Robert Macfarlane - Im Unterland

Es gibt 5 Antworten in diesem Thema, welches 538 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Valentine.

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    Dass sich vielerorts direkt unter unseren Füßen verborgene, eigenartige kleine Welten befinden, ahnen wir im Alltag häufig kaum. Nach der Lektüre von "Im Unterland" könnte sich die Wahrnehmung grundlegend ändern, denn Robert Macfarlane nimmt uns mit auf eine Entdeckungsreise an ungewöhnliche Orte, von deren Existenz wir wenig bis gar nichts wissen oder über die wir nie groß nachdenken. Das Spektrum reicht von unterirdischen Höhlensystemen und Flüssen über Kanalisation und Katakomben bis zum Atomendlager, was mich überrascht hat, weil ich mit einem stärkeren Fokus auf natürlich entstandene "Unterländer" gerechnet hatte. Aber dass Macfarlane seinen Fokus auch auf menschengemachte unterirdische Orte erweitert, schadet dem Buch in keiner Weise, im Gegenteil.


    Die Liebe zur Natur spricht aus jeder Zeile seiner Schilderungen der Pilz- und Wurzelgeflechte im Wald (hier hat netterweise Merlin Sheldrake, Autor von "Verwobenes Leben", einen hübschen Gastauftritt), eines gewaltigen unterirdischen Flusssystems in Slowenien oder Felshöhlen in England. Manchmal wird er regelrecht lyrisch in seinen Beschreibungen und reflektiert auch oft über das Menschsein, unsere Beziehung zur Natur und unsere Verantwortung für die Zukunft. Insbesondere in dem Kapitel über die Gletscher Grönlands kommt deutlich zum Ausdruck, wie sehr das Thema dem Verfasser am Herzen liegt.


    Aber auch die Ausflüge in ehemalige Bergwerke, unterirdische Forschungsanlagen, zu uralten Höhlenmalereien auf den Lofoten oder - ziemlich beklemmend - ein finnisches Endlager für Uranbrennstäbe fand ich allesamt hochinteressant. Am meisten fasziniert hat mich unter den "nicht-natürlichen" Unterwelten der Abstecher in die Katakomben von Paris. Mir war gar nicht bewusst, wie unterhöhlt die Stadt tatsächlich ist und dass in vergangenen Zeiten immer wieder skurrile Dinge passiert sind wie Einstürze von Mauern, die dazu führten, dass ein Wohnhaus plötzlich einige Tote vom benachbarten Friedhof im Keller hatte. Macfarlane begleitet eine Gruppe von "Urban Explorers", die, teils auf illegalen Wegen, die Stadt unter der Stadt durchklettern und sich Räume erschließen, die den allermeisten verschlossen bleiben.


    Überhaupt fand ich es großartig, dass Macfarlane all die Orte, über die er schreibt, auch selbst besucht und sich dabei auch öfter mal einiges zugemutet hat.


    Ein wenig schade ist, dass es nur wenige Fotos im Buch gibt und die zum Teil auch eher symbolisch sind. Es hätte mir gut gefallen, mir direkt im Buch ein Bild von den Örtlichkeiten machen zu können - ich habe ziemlich viel nachgeschlagen während des Lesens, um es mir besser vorstellen zu können.


    Ein persönliches Problem, das ich mit vielen Sachbüchern habe, ist meine eigene Unfähigkeit, mir all die tollen Details zu merken; so fühlte ich mich manchmal ein wenig erschlagen von all den Fakten und Eindrücken. Würde ich das Buch noch einmal lesen, würde ich es vermutlich kapitelweise tun, um alles erst mal sacken zu lassen, bevor ich zum nächsten "Unterland" weiterwandere - aber das liegt am Buch und nicht an mir und ich kann es allen, die Nature Writing und/oder versteckte Orte mögen, wärmstens empfehlen.


    4ratten

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Vielen Dank für Deine schöne Beschreibung Valentine - ich selber war nach der Lektüre des Buches so beeindruckt davon, dass ich mir gar nicht zugetraut hatte, etwas Angemessenes dazu zu sagen - Du hast das sehr schön und passend geschafft.

    Ich habe es ja (auch?) auf deutsch gelesen - und die Übersetzung ist wohl wirklich gut - ich habe nämlich gleichfalls v.a. den Schreibstil immer als sehr passend und stimmungsvoll wahrgenommen.

    Auch mir hatte die überaus vielfältige Auswahl der Orte besonders gefallen.

  • Danke fürs das Kompliment, Alice! :herz: Ich habe auch zweimal angesetzt und gestern noch mal im Buch geblättert, weil ich peinlicherweise schon wieder das eine oder andere Detail vergessen hatte.


    Ich habe kürzlich irgendwo gelesen, dass die beiden Übersetzer schon den einen oder anderen Preis für ihre Arbeit bekommen haben und auch anspruchsvollere Belletristik übersetzen :)


    Das nächste Buch von Macfarlane würde ich dann aber doch gerne im Original lesen, weil ich vermute, dass der Zauber seiner Sprache dann NOCH besser rüberkommt. Manches ist halt ganz einfach sperriger in der Übersetzung als im Original, weil viele elegante Formulierungen des Englischen in der deutschen Sprache nicht funktionieren.

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Alice ich schiebe die Rezension von Mountains of the mind tatsächlich auch aus dem Grund vor mir her, weil ich das Buch so toll fand und ich nicht weiß, ob ich dem mit meiner Meinung gerecht werden kann. Außerdem will ich mir dazu auch mehr Zeit nehmen, als ich aktuell habe.

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.

  • Robert MacFarlane hat es auch mit diesem Buch wieder geschafft, mich von der ersten Seite an abzuholen. Ich mag seine Art, zu schreiben. Mit einem Vorwort hat er schon das eine oder andere Buch, das mir eigentlich nicht so gut gefallen hat, ein bisschen gnädiger sehen lassen.


    Im letzten Buch, das ich von ihm gelesen habe, ging es um Berg. Hier geht es ums Gegenteil: der Autor begibt sich unter die Erde. Auch wenn er das freiwillig tut, ist es nicht weniger erschreckend und ich kann gut verstehen, dass er nach besonders aufreibenden Ausflügen das Bedürfnis nach der Unendlichkeit des Himmels über ihm verspürt.


    Für ihn bedeutet be- oder vergraben nicht, dass man etwas weggibt. Vielmehr geht es darum, etwas zu bewahren, auch wenn wir es nicht mehr vor Augen haben. Auf der anderen Seite erzählt er auch von Expeditionen, bei denen Teilnehmer zurück blieben, von denen man nur noch Erinnerungen bewahren kann.


    Robert MacFarlane schreibt von Partys in geheimen Kammern der Pariser Katakomben und von dünnen Orten, an denen sich die Welten zu berühren scheinen. Er ist an den unterschiedlichsten Orten unterwegs und erlebt sie alle mit dem gleichen ehrfürchtigen Staunen und mal mit mehr, mal mit weniger Angst. Er hat mir gezeigt, dass es unter der Erde viel mehr gibt, als ich mir vorstellen kann (und manchmal auch will).

    5ratten

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.