Yoko Ogawa - Insel der verlorenen Erinnerung

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    Die Erzählerin ist Schriftstellerin, sie schreibt Romane, auch wenn sie wohl kaum jemand liest. Die Besonderheit ihrer Heimat liegt darin, dass hier regelmäßig Dinge verschwinden. Was einmal fort ist, wird physisch direkt von den Bewohnern vernichtet und dann denkt niemand mehr daran, es verschwindet praktisch völlig aus den Erinnerungen. Würden z.B. Socken verschwinden, würden alle einfach barfuß in ihre Schuhe schlüpfen und vielleicht wäre es kalt, aber es wäre für alle völlig normal. Alle? Nein, ein kleiner Anteil Menschen kann sich weiter erinnern, doch diese werden von der Erinnerungspolizei gefangengenommen und verschleppt. Sie verschwinden ebenfalls. So erging es auch der Mutter der Erzählerin und als sie vermutet, dass ihr Lektor ebenfalls erinnerungsfähig sein könnte, bietet sie ihm einen Unterschlupf.


    Im vorderen Teil des Buches wechselt sich dieses Geschehen noch mit Auszügen aus dem Roman ab, an dem die Protagonistin aktuell schreibt, in dem es um eine Schreibmaschinenschülerin geht, deren Stimme verloren geht. Das Motiv des Verschwindens zieht sich so auf unterschiedliche Weise durch beide Handlungen.


    Was für ein seltsames und irritierendes Buch. Es wirkt nicht wie Fantasy oder Science Fiction, sondern spielt nahe genug an der Realität, dass man sich fragt, wie so etwas möglich sein kann. Die Beschreibung des Verschwindens ist so faszinierend, dass man unwillkürlich selber darüber nachdenkt, wie das denn funktioniert und was so etwas mit einem selbst machen würde. Die Figuren wirken kühl, dass im Buch ewiger Winter zu herrschen scheint, unterstreicht diese Stimmung noch (sind etwa auch die anderen Jahreszeiten bereits verschwunden, man weiß es nicht, wenn sich niemand daran erinnert), aber unter der Oberfläche schlummern Gefühle und vor allem auch das Bedürfnis zu fühlen, auch wenn durch den Verlust der Erinnerungen viele Gefühlsauslöser ebenfalls verschwunden sind.


    Wenn ich mir die Beschreibungen der übrigen Bücher der Autorin anschaue, scheint „Insel der verlorenen Erinnerung“ recht typisch für sie zu sein. Da es mir bei aller Irritation gefiel, werde ich vermutlich in Zukunft noch mehr von ihr lesen.


    4ratten

  • Ich lese das Buch momentan und mir persönlich fehlt tatsächlich etwas die dystopische Ebene. Also klar, es gibt diese Memory Police (ich lese auf englisch), aber es wird eben so gut wie nicht darauf eingegangen. Es gibt auch keine Erklärung, wer eigentlich entscheidet (oder ob es überhaupt eine Entscheidung gibt) welche Dinge (wobei es neben Gegenständen, auch Tiere, oder Pflanzen sein können) als nächstes verschwinden und die Erinnerung mit ihnen.

    Auch ob es noch eine sonstige politische Ebene gibt, spielt keine Rolle.


    Hätten wir ohne Erinnerungen überhaupt eine Identität? Es gibt ja Menschen, die nach einem Unfall ihr Gedächtnis komplett verloren haben. Und dann nicht mal mehr wissen, welche Hobbies sie mal hatten. Ich frage mich dann immer selbst, ob ich dann weiter gerne lesen würde oder ob dieses Interesse dann komplett weg wäre.


    Bisher kann ich für mich tatsächlich noch nicht so richtig einordnen, ob mir das Buch eigentlich gefällt. Es ist interessant, aber so einen richtigen Zugang finde ich noch nicht.

  • Meine Meinung:


    Einerseits hat die Autorin faszinierende Ideen. Vor allem die Spiegelung der Geschichte, die die Hauptfigur im Roman selbst schreibt und den Ereignissen, die sie erlebt, gefiel mir.


    Über Gegenstände erinnern wir uns leichter an Erlebnisse aus unserer Vergangenheit. An das was uns selbst als Menschen ausmacht Doch im Roman geht die Autorin noch weiter, auch Lebendiges ist plötzlich nicht mehr da, das Wort dafür löst keine Emotionen mehr aus - selbst dann nicht, wenn jemand, dessen Erinnerungen nicht gelöscht wurden, die Worte benutzt und ihre Bedeutung erläutert.

    Eine Welt in der die Macht über die Erinnerung und damit die Identität einzelner, aber auch der ganzen Gesellschaft bei einer Erinnerungspolizei liegt. Aber welche Entscheidungen sie warum trifft, bleibt verborgen. Einerseits uns als Leser:innen, aber auch den Figuren im Buch. Dieses Verborgene ist für mich persönlich aber auch das Problem. Mir fehlte der stärkere Fokus auf das politische System dahinter oder zumindest Einblicke in die Strukturen der Erinnerungspolizei, ihrer Motive. Das hat für mich dafür gesorgt, das mir ein richtiger Rahmen fehlte. Schwer zu erklären, aber mir fehlte es dadurch ehrlicherweise auch an Tiefe und Substanz. Irgendwie plätscherte die Handlung teilweise etwas verloren so vor sich hin. Und auch wenn man versteht, das es auch um die Einschränkung der Gedanken und Lebenswelt der Protagonistin geht, war das alles doch irgendwie auch eine Art und Weise seltsam belanglos. Es hat in mir kaum Gefühle ausgelöst. Teilweise weil mir eben das, was meinem persönlichen Geschmack entspricht fehlte, aber auch, weil mir die Entwicklung zwischen der Protagonistin und ihrem Verleger nicht gefiel.

    Persönlich war mir alles zu offen gehalten, zu sehr auf zu viele Interpretationen ausgelegt, würde ich es mal beschreiben. Ich brauche keine feste Richtung in die ich denken soll, aber gleichzeitig war dieses alles in der Schwebe lassens, der Hintergründe mir persönlich zu wenig. Zu wenig um etwas bei mir aus zu lösen. Zu wenig um mich mit den Figuren irgendwie zu verbinden.


    3ratten :marypipeshalbeprivatmaus: