George Perec: Das Leben Gebrauchsanweisung. 4. Auflage, Zweitausendeins, 894 Seiten. Mit einem Beiheft von Eugen Helmlé: Marginalien zu Georges Perec, 24 Seiten.
Zum Inhalt (Zitate aus dem Beiheft kenntlich gemacht.)
„Als sei die Fassade hochgezogen oder abgerissen, blicken wir in die Wohnungen eines großen Pariser Mietshauses, in dem stockwerkweise, von den Keller- und Heizungsräumen bis hinauf zum Dachboden, das Leben der Hausbewohner eingefangen wird. Nicht nur ihre eigenen Schicksale, sondern auch die ihrer Bekannten, Freunde und Feinde werden geschildert, ihre vergangene und gegenwärtige Geschichte ausgebreitet, ihre Sorgen und Nöte sowie ihre kleinen Freuden erzählt. Abenteuergeschichten wechseln ab mit Kriminalstorys, Liebesromanzen mit Berichten über gigantische Spekulationsobjekte, Warenhauskataloge mit der minuziösen Beschreibung komplizierter technischer Vorgänge. Wie im täglichen Leben begegnen wir Erpressern, Mördern, Dieben, Räubern, Rechtsanwälten, Ärzten, Schauspielern […] Erzählströme ergießen sich über den Leser, dass es eine Lust ist, und sie berichten von unglaublichen Schicksalen. Vor uns erstehen Familiensagas und Mikroromane, Momentaufnahmen und Inventarien, man fühlt sich ebenso an Jules Verne erinnert wie an Tausendundeinenacht.“
Im Mittelpunkt des Buches steht die Geschichte des Milliardärs Bartlebooth, die hier nicht im Detail verraten sei, die dem Buch jedoch seinen Rahmen gibt. In 99 Kapiteln und auf 777 Seiten wird alles mitgeteilt, was sich im Laufe der Jahrzehnte ereignet. Ein ausführlicher Anhang listet Personen, Straßen, Ereignisse auf.
Perec sagt über sein Buch: „Es ist ein Buch, das viel von der Leidenschaft erzählt, von der Leidenschaft der Leute für die unnützen Dinge.“
Zur Ausgabe
Diese vierte, gebundene Auflage mit beigelegtem Puzzle und sehr gutem Kommentar im Beiheft sowie einer längeren Erläuterung des Autors zu seinem Buch ist leider nur noch antiquarisch erhältlich. Bei Zweitausendeins ist jedoch Anfang 2006 eine broschierte Ausgabe (jedoch ohne das Beiheft) neu herausgegeben worden, das ist erfreulich, wenn man die relativ hohen antiquarischen Preise betrachtet.
Bewertung
Dieses Buch ist ein Wunderwerk. Man möchte es nicht mehr aus der Hand legen und der oben zitierte Text aus dem Beiheft charakterisiert es völlig zutreffend. Es ist ein Buch, in dem man in erster Linie lediglich die obskuren Geschichten lesen kann, aber es lässt sich auch tiefer gehend ein Genuss daraus ziehen. So gibt es unzählige Anspielungen auf große Literaten, deren Zitate wohl nur wenige erkennen (ich persönlich habe auch nur ganz wenige entdeckt). Neben den Geschichten enthält es unendlich viele Aufzählungen, unendlich viele Dinge werden im Detail beschrieben. Perec ist der Meinung, dass nicht nur Romane den Leser zum Träumen verleiten können, sondern auch Versandhauskataloge, Restaurantmenüs oder Apothekenprospekte. Daher verwebt er unterschiedliche Quellen äußerst kunstvoll. In diesen Teilen ist das Buch ganz handlungsarm und erinnert an Adalbert Stifter. Der Ton ist häufig ironisch, auch wenn viele Geschichten einen traurigen Ausgang haben. Man lässt sich durch das Buch tragen.
In Deutschland ist das Buch, im Gegensatz zu Frankreich, leider kaum bekannt. The Times Literary Supplement bemerkt zu Recht: „Einer der großen Romane des Jahrhunderts.“
Gruß, Thomas
[size=1]EDIT: Autorennamen im Betreff korrigiert. LG, Saltanah[/size]