Gabriele Tergit - Effingers

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  • Hallo schokotimmi :) - dann sind wir ja jetzt eine echte "Runde" (fast..).

    Das mit dem Main versus Rhein ist mir nichtmals aufgefallen ^^ - schon profitiert. :thumbup:


    Google gibt übrigens zu Tergits Kragsheim an mehreren Stellen her, es sei eine fränkische Stadt. Rhein..?? - na ja, in Nordwestfranken 7st er nicht sooo weit weg.

    2 Mal editiert, zuletzt von Alice ()

  • Frankfurt trägt das Franken ja im Namen. Heute verbindet man Frankfurt mit Hessen, aber eigentlich gehört es auch zum Frankenland. Zur Zeit der Entstehung des Romans war der Begriff Franken wohl noch verbreiteter als der von Hessen oder Rheinland-Pfalz; Tatsächlich darf man sich wohl Kragsheim irgendwo in der Nähe der Mainmündung vorstellen. Erwin ist öfters in Darmstadt oder Frankfurt. Die Idee mit dem Schwarzwald ist wohl nur durch das Uhrmachergeschäft Effingers aufgetaucht. Tergit verarbeitet hier ja ihre Autobiografie, und sie stammt selbst väterlicherseits aus der Ecke.

    Was den Stammbaum anbetrifft, mit dem ihr euch oben auseinandersetzt: Es werden drei Familien zusammengeführt, wobei die Goldschmidts sich nur in der Tochter Selma fortpflanzen und daher zu Oppners werden. Diese verbinden sich dann mit den Effingers, sodass mehrere der jüngeren Familienmitglieder in beiden Stammbäumen auftauchen. Tatsächlich gibt es auch eine Ehe zwischen Cousine und Cousin ersten Grades (Lotte und Erwin). Dass der Stammvater Goldtschmidt unbefraut auftaucht, hat nichts mit fehlender Frau zu tun, sondern er spielt auch nicht selbst mit und ist nur Namensgeber des Bankhauses, das sich später mit der beginnenden Fabrikantendynastie Effinger verbindet.


    Die einfache Sprache ist mir auch schnell aufgefallen. Ich finde sie aber sehr kunstvoll. Tergit schafft es dadurch , ein ausgewogenes Verhältnis zwischen ihrer teilweise schwelgenden Schilderung von Interieurs, Kleidung und anderem Szenischem herzustellen und diese nüchtern wirken zu lassen. Der ganze Roman ist ausgesprochen unsentimental, er lebt durch die Schilderungen, die sich jedoch größtenteils der Wertungen enthalten.

    Eine sehr schöne Kritik findet ihr übrigens hier. Dort wird auch der szenische Aufbau des Romans gut dargestellt.

  • Ich habe jetzt die ersten 11 Kapitel gelesen.


    Die Idee mit dem Schwarzwald kam von mir, wie von finsbury vermutet wegen der Uhren und der Nähe zum Rhein. Das mit dem Main hab ich wohl irgendwie überlesen, bzw. ist mir gar nicht aufgefallen. Ist aber spannend, dass die Gegend hier noch als Süden bezeichnet wird. Aber Deutschland gab es ja sehr lange gar nicht, und zum Zeitpunkt des Buches überhaupt erst ein paar Jahre.


    Die Kapitel sind doch sehr kurz und die Überschriften hätte es nach meinem Geschmack nicht gebraucht klingt für mich nach Überschriften von Volksschulaufsätzen. Nummern allein hätten für mich auch gereicht.


    Ich finde auch die Beschreibungen, wie von finsbury schon erwähnt sehr gut. Vor allem auch mit einem Schuss Humor versehen. Selma Oppners Hang zur Einfachheit, oder auch der Geschmack, wie sie das neue Haus einrichten wollen.


    Paul Effinger hat moderne wirtschaftliche Ideen, die aber im Berlin der Zeit nicht goutiert werden. Billige Handarbeit ist das Credo der Industrietreibenden, zumindest derer, die bis jetzt beschrieben werden. Von deutscher Genauigkeit und deutschen Qualitätsprodukten kann keine Rede sein. Das klingt eher nach ausbeuterischem Pfusch. Die größte Angst die Umgeht, ist die Angst vorm Sozialismus, vor den Arbeitern, die aufbegehren.

  • Auch ich bin heute bei mildem Herbstwetter im Garten bis Kapitel 12 gekommen. Oppeners kaufen also das Haus obwohl die Dame des Hauses gar nicht begeistert scheint. Ich denke mal das Haus wird noch eine zentrale Rolle spielen.

    Wie nahe Glück und Unglück beieinander liegen. Interessant fand ich den kleinen Einschub zum Gotthardtunnel.


    Pauls Unternehmervorstellungen beginnen auch, ich denke anhand des Stammbaums ja, er wird die zentrale Figur bleiben.

    Die Beschreibungen zur dt. Produktion haben mich auch irritiert. Tatsächlich nix mit Qualität.


    Ich mag es, dass die Kapitel so kurz sind, das hilft mir, so kann ich immer mal 1-2 einschieben.


    Danke finsbury für den SZ Artikel. Sehr interessant und hilfreich in der Einordnung.


    LG

    schokotimmi

  • Ich hab Euch jetzt mal hinterhergelesen.

    "Das Maultier sucht im Nebel seinen Weg. Es sucht nicht mehr." Klasse.. ^^

    Der ewige Dualismus zwischen Ingenieuren und Geldmenschen also - ist heute leider nicht viel anders geworden..


    Bei der Bemerkung "Wir machen es uns schön dunkel und gemütlich" über das Haus wird's mir ja auch ganz anders..

    Interessant finde ich schon bis hier die Beschreibungen vom alten Berlin.

  • Naja dunkel war damals die Mode. Altdt. Stil mit etwas Historismus gepaart.


    Mir hat der Satz gefallen, auf S. 15

    "Nach Amerika gehen Klassendafraudanten und Schwindler. Ich hab doch nicht nötig zu verschwinden."

  • Die Frauen!

    Bisher (die ersten 22 Kapitel) waren alle Frauengestalten in diesem Buch entweder äußerst blass oder einfach nur furchtbar. Und das von einer Autorin.

    Selbst in einem Buch, in dem vorwiegend das Wirtschaftsleben beschrieben wird, in dem Frauen um diese Zeit meist keine vordergründige Rolle spielten, ist das doch nicht nur traurig, sondern tatsächlich auch unrealistisch. Was reitet sie da..??

    (In den nächsten 3 Tagen werd' ich wie heute wohl nur wenig zum Lesen kommen.)

    Einmal editiert, zuletzt von Alice ()

  • A propos Frauen - die Unterhaltung von Karls Freundin mit ihrer Kollegin fand ich schon sehr prägnant.


    Arbeiterinnen müssen sich ihren Lebensunterhalt verdienen, sind dann das Liebchen irgend eines "bessergestellten" jungen Herren, aber zum Heiraten sind sie nicht gut genug.


    Viele sind verzweifelt, lassen illegal abtreiben, schön ists nicht, aber was soll ich mit so einem Würmchen.


    Auch die Beschreibungen des Wirtschaftssystems kommen mir bisweilen vor, wie eine Rechtfertigung von Karl Marx.

  • A propos Frauen - die Unterhaltung von Karls Freundin mit ihrer Kollegin fand ich schon sehr prägnant.

    Richtig, guter Punkt - die hatte ich gar nicht auf dem Schirm, da ich mehr auf den "Stammbaum" geschaut hatte.

    Als Frau, die alleine zurecht kommen muss, spielt die "Liebschaft" da bisher eine Sonderrolle, während die "Damen" eher ein.. hirnloses Madendasein führen. Was sicherlich in der Realität oft gar nicht so war: Vielleicht wird es ja noch bissi besser. On va voir!

  • In einem der Kapitel wird eine alte Großtante Goldschmidt erwähnt, die angeblich noch mit Rahel Varnhagen bekannt war. Sie war ja eine der bekanntesten Salonièren in Berlin (habe mal die spannende Biographie von Hannah Arendt über sie gelesen). Das gibt Hoffnung, dass vielleicht noch starke Frauenfiguren auftauchen.

  • Ich bin jetzt auch bis Kapitel 22 gekommen und kann mich nur anschließen, die unterschiedlichen Damen sind doch recht anstrengend.

    Annette geht es darum vor ihrer Freundin gut dazustehen, Eugenie ist eine Dame für Empfänge, Gäste und Darstellung während Selma das alles zu anstrengend findet.

    Karl macht mit Annette eine gute Partie aber so richtig verstehen will und wird er sie wohl nicht...


    Ich denke ja, dass die Frauen mit Haushalt, Empfang und Erziehung gewisse Verantwortung haben, aber ihre Möglichkeiten unterschiedlich stark und vorteilhaft nutzen. Vllt erfahren wir noch mehr, das wäre sehr spannend.


    Ich bin zur Zeit mit der Familie unterwegs und habe nur begrenzt Zeit, falls ich mal 2-3 Tage nicht dazu komme. Entschuldigung schon mal....

  • Ich denke, dass Tergit die Frauen schon realistisch darstellt. Sie waren einerseits Opfer der patriarchalischen Gesellschaft, haben andererseits aber oft ihren Status durchaus genossen und ein "Maden"leben geführt, wie Alice so schön schreibt. Wie schon Beauvoir festgestellt hat, hat insbesondere die adelige und gutbürgerliche Dame durchaus auch durch ihr eigenes Verhalten zu ihrer Abhängigkeit und ihrem "Frauchen"sein beigetragen.

    Aber in der nächsten Generation gibt es noch stärkere Frauencharaktere und auch die bisherigen entwickeln sich noch.

    Im Übrigen sind ja auch die Herren nicht ständig unterwegs und beschäftigt wie Erwin. Bruder Karl weiß ja durchaus die gesellschaftlichen Privilegien seiner Heirat zu genießen, und Waldemar Goldschmidt führt letzten Endes auch ein Madenleben als finanziell abgesicherter Rentier, der sich seinen Privatforschungen widmet. In der nächsten Generation ist Theodor dafür ein Beispiel, aber ich will nicht zu weit vorgreifen.

  • Ich denke, dass Tergit die Frauen schon realistisch darstellt.


    Aber in der nächsten Generation gibt es noch stärkere Frauencharaktere und auch die bisherigen entwickeln sich noch.

    Vielleicht unterschätzt Du die Frauen früherer Zeiten?

    Auch "nichterwerbstätige" und gerade privilegierte Frauen besaßen durchaus oft einen geistigen Horizont, der über ihren Hutrand hinausreichte ;) - und um den ging es mir.

    Das zweite klingt ja schon mal hoffnungserregend. :breitgrins:

  • Alice, auch die Frauen in diesem Buch gehen ihren Weg, und zum Beispiel Annette organisiert das Familienleben sehr souverän und selbstbestimmt.

    Außerdem habe ich nichts über die Bildung gesagt. Selbstverständlich waren die Frauen des Großbürgertums im Allgemeinen auch gebildet und trugen ihren Teil zur Kultur und auch zur gesellschaftlichen Diskussion bei.

    Dennoch haben bis in die Generation unserer Großmütter /Mütter viele Frauen ihre patriarchalisch aufgedrückte Rolle durchaus affirmativ erfüllt. Das heißt ja nicht, dass sie in ihrem Leben nichts Wichtiges geleistet haben. Wir wissen ja nun auch heute, dass die Organisation von Familie und Haushalt durchaus dem Führen eines kleinen Betriebes gleich zu stellen ist.

  • Nun ja die Bildungsmöglichkeiten für Frauen waren bis zum Ende des 19.JH schon sehr eingeschränkt, auch für Töchter aus gutem Hause.


    Ich habe zu Beginn des Jahres über Frauen gelesen, die sich dafür eingesetzt haben, dass es Gymnasien für Mädchen gibt. Das war gar nicht so einfach Natürlich wollte nicht jede Frau mehr schulische Bildung, aber die, die sie wollten bekamen die Möglichkeit nicht.


    Lesen, Schreiben, ein bisschen Handarbeiten und Klavierspielen mit Gesang dazu. Ich glaube, es ist schwer ein Buch das aus einer anderen Zeit und aus einer anderen Welt stammt mit heutigen Standards zu beurteilen.


    Gesellschaftlich höher gestellte Damen konnten sich in den Salons mit geistigen Größen (aufgrund der Bildungschancen meist Männer) auseinandersetzen. Viele wie auch die oben erwähnte Rahel Varnhagen haben sich durch diese Diskussionen gebildet und pflegten regen und interessanten Briefverkehr mit den Größen der Zeit.


    Ich lese das Buch eigentlich gar nicht so sehr aus einer feministischen Perspektive. Mich interessiert die Politik, der rasante Aufstieg eines Landes.


    Die glorifizierte Kaiserzeit, die ja doch nur ein paar Jahre hielt. Die Ablehnung der Industrie und der Handwerker. Innerhalb einer Familie gibt es da ja unterschiedliche Ansichten. Paul der Theoretiker und Vernunftsmensch, Karl der Optimist und manchmal auch Träumer.


    Kurz noch zurück zu den Damen. Das Fräulein Widerklee, die Sängerin erinnert mich etwas an Odette Swann von Proust.


    Ich bin mittlerweile bei Kapitel 27 angelangt. Annette hat ein Kind bekommen und kümmert sich gar nicht wirklich darum. Sie hat eine Nurse angestellt, ist auch wenig rücksichtsvoll dem Kind gegenüber, sie schreit herum und bringt es immer wieder aus dem Schlaf. Ein Sohn ist so etwas wie ein Statussymbol, aber bis zu einem gewissen Alter für sie uninteressant, wie es scheint.


    Tante Sophie fördert Käthe, die ehemalige Liebschaft von Karl. Sie finanziert ihr die Einrichtung einer Schneiderei. Ich bin gespannt, wie sich diese Geschichte weiter entwickelt.

  • Ich lese das Buch eigentlich gar nicht so sehr aus einer feministischen Perspektive. Mich interessiert die Politik, der rasante Aufstieg eines Landes.

    Das ist bei mir eigentlich genauso, b.a.t. . :)

    Beim Thema "Frauen" bin ich eher für Praxis als für theoretische Aufgeregtheiten (sorry..) - ich hab wahrscheinlich aber auch das sehr große Glück, wenig Benachteiligung erfahren zu haben. Meinen beiden weiblichen Kindern ergeht es bisher ähnlich.

    Es ist nur tatsächlich gerade so, dass ich neulich erst überlegt habe, was mich (inzwischen) eigentlich davon abhält, mehr ältere Texte zu lesen - und es war genau das: Die weiblichen Charaktere, die in der neueren Literatur oft viel.. interessanter sind. (Gibt natürlich Ausnahmen - für beide "Buchalter". ;) )

    Ich bin ja noch recht am Anfang des Buches - und durch finsbury s in Aussicht gestellte Entwicklungen etwas beruhigt. :breitgrins:


    Ab morgen Nachmittag komm' ich dann hoffentlich auch wieder etwas mehr zum Lesen. :thumbup:

  • Ich hab den Ausdruck (noch) nicht gelesen, aber es erinnert mich an ein Buch was ich vor längerer Zeit mal gehört habe "Eine kurze Geschichte der alltäglichen Dinge". Da wurde erklärt dass es im 19.und 20. Jahrhundert einen regelrechten Boom gab immer neue tolle Bestecke zu erfinden.

    Ich stell mir da irgendwas vor, wo man der Gräten seperiert vom Teller schieben kann...

    Klingt jedenfalls lustig.

    Von den ganzen diversen Bestecken hat sich das Fischbesteck wohl am hartnäckigsten gehalten.

  • Ich bin nun auch bis Kapitel 28 gekommen. Die Geschichten um die Kinder Oppner waren interessant um einen kurzen Einblick in die Sicht und Normen zu werfen. Was man als junge Frau durfte, wo man eingeladen war, aber auch was Männer durften und taten....

    Eine Beziehung zwischen Klara ubd Paul bahnt sich ja an...


    Interessant fand ich auch Kapitel 28, so kurz und knapp große Geschichte eingeflochten. Ich hab die Details zum 3-Kaiser-Jahr dann erst nochmal nachgelesen.

  • Ich bin mir nicht ganz sicher, aber ich glaube so ein Grätenhalter ist so eine Vorrichtung wie eine Art Steckkamm. Der wird am oberen und unteren Ende befestigt und links und rechts der Wirbelsäule eingesteckt wird, damit das Fleisch leichter abgeschabt werden kann.


    Gestern Nacht hab ich es noch bis Kapitel 33 geschafft. Der alte Kaiser ist gestorben, der Nachfolger auch und nun ist Wilhelm II am Ruder. Die Älteren fürchten sich davor (nicht ganz zu unrecht, weil er schon militante Züge hatte). Der neue Kaiser symbolisiert aber auch den Fortschritt im Land. Neue Maschinen, Motoren usw. werden erfunden und auch seriell produziert. Paul träumt von Traktoren, oder wie er es nennt Wagen, die ohne Schienen fahren.


    Die gesellschaftlichen Normen beginnen auch langsam lockerer zu werden. Allerdings noch sehr in Maßen. Theodor will die schwangere Geliebte heiraten, wobei die nicht mal weiß, ob das Kind auch tatsächlich von ihm ist. Ihr Ziel ist es versorgt zu sein. Der Familienrat will das unterbinden und Theodor aus der Firma und der Familie ausschließen, nur Onkel Waldemar (der Einzige mit Weitblick, Weltoffenheit und Geist) versucht ihm Zeit zu verschaffen. Er überzeugt den Rest der Familie, dass Theodor ins Ausland geschickt wird (so wie die Mädchen Klärchen und Sophie in ein Internat abgeschoben wurden). Nach einem Jahr kann sich vieles verändern.