein? Selbst wenn man der Meinung ist, nun das echte Ich gefunden zu haben, entwickelt man sich durch unterschiedlichste Einflüsse immer weiter und verändert sich wieder. Dann beginnt der Prozess der Selbstfindung von neuem. Bei fremden Personen ist das noch viel schwieriger. Manchmal sagt man bestimmte Reaktionen eines Menschen zutreffend voraus, aber trifft das immer zu? Oft beeinflusst schon alleine die Tagesform, wie man denkt und handelt. Wirklich vorhersehbar ist nichts und niemand.



    Bei der zweiten Skandalhochzeit habe ich mich etwas schwer getan, Braut und Bräutigam zuzuordnen. Die Braut ist ja wohl die Nichte von Jupien, die mal so unsterblich in Morel verliebt war und der Bräutigam Legrandins Neffe?


    So weit bin ich noch nicht. Vom Umfang her schätze ich, dass ich noch zwei Tage bis zum Ende habe.

  • Ich bin nun auch fertig mit diesem Band. Nur das Nachwort steht noch an.


    Am Ende war noch richtig viel los, was bei mir für ein bisschen Konfusion sorgte. Nachdem der Großteil des Buches sich hauptsächlich mit Marcel und seiner Trauerverarbeitung beschäftigte, musste ich mich direkt umstellen, als das übliche Gesellschaftsgeplänkel wieder losging.


    Gilberte wird in ihrer Ehe bestimmt nicht glücklich werden, auch wenn Saint-Loup sich sehr um sie kümmert und sie sich anscheinend nicht unterbuttern lässt. Sie sollte sich Gedanken darüber machen, warum Robert Odette so großzügig beschenkt. Offensichtlich merkt sie nicht, dass ihre Mutter mit ihm gemeinsame Sache macht und ihn deckt. Dieses Wesensänderung kommt sehr plötzlich. Erst war sie noch das zurückhaltende Mädchen, als sie Marcel wieder traf, dann heiratet sie Hals über Kopf und entwickelt sich zur geizigen Ehefrau. Da wurde uns eine wichtige Entwicklung vorenthalten.


    Aufgefallen ist mir noch eine Passage, in der Marcel entdeckt, dass Balbec und Guermantes räumlich gar nicht weit auseinanderliegen. Könnte ein Sinnbild dafür sein, dass die Menschen, die aus diesen Gegenden stammen, auch gar nicht so weit auseinander, also nicht so unterschiedlich sind, wie es eigentlich erscheint.


    Ganz am Ende waren noch aus anderen Manuskripten zwei weitere Versionen des Diners von Madame Villeparisis und Monsier Norpois, das Marcel heimlich beobachtete, zu lesen. Waren die in deinem Buch auch dabei, knödelchen?


    Jetzt bin ich gespannt, ob das Nachwort noch wichtige Details aufdeckt.

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    Das würde mir gefallen. Schon das Portrait auf dem Cover finde ich toll.


    Gefallen würde es mir auch, aber bei dem Preis... Ich frage mich, ob der ernst gemeint ist :rollen:




    Erst war sie noch das zurückhaltende Mädchen, als sie Marcel wieder traf, dann heiratet sie Hals über Kopf und entwickelt sich zur geizigen Ehefrau. Da wurde uns eine wichtige Entwicklung vorenthalten.


    Ja, dieser Sprung war krass. Vielleicht hat Marcel ja die einzelnen Stufen dieser Entwicklung auch nicht mitbekommen und da wir als Leser ja alles nur aus seiner Sicht sehen, sehen wir nur die bereits veränderte Gilberte.
    Glücklich wird sie sicher nicht werden mit Saint-Loup, aber da zu dieser Ehen anscheinend auch nicht geschlossen wurden, um glücklich zu machen, sondern um gesellschaftlich aufzusteigen oder das Vermögen aufzubessern, stört es sie wahrscheinlich gar nicht so. Denn von Liebe zwischen den beiden ist nie die Rede, oder habe ich da etwas überlesen?




    Ganz am Ende waren noch aus anderen Manuskripten zwei weitere Versionen des Diners von Madame Villeparisis und Monsier Norpois, das Marcel heimlich beobachtete, zu lesen. Waren die in deinem Buch auch dabei, knödelchen?


    Jetzt bin ich gespannt, ob das Nachwort noch wichtige Details aufdeckt.


    Meine Ausgabe hat leider weder andere Versionen noch ein Nachwort zu bieten :sauer:. Deswegen würde es mich natürlich auch interessieren, ob du dort was findest, was für unser Verständnis der Geschichte und des Textes wichtig wäre.

    :lesen: Anthony Powell - The Kindly Ones <br /><br />Mein SUB<br />Meine [URL=https://literaturschock.de/literaturforum/forum/index.php?thread/32348.msg763362.html#msg763362]Listen

    Einmal editiert, zuletzt von knödelchen ()


  • Glücklich wird sie sicher nicht werden mit Saint-Loup, aber da zu dieser Ehen anscheinend auch nicht geschlossen wurden, um glücklich zu machen, sondern um gesellschaftlich aufzusteigen oder das Vermögen aufzubessern, stört es sie wahrscheinlich gar nicht so. Denn von Liebe zwischen den beiden ist nie die Rede, oder habe ich da etwas überlesen?


    Nein, mir ist auch nichts aufgefallen. Ein Aufstieg ist es bestimmt, wenn auch unter unterschiedlichen Aspekten. Mehr Geld dürfte Gilberte haben, die ja eine Erbin ist, wenn auch sehr geizig. Und Saint-Loup hat einen alten Namen, der Gilberte fehlt. Für Odette ist das natürlich auch von Vorteil.


    Glücklich wird Gilberte bestimmt nicht werden, selbst wenn sie nichts von Saint-Loups neuer Neigung weiß. Für schwul halte ich ihn nicht, er ist höchstens bi, sonst hätte er sich früher nicht so für Rachel begeistern können. Das war ja schon fast krankhaft. Ich bin auch erstaunt, dass er jetz ausgerechnet für Morel seine Gefühle entdeckt. Kennen die beiden sich nicht schon?



    Meine Ausgabe hat leider weder andere Versionen noch ein Nachwort zu bieten :sauer:. Deswegen würde es mich natürlich auch interessieren, ob du dort was findest, was für unser Verständnis der Geschichte und des Textes wichtig wäre.


    Das wird aber noch bis übers Wochenende dauern.

  • Ich bin mit dem Nachwort noch nicht viel weiter gekommen, habe nur ein paar Zeilen gelesen. Allerdings so weit, dass ich mich in einem Punkt verbessern muss:



    Aufgefallen ist mir noch eine Passage, in der Marcel entdeckt, dass Balbec und Guermantes räumlich gar nicht weit auseinanderliegen. Könnte ein Sinnbild dafür sein, dass die Menschen, die aus diesen Gegenden stammen, auch gar nicht so weit auseinander, also nicht so unterschiedlich sind, wie es eigentlich erscheint.


    Es ist nicht Balbec, sondern Méséglise, dessen Verbindung er mit Guermantes erkennt. Und er sieht auch einen Zusammenhang mit der "vermeintlichen Unvereinbarkeit entgegengesetzter menschlicher Veranlagungen". Da lag ich also gar nicht so falsch mit meiner Vermutung.


    Den Rest des Nachwortes muss ich auf kommendes Wochenende verschieben, weil ich in den nächsten Tagen unterwegs bin und nicht viel zum Lesen kommen werde. Proust zumindest bleibt dann Zuhause.


    Es war übrigens nett, mal live mit dir über Proust zu plaudern :smile:.

  • Gestern habe ich das Nachwort fertig gelesen. Hier geht es zunächst um die verschiedenen Phasen von Marcels Trauerverarbeitung: Schmerz, Vergessen und Gleichgültigkeit. Die Zeit, die dabei vergeht, ist noch schwerer einzuschätzen als schon bei den früheren Bänden.


    Hervorgehoben wird u. a. die Reise nach Venedig. Dieser Teil entstand nach dem Tod Agostinelli, Prousts großer Liebe, und führte zu einer grundlegenden Änderung des Aufbaus der Recherche. Einige Passagen aus den Briefen und Telegrammen stammen aus Prousts persönlichem Schriftwechsel.


    Proust hat sein Manuskript immer wieder überarbeitet, neu unterteilt und die einzelnen Teile umbenannt. Bis unmittelbar vor seinem Tod wurde noch geändert und blieb letztlich unvollendet. Zu diesem Zeitpunkt waren schon frühere Teile des Romanzyklus veröffentlich worden, und um das Werk fertig gedruckt zu bekommen, "bearbeitete" Prousts Bruder Robert es schließlich auf seine Weise. Prousts eigenes Manuskript unterschied sich von einem Typoskript, das dem Verlag vorlag, und um die Verwirrung perfekt zu machen, tauchte 1986 noch ein weiteres Manuskript auf, das sich von der früheren Version unterschied und für Streit unter den Proust-Kennern sorgte.


    Vielleicht ist nur meine Erinnerung noch so frisch, aber mir scheint dieser 6. Band der intensivste zu sein, gerade vor dem Hintergrund dieses Nachwortes. Er enthält viel Persönliches und schweift kaum ab wie die früheren Bände. Wobei ich die Beschreibungen von schönen Zimmern, Gemälden oder Musikstücken schon ein wenig vermisst habe :zwinker:.

  • Danke für diesen Nachtrag, meine Ausgabe enthält ja leider kein Nachwort :sauer:.


    Dieser Band war sicherlich der intensivste, was die Gefühlswelt Marcels angeht. Ich habe ja schon mal geschrieben, dass es mir fast schon zu viel wurde und ich froh war, als wieder etwas passierte.


    Ich wusste auch gar nicht, dass es mehrere Manuskripte gibt und Prousts Bruder die letzten Teile der Recherche bearbeitete. Ich denke, ich werde mir demnächst noch mal das Buch mit Erläuterungen und Kommentaren zu Prousts Romanzyklus ausleihen, das hatte ich am Anfang schon mal, konnte aber noch nichts damit anfangen.

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  • Ich denke, ich werde mir demnächst noch mal das Buch mit Erläuterungen und Kommentaren zu Prousts Romanzyklus ausleihen, das hatte ich am Anfang schon mal, konnte aber noch nichts damit anfangen.


    Dann kannst du ja darin über den 7. Band nachlesen und unsere Gedankengänge erhellen. :smile: