Antonia Michaelis - Paradies für alle

Es gibt 13 Antworten in diesem Thema, welches 2.651 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Tanuschka.

  • Kaufen* bei

    Amazon
    Bücher.de
    Buch24.de

    * Werbe/Affiliate-Links


    Wer sich wundert, wie das vorliegende Buch zum Thema "Music Box" passen soll, dem sei verraten, dass ich einen Teil meiner Teenagerzeit als fanatischer Fan der Band "Queen" verbracht habe (die es damals schon gar nicht mehr aktiv gab), daher kam mir in Verbindung mit dem Buchtitel sofort das Lied "Heaven for everyone" in den Sinn (und Valentine war so großzügig, es zu genehmigen :zwinker:).
    Mein Verhältnis zur Autorin ist ein wenig gespalten; während ich ihre Kinderbücher sehr mag ("Die Nacht der gefangenen Träume", "Die wunderliche Reise von Oliver und Twist") haben mich ihre Romane für Erwachsene leider ein ums andere Mal befremdet zurückgelassen ("Der letzte Regen", "Solange die Nachtigall singt", "Friedhofskind"). Trotzdem kann ich es nicht lassen und gebe die Hoffnung nicht auf, dass die Autorin irgendwann mal einen Roman für Erwachsene schreiben wird, der mir gefällt.


    Zum Buch:
    Erzählt wird aus der Perspektive von Malerin Lovis. Ihr Sohn, der neunjährige David, liegt nach einem mysteriösen Autounfall im Koma. Fünfzig Kilometzer von seinem Zuhause entfernt ist er plötzlich wie aus dem Nichts auf der A20 aufgetaucht und wurde von einem Auto erfasst - warum war er dort?
    Während sich ihr Mann Claas, der als Arzt ausgerechnet in diesem Fall selbst hilflos ist, sich in seine Arbeit vergräbt, zieht sich Lovis noch weiter von ihm zurück. Sie ist überzeugt, dass David aus dem Koma aufwachen wird, wenn sie nur herausfinden kann, was ihn auf die Autobahn geführt hat.
    In seinem Zimmer findet Lovis schließlich eine Mappe, die Davids Aufzeichnungen enthalten über die "Werkstatt zur Verbesserung der allgemeinen Gerechtigkeit", kurz "Werkstatt zur V.D.A.G.".
    David ist durch Begegnungen mit verschiedenen Menschen zum Schluss gekommen, dass die Güter auf dieser Welt ungerecht verteilt sind. Er beschließt dafür zu sorgen, dass es mehr Gerechtigkeit gibt und das Paradies schon auf Erden entstehen kann und nicht erst in einer jenseitigen Welt. Durch seine Werkstattberichten erfährt Lovis schließlich von den Projekten ihres außergewöhnlichen Sohnes, der ihr in der letzten Zeit sehr fremd geworden war.


    Meine Meinung:
    Bis jetzt bin ich richtig gefesselt von dem Buch. Vielleicht wird es ja tatsächlich DAS Buch von Antonia Michaelis sein, mit dem sie mich doch noch begeistern kann...
    Die Autorin wechselt geschickt zwischen zwei Erzählebenen: Das, was Lovis in der Zeit nach dem tragischen Unfall erlebt (es gibt zum Glück auch keinen Vorausblick, wie es ausgehen wird und ob David wieder aus dem Koma erwacht) und Davids Erlebnisse während seiner "Werkstatt zur V.D.A.G.", die er minutiös (und verschlüsselt) für die Nachwelt aufgeschrieben hat.
    Wer es ganz realistisch mag, der wird bei Antonia Michaelis wahrscheinlich ohnehin nicht glücklich und würde hier kritisieren, dass David viel zu reif und klug wirkt für sein Alter... Aber darum geht es überhaupt nicht. David IST nun mal ein außergewöhnlicher Junge und ich möchte mich lieber von seinen interessanten Gedankengängen unterhalten lassen als mich über "typische" 9jährige Kinder zu langweilen, die "realistisch" beschrieben werden.
    Auch Glaubensthemen greift die Autorin auf, geht dabei jedoch nicht plump vor: Lovis und ihr Mann sind Atheisten und David kommt durch die Schule und seine Begegnungen mit anderen Menschen verschiedenen Glaubensvorstellungen in Berührung, die ihn zum Nachdenken bringen.
    Ich bin erst bei Seite 62 angekommen und im Grunde ist noch nicht viel passiert, außer dass Lovis den Werkstattbericht gefunden und die ersten Einträge gelesen hat, aber schon jetzt bin ich mittendrin und will unbedingt mehr erfahren. Wer schon einmal etwas von Antonia Michaelis gelesen hat, dem wird ihre besondere Sprache und Erzählweise in Erinnerung geblieben sein.
    Durch die Ich-Perspektive ist man besonders nah dran an Lovis' Gefühlen, und die Autorin schafft es meiner Meinung nach perfekt, dem Leser durch ihre Sprache Lovis' Schmerz, ihre Isolation und das Gefühl der Taubheit nahezubringen, ohne dass dies explizit angesprochen werden muss. Großartig!
    Jetzt geht es erst noch mal mit dem Hund raus (ach ja, ein schwarz-grau gefleckter "nichtschöner" Hund kommt auch in "Paradies für alle" vor, was schon mal mindestens einen Pluspunkt gibt :smile:) und dann zurück aufs Sofa und weiterlesen.

  • Ich bin sehr gespannt wie du es findest. Ich abe es zwischen den Feiertagen gelesn und war sehr sehr begeistert. Ich fand es Mega.

  • Mich hat es sehr berührt. Vielleicht weil mein Sohn fast neun ist und ich Louis sehr gut verstehen kann. Ich würde auch so handeln glaub ich. Ihre Gedanken sind so nachvollziehbar.

  • Mittlerweile bin ich im letzten Drittel des Buches angekommen; es lässt sich wirklich sehr flüssig und kurzweilig lesen durch den Wechsel der Perspektiven. Mittlerweile ist auch klar, dass Claas, Davids Vater, sehr viel mehr über die "Werkstatt zur Verbesserung der allgemeinen Gerechtigkeit" weiß, als Lovis bisher dachte. Hatten die beiden am Tag von Davids Unfall eine gemeinsame Aktivität geplant, bei der etwas schief gelaufen ist?
    Schade, dass man nur wenig aus der Sicht von Claas erfährt. Wie radikal Lovis ihn aus ihrem Leben ausschließt, finde ich schon heftig. Allerdings scheint da im Hintergrund noch eine andere Geschichte zu laufen; David deutete in seinen Einträgen an, dass er den Grund dafür kennt, warum Claas immer so spät nach Hause kommt...
    Wenn Lovis über die Zukunft nachdenkt - mit David, der natürlich aus dem Koma erwachen wird, und ohne Claas - wird mir ganz mulmig zumute. Ich fürchte, dass es anders ausgehen wird. Lovis blendet ja jetzt schon die Realität stark aus - wie soll das erst werden, wenn sich die Dinge nicht so positiv entwickeln, wie sie es sich wünscht? Der Aufprall in der Realität wird sehr hart werden, fürchte ich. :sauer:

  • Kaufen* bei

    Amazon
    Bücher.de
    Buch24.de

    * Werbe/Affiliate-Links


    Während ich die Kinderbücher, die ich von Antonia Michaelis gelesen habe, sehr gelungen finde, war mein Verhältnis zu ihren Büchern für die ältere Leserschaft immer eher durchwachsen. "Der letzte Regen", "Solange die Nachtigall singt" und "Friedhofskind" haben durch den Klappentext und die ersten Kapitel jeweils sehr hohe Erwartungen in mir geweckt, die letztendlich immer enttäuscht wurden.
    Dass man bei Antonia Michaelis mit einem gewissen Maß an surreal wirkenden Episoden rechnen muss (bzw.darf) ist nicht das Problem, sonders dass ihre Romane bei mir letztendlich einen unausgewogen Eindruck hinterließen:
    Kleineren Ereignisse oder Details kam übermäßig viel Beachtung zu, während reelle Tatsachen meist sehr verkürzt oder vereinfacht dargestellt wurden (z.B. psychische Krankheiten, soziale Probleme...). Ich kam mir beim Lesen oft wie ein Spielverderber vor, der daneben steht und sagt: "Ja, aber in der wirklichen Welt würde sich das Problem nicht so einfach lösen lassen." Nun also "Paradies für alle", quasi mein letzter Versuch, einen Roman von Antonia Michaelis zu finden, der mich überzeugen könnte.
    Vorweg muss ich sagen, dass sich auch hier der kleine Spielverderber in mir immer mal wieder räuspern musste, wenn es meiner Meinung nach gar zu glatt ging mit der Rettung der Welt, aber im Großen und Ganzen habe ich "Paradies für alle" doch sehr genossen.


    Worum es geht?
    David, der neunjährige Sohn der Malerin Lovis, liegt nach einem rätselhaften Autounfall im Koma. Was hatte der Junge 50 Kilometer von seinem Zuhause entfernt auf der Autobahn zu suchen, wo er "wie aus dem Nichts" auf der Fahrbahn aufgetaucht sein soll und von einem Auto erfasst wurde?
    Lovis muss sich eingestehen, dass sie kaum sagen kann, was ihren hochbegabten Sohn in der letzten Zeit bewegt hat und dass er irgendwann damit aufgehört haben muss, sich ihr anzuvertrauen.
    Ein Fund in Davids Zimmer bringt Lovis auf eine wichtige Spur: Es sind die verschlüsselten Aufzeichnungen über Davids Projekt "Werkstatt zur Verbesserung der allgemeinen Gerechtigkeit". Gemeinsam mit seiner Freundin Lotta hatte David versucht, in seinem kleinen Heimatort für etwas mehr Gerechtigkeit zu sorgen und die vorhandenen Güter umzuverteilen. Hat dieses Projekt etwas mit Davids Unfall zu tun? Lovis beschließt nachzuforschen und sich mit den Menschen zu unterhalten, deren Leben David verbessern wollte...


    Meine Meinung:
    Trotz seiner 480 Seiten habe ich Antonia Michaelis' Roman rasch durchgelesen. Erzählt wird aus der Perspektive von Davids Mutter Lovis; andererseits erfährt man durch seine "Werkstattberichte" auch viel über Davids eigene Gedanken und Gefühle. Langeweile kam für mich zu keiner Zeit auf. Wer allerdings mit ethischen und/oder philosophischen Gedankengängen nichts anfangen kann, der wird mit "Paradies für alle" wohl nicht sehr glücklich werden. Allen anderen sei dieses Buch trotz seines ernsten und traurigen Themas sehr ans Herz gelegt!
    Zwar hat Antonia Michaelis bei ihren Fragen nach der Existenz Gottes bzw. einer höheren Macht und dem Bösen in der Welt das Rad nicht neu erfunden, aber ich finde es sehr positiv, in einem Unterhaltungsroman darauf zu stoßen und nicht nur in religiösen Fachbüchern.
    Während des Lesens habe ich kritisiert, dass man zu wenig aus der Perspektive von Claas, Davids Vater, erfährt. Am Ende macht dieser Aufbau allerdings Sinn, denn erst allmählich wird Lovis klar, dass die Welt, in der sie lebt, zwar kein Paradies sein mag, aber vielleicht auch nicht ganz so furchteinflößend und negativ, wie sie bisher dachte.
    Sicher werden einige Probleme zu einfach aus der Welt geschafft, aber im Grunde geht es auch nicht darum, wie David/Lovis die Welt retten, sondern wie Lovis die Chance bekommt, sich persönlich weiterzuentwickeln, indem sie die Welt und die Menschen in ihrer Umgebung besser kennenlernen kann, anstatt sich weiterhin vor den Vorstellungen zu fürchten, die sie sich hinter ihrer sicheren Fassade von ihnen gemacht hatte.
    Auch das Ende empfinde ich - bis auf einen kleinen Makel

    - als realistisch, wenn auch die Auflösung des Unfalls schon recht heftig ist. Damit hätte ich nun nicht gerechnet. Das Buch geht an die Substanz, da es den Leser mit Themen konfrontiert wie Verlust, Tod und die Frage, was denn nach dem Tod kommt. Wer sich darauf nicht einlassen kann oder möchte - ich denke hier vor allem an Eltern, für die es noch mal heftiger sein muss, darüber zu lesen - , sollte vielleicht von "Paradies für alle" lieber die Finger lassen.


    Ansonsten aber eine klare Leseempfehlung von mir und
    4ratten sowie :marypipeshalbeprivatmaus:


    Im April wird Antonia Michaelis' nächster Roman "Das Institut der letzten Wünsche" erscheinen. Ich werde mir das Buch ebenfalls kaufen und darauf hoffen, dass die Autorin hier ähnlich sensibel mit einem ernsten Thema umgehen wird wie in "Paradies für alle".

  • Mich hat dieses Buch genauso berührt wie dich und auch ich war am Ende verblüfftund habe doch ein paar Tränen vergossen. Ich bin Mutter und mein Sohn ist fast so alt wie David, vielleicht hat es mich gerade deshalb so angesprochen. Ich kann Lovis sooo gut verstehen und hab sooft mit ihr gefühlt.
    Ich habe oft nach dem beenden an dieses Buch gedacht, sehr oft so hat es mich beschäftigt.


    Ich finde es großartig.

  • Obwohl du ja sehr schön und interessant von dem Buch berichtest, fällt es mir irgendwie schwer mir vorzustellen, wie die eigentliche Handlung ist. Lovis erzählt ja wohl, aber sie kann doch eigentlich gar nicht so viel über das Leben ihres Sohnes sagen, da er ihr ja, wie oben erwähnt wurde, anscheinend sehr fremd geworden ist. Sind es denn vor allem Rückblenden aus welchen das Buch besteht?

  • Ja, es sind die Einträge von David die die Geschichte erzählen, Louis muss sie entschlüsseln um zu erfahren was mit ihrem Sohn geschehen ist. Das ist ihr Teil der Geschichte. Irgendwie ist dieses Buch von den Perspektiven her anders,schwer zu beschreiben, aber das macht seinen Reiz aus.

  • Tanuschka hat es gut beschrieben. Irgendwann kommt dann auch der Punkt, in dem der Schwerpunkt der Geschichte nicht mehr auf der Vergangenheit liegt, sondern auf der Gegenwart - wie wird Lovis mit dem Wissen umgehen, das sie aus Davids Aufzeichnungen gewonnen hat? Hier dreht die Autorin im letzten Drittel des Buches noch mal gewaltig an der Spannungsschraube, auch wenn ich persönlich nicht alle Ereignisse realistisch fand, aber der positive Gesamteindruck überwiegt trotzdem.