Talbot, Charlesworth, Talbot - Votes for Women: Der Marsch der Suffragetten

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    Originaltitel: Sally Heathcote: Suffragette
    Leseprobe


    Eingerahmt wird die Erzählung über die Geschichte der englischen Sufragettenbewegung von Szenen einer ihrer Beteiligten im hohen Alter. Sally liegt im Pflegeheim und erinnert sich an ihre Jugend. Sie arbeitete als Hausmädchen im Haushalt von Mitgliedern der Frauenbewegung, bekam erste Anregungen zu entsprechender politischer Richtung und engagierte sich irgendwann losgelöst von ihnen selbst in der Bewegung bis hin zu den radikalsten Zweigen.


    Traurig fand ich das Ende des Comics, als die Enkelin der Hauptfigur die Herabsetzung des Wahlalters auf 18, was sie in Kürze wahlfähig machen würde, als uninteressant kommentiert. So schnell sind die Dinge, für die man gekämpft hat, selbstverständlich und ohne Würdigung.


    Leider konnte mich der Comic nicht vollständig begeistern. Die verschiedenen Strömungen innerhalb der Bewegung und ihre voneinander abweichenden Ziele oder häufiger unterschiedliche Auffassungen darüber, wie die Ziele zu erreichen wären, sind mir nicht wirklich klar geworden. Vielleicht hätte ich genauer lesen müssen, was für mich nicht dem Medium Comic entspricht oder die Autoren haben sich da tatsächlich nicht deutlich genug ausgedrückt, um dieses Thema auch ohne Vorkenntnisse oder Nachschlagen verständlich zu machen.


    Zudem dominiert die Dokumentation zu häufig über die persönliche Geschichte der Hauptfigur. Dadurch spricht die Geschichte zu selten die Gefühle des Lesers an und bleibt fern der persönlichen Erfahrung. Einzelne Abschnitte (Sallys Aufenthalt im Gefängnis, die Katz-Maus-Szene) sind allerdings sehr eindringlich gezeichnet und die konnten bei mir tatsächlich Gefühle (meist Empörung) wecken.


    Der Comic ist größtenteils in Grautönen gehalten, farbig sind nur die Farben der Bewegung (grün-weiß-lila). Die meisten Figuren, besonders die Damen der Bewegung sind sich für meine Augen aber zu ähnlich, ich konnte sie kaum auseinanderhalten, nur Hauptfigur Sally sticht durch ihre roten Haare heraus.


    „Votes for Women“ ist interessant, aber für zufällige Leser zu komplex, während es für Kenner des Themas nichts Neues enthalten dürfte und durch die fehlende persönliche Note vermutlich keinen Gewinn darstellt. Als bewusste Einstiegslektüre, kann ich es mir allerdings recht gut vorstellen, zumal es mehrere Seiten mit Anmerkungen zu den historischen Hintergründen gibt. Mir ganz persönlich hat der Comic leider nicht wirklich gefallen.


    3ratten

  • Worum geht's?
    England, Anfang des 20. Jahrhunderts. Nicht erst seit der Industrialisierung sind Frauen schon lange nicht mehr „nur“ Hausfrauen, die sich um Kinder und Haushalt kümmern, sondern die hart und unter widrigen Umständen ihren Lebensunterhalt verdienen müssen. Dennoch haben sie in Arbeitervertretungen und schon gar nicht in der Regierung Vertreterinnen – sie dürfen nicht einmal wählen. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts durften das zwar auch nicht alle Männer, doch Frauen waren komplett ausgeschlossen.
    Für eine Änderung des Wahlrechts, nämlich dass auch Frauen frei wählen dürfen, setzten sich Frauen (und Männer) der W.S.P.U. (1) ein, die später als Suffragetten bezeichnet wurden. Großbritannien führte 1918 ein eingeschränktes Wahlrecht, 1928 schließlich das allgemeine Wahlrecht ein. (2)


    In der Graphic Novel Votes for women wird dieser Teil der Geschichte der Frauenbewegung durch den fiktiven Charakter von Sally Heathcote erzählt. Sie wurde von Mrs. Pankhurst aus einem Armenhaus „gerettet“ und als Dienstmädchen eingestellt, und kam durch ihre neue Chefin mit der Frauenbewegung in Kontakt. Mit der Zeit wurde sie immer aktiver. Sie nahm an Kundgebungen und Demonstrationen teil, wurde verhaftet und während ihres Hungerstreiks im Gefängnis zwangsernährt, und griff später auch zu militanteren Mitteln. Sie erlebt, wie sich die Bewegung für das Frauenwahlrecht zunächst an der Frage nach der Rechtmäßigkeit von Gewalt und Vandalismus aufspaltet, und später, während des Ersten Weltkrieges, teilweise sogar feindselig gegenüber steht.
    Ein Schwenk in die Gegenwart zeigt auch, wie die heutige Generation junger Mädchen über das Wahlrecht denkt.


    Wie war’s?
    Geschichte wird in dieser Graphic Novel lebendig. Natürlich weiß man als Leser*in, dass das Frauenwahlrecht schlussendlich eingeführt wird. Dass der Weg dahin allerdings so hart war und viel Tränen und Blut forderte, ist vermutlich nicht allen bewusst. Auf diesen Seiten findet man neue Heldinnen, die sich auf ihrem Weg für Gleichberechtigung weder von zudringlichen Männern noch von Gefängnis oder schlimmeren haben abbringen lassen. Sally Heathcote mag fiktional sein, aber die Suffragettenbewegung bestand aus mehr als den Köpfen wie Emmeline Pankhurst und ihren Töchtern Sylvia und Christabelle, es gab zahlreiche Frauenvereine, die für die gleiche Sache kämpften. Mit durchaus harten Bandagen, dagegen wirken „gewaltbereite“ Demonstranten auf heutigen politischen Demos (in der Presse bevorzugt als „Chaoten“ bezeichnet) eher handzahm. Der Einsatz militanter Mittel wird in Votes for Women nicht nur als Teil der Bewegung gezeigt, die Frage dessen Legitimität taucht immer wieder auf, und auch die Diskussion innerhalb der Bewegung.


    Der Zeichenstil von Talbot und Charlesworth ist klar und eindrucksvoll. Sally hat durch ihr rotes Haar einen großen Wiedererkennungswert und ist auch auf größeren Bildern mit vielen Personen unschwer zu erkennen. Besonders beeindruckend sind ihre Zeit im Gefängnis, ihr Hungerstreik und die Zwangsernährung gezeichnet. Es braucht fast keine Worte, doch das beklemmende Gefühl greift auch auf die Leser*in über.
    Bei der Vielzahl wiederkehrender Charaktere wäre ein Personenindex zu Beginn der Graphic Novel wünschenswert gewesen, da man schnell den Überblick verliert. Dennoch ist es eine wundervolle Graphic Novel, die sowohl für Leser*innen, die sich mit diesem Teil der Geschichte noch nicht befasst haben, als auch für solche, die sich mit der Thematik bereits auskennen, interessant ist.


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    (1) Women’s Social and Political Union
    (2) In Deutschland dürfen Frauen übrigens seit 1919 wählen.
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