9: Kapitel 73 - 78

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  • Melanie Metzenthin

    Was für ein Abschnitt! So spannend! Wirklich zum Mitfiebern!


    Fredi wurde verhaftet und zwar wegen Hochverrat. Werner Rohrbeck hat ihn - trotz aller Freundschaft - verhaften lassen. Und jetzt bekommt er es auch mit Ludwig Ehlers zu tun und seinen Methoden ein effizientes Verhör zu führen... Unvorstellbar, eine ganze Nacht in dieser schmerzhaften Haltung zu verbringen. Und auch verständlich, dass da viele Geständnisse provoziert wurden. Geständnisse und Anschuldigungen.

    Aber trotz aller Gewalt, trotz aller Schmerzen bleibt Fredi dabei und leugnet alle Zusammenhänge mit dem Netzwerk.

    Ich frage mich oft, wie es Menschen fertig gebracht haben, so zu handeln. Dabei meine ich eigentlich beide Seiten: es gab viele im Widerstand, die für diese Überzeugung gefoltert wurden und trotzdem nichts verraten haben.

    Und es gab eben auch die andere Seite: jede, die gefoltert haben. Ich versteh nicht, wie es dazu kam, dass so viele zuvor normale Menschen so eine Freude an der Qual und dem Leiden anderer finden konnten. Denn Ludwig liebt seine Tätigkeit, das ist offensichtlich. Auch wenn Lilli meint, dass er zwei Persönlichkeiten hat und privat eigentlich ganz anders ist.


    Dass Henny es schafft bei Werner anzurufen und sich nach Fredi zu erkundigen zeugt auch von Kaltblütigkeit! Und Lilli arbeitet im Hintergrund, schafft belastende Dokumente und plant kühl und überlegt Ludwigs Untergang.

    Boah...

    Das Rendezvous der beiden hast Du großartig beschrieben, Melanie!

    Ludwig möchte sie heiraten - sobald er die Erlaubnis dazu bekommt.

    Melanie Metzenthin Wie war das damals eigentlich mit der Erlaubnis zu Heiraten... wer konnte diese erteilen?


    Lilli tötet Ludwig - sie hat ihre Entscheidung getroffen, den Plan kühl in die Realität umgesetzt. Ich möchte sie nicht als Gegnerin haben!

    Ihre Frage "Hast du dich verschluckt?" ist extrem kalt. Und sie denkt sogar noch dran, die Glassplitter in seinen Mund zu füllen! Wie schon gesagt: toll geplant, toll umgesetzt!

    Und dann macht sie alles um aus einen Mitarbeiter des Widerstands zu machen. Ganze Arbeit!


    Lilli wird damit zur Retterin von Fredi - glücklicherweise.

    Und Fredi rächt sich - gut so! Das ist eine kleine Genugtuung. Auch wenn er dadurch auch irgendwie indirekt zum Mörder wird.

    Aber auch hier zeigt sich die Belastung des Doppelspiels wieder,das Fredi über so lange Jahre gelebt hat, denn Werner war bei Feiern und Meisterschaftskämpfen, wo sie gemeinsam viel Spaß hatten "für einige Momente wirklich das gewesen, was einem besten Freund am nächsten kam". Mit diesem Satz wird die emotionale Gratwanderung, der sich Fredi ausgesetzt hat, wirklich klar. Gänsehaut.


    Aber - wenn ich ehrlich bin: mir hat der Tod Chengs mehr Gedanken gemacht. Er war in dieser Geschichte irgendwie ein Bauernopfer. Ludwig und Werner gehören eindeutig zu den ganz Bösen. Ich habe da wenig Mitleid mit ihnen!


    Endlich wird auch immer klarer, dass der Krieg zu Ende geht - die Grausamkeiten haben noch mal zugenommen. Wo eigentlich alles zusammen schon verloren war.


    Fredi s offizieller Lebenslauf, seine Mitgliedschaft bei der NSDAP und seine Karriere, sprechen bei den Briten dann nicht gerade für ihn. Aber er darf die Wahrheit nicht sagen, weil er sonst Lilli anklagen würde. Nach allem, was er geleistet hat, ist jetzt niemand da, der das auch würdigen könnte. Schlimm!


    Danke auch wieder für die Hinweise auf die Lage der Menschen in Hamburg - die Ausgangssperren, die Lebensmittelkarten. 600 Kalorien pro Tag? Sooo wenig! Du hast uns das ja schon bei einer anderen Leserunde erzählt - es schockiert mich immer wieder! Gibt es eigentlich Zahlen, wie viele Menschen damals noch verhungert sind? Es müssen viele gewesen sein. Andere sind indirekt verhungert - weil sie durch die schlechte körperliche Konstitution für alle Krankheiten anfälliger waren...


    Joseph hat sich wieder zu helfen gewußt... da musste ich direkt lachen (und das hat in diesem Abschnitt richtig gut getan!) und er macht Paul zum Zigarettenhändler...


    Ich hoffe wirklich, dass die restlichen Seiten ein bißl mehr Glück für diese Familie bringen. Aber da verlass ich mich völlig auf Melanie - ich kann mir kein grausames Ende des Buches vorstellen!

    :)

    Vernunft, Vernunft...

  • Unvorstellbar, eine ganze Nacht in dieser schmerzhaften Haltung zu verbringen. Und auch verständlich, dass da viele Geständnisse provoziert wurden. Geständnisse und Anschuldigungen.

    Diese Art der Folter ist historisch belegt.

    Ich frage mich oft, wie es Menschen fertig gebracht haben, so zu handeln. Dabei meine ich eigentlich beide Seiten: es gab viele im Widerstand, die für diese Überzeugung gefoltert wurden und trotzdem nichts verraten haben.

    Und es gab eben auch die andere Seite: jede, die gefoltert haben. Ich versteh nicht, wie es dazu kam, dass so viele zuvor normale Menschen so eine Freude an der Qual und dem Leiden anderer finden konnten. Denn Ludwig liebt seine Tätigkeit, das ist offensichtlich. Auch wenn Lilli meint, dass er zwei Persönlichkeiten hat und privat eigentlich ganz anders ist.

    Fredi hat mit Sicherheit für seine Frau und Kinder durchgehalten. Weil er für sie leben wollte und auf Lilli hoffte. Aber lange hätte er es auch nicht mehr geschafft - es war Rettung im letzten Augenblick.

    Das Rendezvous der beiden hast Du großartig beschrieben, Melanie!

    Ludwig möchte sie heiraten - sobald er die Erlaubnis dazu bekommt.

    Melanie Metzenthin Wie war das damals eigentlich mit der Erlaubnis zu Heiraten... wer konnte diese erteilen?

    Freud mich, dass dir Lillis "Rendezvous" mit Ludwig gefiel. Die Erlaubnis musste die Obrigkeit der SS erteilen. Da gab es strenge, von Himmler selbst festgelegte Statuten. SS-Männer mussten nicht nur selbst den großen Ariernachweis haben, sondern durften auch nur ebenso reinrassige Germaninnen heiraten. Ausnahmen gab es, aber die waren schwierig zu bekommen.

    Und Fredi rächt sich - gut so! Das ist eine kleine Genugtuung. Auch wenn er dadurch auch irgendwie indirekt zum Mörder wird.

    In meinen Augen wird Fredi eigentlich nicht zum Mörder. Er hat Werner vor die gleiche Situation gestellt, vor der er selbst stand. Werner entschied sich für den Freitod, denn im Gegensatz zu Fredi hatte er nichts mehr, wofür er leben konnte. Es war für ihn schrecklich, zu glauben, er hätte seinen besten Freund zu Unrecht foltern lassen und hat damit nun noch den letzten Menschen endgültig verloren, der ihm etwas bedeutete. In seinen Schuldgefühlen Fredi gegenüber zeigte sich der letzte Rest Menschlichkeit - und der ließ ihn in den Freitod fliehen, weil er mit der vermeintlichen Schuld Fredi gegenüber nicht leben konnte. Er hatte ja schon seine Familie verloren und nun auch noch seinen besten Freund - durch seine eigene Schuld. Das perfide war ja nur, dass Fredi nie sein bester Freund war.

    Aber auch hier zeigt sich die Belastung des Doppelspiels wieder,das Fredi über so lange Jahre gelebt hat, denn Werner war bei Feiern und Meisterschaftskämpfen, wo sie gemeinsam viel Spaß hatten "für einige Momente wirklich das gewesen, was einem besten Freund am nächsten kam". Mit diesem Satz wird die emotionale Gratwanderung, der sich Fredi ausgesetzt hat, wirklich klar. Gänsehaut.

    Ja, man kann so etwas nicht permanent über 18 Jahre vorspielen, ohne ab und zu auch mal Spaß miteinander zu haben.

    Fredi s offizieller Lebenslauf, seine Mitgliedschaft bei der NSDAP und seine Karriere, sprechen bei den Briten dann nicht gerade für ihn. Aber er darf die Wahrheit nicht sagen, weil er sonst Lilli anklagen würde. Nach allem, was er geleistet hat, ist jetzt niemand da, der das auch würdigen könnte. Schlimm!

    Ich glaube, es gibt sehr viele Menschen, denen man im Nachhinein aus den unterschiedlichsten Gründen Unrecht getan hat. Es lohnt sich immer, die ganze Geschichte zu betrachten und nicht nur das offensichtliche. Diese Geschichte soll auch ein bisschen zum Nachdenken anregen - wie leicht konnte ein echter Held als Täter abgestempelt werden, wenn seine Tarnung zu gut war?

    Gibt es eigentlich Zahlen, wie viele Menschen damals noch verhungert sind? Es müssen viele gewesen sein. Andere sind indirekt verhungert - weil sie durch die schlechte körperliche Konstitution für alle Krankheiten anfälliger waren...

    Es sind Zigtausende verhungert. Das große Sterben unter den Deutschen ging in der Nachkriegszeit erst richtig los. Das vergessen viele oder wollen es nicht wahrhaben. Es war keine "Befreiung", es war eine Niederlage und anfangs wollten die Sieger das deutsche Volk auch bestrafen. Erst als sich der kalte Krieg abzuzeichnen begann, versuchten die jeweiligen Mächte, die deutsche Bevölkerung in ihren jeweiligen Besatzungszonen für sich zu gewinnen.

  • Lilli ist echt ganz schön "ausgekocht", aber glücklicherweise für die richtige Seite. Klasse, dass sie daran denkt, die Briefe, die Ludwig belasten sollen, nicht mit der Schreibmaschine in ihrem Büro zu schreiben. Das ausgerechnet eine Schreibmaschine eines Journalisten, der selber bereits unter den Nazis leiden musste, hilft, Ludwigs Fall voranzutreiben, hat mir sehr gut gefallen.


    Bei Ludwigs liebevollen Verhalten Lilli gegenüber, während er kurz zuvor ihren Onkel noch so brutal gefoltert hat, war ich wieder einmal sprachlos - wie kann ein Mensch zwei so gegensätzliche Gesichter haben. Das Schlimme ist, in anderen Zeiten wäre er wahrscheinlich ein ganz normaler und liebevoller Ehemann gewesen, der nicht weiter auffallen würde. Ich will nicht wissen, wer alles um einem herum ebenso ein Ludwig wäre, wenn wir wieder in solchen furchtbaren Zeiten leben würden, was hoffentlich nie wieder geschehen wird.


    Der Heiratsantrag kam eigentlich sehr passend, dadurch gab es einen Grund, den Champagner zu öffnen und den Inhalt der Zyankalikapsel in das Glas zu schütten. Und nur gut, dass das Gift so schnell wirkt. Lillis Plan ist voll aufgegangen und sie hat meinen größten Respekt für das, was sie getan hat.


    Dass die SS bzw. die Gestapo nicht lange mit der Folter von Fredi wartet, war zu befürchten gewesen. Die Beschreibungen dieser Folter haben mir beim Lesen schon wehgetan, ich mag mir gar nicht vorstellen, was das für Schmerzen sind. Und ich habe so gehofft, dass Fredi stark bleiben kann und wird, damit Lilli Zeit hat, alles einzufädeln. Wobei ich auch größtes Verständnis dafür gehabt hätte, wenn er vorher eingeknickt wäre. Aber glücklicherweise verschafft Werner Fredi tatsächlich ein wenig Erleichterung und gibt Ludwig den Nachmittag frei, ansonsten hätte ich schwarz dafür gesehen, dass Fredi durchgehalten hätte.


    Lilli hat so gründliche Arbeit geleistet, dass Fredi tatsächlich von jeglicher Schuld freigesprochen wurde und auch nicht mehr der kleinste Zweifel zurückbleibt. O.k., Werner weiß, daß er falsch gehandelt hat, was die Anschuldigungen gegen Fredi angeht und was es für ihn bedeuten kann, wenn Fredi ihn dafür anzeigt. Wobei, wäre Fredi für schuldig erklärt worden, hätte niemand danach gefragt, dass ihm als Polizeibeamter eigentlich ein ordentliches Untersuchungsverfahren zugestanden hätte, dazu herrschte damals viel zu viel Willkür.


    Bei Fredi ist allerdings das Maß voll ... ich muss gestehen, ich hatte nicht erwartet, dass er Werner gegenüber tatsächlich so hart durchgreift, aber wie er ihm die Pistole auf den Tisch legt und ihm die gleiche Option bietet, wie Werner sie ihm geboten hat, war ein filmreifer Moment. Werner hat allerdings nicht die Nerven wie Fredi und weiß, dass er aus der Nummer nicht mehr rauskommt - und zieht die Konsequenten. Und Gerd bekommt ebenfalls sein Fett ab.


    Fredi verliert seinen Job und gilt bei den Besatzern als linientreuer Nazi, aber das ficht weder ihn noch Henny wirklich an. Hier zeigt sich wieder mal, wie gut die beiden harmonieren und die Dinge eben so nehmen, wie sie sind. Da Fredi wenigstens nicht verhaftet wird, ist schon mal gut, ansonsten wäre es wirklich ziemlich ungerecht gewesen. Allerdings habe ich schon einige Male daran gedacht, wie sich die Besatzer Fredi gegenüber verhalten werden, denn seine Tarnung all die Jahre war so gut, da wird es schwierig, sie davon zu überzeugen, dass er eigentlich der Kopf einer Organisation im Widerstand war.

    Aber auch wenn Fredi mit seiner Situation zufrieden ist, wie es ist, gibt es trotzdem bei mir das Gefühl der Ungerechtigkeit; das hat er einfach nicht verdient. Aber ich gebe nicht die Hoffnung auf, dass eines Tages Zeugen bzw. ehemalige Verfolgte auftauchen, denen Fredi zur Flucht verhelfen konnte und die zu Fredis Gunsten ausssagen.


    Momentan hilft es allerdings nicht viel, weil er und Henny trotzdem nur auf Lebensmittelmarken der geringsten Klasse ein Recht haben. Das mit den 600 Kalorien pro Tag war doch schon mal in deinen anderen Büchern ein Thema, oder? An die 600 Kalorien kann ich mich noch gut erinnern, dass das eigentlich nur ein verlangsamtes Hungern war.


    Auch Martha und Paul bekommen als Rentner nur diese Lebensmittelmarken zugeteilt, aber die Familie nimmt mal wieder ihr Schicksal in die Hand und gibt nicht auf, sondern sieht zu, wie sie ihre Position verbessern kann. Auch dank Joseph Kellermann, der auch den Wechsel zu der Nachkriegszeit ganz gut gemeistert hat, wie es scheint. Bei dem Angebot, dass Harald und Ella samt Tochter sowie Lilli bei ihm einziehen sollen, gewinnen beide Seiten.


    Dieser Abschnitt war so spannend, dass die gute Nachricht, dass Arthur mit seiner Familie Nagasaki verlassen hat, beinahe unterging, aber nur beinahe. Ich bin so froh, dass sich Yuki durchgesetzt hat.


    Lida und Anita sind leider inzwischen verstorben, diese Ära ist vorüber, aber wenigstens wurden sie keine direkten Opfer des Nazi-Regimes.

    Liebe Grüße

    Karin

  • Dass Henny es schafft bei Werner anzurufen und sich nach Fredi zu erkundigen zeugt auch von Kaltblütigkeit!

    Ja, dass Henny dabei so relativ ruhig bleiben konnte.


    Ihre Frage "Hast du dich verschluckt?" ist extrem kalt. Und sie denkt sogar noch dran, die Glassplitter in seinen Mund zu füllen! Wie schon gesagt: toll geplant, toll umgesetzt!

    Ich sag ja: filmreif!


    Aber auch hier zeigt sich die Belastung des Doppelspiels wieder,das Fredi über so lange Jahre gelebt hat, denn Werner war bei Feiern und Meisterschaftskämpfen, wo sie gemeinsam viel Spaß hatten "für einige Momente wirklich das gewesen, was einem besten Freund am nächsten kam". Mit diesem Satz wird die emotionale Gratwanderung, der sich Fredi ausgesetzt hat, wirklich klar. Gänsehaut.

    Ja, trotz allem gab es doch auch gemeinsame Momente.

    Liebe Grüße

    Karin

  • Lilli ist echt ganz schön "ausgekocht", aber glücklicherweise für die richtige Seite. Klasse, dass sie daran denkt, die Briefe, die Ludwig belasten sollen, nicht mit der Schreibmaschine in ihrem Büro zu schreiben. Das ausgerechnet eine Schreibmaschine eines Journalisten, der selber bereits unter den Nazis leiden musste, hilft, Ludwigs Fall voranzutreiben, hat mir sehr gut gefallen.

    Ich habe da echt überlegt, wie weit die "Guten" gehen dürfen, weil einige Autoren, mit denen ich vorher diskutierte, meinten, man würde die Person beschädigen und die Guten dürften nie die gleichen Mittel wie die Bösen verwenden.

    Aber da ich hier kein Märchen schreibe, sondern einen Roman, der sich am Realismus bewegt, darf Lilli so handeln, wie ein denkender Mensch in seiner Not handeln würde - in dieser Zeit, wo niemandem ein Leben was galt - das gilt für alle Seiten, denn alle haben damals Gräueltaten begangen - war Lilli schon auf der richtigen Seite, indem sie einen Mörder getötet hat, um ihren Cousin zu retten.


    Und auch Henny ist kein jammerndes Püppchen, sondern weiß, dass sie in so einem Fall die Nerven behalten muss. Für jammerige, hysterische Anfälle wäre Goldie zuständig gewesen, aber die ist ja zum Glück mit Rudi in Amerika.

    Bei Ludwigs liebevollen Verhalten Lilli gegenüber, während er kurz zuvor ihren Onkel noch so brutal gefoltert hat, war ich wieder einmal sprachlos - wie kann ein Mensch zwei so gegensätzliche Gesichter haben. Das Schlimme ist, in anderen Zeiten wäre er wahrscheinlich ein ganz normaler und liebevoller Ehemann gewesen, der nicht weiter auffallen würde. Ich will nicht wissen, wer alles um einem herum ebenso ein Ludwig wäre, wenn wir wieder in solchen furchtbaren Zeiten leben würden, was hoffentlich nie wieder geschehen wird.

    Ja, ich denke auch, dass man erst in solchen Situationen erkennt, wozu Menschen fähig sind - im positiven wie im negativen. Ludwig war mit Sicherheit auch der Meinung, dass er den "Richtigen" so etwas antut - aber diese Grausamkeit und Freude, jemandem Schmerzen zuzufügen, die haben eben die meisten Menschen zum Glück nicht.

    Lillis Plan ist voll aufgegangen und sie hat meinen größten Respekt für das, was sie getan hat.

    Das freut mich.

    Die Beschreibungen dieser Folter haben mir beim Lesen schon wehgetan, ich mag mir gar nicht vorstellen, was das für Schmerzen sind. Und ich habe so gehofft, dass Fredi stark bleiben kann und wird, damit Lilli Zeit hat, alles einzufädeln. Wobei ich auch größtes Verständnis dafür gehabt hätte, wenn er vorher eingeknickt wäre. Aber glücklicherweise verschafft Werner Fredi tatsächlich ein wenig Erleichterung und gibt Ludwig den Nachmittag frei, ansonsten hätte ich schwarz dafür gesehen, dass Fredi durchgehalten hätte.

    Das war auch nicht leicht zu beschreiben. Und klar - Fredi war kurz davor, alles zu sagen. Hätte Ludwig keine Pause gemacht, hätte Fredi sogar gestanden, Rom angezündet und dabei die Leier gespielt zu haben ... Deshalb ist Folter ja auch kein vernünftiges Instrument der Rechtssprechung - weil man trotzdem nicht weiß, ob das, was jemand unter der Folter gesteht, wahr ist oder nicht.

    Wobei, wäre Fredi für schuldig erklärt worden, hätte niemand danach gefragt, dass ihm als Polizeibeamter eigentlich ein ordentliches Untersuchungsverfahren zugestanden hätte, dazu herrschte damals viel zu viel Willkür.

    Das stimmt - aber wenn Fredi schuldig gesprochen worden wäre, hätte ihm ja auch keiner geglaubt, dass das passiert ist. Man hat ja extra darauf geachtet, dass nicht viel von außen sichtbar ist. Und was den ausgekugelten und wieder eingerenkten Arm angeht und die gebrochenen Rippen - da hätte man gesagt, er hat sich gegen die Verhaftung gewehrt. Sie haben bei der Folter ja extra darauf geachtet, dass es zwar unmenschlich schmerzhaft ist, aber eben keine auf den ersten Blick sichtbaren Schäden hinterlässt.

    Bei Fredi ist allerdings das Maß voll ... ich muss gestehen, ich hatte nicht erwartet, dass er Werner gegenüber tatsächlich so hart durchgreift, aber wie er ihm die Pistole auf den Tisch legt und ihm die gleiche Option bietet, wie Werner sie ihm geboten hat, war ein filmreifer Moment. Werner hat allerdings nicht die Nerven wie Fredi und weiß, dass er aus der Nummer nicht mehr rauskommt - und zieht die Konsequenten. Und Gerd bekommt ebenfalls sein Fett ab.

    Fredi ist nach diesem Erlebnis einfach stinksauer ... Wenn wir am Ende der Leserunde sind, gebe ich euch noch mal im letzten Abschnitt ein Bonbon aus einem weiteren Roman, der 1957 spielst, wo es noch mal auf dieses Thema kommt, wenn ihr mögt.

    Aber auch wenn Fredi mit seiner Situation zufrieden ist, wie es ist, gibt es trotzdem bei mir das Gefühl der Ungerechtigkeit; das hat er einfach nicht verdient.

    Na ja, zufrieden ist er nicht wirklich - er sieht es pragmatisch. Es könnte alles schlimmer kommen und nach seinem Erlebnis im Gestapo-Folterkeller kann ihn nicht mehr so viel erschüttern. Die Briten hatten natürlich auch keinen Grund, ihn einzusperren - er hat sich ja auch offiziell keiner Straftat schuldig gemacht. Er war nur Parteimitglied, aber weder bei der SA oder SS noch konnte man ihm irgendeine Regelwidrigkeit in seiner Arbeit nachweisen. Das reichte, um ihn rauszuwerfen, aber zu mehr nicht.

    Das mit den 600 Kalorien pro Tag war doch schon mal in deinen anderen Büchern ein Thema, oder? An die 600 Kalorien kann ich mich noch gut erinnern, dass das eigentlich nur ein verlangsamtes Hungern war.

    Das war in der Leserunde zu "Die Stimmlosen":

  • Und auch Henny ist kein jammerndes Püppchen, sondern weiß, dass sie in so einem Fall die Nerven behalten muss. Für jammerige, hysterische Anfälle wäre Goldie zuständig gewesen, aber die ist ja zum Glück mit Rudi in Amerika.

    Stimmt, der Part ist für Goldie reserviert ^^


    Aber da ich hier kein Märchen schreibe, sondern einen Roman, der sich am Realismus bewegt, darf Lilli so handeln, wie ein denkender Mensch in seiner Not handeln würde - in dieser Zeit, wo niemandem ein Leben was galt - das gilt für alle Seiten, denn alle haben damals Gräueltaten begangen - war Lilli schon auf der richtigen Seite, indem sie einen Mörder getötet hat, um ihren Cousin zu retten.

    Ich finde das absolut in Ordnung, zeigt es doch vielmehr, wie dieses Regime die Menschen teilweise "gezwungen" hat, Dinge zu tun, die sie normalerweise nicht tun würden. Kennst du den Roman "Die Mütze oder der Preis des Lebens."? Das Buch ist schon einige Jahre alt, der Autor erzählt darin seine Erlebnisse als Jude im KZ; einige Leser kritisierten, dass die KZ-Insassen, meistens Juden, als unmenschlich dargestellt werden, weil sie, um ihr eigenes Leben zu retten, Mit-Insassen quasi ans Messer geliefert haben - dabei wären sie ja schließlich die Opfer gewesen. Tatsächlich ging es aber dem Autor darum, zu zeigen, wie das Nazi-Regime ihre Opfer neben den Zuständen in KZ's eben dermaßen gedemütigt haben, dass sie Dinge getan haben, die sie normalerweise völlig ablehnen.


    Ludwig war mit Sicherheit auch der Meinung, dass er den "Richtigen" so etwas antut - aber diese Grausamkeit und Freude, jemandem Schmerzen zuzufügen, die haben eben die meisten Menschen zum Glück nicht.

    Glücklicherweise nicht.


    Deshalb ist Folter ja auch kein vernünftiges Instrument der Rechtssprechung - weil man trotzdem nicht weiß, ob das, was jemand unter der Folter gesteht, wahr ist oder nicht.

    Das habe ich auch nie kapiert mit der Folter, dabei sagt einem doch der gesunde Menschenverstand, dass ein Geständnis aufgrund von Folter nicht viel wert ist; aber es ging ja auch darum, das zu hören, was man hören wollte und nicht das, was unbedingt der Wahrheit entspricht.


    Das stimmt - aber wenn Fredi schuldig gesprochen worden wäre, hätte ihm ja auch keiner geglaubt, dass das passiert ist.

    Das stimmt - ich meinte, dass Fredi evtl. um die Folter herumgekommen wäre, wäre zuerst ein Untersuchungsverfahren angeregt worden wäre, bis zum Ableben Ludwigs dank Lilli. Aber wahrscheinlich ist das eh zu optisch von mir gedacht.


    Fredi ist nach diesem Erlebnis einfach stinksauer ...

    Zu Recht!


    Wenn wir am Ende der Leserunde sind, gebe ich euch noch mal im letzten Abschnitt ein Bonbon aus einem weiteren Roman, der 1957 spielst, wo es noch mal auf dieses Thema kommt, wenn ihr mögt.

    Ohja, sehr gerne.


    Na ja, zufrieden ist er nicht wirklich - er sieht es pragmatisch

    "Zufrieden" ist das falsche Wort, das ich hier gewählt habe, aber irgendwo will er das alles wahrscheinlich auch hinter sich lassen. Es schimmert immer mal wieder durch, dass er nicht über die Geschehnisse in der Folterkammer sprechen kann und möchte.

    Liebe Grüße

    Karin

  • Kennst du den Roman "Die Mütze oder der Preis des Lebens."?

    Ja, das Buch kenne ich, wobei es ja kein Roman sondern eine Autobiografie ist. Der Titel ist auch sehr gut gewählt - der Autor beschreibt ja, wie er im KZ selbst von jemandem sexuell missbraucht wird, der ihm dabei seine Mütze stiehlt, denn wenn man keine Mütze hat, wird man dafür beim Appell am nächsten Tag rausgefischt und hingerichtet. Er ist verzweifelt und stiehlt einem Schlafenden die Mütze - er weiß ganz genau, dass er den Mann damit zum Tode verurteilt, aber er selbst will leben. Das fand ich absolut eindrücklich, vor allem ein schonungslos ehrliches Buch aus dieser Zeit. Viele der Holocaust-Opfer, die überlebten, schämten sich ja sogar vor anderen Juden dafür, dass sie überlebt haben, weil es immer hieß, wer überlebte, habe auf Kosten anderer überlebt. Das kann man natürlich nicht so pauschal sagen, aber wer "Funktionshäftling" wurde, hatte eben größere Chancen zu überleben. Und wer will jemanden dafür verurteilen?

    Das stimmt - ich meinte, dass Fredi evtl. um die Folter herumgekommen wäre, wäre zuerst ein Untersuchungsverfahren angeregt worden wäre, bis zum Ableben Ludwigs dank Lilli. Aber wahrscheinlich ist das eh zu optisch von mir gedacht.

    Hatte ich im ersten Moment überlegt, aber ich dachte mir, dass es zu Werners Charakter besser passt, komplett auszuticken, wenn er glaubt, sein bester Freund hätte ihn verraten. Außerdem war es dann ein guter Einstieg, wie Werner endet. Ich hatte noch ein paar andere Varianten im Hinterkopf, aber diese war dann am elegantesten. Und sie machte noch mal deutlich, wie brutal gefährlich Fredis Handeln war und erklärt auch, warum nicht jeder diesen Mut gehabt hätte.

    Es schimmert immer mal wieder durch, dass er nicht über die Geschehnisse in der Folterkammer sprechen kann und möchte.

    Das wird im letzten Abschnitt noch mal wichtig an einer sehr entscheidenden Szene für den weiteren Verlauf der Geschichte.

  • Ich habe da echt überlegt, wie weit die "Guten" gehen dürfen, weil einige Autoren, mit denen ich vorher diskutierte, meinten, man würde die Person beschädigen und die Guten dürften nie die gleichen Mittel wie die Bösen verwenden.

    Aber da ich hier kein Märchen schreibe, sondern einen Roman, der sich am Realismus bewegt, darf Lilli so handeln, wie ein denkender Mensch in seiner Not handeln würde - in dieser Zeit, wo niemandem ein Leben was galt - das gilt für alle Seiten, denn alle haben damals Gräueltaten begangen - war Lilli schon auf der richtigen Seite, indem sie einen Mörder getötet hat, um ihren Cousin zu retten.

    Es ist wirklich eine schwierige Frage! Aber ich kann Lilli gut verstehen und ich finde es großartig, dass sie auch den Mut aufgebracht hat, bist zur letzten Konsequenz zu kämpfen! Und Lilli hatte ja einen wirklich guten Grund, Ludwig zu töten! Sie konnte doch nicht Fredi opfern!


    Dieser Abschnitt war so spannend, dass die gute Nachricht, dass Arthur mit seiner Familie Nagasaki verlassen hat, beinahe unterging, aber nur beinahe. Ich bin so froh, dass sich Yuki durchgesetzt hat.

    Ja! Stimmt! Dieser Teil der Geschichte ist unter all dieser Spannung ein klein wenig untergegangen. Aber ich bin auch froh, dass er und seine Familie im August 1945 nicht in Nagasaki waren. Obwohl... wie weit war die tödliche Reichweite der Atombomben? Das muss ich noch genauer nachlesen!


    In meinen Augen wird Fredi eigentlich nicht zum Mörder. Er hat Werner vor die gleiche Situation gestellt, vor der er selbst stand

    Hmmm.... umgekehrt, also wenn Fredi sich erschossen hätte auf Werners "Anregung" hin... ich hätte Werner glatt zum Mörder erklärt!


    Ja, ich denke auch, dass man erst in solchen Situationen erkennt, wozu Menschen fähig sind - im positiven wie im negativen. Ludwig war mit Sicherheit auch der Meinung, dass er den "Richtigen" so etwas antut - aber diese Grausamkeit und Freude, jemandem Schmerzen zuzufügen, die haben eben die meisten Menschen zum Glück nicht.

    Und weil er eben diese offensichtliche Freude an Grausamkeit hat, kann ich nicht ganz glauben, dass er unter anderen Umständen ein ganz normaler, liebevoller Ehemann und Vater geworden wäre.

    Kann man diese Anteile der Persönlichkeit ein Leben lang verstecken/unterdrücken/nicht aufkommen lassen?


    Wenn wir am Ende der Leserunde sind, gebe ich euch noch mal im letzten Abschnitt ein Bonbon aus einem weiteren Roman, der 1957 spielst, wo es noch mal auf dieses Thema kommt, wenn ihr mögt.

    Das wäre wirklich nett von Dir! Ich bin schon auf Deinen nächsten Roman neugierig!:)

    Vernunft, Vernunft...

  • Obwohl... wie weit war die tödliche Reichweite der Atombomben? Das muss ich noch genauer nachlesen!

    Ich habe echt mehrere Stunden recherchiert, welcher Ort sicher genug war ;) - war mir ja klar, dass ich Arthur überleben lasse, das hat dann auch noch was tröstliches, weil man eben nicht so genau weiß, ob alles Zufall war oder ob Heinrich doch noch ein Auge auf seine Familie hatte.

    Hmmm.... umgekehrt, also wenn Fredi sich erschossen hätte auf Werners "Anregung" hin... ich hätte Werner glatt zum Mörder erklärt!

    Fredi hatte die Wahl und hat seine Wahl getroffen, sich nicht zu erschießen - trotz der Konsequenzen, die er genau kannte. Werner hat sich für das Erschießen entschieden, weil er die Konsequenzen des Weiterlebens nicht tragen wollte. Insofern ist das in beiden Fällen m.E. kein Mord, sondern nur das Ausüben von massivem Druck - aber die Wahl trifft immer noch jeder selbst.

    Und weil er eben diese offensichtliche Freude an Grausamkeit hat, kann ich nicht ganz glauben, dass er unter anderen Umständen ein ganz normaler, liebevoller Ehemann und Vater geworden wäre.

    Er wäre bestimmt kein toller Ehemann und Vater geworden. Er war zu Lilli liebevoll, weil er noch um sie geworben hat. Wer weiß, wie die Ehe gelaufen wäre, wenn es mal nicht so gut gelaufen wäre ... dann hätte er vermutlich auch Frau und Kind verprügelt.

  • Das fand ich absolut eindrücklich, vor allem ein schonungslos ehrliches Buch aus dieser Zeit. Viele der Holocaust-Opfer, die überlebten, schämten sich ja sogar vor anderen Juden dafür, dass sie überlebt haben, weil es immer hieß, wer überlebte, habe auf Kosten anderer überlebt. Das kann man natürlich nicht so pauschal sagen, aber wer "Funktionshäftling" wurde, hatte eben größere Chancen zu überleben. Und wer will jemanden dafür verurteilen?

    Das sehe ich genauso, wer will jemanden dafür verurteilen. Man muss froh sein, wenn man selber nie in solch eine Situation gezwungen wird, wo man derartige Entscheidungen treffen muss. Das Schlimmste daran ist eben, dass man Menschen zu solchen Entscheidungen gezwungen hat.


    Hatte ich im ersten Moment überlegt, aber ich dachte mir, dass es zu Werners Charakter besser passt, komplett auszuticken, wenn er glaubt, sein bester Freund hätte ihn verraten. Außerdem war es dann ein guter Einstieg, wie Werner endet.

    Ja, das hast du super gemacht.


    Und sie machte noch mal deutlich, wie brutal gefährlich Fredis Handeln war und erklärt auch, warum nicht jeder diesen Mut gehabt hätte.

    Und es ist auch realistischer, dass es eben nicht die ganze Zeit glatt lief, sondern die ganze Organisation kurz davor war, aufzufliegen.


    Und weil er eben diese offensichtliche Freude an Grausamkeit hat, kann ich nicht ganz glauben, dass er unter anderen Umständen ein ganz normaler, liebevoller Ehemann und Vater geworden wäre.

    Kann man diese Anteile der Persönlichkeit ein Leben lang verstecken/unterdrücken/nicht aufkommen lassen?

    Das frage ich mich bei solchen Typen auch immer wieder.


    Ich habe echt mehrere Stunden recherchiert, welcher Ort sicher genug war ;) - war mir ja klar, dass ich Arthur überleben lasse, das hat dann auch noch was tröstliches

    Das stimmt, nach Heinrichs und Li-Mings Tod war das wirklich sehr tröstlich, dass du Arthur und seine Familie hast überleben lassen.


    Werner hat sich für das Erschießen entschieden, weil er die Konsequenzen des Weiterlebens nicht tragen wollte.

    Vor allem hatte Werner keine Lilli in der Hinterhand :evil:

    Liebe Grüße

    Karin