Achim Doerfer - Irgendjemand musste die Täter ja bestrafen

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    Titel: Irgendjemand musste die Täter ja bestrafen. Die Rache der Juden, das Versagen der deutschen Justiz nach 1945 und das Märchen deutsch-jüdischer Versöhnung

    Autor: Achim Doerfer


    Allgemein:

    368 S.; Kiepenheuer&Witsch, 2021





    Meine Meinung:

    Achim Doerfer stellt unbequeme Tatsachen fest. Unbequem deshalb, weil sie ein etwas anderes Bild auf die vielbeschworene gelobte Erinnerungskultur in Deutschland betrifft, wenn es um die Shoah geht. Doch je tiefer ich in das Thema gemeinsam mit Doerfer eingestiegen bin, desto unangenehmer ist eben auch die Ganze Wahrheit:

    In vielen Bereichen ist diese Erinnerungskultur vor allem auf die Täterkultur ausgerichtet und nicht auf eine Einbindung der tatsächlich betroffenen Opfer. Das fängt schon mit der sogenannten Aufarbeitung nach 1945 an und setzt sich in verschiedenen Narrativen fort, die nur ein bestimmtes Bild über die Opfer zulassen. Achim Doerfer nimmt hier speziell die Geschichte des Judentums nach 1945 aufs Korn und zwar insofern, wie eigentlich über Juden in Deutschland gesprochen wird und wie nicht. Wer wird genannt, wenn es um die Aufarbeitung geht? Es fällt auf, Juden als Widerstandskämpfer kommen in der Öffentlichen Wahrnehmung praktisch nicht vor. Ich würde behaupten das ich mich in einigen Aspekten mit dem Widerstand in Deutschland gegen den Nationalsozialismus gut auskenne, daher fand ich persönlich es ziemlich überraschend, das ich einfach keinen der Namen, die Doerfer aufführt kannte. Und ich hatte nicht nur ein Seminar zum Thema Widerstand, sondern war auch an einer Universität an der eine Zentrale Forschungsstelle dazu angegliedert ist.

    Ich finde es beschämend um ehrlich zu sein. Jüdischer Widerstand, das gab es und zwar auch in den KZs selbst. Es wirkt als ob es in er Erzählung von der "Deutschen Schuld" Juden nur als Opfer geben soll, nicht aber als Menschen die eben nicht untätig blieben und die sich auch keinesfalls so ruhig zur "Schlachtbank" führen liesen. Doerfer spricht sich vor allem dafür aus, das Narrativ eben insgesamt zu verändern. Nicht nur die Täter lassen sich nicht schlicht in Schwarz-Weiß einteilen auch die Überlebenden und Ermordeten sind keinesfalls ein Einheitsbrei aus deren Erfahrungen die immer gleichen Konsequenzen abgeleitet wurden und werden.


    Ehrlicherweise ist mir auch erst durch Doerfers weitere Beispiele wirklich aufgefallen, das selbst die Menschen die wir als Holocaustüberlebende aus verschiedenen Medien kennen, einem bestimmten Roten Faden folgen - der nicht von ihnen stammt, sondern der durch die Wahl der Interviewpartner, der Einladungen zu verschiedenen Gedenkfeiern und und und entsteht. Es gibt in Deutschland scheinbar keinen Platz für zornige, unversöhnliche Menschen die eben nicht verzeihen können oder wollen. Meiner Meinung nach ist die Forderung danach so oder so eine Anmaßung. Jede*r Überlebende hat das Recht selbst zu entscheiden, wie er mit dieser Vergangenheit umgehen möchte. Eine Differenzierte Diskussion ist aber in den breiten Medien nicht möglich, wenn es im Narrativ immer nur um Versöhnung geht.


    Aber auch da Bild von Juden im allgemeinen, wird in Deutschland oft davon geprägt das zunächst ein mal ein Wir und die anderen aufgebaut wird. Damit wird dieses Othering das im Antisemitismus schon immer Zentral war letztendlich nicht aufgebrochen, sondern zementiert - egal wie gut man es gemeint hat.

    Bestimmte ""Erzählungen" werden auch deshalb fortgeführt, weil sie gar nicht unterbrochen wurden. Das Ende des Krieges, die Befreiung der Konzentrationslager, das hat zwar das töten und Morden beendet. Aber in den Köpfen hat sich ja nicht pünktlich um Mitternacht einfach so verflüchtigt.

    Der berühmte Schlusstrich der immer wieder gefordert wird - selbst von jenen, die man damit gar nicht in Verbindung bringen würde (Willi Brandt???? Ich war ehrlich gesagt echt überrascht um seine Haltung...). Wie kann ein Schlussstrich gezogen werden, um einen Völkermord??? Vor allem wenn eigentlich keine wirkliche Auseinandersetzung stattgefunden hat? Sowohl die BRD als auch die DDR haben letztendlich darin versagt, Schuldige klar zu benennen und dann auch zu verurteilen. Und zwar so, das man wirklich von Gerechtigkeit hätte sprechen können oder von irgendeinem Eingeständnis einer Schuld. Und ja explizit auch die DDR, die ihre sogenannt Aufarbeitung vor allem für ihre eigene Propaganda benutzte und in derren Reihen sich genauso die ehemaligen Nazis versteckten, die das in der BRD der Fall war. Wenn man sich derren Verurteilungen genauer anschaut, erkennt man das viele von ihnen nur unter dem Deckmantel der Nazizugehörigkeit verurteilt wurden weil sie für die DDR unbequem waren. Nicht aber weil eine echte Täterschaft bestanden hätte. (Und nein das sind keine Einzelfälle. Wer mehr dazu wissen möchte, sollte sich unbedingt einschlägige Literatur zu diesem Thema näher anschauen. z.B. Ausschwitz und Staatssicherheit von Henry Leide, Braunbuch DDR von Olaf Kappelt usw.)

    Einer Entschuldigung ohne eine Einforderung von Vergebung. Spannend fand ich persönlich das der Autor an die unterschiedlichen Blickwinkel von Rache aus dem Judentum und aus dem Christentum erklärt, was eigentlich der Fehler, im Ansatz der in Deutschland verfolgt wird, ist. Und auch, welche andere Möglichkeiten bestanden hätten um von Anfang an ein sehr differenziertes BIld zu zeichnen. Eines in dem dann auch alle Menschen gehört oder gesehen werden und nicht nur die, die ins eigene erwünschte Weltbild passen sollen.

    Jüdische Geschichte findet nur dann statt, wenn sie mit der Shoah verknüpft wird, in den seltensten Fällen werden die vielen Jahrhunderte in den Blick genommen, in der jüdische Geschichte auch schon ein Teil der Geschichte der Welt war. Zumindest in der Schule und ohne Judaistik Studium wird es eher schwer auf das Thema einfach so zu stoßen. Auch unbewusst wirkt die Propaganda der Nationalsozialisten weiter fort und schreibt sich weiterhin ein. Das sollte man nicht aus den Augen verlieren.


    Ja, bequem und kuschelig ist anders. Doerfer ist definitiv wütend und macht seinen Gefühlen Luft. Kann dies aber immer auch belegen. Die Literaturliste ist eine Fundgrube für jeden der mehr über jüdischen Widerstand lesen möchte. Ansonsten kann man ja auch einfach mal Google Bemühen und sich schlau machen, welchen Kulturbruch die Shoah wirklich darstellt. Das kann man meiner Meinung nur dann verstehen, wenn man diesen Zeitraum nicht im leeren Raum betrachtet, sondern mit dem Davor wirklich verknüpfen kann.


    Nicht bei allem würde ich total mit Achim Doerfers Meinung mitgehen. Aber erstens geht es darum auch gar nicht und zweitens, hat mir das Buch ziemlich viele Erkenntnisse gebracht und Lücken aufgezeigt.

    Es wird Zeit für einen neuen Weg, denn natürlich kann die Antwort nicht sein, die Shoah nicht mehr zu besprechen und eben diesen "Schlussstrich" zu ziehen. Die Antwort muss sein, zu zu lassen, das man nicht selbst über die eigene Schuld entscheidet und sich schon gar nicht aussuchen kann, wer über diese Schuld richten darf. Und ja, die eigene Schuld kann auch sein, sich nur so mit der Shoah auseinander zu setzen wie es einem passt und für die gewünschte Außendarstellung funktioniert.


    :tipp:

  • Ehrlicherweise ist mir auch erst durch Doerfers weitere Beispiele wirklich aufgefallen, das selbst die Menschen die wir als Holocaustüberlebende aus verschiedenen Medien kennen, einem bestimmten Roten Faden folgen - der nicht von ihnen stammt, sondern der durch die Wahl der Interviewpartner, der Einladungen zu verschiedenen Gedenkfeiern und und und entsteht. Es gibt in Deutschland scheinbar keinen Platz für zornige, unversöhnliche Menschen die eben nicht verzeihen können oder wollen. Meiner Meinung nach ist die Forderung danach so oder so eine Anmaßung. Jede*r Überlebende hat das Recht selbst zu entscheiden, wie er mit dieser Vergangenheit umgehen möchte. Eine Differenzierte Diskussion ist aber in den breiten Medien nicht möglich, wenn es im Narrativ immer nur um Versöhnung geht.

    Das ist äußerst interessant. Ich habe mich zwar immer wieder gefragt, wie die Überlebenden weiterleben konnten, aber nie, ob sie immer so versöhnlich sind/waren, wie ich es gelesen oder gehört habe. Mir hat sich nicht mal die Frage gestellt.

  • Anne

    Lange hatte ich das Thema auch nicht auf dem Schirm. Das erste Mal überhaupt kam mir die Thematik in einem Roman von Bernd Ohm unter (Wolfsstadt). Aber auch schon davor hatte ich mir schon immer die Frage gestellt, wie es für Juden möglich war, wieder oder überhaupt (es waren ja viel mehr Juden aus Osteuropa als Deutschstämmige) in Deutschland leben zu können.