Martin Walser - Ehen in Philippsburg

Es gibt 2 Antworten in diesem Thema, welches 2.232 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Kenavo.

  • Deutschland 1957. Der Krieg ist vorbei, die Wirtschaft boomt, Deutschland "ist wieder wer".


    In diesem Buch zeigt Martin Walser anhand von drei Paaren, dass die 50er Jahre keineswegs nur von Ehe- und Familienglück analog zum wirtschaftlichen Aufschwung geprägt waren, dass es damals schon jede Menge gestörte Beziehungen gab, die um der Gesellschaft willen vertuscht wurden.


    Der junge Journalist Hans Beumann ist als uneheliches Kind einer einfachen Frau in einem kleinen Kaff auf dem Land aufgewachsen und schnuppert in Philippsburg erstmals richtig Stadtluft. Er bewirbt sich um eine Stelle bei einer Zeitung und besucht eher nebenbei seine ehemalige Kommilitonin Anne Volkmann, deren Vater ein einflussreicher Mann in der Rundfunkgeräteindustrie ist und gerade einen Schreiberling für seine neue Programmzeitschrift sucht. Nicht gerade der anspruchsvolle Job, der Hans vorgeschwebt hatte, aber nicht übel.


    Durch die Volkmanns lernt er die Society von Philippsburg kennen, fühlt sich dort aber so gar nicht wohl. Heimlich träumt er von Marga, der Sekretärin des Zeitungsverlages, wo er sich beworben hatte, während sich im wirklichen Leben etwas zwischen ihm und der biederen Anne entspinnt und ein Geheimnis, das niemand sonst erfahren darf, die beiden zusammenschweißt.


    Das nächste Paar: der Gynäkologe Alf Benrath und seine kränkliche, introvertierte Frau Birga, die sich mit aller Macht an ihren Mann klammert, ohne den ihr Leben keinen Sinn hätte - während der sie schon seit langer Zeit mit Cécile betrügt, der außergewöhnlichen Halbfranzösin, die den schicken Kunsthandwerkladen in der Stadt führt. Birga ist dem Doktor zunehmend eine Last, er weiß aber, dass es sie umbringen würde, wenn er sie zugunsten Céciles verlässt - doch eigentlich fühlt er sich schon längst mit seiner Geliebten verheiratet, nicht mehr mit seiner Frau.


    Und schließlich das dritte Paar, zwei Juristen, Alexander und Ilse Alwin. Den beiden kommt es ausschließlich darauf an, in der Gesellschaft "wer" zu sein. Er kommt aus einfachen Verhältnissen, während sie aus Adelskreisen stammt und ihrem Mann dadurch die Tür zur höheren Gesellschaft geöffnet hat. Viel zu sagen haben sich die beiden nicht, Alexander hat wechselnde Liebschaften, doch Hauptsache, die Fassade stimmt.


    Der Anfang des Buches gefiel mir gut, Hans Beumann ist ein sympathischer Protagonist, in den ich mich sehr gut hineindenken konnte, insbesondere in den Szenen, in denen er sich so schwertut mit dieser High Society, zu der er nicht so recht passen will. Die beiden anderen Paare, insbesondere die oberflächlichen und berechnenden Alwins, mochte ich nicht sonderlich, die ganzen kaputten Beziehungen fand ich ziemlich deprimierend und teils auch ziemlich langweilig.


    Hinzu kamen noch einige Bemerkungen über Frauen, die selbst mir, die ich so gar keine ausgeprägte Feministin bin, aufgestoßen sind. Da war die Rede davon, dass "Wöchnerinnen" (den Ausdruck mag ich eh nicht) in den Tagen vor der Geburt "animalisiert" sind :vogelzeigen:, und in einer Passage wurde Vergewaltigung als nachvollziehbar dargestellt :grmpf:


    Weil mir der Anfang gut gefiel, noch 3ratten


    Kaufen* bei

    Amazon
    Bücher.de
    Buch24.de

    * Werbe/Affiliate-Links

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





    Einmal editiert, zuletzt von Alfa_Romea ()

  • Hallo


    eine Rezi außerhalb jeglichen Wettbewerbes :breitgrins:


    Martin Walser: Ehen in Philippsburg

    Kaufen* bei

    Amazon
    Bücher.de
    Buch24.de

    * Werbe/Affiliate-Links


    Martin Walsers erster Roman „Ehen in Philippsburg“ erschien 1957 als sich Deutschland nach dem Krieg wieder aufrichtete, das sog. Wirtschaftswunder einsetzte und gut begüterte Bürger Italien als Urlaubsland entdeckten.


    Doch nichts ist so wie es scheint. Der Roman richtet sich gegen die Welt der reichen Kapitalisten die im Zentrum der Öffentlichkeit stehen. Sie stehen solange im Licht der Öffentlichkeit, bis ihr wahres Gesicht hervortritt. Moralische Verfehlungen und arroganter Ehrgeiz lassen diese Persönlichkeiten aus dem Leben in der Öffentlichkeit verschwinden. Der Roman spielt in der fiktiven Stadt Philippsburg. Der Ort steht für Deutschland.


    Sehr beeindruckend werden die inneren Nöte eines Gynäkologen erzählt, der seine introvertierte Frau mit der Inhaberin eines Kunstgewerbegeschäfts betrügt. Das Verhältnis hat keine Zukunft, trotzdem kann sich Dr. Benrath nicht von ihr trennen. Als Leser schauen wir in die seelischen Qualen des Doktors hinein, der in Gesellschaften gerne den Mittelpunkt einnimmt. Von seinem außerehelichen Verhältnis darf aber niemand etwas erfahren, sein Ansehen und Karriere wären vernichtet. Als etwas schreckliches passiert muss Dr. Benrath Philippsburg verlassen.

    „...er konnte zuschauen, getrennt von der Wirklichkeit durch die makelose Scheibe seines Wagens und durch die vier Reifen, die ihn gleichzeitig auf der Straße hielten und ihn auf die erträglichste Weise von ihr trennten.“


    Ein ähnliches Schicksal erleidet der ehrgeizige Rechtsanwalt Alwin, der allerdings im Gegensatz zum Gynäkologen stolz auf seine Frau ist, sie gerne in Gesellschaft vorführt, großen wert auf seine Treue schwört, sie aber hinterrücks betrügt. Ein arroganter Schnösel mit dem Lebensgrundsatz


    „die Frau, die wir lieben, ist immer ein Ersatz für eine, die wir noch nicht lieben oder...nie haben werden.“


    Eine recht sympathische Figur ist der Journalist Hans Beumann, der in die Stadt kommt, um sich beim Chefredakteuer der „Weltschau“ Harry Büsgen zwecks Bewerbung vorzustellen. Das bleibt ihm verwehrt. Hans ist nicht in der Lage, die hohe Gesellschaft auf sich aufmerksam. Er hat gewisse Unzulänglichkeiten und schlägt einen einfacheren Berufsweg ein. Nicht jeder ist ein Karrieretyp.


    Ich war erstaunt über die Reife der Prosa, die Martin Walser in seinem ersten Roman entfaltet. Eine vortreffliche Seelenschau, die Walser mit der Technik des inneren Monologes grandios darbietet. So überzeugend, dass ich mich als Leser irgendwo wiedererkenne oder mir, wie im Falle des Dr. Benrath, ein Schauer über den Rücken kehrt. Die Charaktere sind so vollkommen ausgearbeitet, dass ich manche Herrschaften in den Zeilen lieben, andere hassen kann.


    Der Roman ist fünzig Jahre alt.
    5ratten


    Liebe Grüße
    mombour

    Einmal editiert, zuletzt von mombour ()

  • @mombour - ach wie schön, dass dir das Buch auch so gefallen hat.
    Ich habe vor Jahren Martin Walser mit seiner Trilogie zum Leben von Gottlieb Zürn kennengelernt.
    'Das Schwanenhaus' (deutlich das stärkste der Serie), 'Jagd' und 'Der Augenblick der Liebe' haben mir viel Lesefreude bereitet. Mit seiner 'Brandung' bin ich dann noch mit einem seiner Protagonisten nach Amerika in ein College-Campus (mag ich als Hintergrund in Romanen ganz gerne) gefahren.


    Liebe Grüsse,
    Kenavo