Frank Günther - Unser Shakespeare

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    Frank Günther[br]Unser Shakespeare[br]Erstveröffentlichung: 2014[br]Verlag: dtv[br]Broschiert[br]332 Seiten[br]14,90 €


    Ich habe kürzlich dieses großartige Buch gelesen, das in mir endgültig das Shakespeare-Feuer entfacht hat. :breitgrins:


    Frank Günther, Jahrgang 1947, ist seit nunmehr 40 Jahren einer der derzeit fleißigsten Übersetzer von Shakespeares Werken ins Deutsche, bislang hat er 34 der 37 Dramen übersetzt. Sein Buch "Unser Shakespeare" ist weniger eine Shakespeare-Biographie als vielmehr eine mitreißend geschriebene Abhandlung über die Wirkung, Rezeption und Bedeutung der Shakespeareschen Werke bis heute. Man merkt Frank Günther an, dass er einen Großteil seines Lebens dem Dichter aus Stratford-upon-Avon gewidmet hat.


    Er schildert, wie Shakespeare bzw. seine Werke in Deutschland ankamen: Spät, erst rund hundert Jahre nach Shakespeares Tod, gab es die erste Übersetzung ins Deutsche, und erst 1776 wurde "Hamlet" zum ersten Mal auf einer deutschen Bühne aufgeführt, doch dann eroberte er Deutschland im Sturm, Shakespeare wurde quasi eingemeindet und zu einem Deutschen, zu "unserem Shakespeare" gemacht. Der revolutionäre Einfluss von Shakespeares unkonventioneller Dramaturgie (nix da mit Einheit von Ort, Zeit und Handlung) auf die bis dahin recht starre, an die französische Dramatik angelehnte Aufführungspraxis auf deutschen Bühnen und sein Einfluss auf deutsche Dramatiker wie Goethe und Schiller in ihrer Sturm-und-Drang-Phase war erkennbar groß.


    Aus Shakespeares Leben gibt Frank Günther das wieder, was belegbar ist, und das ist leider nicht viel. Erfreulicherweise gibt er sich keinen Spekulationen hin, sondern orientiert sich an dem, was von Shakespeare selbst oder seinen Zeitgenossen an Aufschlussreichem über sein Leben überliefert ist. Leider ist die Faktenlage zu Shakespeares Leben sehr dürftig. Aber immerhin war wohl Stratford nicht unbedingt das Kuhdorf, als das es immer gern hingestellt wird, und auch Shakespeares Vater war nicht nur ein einfacher Handschuhmacher, sondern auch zeitweilig Bürgermeister von Stratford, darüber hinaus Geldverleiher und relativ gut betucht.


    Gleichzeitig gibt Günther einige interessante Einblicke in die damalige Zeit, das sogenannte Goldene Zeitalter unter Königin Elisabeth, beleuchtet Sitten, Moden und Gebräuche und die damalige Theaterwelt, die noch einen recht anrüchigen Anstrich hatte. So befanden sich fast sämtliche Theaterbauten - auch das ursprüngliche Globe Theatre - damals außerhalb der Stadtmauern Londons, und ein damaliger Theaterbesuch ist nicht mit heute zu vergleichen. Die Theater waren prinzipiell Freilufttheater, und die Aufführungen fanden meistens bei Tageslicht statt, die Zuschauer waren Wind und Wetter ausgesetzt, vor der Bühne gab es ausschließlich Stehplätze, und man kann sich als heutiger Theaterbesucher die Unruhe, die dort herrschte, und die Gerüche der vielen Menschen (Hygiene war kein besonderes Anliegen, wie Günther schreibt) kaum vorstellen.


    Frank Günther geht auch auf diverse Theorien derjenigen ein, die meinen, Shakespeare habe gar nicht Shakespeares Stücke geschrieben. Diese "Spökenkieker", wie er sie nennt, werden von ihm recht amüsant abgewatscht. Natürlich ist die Faktenlage dünn, was Shakespeares Leben und seine Autorschaft betrifft (so ist keines seiner Werke handschriftlich überliefert), aber immerhin gibt es einige Belege und Hinweise dafür, dass William Shakespeare auch der Verfasser der Werke von William Shakespeare ist. Dass nämlich jemand anderes dafür verantwortlich zeichnet - ob nun Christopher Marlowe, Ben Johnson, Francis Bacon oder gar Königin Elisabeth -, dafür gibt es zwar umso mehr Spekulationen, aber noch weniger bis gar keinen Beleg. Am Ende kommt Günther mit einer eigenen, ganz und gar aberwitzigen, aber ziemlich amüsanten Theorie daher, wer tatsächlich Shakespeares Werke geschrieben hat, die ich hier aber nicht verraten will. :zwinker:


    Frank Günther geht im Zusammenhang mit Shakespeare und seinen Werken auch auf aktuelle Diskussionen der letzten Zeit ein, so z.B. auf die Blackfacing-Debatte, die sich vor drei Jahren an Dieter Hallervordens Inszenierung des Theaterstücks "Ich bin nicht Rappaport" entzündete. Günther fragt, ob "Othello" bald ein unspielbares Stück wird. Gerade diesen Abschnitt fand ich sehr interessant, weil er hier recht einleuchtend darlegt, dass die Diskussion in Deutschland im Prinzip falsch geführt wurde, weil das Blackfacing hier einen ganz anderen künstlerischen und gesellschaftlichen Hintergrund hat als in den USA, wo es ursprünglich tatsächlich rassistisch und herabwürdigend gemeint war.


    Sehr interessant wird es auch immer dann, wenn Frank Günther auf die Schwierigkeiten und Probleme eingeht, vor denen er als Übersetzer steht. Er macht deutlich, dass er die Übersetzungen von Schlegel/Tieck schon für sehr gelungen hält, sie aber dem Original immer dort nicht gerecht werden, wo Shakespeare seinen Figuren eigene Stimmen, eigene Dialekte und Ausdrucksweisen gibt. Günther versucht, den Figuren ihre Stimmen wiederzugeben, die sie im Original haben, die aber bei der Schlegel/Tieck'schen Übersetzung allzu glattgebügelt wurden. Dabei gingen nämlich bedauerlicherweise auch viele der von Shakespeare verwendeten, teils sehr anzüglichen und derben Wortspiele verloren, die zwar eigentlich nicht adäquat ins Deutsche übersetzt werden können, aber Günther versucht's wenigstens, auch wenn Schlegel/Tieckianern das Ergebnis manchmal fremd vorkommen mag.


    Alles in allem ein Buch, das mir sehr großen Spaß gemacht hat, aus dem ich eine Menge gelernt habe und das die Shakespeare-Begeisterung seines Autors auf mich übertragen hat.


    Ich vergebe 5ratten


    In diesem Zusammenhang möchte ich übrigens Werbung machen für Frank Günthers Shakespeare-Übersetzungen, die bei dtv erschienen sind, als Taschenbücher nicht viel kosten und auch äußerlich mit tollen Schwarzweißfotos schön aufgemacht sind. Jede Ausgabe ist zweisprachig, mit dem Originaltext jeweils auf der geraden Seite links und der Übersetzung rechts auf der gegenüberliegenden Seite, so dass man beim Lesen immer Original und Übersetzung vergleichen kann. Darüber hinaus enthält jedes Buch erläuternde Texte sowie einen umfangreichen Anhang mit Fußnoten, in denen Frank Günther diffizile Textstellen, Wortbedeutungen oder historische Hintergründe zur jeweiligen Passage erläutert. Sehr aufschlussreich, kann ich nur sagen!


    Momentan habe ich Hamlet am Wickel. Richard III. und der Sommernachtstraum liegen noch auf dem SUB.


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    Für diejenigen, die sich einen Eindruck von Frank Günther verschaffen wollen:


    [li]Im letzten Jahr gab es bei "Druckfrisch" ein Interview mit ihm, das es hier in der ARD-Mediathek gibt: klick[/li]
    [li]Ein ganz interessantes und ausführliches Interview gibt es außerdem beim Bayerischen Rundfunk aus der Reihe "alpha-Forum": klick[/li]

  • Erst einmal danke für deinen ausführlichen Bericht!


    Zitat

    Aus Shakespeares Leben gibt Frank Günther das wieder, was belegbar ist, und das ist leider nicht viel. Erfreulicherweise gibt er sich keinen Spekulationen hin, sondern orientiert sich an dem, was von Shakespeare selbst oder seinen Zeitgenossen an Aufschlussreichem über sein Leben überliefert ist.


    Ich finde nichts Schlimmeres als wilde, meistens noch unhaltbare Diskussionen über Charaktere nur weil wenig Fakten bekannt sind. Das ist schon mal ein Pluspunkt.
    Nennt er seine Quellen im Anhang?


    Zitat


    In diesem Zusammenhang möchte ich übrigens Werbung machen für Frank Günthers Shakespeare-Übersetzungen, die bei dtv erschienen sind, als Taschenbücher nicht viel kosten und auch äußerlich mit tollen Schwarzweißfotos schön aufgemacht sind. Jede Ausgabe ist zweisprachig, mit dem Originaltext jeweils auf der geraden Seite links und der Übersetzung rechts auf der gegenüberliegenden Seite, so dass man beim Lesen immer Original und Übersetzung vergleichen kann. Darüber hinaus enthält jedes Buch erläuternde Texte sowie einen umfangreichen Anhang mit Fußnoten, in denen Frank Günther diffizile Textstellen, Wortbedeutungen oder historische Hintergründe zur jeweiligen Passage erläutert. Sehr aufschlussreich, kann ich nur sagen!


    Danke auch dafür. Da meine Chinchillas Klassiker zum Fressen gern haben, suche ich noch nach schönen neuen Ausgaben. Fotos und zweisprachige Ausgaben klingen sehr gut!

  • Da meine Chinchillas Klassiker zum Fressen gern haben, suche ich noch nach schönen neuen Ausgaben.


    Die dann aber hoffentlich in sicherer Entfernung verstaut werden :zwinker:


    MacOss: eine schöne Rezi zu einem interessant klingenden Buch.

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.


  • Die dann aber hoffentlich in sicherer Entfernung verstaut werden :zwinker:


    Inzwischen sind meine Regale nicht mehr zugänglich für sie. :zwinker:

  • Danke. :smile:



    Ich finde nichts Schlimmeres als wilde, meistens noch unhaltbare Diskussionen über Charaktere nur weil wenig Fakten bekannt sind. Das ist schon mal ein Pluspunkt.
    Nennt er seine Quellen im Anhang?


    Er nennt einige der gesicherten Quellen im Text und im Anhang, aus denen sich so etwas wie eine Biographie Shakespeares zusammenzimmern lässt. Es ist zwar nichts über seine Kindheit und Schulzeit überliefert, aber zumindest gibt es Unterlagen über seine Eheschließung mit Anne Hathaway, die Geburt seiner Kinder, einen Häuserkauf etc. Sein Vater wurde nachweislich zu einer Geldstrafe verurteilt, weil er einen nicht genehmigten Misthaufen zu nah an den Häusern in der Henley Street angelegt hatte. Und in Londoner Gerichtsunterlagen findet sich eine Erwähnung Shakespeares, weil er eines Tages als Zeuge in einem Prozess vernommen wurde. Zumindest für diesen einen Tag im Leben Shakespeares lässt sich genau sagen, wo er war. :zwinker:


    Dennoch gibt es viele weiße Stellen in Shakespeares Leben, in den Jahren von 1585 bis 1592 sogar eine absolut undokumentierte Lücke von sieben Jahren, in denen keiner weiß, was er getrieben hat oder wo er sich aufgehalten hat.