Anita Shreve - Das Echo der verlorenen Dinge (Stella Bain)

Es gibt 9 Antworten in diesem Thema, welches 3.010 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Doris.

  • Das Echo der verlorenen Dinge
    Stella Bain
    (erschienen 2013, dt. 2015)


    Kaufen* bei

    Amazon
    Bücher.de
    Buch24.de

    * Werbe/Affiliate-Links

    Kaufen* bei

    Amazon
    Bücher.de
    Buch24.de

    * Werbe/Affiliate-Links


    Klappentext
    Die englische Lazarettschwester Stella Bain irrt durch London. Sie hat alles verloren: ihr Gedächtnis, ihren richtigen Namen, ihre Familie. Aber sie ist mutig, sie will ihre Erinnerung zurück, auch um den Preis einer schrecklichen Wahrheit. Lange Gespräche mit dem jungen Londoner Arzt August Bridge führen sie in die eigene Vergangenheit - liegt dort in einem traumatischen Ereignis der Schlüssel zu ihrem alten Leben?



    Sie hat ihr Gedächtnis verloren, als sie mit Verletzungen durch Granatensplitter an der Front in Marne im März 1916 im Lazarett aufwacht. Ihr Akzent lässt darauf schließen, dass sie Amerikanerin ist. Mit der Zeit erinnert sie sich an den Namen Stella Bain und hat das Gefühl, unbedingt zur Admiralität nach London zu müssen. Dort kommt sie bei dem Arzt August Bridge und seiner Frau Lily unter, die sich aufopfernd um die für sie fremde Frau kümmern. Stella kann außergewöhnlich gut zeichnen und Dr. Bridge glaubt, in den Bildern den Schlüssel zu ihrer Vergangenheit zu finden. Die beiden beginnen mit einer Gesprächstherapie und entdecken schon bald seltsame Personen, die für Stella irgendwie von Bedeutung sind.


    So richtig gepackt hat mich das Buch noch nicht. Stella ist eine zurückhaltend Person, was so gut zum Ausdruck kommt, dass man als Leser nicht richtig an sie herankommt. Leider bleibt dadurch generell eine Distanz zur Handlung. Ein bisschen Spannung ist aber schon dabei, denn hinter einem verlorenen Gedächtnis steckt oft ein Schutzmechanismus des Unterbewussten, und ich bin natürlich neugierig, warum diese Amnesie aufgetreten ist. Aber dieses Aufgehen in der Handlung fehlt mir.

  • Die Grundidee klingt ja sehr reizvoll, und auch die Zeit, in der das Buch spielt, spricht mich an. Ich bin gespannt, was Du noch schreibst.

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen






  • Die Grundidee klingt ja sehr reizvoll, und auch die Zeit, in der das Buch spielt, spricht mich an. Ich bin gespannt, was Du noch schreibst.


    Da schließe ich mich glatt an: ich bin auch sehr gespannt auf weitere Eindrücke von Dir, Doris! :winken:

    Liebe Grüße

    Tabea

  • Das Original-Cover scheint mir die Stimmung des Buches viel besser wiederzugeben. Schön, dass du das auch mit verlinkt hast. Mit dem deutschen Cover hätte ich rein gar nichts optisch anfangen können.


    Ich lese auch gespannt mit. So eine Amnesie lässt ja auch ein traumatisches Erlebnis schließen. Mein Mauscursor kreist um den "Kaufen"-Button bei Amazon. :breitgrins:

  • Die Meinungen über den Roman gehen ja wieder einmal weit auseinander.


    An sich interessiert mich die Zeit besonders, und das Thema klingt lesenswert. Mal sehen, was du uns weiter berichtest.

    Das Leben ist das schönste Märchen. Hans Christian Andersen

  • Schön, dass ihr euch auch für dieses Buch interessiert. Da macht das Berichten gleich noch mehr Spaß.


    Noch eine Ergänzung zum besseren Verständnis:


    Stella kann außergewöhnlich gut zeichnen und Dr. Bridge glaubt, in den Bildern den Schlüssel zu ihrer Vergangenheit zu finden. Die beiden beginnen mit einer Gesprächstherapie und entdecken schon bald seltsame Personen, die für Stella irgendwie von Bedeutung sind.


    Die seltsamen Personen befinden sich auf Stellas Bildern.



    Nun wird es schwierig weiterzuerzählen, ohne zu viel zu verraten. Der erste Teil endet mit einer Begegnung, die Stellas Erinnerungsvermögen ins Laufen bringt. Danach folgt eine kurze Rückblende, die endlich Aufschluss über ihre Vergangenheit gibt. Es ist nicht gleich in allen Einzelheiten klar, wie ihr Leben früher verlaufen ist. Über manche Bedeutung muss man ein wenig grübeln oder hat nur eine Ahnung über bestimmte Vorkommnisse, doch das erhellt sich im Verlauf der Handlung. Nun kommen die Informationen über Stella, die einen Menschen aus ihr machen, mit dem man mitfühlt. Es wird persönlicher, und damit bin ich endlich in der Handlung angekommen.


    Die Arbeit im Lazarett steht jetzt mehr im Mittelpunkt. Das liest sich im Gartenstuhl auf der Terrasse recht spannend, aber der Gedanke daran, unter welchen Umständen gearbeitet werden musste, treibt mir eine Gänsehaut über den Rücken. Unzureichende Instrumente und Medikamente, Kälte, ständige Hektik im Kampf um das Leben der Verwundeten und das alles immer mit der Angst um das eigene Leben im Nacken.


    Anita Shreve entwickelt wieder Charaktere, die typisch für sie sind: nachdenklich, ruhig, empfindsam und mit Problemen beladen. Aber wer will schon ausschließlich über sorglose, glückliche Menschen lesen? Das wird auf die Dauer langweilig und passt auch nicht in die Zeit des ersten Weltkrieges. Auch stilistisch bleibt sich Shreve treu und entwickelt mit ihren sachlichen und geradezu sparsamen Schilderungen nicht nur Menschen, sondern entwirft auch Landschaften: Rund um das Schloss fällt das Gelände ab, es steht wie auf einem Gipfel, und nach allen Richtungen breiten sich offene Felder aus, verwilderte Gärten, Obstpflanzungen, und auf einer Seite liegt ein alter Tennisplatz. Wenige Worte und doch alles dabei, um ein farbiges Bild im Kopf entstehen zu lassen.

    Einmal editiert, zuletzt von Doris ()

  • Für mich ist es definitiv besser, viele Seiten am Stück zu lesen. Nur so kann ich mich richtig in die Handlung vertiefen. Es war aber auch nicht schwer, denn Etna (die frühere Stella - damit verrate ich wohl nicht zu viel) erinnert sich wieder an ihr Leben vor der Amnesie, das nicht einfach war. Jetzt ist auch klar, dass diese kurze Rückblende nach dem ersten Teil von elementarer Bedeutung ist. Spannend wurde es durch eine Gerichtsverhandlung, die sich über viele Seiten erstreckt, durch die straffen gerichtstypischen Dialoge und Enthüllungen aber kurzweilig bleibt. Sie erscheint archaisch, gemessen an heutigen Verhandlungen, aber wir befinden uns schließlich in einer Zeit, die einhundert Jahre zurückliegt. Ob Briefen als Beweismitteln tatsächlich so viel Bedeutung zuteil wurde, kann ich nicht einschätzen. Diese Lösung gefiel mir nicht so gut. Fragwürdig war auf jeden Fall ein Zeuge, der quasi aus dem Hut hervorgezaubert wurde. Das war im wahrsten Sinn zu weit hergeholt.


    Mit der Verhandlung wird auch das Rätsel um die Amnesie geklärt. Die Erklärung dafür ist schlüssig, diese Frage ist also geklärt. Zu diesem Zeitpunkt hat sich der Schwerpunkt aber längst verlagert auf Etnas Erlebnisse in der Vergangenheit.


    Die bislang einzige deutsche Bewertung des Buches (zu finden bei der englischen Ausgabe) kann ich nicht nach vollziehen. Was die angesprochenen Klischees betrifft - so dramatisch ist es nun auch wieder nicht. Wenn man will, findet man sie überall. Welches Buch - welches Leben - ist frei von Klischees? Was für den einen ein Klischee ist, ist für den Betroffenen manchmal ein Schicksalsschlag. Und was den Mangel an Anspruch betrifft, kann ich nur empfehlen, das Buch eben nicht schnell mal durchzulesen, sondern sich ein paar Gedanken dazu zu machen. Dann stößt man auch auf die Feinheiten.

  • Danke für Deine Eindrücke, Doris! Das Buch wandert definitiv auf meine Wunschliste.



    Was die angesprochenen Klischees betrifft - so dramatisch ist es nun auch wieder nicht. Wenn man will, findet man sie überall. Welches Buch - welches Leben - ist frei von Klischees?


    Das denke ich mir auch häufig. Sicher gibt es Klischees, die extrem überstrapaziert sind oder dumme Vorurteile widerspiegeln, aber es gibt vieles, was tatsächlich vielen Menschen in ähnlicher Form widerfährt. Das wirkliche Leben ist halt auch nicht immer originell.

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen






  • ... aber der Gedanke daran, unter welchen Umständen gearbeitet werden musste, treibt mir eine Gänsehaut über den Rücken. Unzureichende Instrumente und Medikamente, Kälte, ständige Hektik im Kampf um das Leben der Verwundeten und das alles immer mit der Angst um das eigene Leben im Nacken.


    Ich finde, dass diese Beschreibungen es dem Leser ermöglichen, sich ein intensives Bild von der damaligen Zeit und den Gegebenheiten zu machen. Wenn sie einen dann noch nahe gehen, ist das "Ziel" des Miterlebens erreicht.

    Das Leben ist das schönste Märchen. Hans Christian Andersen

  • Ich bin gestern fertig geworden. Die Geschichte endete ebenso ruhig, wie sie sich abspielte. Für ein mögliches Ende kamen für mich zwei Varianten in Frage; eine davon ist tatsächlich eingetreten. Schwer zu sagen, ob ich mir dieses Ende für Etna/Stella gewünscht habe oder ob es einfach absehbar war, weil es kaum andere Möglichkeiten gab, wenn man nicht noch etwas völlig Unvorhergesehenes in die Handlung einbauen wollte. Der Rahmen war dafür zu eng gesteckt und es hätte auch nicht gepasst.


    Insgesamt war das Buch stimmig. Es gab nur wenige Charaktere und blieb deshalb überschaubar. Stella machte eine sichtbare Entwicklung durch. Diese Distanz, die ich als Leserin anfangs nicht überbrücken konnte, ist nachvollziehbar, wenn man berücksichtigt, dass sie ihr Gedächtnis verloren hatte und selbst nicht wusste, wer oder wie sie war. Es drangen nicht viele Emotionen nach außen, die sie zu einem Menschen machten, mit dem man instinktiv mitfühlt. Aber das änderte sich ja zusehends. Auch sprachlich passte alles zusammen. Anita Shreves Stil ist immer klar und schnörkellos und gleitet nicht ins Dramatische oder Kitschige ab.


    Vielleicht nicht Shreves bestes Buch, aber doch lesenswert. Es ist eine ruhige Geschichte, die sich im Stillen abspielt. Und du hast recht, Nalar, das Cover der Originalausgabe passt tatsächlich besser zum Inhalt.


    4ratten