7 - Die wiedergefundene Zeit

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  • Ab Januar lesen wir den letzten Teil der Recherche:


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    Wie auch schon bei den anderen Bänden sind alle Interessierten eingeladen, mitzulesen oder mitzudiskutieren, auch wenn sie das Buch aktuell nicht lesen.


    Liebe Grüße
    Doris

  • Hallo knödelchen,


    wie geplant habe ich am 1. Januar mit dem 7. Band angefangen, und wie befürchtet bin ich nicht viel zum Lesen gekommen. Vielleicht liegt es daran, dass ich nicht so richtig ins Buch reinkomme.


    Am Anfang konzentrieren sich die Gedanken auf das Verhältnis zu Gilberte. Marcel spekuliert über ihre Beziehung mit Saint Loup, was die beiden verbindet und welche Vorstellung sie von ihrer Ehe haben. Dabei schneiden beide nicht besonders gut ab. Er hegt den Verdacht, dass auch Gilberte sich zu Frauen hingezogen fühlt. Verständlich, dass man ein Auge für Menschen bekommt, die dasselbe fühlen wie man selbst, aber langsam bekomme ich das Gefühl, er übertreibt es ein bisschen. Keine Ahnung, wie das zu Prousts Zeit aussah, aber ich denke, es war nicht so freizügig wie in unseren Tagen, und da fühlt sich auch nicht jeder Zweite zum eigenen Geschlecht hingezogen. Unmöglich, dass er von so vielen Homosexuellen umgeben war.


    Schon bald liegt er wieder einmal im Bett, diesmal mit einem Tagebuch der Brüder Goncourt. Darüber bin ich einigermaßen verwirrt. Mit den Gestalten, die darin auftauchen, vermischen sich der Inhalt des Buches und die Realität. Ich blicke nicht mehr durch, ob er das tatsächlich dort liest oder ob seine Gedanken durch seine eigene Welt wandern. Oder ob er eventuell sogar eingeschlafen ist und alles träumt. Mir ist auch nicht klar, was Proust damit sagen möchte.

  • Hallo Doris,


    ich habe heute früh noch ein Bibliotheksbuch beendet, das zurück muss und werde dann später mit dem letzten Band der Recherche anfangen.
    Deine ersten Eindrücken klingen ja leider nicht ganz so begeistert, wobei mich die weitere Geschichte und die Hintergründe von Saint-Loups und Gilbertes Ehe schon interessieren. Diese Verbindung hat mich im vorherigen Band nämlich schon sehr verwundert...


    Liebe Grüße
    knödelchen

    :lesen: Anthony Powell - The Kindly Ones <br /><br />Mein SUB<br />Meine [URL=https://literaturschock.de/literaturforum/forum/index.php?thread/32348.msg763362.html#msg763362]Listen

  • Gilberte und Saint Loup interessieren mich auch, schon alleine weil sie für mich sehr sympathische Figuren sind. Aber so lange dauert es nicht an, dass sie Gesprächsthema sind.


    Insgesamt entsteht überhaupt ein "neuer Realismus", wie Proust es nennt. Wichtig ist nun alles, was mit dem Krieg zu tun hat. Solche Themen wie die Dreyfus-Affäre sind schon lange in den Hintergrund getreten. In den Salons tauchen neue, junge Gesichter auf, die bei den Alteingesessenen nicht wirklich auf Gegenliebe stoßen. Vieles relativiert sich, was früher als gesellschaftlicher oder politischer Affront galt. Die Zeiten ändern sich ganz deutlich.

  • Für Charlus ändert sich nun auch einiges. Bei seinen alten Bekannten ist er wegen seiner Homosexualität und seinem Hang zu den Deutschen nicht mehr gerne gesehen. Er lebt nun zurückgezogen. Ein bisschen tut er mir Leid, auch wenn er nicht immer der angenehmste Zeitgenosse war. Aber das Verhalten seiner früheren Freunde passt in die Zeit. Der Krieg hat die Karten neu gemischt und Empfindungen verändert. Ein bisschen erinnert es mich an die Dreyfus-Affäre, die ja das halbe Land gespalten hat.


    Noch ziemlich am Anfang war die Rede davon, dass Marcel im Sanatorium war, was ihn auch vor der Einberufung bewahrt hat. knödelchen, hast du zufällig schon gelesen, warum er dort war?

  • Ach. Der letzte Band. Legt die Taschentücher bereit. Ihr werdet sie brauchen, wenn ihr den letzten Satz ausgelesen habt. Viel Spaß. :winken:


    Gruß, Thomas


  • Noch ziemlich am Anfang war die Rede davon, dass Marcel im Sanatorium war, was ihn auch vor der Einberufung bewahrt hat. knödelchen, hast du zufällig schon gelesen, warum er dort war?


    Ich bin leider noch nicht sehr weit gekommen :sauer:. Von einem Sanatoriumsaufenthalt habe ich noch gar nichts gelesen :redface:.


    Marcel ist bei Gilberte zu Besuch, die er anscheinend bespassen soll während Saint Loup sich mit deinem Geliebten trifft. Gilberte tut zumindest so als wisse sie von der homosexuellen Veranlagung ihres Mannes nicht. Marcel hat sie aber auch im Verdacht, mehr als freundschaftliche Gefühle für Frauenzu hegen.


    Verständlich, dass man ein Auge für Menschen bekommt, die dasselbe fühlen wie man selbst, aber langsam bekomme ich das Gefühl, er übertreibt es ein bisschen. Keine Ahnung, wie das zu Prousts Zeit aussah, aber ich denke, es war nicht so freizügig wie in unseren Tagen, und da fühlt sich auch nicht jeder Zweite zum eigenen Geschlecht hingezogen. Unmöglich, dass er von so vielen Homosexuellen umgeben war.


    Hier geht es mir ähnlich wie dir. Mittlerweile hat fast jeder in diesem Buch Neigungen zum eigenen Geschlecht. Das es das immer und vielleicht auch nicht so selten gegeben hat und gibt, steht außer Frage, aber hier übertreibt es Marcel - oder der Autor - mit dem Thema. Zumindest für mein Empfinden.


    Interessant fand ich dagegen die Stelle, in der Gilberte Marcel von ihrer ersten Begegnung als Kinder erzählt. Diese Version weicht ja sehr stark von Marcels Sicht und Empfindungen ab. Während für ihn Gilberte ein junges unschuldiges Kind war, hatte sie schon Dinge im Sinn, die diesem Alter wohl nicht angemessen waren. So hat sich Marcel all die Jahre an eine begegnung erinnert, die so nur für ihn stattgefunden hat.




    wie geplant habe ich am 1. Januar mit dem 7. Band angefangen, und wie befürchtet bin ich nicht viel zum Lesen gekommen. Vielleicht liegt es daran, dass ich
    Schon bald liegt er wieder einmal im Bett, diesmal mit einem Tagebuch der Brüder Goncourt. Darüber bin ich einigermaßen verwirrt. Mit den Gestalten, die darin auftauchen, vermischen sich der Inhalt des Buches und die Realität. Ich blicke nicht mehr durch, ob er das tatsächlich dort liest oder ob seine Gedanken durch seine eigene Welt wandern. Oder ob er eventuell sogar eingeschlafen ist und alles träumt. Mir ist auch nicht klar, was Proust damit sagen möchte.


    Ich fand es ganz interessant, einen Abend bei den Verdurins aus einer anderen Perspektive geschildert zu bekommen. Vielleicht will Proust hier wieder deutlich machen dass jeder Mensch seine Umgebung anders wahrnimmt und so auch ganz andere Erinnerungen hat als jemand anderes, der dieselbe Situation erlebt hat? Ich hätte auch nicht gedacht, dass Marcel schläft. Vielleicht täusche ich mich aber auch, denn an der Stelle wäre ich fast eingeschlafen :redface:.


    Ich hoffe mal dass ich am Wochenende mehr Zeit für das Buch finde :leserin:

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  • Ich bin leider noch nicht sehr weit gekommen :sauer:.


    Irgendwann überholst du mich dann wieder :zwinker:.


    Interessant fand ich dagegen die Stelle, in der Gilberte Marcel von ihrer ersten Begegnung als Kinder erzählt. Diese Version weicht ja sehr stark von Marcels Sicht und Empfindungen ab. Während für ihn Gilberte ein junges unschuldiges Kind war, hatte sie schon Dinge im Sinn, die diesem Alter wohl nicht angemessen waren. So hat sich Marcel all die Jahre an eine begegnung erinnert, die so nur für ihn stattgefunden hat.


    Solche Erinnerungen gehen oft ziemlich auseinander. Es kann ja niemand in den anderen hineinsehen. Mit hineinspielen dürfte aber auch, dass sich die Erinnerung im Lauf der Jahre von selbst ändert, weil sich manche Einzelheiten aus dem Gedächtnis verabschieden. Ich hätte Gilberte allerdings genauso eingeschätzt wie Marcel.



    Ich fand es ganz interessant, einen Abend bei den Verdurins aus einer anderen Perspektive geschildert zu bekommen. Vielleicht will Proust hier wieder deutlich machen dass jeder Mensch seine Umgebung anders wahrnimmt und so auch ganz andere Erinnerungen hat als jemand anderes, der dieselbe Situation erlebt hat?


    Genauso wie bei der ersten Begegnung zwischen Marcel und Gilberte. Wenn irgendwo eine lustige Begebenheit erzählt wird, kann sie für einen der Beteiligten auch ziemlich peinlich sein.



    Ach. Der letzte Band. Legt die Taschentücher bereit. Ihr werdet sie brauchen, wenn ihr den letzten Satz ausgelesen habt.


    Schau'n wir mal. Im Moment bin ich nicht so hingerissen, denn die Kriegsjahre sind nicht mein Fall. Dazu habe ich zu wenig Ahnung und mir fehlt trotz der Anmerkungen der Durchblick. Im Salon wird auch ganz anders geplaudert als zu Friedenszeiten. Die Front ist nur eine Stunde entfernt (weiß nicht, ob mit Fahrzeug oder Flugzeug), aber es hat Auswirkungen auf die Stimmung. Das Unbeschwerte ist verschwunden. Das derzeitige Opfer ist Brichot und manchmal reden sie schon ziemlich gehässig über ihn.

  • So wie Proust die Flugzeuge am nächtlichen Pariser Himmel beschreibt, bekommt der eigentlich Furcht erregende Anblick etwas Künstlerisches oder Poetisches. Das ist wieder ein Abschnitt, wenn auch viel zu kurz, der sich in Herz und Hirn einbrennt.


    Dann wird es zunächst verwirrend, als Marcel in einem Haus landet, in dem er eine Hochburg für Spione vermutet. Sehr bald stellt er aber fest, dass es ein Hotel der ganz besonderen Art ist, nämlich ein Etablissement von Männern für Männer. Und er trifft einen guten alten Bekannten dort, was eigentlich keine große Überraschung ist. Es wäre interessant zu wissen, ob dieses Hotel nur eine Wunschvorstellung von Proust ist oder ob er ein solches Haus tatsächlich kannte. Er beschreibt es recht genau, und ich wäre geneigt zu glauben, dass es existierte.

  • Hallo Doris :winken:,


    eingeholt habe dich wohl noch lange nicht, ich bin an der Stelle angelangt an der Marcel nach seiner Rückkehr nach Paris 1916 Charlus auf der Straße wiedersieht und ihn gar nicht mehr gleich erkennt. Charlus scheint ja in der Achtung der feinen Gesellschaft sehr gesunken zu sein, neben seiner Homosexualität wird ihm seine angebliche Deutschfreundlichkeit stark angekreidet.


    Die Stimmung in den Salons hat sich verändert und Madame Verdurin findet kaum noch Männer für ihren "kleinen Kreis". Bezeichnend fand ich die Anmerkung, für Madame Verdurin sei der Krieg nur eine lästige Angelegenheit, die es ihr schwer macht, geeignete Gäste zu finden. Auch der Tod von Monsieur Verdurin scheint ihr egal zu sein, es heißt ja irgendwo, dass nur der Maler Elstir traurig darüber war, weil er einen Kenner seiner Kunst verlor. Sonderlich sympathisch war sie mir ja bisher nie und diese beiden kleinen Details ändern an dem Bild von ihr auch nichts.


    Warum Marcel so lange und so von der Außenwelt abgeschottet im Sanatorium war, konnte man bisher nicht aus dem Text herausfinden, ich vermute aber mal, dass es aufgrund der Krankheit oder schwächlichen Konstitution ist, die Marcel ja immer schon geplagt hat.

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  • Die Stimmung in den Salons hat sich verändert und Madame Verdurin findet kaum noch Männer für ihren "kleinen Kreis". Bezeichnend fand ich die Anmerkung, für Madame Verdurin sei der Krieg nur eine lästige Angelegenheit, die es ihr schwer macht, geeignete Gäste zu finden. Auch der Tod von Monsieur Verdurin scheint ihr egal zu sein, es heißt ja irgendwo, dass nur der Maler Elstir traurig darüber war, weil er einen Kenner seiner Kunst verlor.


    Der Tod ist zwar allgegenwärtig, aber wenn ein Familenmitglied stirbt, sollte man eigentlich Trauer bei den Angehörigen erwarten. Wenn sonst niemand offen über ihn trauert, kann das auch daran liegen, dass keiner in Opposition zu Madame Verdurin gehen möchte. Schließlich ist sie tonangebend in ihrem Salon, und "geeignete Gäste" werden sicherlich nur die sein, die mit ihren Meinungen und Stimmungen konform gehen.


    Proust hat ja viele Bekannte aus seinem Umfeld als Vorbilder für die Romanfiguren benutzt, und heute kam mir der Gedanke, ob wohl seine Haushälterin Céleste Albaret die Vorlage für Françoise war. Ich habe das Buch hier, das Céleste über ihre Zeit bei Proust geschrieben hat, aber es ist noch ungelesen, daher kann ich keinen Vergleich ziehen. Aber interessant wäre es schon zu wissen. Mitunter nervt Françoise ein wenig, weil sie sich Marcel gegenüber gelegentlich doch etwas viel herausnimmt.


    Ich habe den Abschnitt mit dem Krieg wohl hinter mich gebracht. Marcel ist nun wieder für einige Jahre in einem Sanatorium. Bemerkenswert fand ich davor aber noch die Begebenheit, als er zufällig mitbekommt, dass in Jupiens Etablissement ein Kriegskreuz gefunden wurde. Bald darauf erscheint Saint Loup bei ihm und sucht ein Kriegskreuz. Ich bin nicht schlau geworden, ob Marcel hier die Verbindung entdeckt hat. Als er während seines Aufenthalts bei Jupien fast mit dem von ihm unerkannten Saint Loup aufeinandertrifft, erkennt er ihn jedenfalls nicht, wahrscheinlich, weil er nicht mit ihm rechnete. Wobei ich nicht glaube, dass ihm das getroffen hätte. Er musste ja noch den unerwarteten Anblick von Charlus verarbeiten.

  • knödelchen, ich schreibe jetzt mal meine Eindrücke in dem Tempo weiter, in dem ich lese, auch wenn du noch weiter hinten bist, sonst gehen sie mir verloren.



    Wir treffen Charlus, der einen Schlaganfall erlitten hat und Nebenwirkungen, mit denen er zu kämpfen hat. Trotzdem ist er immer noch auf der Suche nach willigen jungen Männern. Braucht er das noch oder will er sich selbst vormachen, dass sich für ihn nichts geändert hat, obwohl Jupien ständig um ihn herum ist, um ihn zu pflegen? Oder beschützt Jupien den Baron gar vor sich selbst?


    Marcel ist unterwegs zu den Guermantes, und auf dem Weg dahin erinnern ihn zwei unterschiedlich hohe Bodenplatten an Venedig, wo er ähnliches wahrnahm. Die Eindrücke von dort sind noch sehr präsent und sie lösen in ihm starke Erinnerungen und Empfindungen aus. Er hat nun das Gefühl, dass er doch eine Laufbahn als Schriftsteller einschlagen könnte. Seine Gedanken zu diesem Zeitpunkt sind ziemlich komplex und ich gestehe, dass ich nicht alles verstanden habe, was er da über Seiten hinweg erzählt. Man merkt, dass er seine Erzählung langsam auf einen Abschluss vorbereitet. Ich habe das Gefühl, dass das ein sehr wichtiger Abschnitt ist, daher hoffe ich auf dich, knödelchen, dass du vielleicht etwas dazu schreibst, das den Groschen bei mir zum Fallen bringt.


    Beim Lesen kam mir gestern der Gedanke, ob Marcel zuletzt vielleicht wieder mit Gilberte zusammenkommt?

  • Doris, kein Problem, ich komme im Moment leider nicht so weiter wie ich möchte :sauer:. Na ja, ich setze mal wieder aufs Wochenende...

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  • Kein Problem. Ich habe meine heutige Mittagszeit wieder zum Lesen genutzt. Außerdem habe ich im Klassikerforum nachgelesen, was die damalige Leserunde von dieser nun schon längeren Passage hielt. Und wie ich befürchtet habe: Auch sie sehen es als einen der wesentlichen Abschnitte der Recherche, und für mich ist es nicht greifbar :heul:. Immerhin komme ich dank der dortigen Kommentare schon etwas weiter mit der Aufarbeitung, aber ich kann es nicht in Worte fassen.


    Sehr greifbar dagegen war, als Marcel von den Büchern seiner Kindheit spricht, welchen Zauber sie für ihn entwickelten und dass er sich sogar noch daran erinnert, wann, wo und mit welchen Empfindungen er sie gelesen hat. Liest er dasselbe Buch noch einmal als Erwachsener, findet er nicht mehr das, was ihn damals so bezauberte. Für mich ist das nachvollziehbar, denn das empfinde ich auch so. Manche Bücher sollten eine einmalige Lektüre bleiben, um sich zu bewahren, was sie so besonders machte.

  • So, ich bin nun immerhin an der Stelle angelangt an der Marcel Jupiens Etablissement betritt und dort durch ein Fenster Charlus beobachtet, der sich von einem jungen Mann auspeitschen lässt. Charlus Neigung wird anscheinend im Alter immer extremer. Auch allerlei andere bekannte Persönlichkeiten tummeln sich bei Jupien, darunter auch Saint-Loup.



    Ich habe den Abschnitt mit dem Krieg wohl hinter mich gebracht. Marcel ist nun wieder für einige Jahre in einem Sanatorium. Bemerkenswert fand ich davor aber noch die Begebenheit, als er zufällig mitbekommt, dass in Jupiens Etablissement ein Kriegskreuz gefunden wurde. Bald darauf erscheint Saint Loup bei ihm und sucht ein Kriegskreuz. Ich bin nicht schlau geworden, ob Marcel hier die Verbindung entdeckt hat.


    Ich hätte es schon so verstanden, dass Marcel die Verbindung zu Jupiens Lasterhöhle herstellt. Es gibt eine Fußnote, in der Marcel darauf hinweist, dass Saint-Loup sich dort nur anderweitig "zerstreut" bis er Morel wiedertreffen kann, also denke ich mal, dass er im Zusammenhang mit dem Kriegskreuz auch die Gestalt, die vor seinem Eintreten das Haus verlassen hat und die ihn schon an Saint-Loup erinnerte, auch diesem dann zuordnet.


    Für mich ist es immer noch seltsam, dass im Laufe des Buches fast alle Figuren homosexuelle oder in Charlus Fall sadomasochistische Neigungen entwickeln. Proust als unterdrückter Homosexueller muss schon sehr von diesem Thema beherrscht worden sein.



    Proust hat ja viele Bekannte aus seinem Umfeld als Vorbilder für die Romanfiguren benutzt, und heute kam mir der Gedanke, ob wohl seine Haushälterin Céleste Albaret die Vorlage für Françoise war. Ich habe das Buch hier, das Céleste über ihre Zeit bei Proust geschrieben hat, aber es ist noch ungelesen, daher kann ich keinen Vergleich ziehen. Aber interessant wäre es schon zu wissen. Mitunter nervt Françoise ein wenig, weil sie sich Marcel gegenüber gelegentlich doch etwas viel herausnimmt.


    Hm, dann wäre die arme Celeste aber nicht besonders gut weggekommen. Soweit ich weiß war sie in den letzten Jahren seines Lebens für ihn unersetzlich, da wäre es fast gemein, wenn er ihr ein Denkmal in der neugierigen und oft fast unverschämten Francoise gesetzt hätte. Wenn du das Buch gelesen hast, würde mich aber interessieren, was du darüber zu berichten hast.

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  • Ich hätte es schon so verstanden, dass Marcel die Verbindung zu Jupiens Lasterhöhle herstellt. Es gibt eine Fußnote, in der Marcel darauf hinweist, dass Saint-Loup sich dort nur anderweitig "zerstreut" bis er Morel wiedertreffen kann, also denke ich mal, dass er im Zusammenhang mit dem Kriegskreuz auch die Gestalt, die vor seinem Eintreten das Haus verlassen hat und die ihn schon an Saint-Loup erinnerte, auch diesem dann zuordnet.


    Verborgen geblieben ist es ihm jedenfalls nicht. Irgendwo gab es eine Stelle (die ich nicht finde), die den Rückschluss zulässt, dass Marcel über Saint-Loup Bescheid wusste.



    Für mich ist es immer noch seltsam, dass im Laufe des Buches fast alle Figuren homosexuelle oder in Charlus Fall sadomasochistische Neigungen entwickeln. Proust als unterdrückter Homosexueller muss schon sehr von diesem Thema beherrscht worden sein.


    Unterdrückt durch seine Umwelt oder aus eigenem Antrieb? Aber wie auch immer, er wird immer wieder an mangelnder Akzeptanz gelitten haben.


    Dass viele Menschen für ihre Umwelt unerwartet plötzlich Neigungen zum eigenen Geschlecht entwickeln, ist gar nicht so abwegig. Nur die Häufung bei Proust fällt auf. Übrigens hat einer von Marcels guten Bekannten, von dem zumindest ich es nicht erwartet hatte, wenigstens einmal einen Abstecher zu einem männlichen Gespielen gemacht. Ich weiß nicht, ob du schon an dieser Stelle warst.



    Hm, dann wäre die arme Celeste aber nicht besonders gut weggekommen. Soweit ich weiß war sie in den letzten Jahren seines Lebens für ihn unersetzlich, da wäre es fast gemein, wenn er ihr ein Denkmal in der neugierigen und oft fast unverschämten Francoise gesetzt hätte. Wenn du das Buch gelesen hast, würde mich aber interessieren, was du darüber zu berichten hast.


    Inzwischen habe ich etwas über Céleste nachgelesen und erfahren, dass sie tatsächlich ein große Hilfe für Proust war. Sie war seine Vertraute und Lektorin, also das Gegenteil von Françoise. Wenn ich ihr Buch gelesen habe, schreibe ich auf jeden Fall einen Kommentar dazu.



    Marcel sitzt indessen immer noch in der Bibliothek der Guermantes und wartet auf Einlass. Dabei sinniert er über Träume, die großen Einfluss auf ihn haben und innerhalb von wenigen Minuten des Träumens intensivere Gefühle entstehen lassen als es bewusstes Denken oder die Wirklichkeit vermögen. Er bezeichnet es als seine "zweite Muse", womit er die Sache gut trifft.


    Jetzt wird auch klar, welche Bedeutung Swann für ihn hatte, für die Richtung, die sein Leben eingeschlagen hat, die Orte, die er aufsuchte und die Menschen, die er dort kennen lernte. Das ist etwas, das für den Leser, sollte die Recherche ein zweites Mal gelesen werden, aufschlussreich ist. Ich denke überhaupt, dass der Zyklus beim erneuten Lesen ganz anders aufgenommen wird, mit all den Erkenntnissen, die man beim ersten Mal gesammelt hat.

  • Hallo Doris :winken:


    ich bin nun gestern ein stück weitergekommen und auch and er Stelle angelangt, an der Marcel bei den Guermantes in der Bibliothek sitzt.


    Vor seiner Abreise ins Sanatorium hat man noch von Saint-Loups Tod erfahren. So sind nun zwei der Personen, die Marcel mit Balbec verbindet, tot. Von großer Trauer um seinen Freund merkt man nichts; Marcel hatte sich wohl von dieser Freundschaft mehr erwartet und war von der Wirklichkeit wieder einmal enttäuscht gewesen. Vielleicht wird ihm Saint-Loup auch erst in der Erinnerung kostbar werden?


    Auf dem Rückweg nach Paris im Zug zweifelt Marcel an seinen schriftstellerischen Fähigkeiten; die Landschaft, die an ihm vorbeizieht, lässt ihn kalt und er fürchtet, geistig "unfruchtbar" zu sein. Auf dem Weg zu den Guermantes wird er durch drei kleine Begebenheiten in die Vergangenheit zurückversetzt und sinnt über die Bedeutung dieser Erinnerungen nach. Ich denke auch, dass diese Passage eine sehr wichtige im ganzen Romanzyklus ist, ich muss aber auch zugeben, dass ich sie nicht einfach fand.
    Hier meine Deutung: Marcel ist von der Realität der Orte und Dinge enttäuscht, weder Balbec noch Venedig noch das Zusammenleben mit Albertine haben ihm im Zeitpunkt des Erlebens wirklichen Genuß verschafft. Nur außerhalb der Zeit, also in der Erinnerung, die zufällig hervorgerufen wird und so ein Band zwischen der Gegenwart und einem früheren Zeitpunkt knüpft, kann er den Kern der Dinge erfassen und erleben. Nur in diesen aus der Zeit gefallenen Momenten kann er wieder der Mensch sein, der er damals war und so diese verlorene zeit wiederfinden.


    Die Begegnung mit Charlus, der nach einem Schlaganfall von Jupiens betreut werden muss, hat mich fast ein bisschen erschüttert. Charlus war nie eine sympathische Figur, aber das Ende als Lustgreis im Rollstuhl ist doch hart.



    Unterdrückt durch seine Umwelt oder aus eigenem Antrieb? Aber wie auch immer, er wird immer wieder an mangelnder Akzeptanz gelitten haben.


    Ich vermute mal durch die Umwelt. Wenn man weiß dass man verhaftet und gesellschaftlich geächtet wird, wenn man seine Neigungen offen zeigt, hat man wahrscheinlich eher weniger den Mut dazu, offen dazu zu stehen.




    Dass viele Menschen für ihre Umwelt unerwartet plötzlich Neigungen zum eigenen Geschlecht entwickeln, ist gar nicht so abwegig. Nur die Häufung bei Proust fällt auf.


    Sicherlich wurden im Lauf der Jahrhunderte unzählige Ehen geschlossen, die über die Homosexualität eines der Ehepartner hinwegtäuschen sollte. Sicherlich gibt und gab es aber auch Menschen, die nur heterosexuelle Neigungen haben, was bei Proust ja kaum vorkommt. Die Häufung bei Proust ist schon sehr extrem.

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  • Hier meine Deutung: Marcel ist von der Realität der Orte und Dinge enttäuscht, weder Balbec noch Venedig noch das Zusammenleben mit Albertine haben ihm im Zeitpunkt des Erlebens wirklichen Genuß verschafft. Nur außerhalb der Zeit, also in der Erinnerung, die zufällig hervorgerufen wird und so ein Band zwischen der Gegenwart und einem früheren Zeitpunkt knüpft, kann er den Kern der Dinge erfassen und erleben. Nur in diesen aus der Zeit gefallenen Momenten kann er wieder der Mensch sein, der er damals war und so diese verlorene zeit wiederfinden.


    Ah, diese Interpretation leuchtet mir noch besser ein. Damit werden seine Empfindungen für mich nachvollziehbar.



    Die Begegnung mit Charlus, der nach einem Schlaganfall von Jupiens betreut werden muss, hat mich fast ein bisschen erschüttert. Charlus war nie eine sympathische Figur, aber das Ende als Lustgreis im Rollstuhl ist doch hart.


    Lustgreis :breitgrins:. Wäre ich gemein, könnte ich nun sagen: "Jedem, wie er es verdient." Es gibt sicherlich einige Bekanntschaften von Charlus, die ähnlich denken, aber persönlich finde ich auch, dass er das nicht verdient hat.



    Ich vermute mal durch die Umwelt. Wenn man weiß dass man verhaftet und gesellschaftlich geächtet wird, wenn man seine Neigungen offen zeigt, hat man wahrscheinlich eher weniger den Mut dazu, offen dazu zu stehen.


    Wenn man sich von seiner Umwelt unterdrücken lässt, geschieht das ja auch aus eigenem Antrieb. So kann man gar nicht festmachen, ob ausschließlich die Umwelt oder man selbst schuld ist. Ich denke aber, Proust wird trotzdem die Gelegenheit gehabt haben, ganz offen schwul zu sein, wenn er sich unter Seinesgleichen aufhielt. Auch damals wird es schon so eine Art Kommune oder Gebäude gegeben haben - und wenn es solche wie Jupiens Haus gewesen ist - wo man sich nicht verstecken musste.



    Mir sind dummerweise meine Notizen abhanden gekommen, die ich in einem Spiralheft notiere, das inzwischen fast voll ist und entsprechend zerfleddert aussieht. Ich befürchte, Herr Doris hat es gestern zum Feuermachen verwendet, weil es wirklich wie Altpapier aussieht. Obwohl er wissen sollte, worum es sich dabei handelt :grmpf:


    Aber ich kriege auch so noch auf die Reihe, was als letztes geschah. Marcel bekommt endlich Zugang zum Salon der Guermantes und wähnt sich zuerst auf einem Maskenball, als alle Gäste ihm wie Greise vorkommen. Mit der Zeit erkennt er aber bekannte Gesichtszüge, die ihm zeigen, dass es sich tatsächlich um frühere Bekannte von ihm handelt. Es dauert aber ein Weilchen und einige Bemerkungen, bis er erkennt, dass auch er nicht mehr der Jüngste ist, obwohl er sich nicht alt fühlt. Es sieht aus, als würde er sich in Gegenwart dieser Menschen zum ersten Mal seines Alters bewusst. Ein Stück weit ist auch das die verlorene Zeit: Die Jugend, die dahin ist, die Menschen, die er so lang nicht gesehen hat. Aber er hat ja durch seine jüngsten Erkenntnisse nun die Zuversicht, endlich sein großes Werk schreiben zu können, und vielleicht gibt ihm das auch die Kraft, sich einzugestehen, was er alles verloren hat und was fast unbemerkt an ihm vorbeigegangen ist.

  • Bei mir geht es schleppend voran. Ich lese zwar jeden Tag ca. eine Stunde, aber es zieht sich inhaltlich schon wieder in die Länge.


    Marcel ist immer noch auf der Matinee der Guermantes und hat Probleme, seine früheren Bekannten wiederzuerkennen. Er bezeichnet das Älterwerden als Verkleidung, gerade so, als wolle er die Endgültigkeit dieser Verwandlung leugnen, als wäre es nicht so, wie es die Wirklichkeit darstellt. Aber dieser Prozess ist unumkehrbar. Er sieht in diesen Menschen nur das Negative, das Hässliche, bzw. das, was er als solches definiert. An den Gedanken, dass die anderen ihn ebenso gealtert wahrnehmen, muss er sich erst einmal gewöhnen. Einige der Anwesenden erkennt er zuerst überhaupt nicht, darunter Gilberte und Odette, die sich eigentlich gar nicht so sehr verändert hat. Der humorvolle Proust blitzt auch wieder kurz auf, als er das Altern durch Drogen als "Schnell- oder Sonderzüge" bezeichnet.


    Ja, und so zieht sich die Matinee hin. Obwohl er so viele Jahre zurückgezogen gelebt hat, macht er sich nun viele Gedanken über die anderen Gäste. Für mich ist in diesem Abschnitt vor allem Bloch interessant, der als Alter Ego von Proust gilt und dem ich vor diesem Hintergrund eigentlich viel zu wenig Aufmerksamkeit gewidmet habe. Auch in der Handlung gibt es ganz konkrete Hinweise darauf, dass Marcel mit Bloch verwechselt wurde. Für die Gesellschaft verschmelzen die beiden teilweise.

  • Hallo Doris :winken:,


    ich habe nur noch wenige Seiten vor mir, ein seltsames Gefühl, dass die Recherche danach wirklich zu Ende sein soll :sauer:.


    Nachdem Marcel über die Zeit und die Erinnerungen sinniert hat, denkt er über die Literatur, die Bücher seiner Kindheit und die Bedeutung Swanns für seinen Lebensweg nach, da dieser seinen Eltern vor vielen Jahren riet, ihn nach Balbec zu schicken, wo er Saint-Loup und Albertine kennenlernte. Dieser ganzer Abschnitt in der Bibliothek war nicht einfach für mich und ich habe jetzt schon wieder das Gefühl, ich müsste ihn nochmal lesen :rollen:.


    Dann schließlich wird er eingelassen und erkennt viele der anwesenden Gäste kaum noch, da die Zeit ihre Spuren hinterlassen und Greise und dickliche Matronen aus einst jungen Männern und Frauen gemacht hat. Dass auch Marcel selbt kein junger Mann mehr ist, war ihm wohl nicht so bewusst. Diesen ersten Teil der Matinee bei den Guermantes fand ich noch ganz amüsant zu lesen.
    Im Moment bin ich an einer Stelle angelangt, an der Marcel lang und breit die Veränderungen in der Gesellschaft beschreibt, die dazu geführt haben, dass die Neulinge im Kreis der Guermantes die Ursprünge manch eingesessener Mitglieder wie Madame de Cambremer oder auch Gilbertes nicht mehr wissen. Für mich ist dieses allzu große Standesbewusstsein und die Wichtigkeit, die die Herkunft und ein großer Name haben, nicht mehr so ganz nachvollziehbar.Da hat der erste Weltkrieg wohl wirklich eine andere Welt mit ganz anderen Sichtweisen und Prioritäten zerstört. An einer Stelle scheint Marcel oder Proust die Bemühungen, in diese Kreise aufgenommen und dort anerkannt zu werden, selbst anzuzweifeln, als er anhand die Frage stellt, was Bloch davon hatte, sein ganzes Leben danach getrebt zu haben.


    À propos Bloch, der soll tatsächlich das Alter Ego von Proust sein? Den habe ich nämlich ehrlich gesagt auch eher als Nebenfigur angesehen und mich nicht wirklich näher mit ihm befasst :redface:


    Mal schauen was die letzten Seiten noch bringen. Bisher ist mir noch nicht nach Taschentuch zumute :zwinker:

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