Jörn Leonhard - Die Büchse der Pandora. Geschichte des Ersten Weltkriegs

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    Jörn Leonhard - Die Büchse der Pandora. Geschichte des Ersten Weltkriegs


    Beschreibung des Verlags:
    Diese Gesamtgeschichte des Ersten Weltkriegs ist konkurrenzlos. Noch nie wurde die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts so vielschichtig erzählt: europäisch vergleichend, global in der Perspektive, souverän in der Darstellung.


    Jörn Leonhards grandiose Synthese entfaltet ein beeindruckendes Panorama. Sie zeigt, wie die Welt in den Krieg hineinging und wie sie aus ihm als eine völlig andere wieder herauskam. Sie nimmt nicht nur die Staaten und Nationen in den Blick, sondern auch die Imperien in Europa und weit darüber hinaus. Sie beschreibt die dynamische Veränderung der Handlungsspielräume, die rasanten militärischen Entwicklungen und die immer rascheren Wandlungen der Kriegsgesellschaften. Und sie lässt die Erfahrungen ganz unterschiedlicher Zeitgenossen wieder lebendig werden: von Militärs, Politikern und Schriftstellern, Männern und Frauen, Soldaten und Arbeitern. Doch die Gewalterfahrungen des Weltkrieges endeten nicht mit den Friedensverträgen nach 1918, sondern setzten sich in Europa und der ganzen Welt im Namen neuer Ordnungsvorstellungen und radikaler Ideologien fort – so als wäre damals die Büchse der Pandora geöffnet worden, jenes Schreckensgefäß der antiken Mythologie, aus dem alle Übel der Welt entwichen, als man gegen den Rat der Götter seinen Deckel hob.



    Aufbau:


    Das Buch ist in folgende Abschnitte aufgeteilt, die sich zumeist aus weiteren Unterabschnitten zusammensetzen:


    I. Erbschaften: Der Erste Weltkrieg und das lange 19. Jahrhundert Europas
    II. Vorläufe: Kriegseinhegung und Krisenverdichtung vor 1914
    III. Entgleisung und Eskalation: Sommer und Herbst 1914
    IV. Stillstand und Bewegung: 1915
    V. Abnutzen und Durchhalten: 1916
    VI. Expansion und Erosion: 1917
    VII. Plötzlichkeit und Zerfall: 1918
    VIII. Ausgänge: Kriege im Frieden und die Konkurrenz neuer Ordnungsmodelle 1919-1923
    IX. Gedächtnisse: Fragmentierte Erfahrungen und polarisierte Erwartungen
    X. Hypotheken: Der Erste Weltkrieg und das 20. Jahrhundert der globalen Konflikte



    Meine Meinung:


    Ich versuche seit einiger Zeit meine Wissenslücken über den Ersten Weltkrieg und seine Auswirkungen bis hin zum Zweiten Weltkrieg aufzufüllen, da das Thema in der Schule nur rudimentär behandelt wurde. Nach einigen Büchern über die Vorgeschichte (u.a. "Die Schlafwandler" von Christopher Clark) habe ich mich dann an dieses Mammutwerk getraut, an dem ich gut 3 Monate kauen musste.


    Zu einen lag die lange Lesezeit daran, dass ich immer wieder Pausen eingelegt habe, da ich mich nicht kontinuierlich mit dem Thema auseinander setzen konnte. Die ersten Abschnitte haben nochmal in komprimierter Form das dargestellt, was Clark in seinem Buch viel umfangreicher ausgeführt hat, und zwar wie Europa überhaupt in den Ersten Weltkrieg geraten konnte. Das war mir so schon bekannt und daher habe ich diese Kapitel recht schnell geschafft. Danach jedoch wurde es für mich zu einer härteren Lektüre, wenn ich davon las, wie begeistert die Soldaten aller Seiten sich in den Kampf gestürzt haben, eifrig dabei, ihr Heimatland vor dem barbarischen Feind zu verteidigen und im festen Glauben, dass sie Weihnachten wieder zu Hause sein würden. Nach der Euphorie folgten dann auch bald die Ernüchterung angesichts horrender Verluste und der Unfähigkeit der Kommandeure aller Seiten, sich auf die veränderte Realität des modernen Kriegs einzulassen. Stattdessen haben sie weiter ihre Infanterie mutig gegen den Feind marschieren lassen - der in seinen befestigten Schützengräben mit Maschinengewehren auf die Entgegenkommendenen gewartet haben.


    Zum zweiten ist das Buch sehr dicht geschrieben mit vielen Informationen. So las ich sehr viel langsamer als ich es normalerweise tu, um möglichst viel mitzunehmen. Der Autor schreibt dabei aber keinesfalls trocken und dröge und es artet auch nicht in Namedropping aus, sondern man merkt ihm an, dass er sich sehr intensiv mit der Materie auseinandergesetzt hat und über viel Hintergrundwissen verfügt - immerhin ist er Professor für westeuropäische Geschichte an der Universität Freiburg. An manchen Stellen fühlte ich mich aber von den ganzen Details überwältigt und habe stellenweise den Faden verloren, den ich jedoch problemlos ein paar Absätze weiter wieder aufnehmen konnte, ohne dass ich das Gefühl hatte, etwas Wesentliches verpasst zu haben.


    Grundsätzlich hat der Autor sich an einem chronologischen Aufbau orientiert, jedoch an einzelnen Stellen auch vorgegriffen, wenn er ein bestimmtes Thema genauer beleuchtet hat. Auch hat sich Leonhard nicht allein auf den militärischen Verlauf des Krieges gestützt, sondern auch die politische Lage und die Situation an der Heimatfront dargelegt und auch die jeweiligen Verbindungen dazwischen. Sein Blickwinkel umfasst nicht nur singulär die Mittelmächte oder die Allierten, sondern er stellt gleichberechtigt Großbritannien, Frankreich, Deutschland, Österreich-Ungarn sowie später auch die USA dar, die erst 1917 in den Krieg eingetreten sind.


    Im Buch sind einige Fotografien, Abbildungen und Karten enthalten, wobei es aus meiner Sicht ruhig noch ein paar mehr Karten hätten sein können, um die einzelnen Entwicklungen besser nachvollziehen zu können, sowie Übersichtskarten 1914 / 1918 in den Umschlagseiten, um schnell noch mal nachschlagen zu können, wo denn jetzt wieder Bessarabien liegt (heute liegt es zum größten Teil in Moldawien und teilweise auch in der Ukraine).


    In den abschließenden Abschnitten macht der Autor deutlich, dass der Erste Weltkrieg nicht mit dem Waffenstillstand zwischen Deutschland und den Allierten am 11.11.1918 endete, sondern sich in manchen Regionen noch länger hinzog und zum Teil nahtlos in Unabhängigkeits- und Bürgerkriege überging. Das bildet aber eher nur einen Ausblick, denn um dies detailliert darzustellen, benötigt es ein eigenes Buch.


    Insgesamt bin ich froh, dass ich mich durch dieses Buch durchgekämpft habe, denn obwohl es bei weitem keine leichte Lektüre war, so hat sie mir doch viel Wissen und Zusammenhänge offenbart und manche Begriffe sind für mich jetzt keine abstrakten Stichworte mehr, sondern mir ist jetzt klarer, was dahinter steckt. Ein guter Ausgangspunkt, um sich demnächst mit der Zwischenkriegszeit zu beschäftigen.

  • Da hast du wirklich was weggeschafft! :leserin: Vielen Dank auch für die ausführliche Besprechung. Klingt tatsächlich wie ein Klassiker der Geschichtsschreibung,


    Mich interessiert die Zeit zwischen der Jahrhundertwende und dem Nationalsozialismus auch sehr, weil sie ungeheure technische Fortschritte und musischer Höhenflüge mit den grauenvollen Konflikten, Politikerkatastrophen und Bündnisdominos paart, die schließlich zu den beiden Weltkriegen führten. Aber an so ein dickes Buch über den Ersten Weltkrieg allein habe ich mich noch nie getraut. Respekt!