Alle 27 oder 28 Jahre hält in Derry, Maine, das Böse Einzug. Dann geschehen schreckliche Unglücke, Kinder verschwinden spurlos, man traut sich kaum noch auf die Straße.
1958 ist eines dieser schrecklichen Jahre. Eines der ersten Opfer des Bösen in Gestalt des Clowns Pennywise ist der kleine Georgie Denbrough. Dessen älterer Bruder Bill wünscht sich nichts sehnlicher, als „ES“ besiegen zu können. Er ist zwar nur ein stotternder Elfjähriger, der, genau wie seine Freunde, die allesamt auch in irgendeiner Weise Außenseiter sind, von einer kleinen Bande etwas älterer Kinder terrorisiert wird, doch die ganze Clique wächst im Angesicht des Bösen immer wieder über sich hinaus und stellt sich mutig immer wieder neuen unheimlichen Situationen.
27 Jahre später beginnt der Zyklus erneut. Wieder ist Derry Schauplatz von Gewaltverbrechen und rätselhaftem Verschwinden von Kindern, und Mike, der einzige aus der Clique, der noch in Derry lebt, trommelt seine alten Freunde zusammen, in der Hoffnung, „ES“ diesmal endgültig den Garaus machen zu können. Ein schwieriges, gefährliches, wenn nicht gar unmögliches Unterfangen, das auch bedeutet, Erinnerungen ins Auge sehen zu müssen, die man lieber vergessen würde, aber auch eine Chance, die man eigentlich nicht verstreichen lassen darf.
Die Urteile über diesen King-Klassiker fallen sehr unterschiedlich aus und rangieren von „gähnend langweilig und viel zu dick“ bis zu „ziemlich genial“. Nachdem ich es nun endlich gewagt habe, diesen großformatigen Klotz von über 800 Seiten anzupacken, kann ich mich auf der Seite der „Es“-Fans einreihen.
Ja, King erzählt ausschweifend, detailverliebt, führt eine Unmenge von Figuren ein, verschachtelt die Zeitebenen ineinander. Es gibt sicherlich deutlich tempo- und actionreichere Horrorromane, obwohl man hier über einen Mangel an Spannung, Grusel und Ekelszenen auch nicht klagen kann. Der King of Horror versteht es ausgezeichnet, Urängste und typische Abneigungen aufzugreifen und seinen Lesern mal subtil, mal blutig kalte Schauer über den Rücken zu jagen.
Mit einem großen Herzen für Außenseiter erschafft King außerdem wunderbar lebensechte Charaktere, allen voran die kleine Clique um den stotternden Bill, den Afroamerikaner Mike, den ängstlichen Asthmatiker Eddie, dessen Mutter eine galoppierende Krankheitsphobie hat, den adipösen Ben, den stets akkurat gekleideten Stan, der als Jude gehänselt wird, obwohl seine Familie nicht einmal sonderlich gläubig ist, Richie mit der dicken Brille und Beverly, die unter einem gewalttätigen Vater leidet. Sicherlich alles gewissermaßen Außenseiter-Stereotypen, aber ausgesprochen gut gezeichnet, wie auch viele kleine Szenen aus dem Leben einer kleinen Großstadt/großen Kleinstadt, wie Derry im Buch gerne genannt wird.
Neben der eigentlichen Handlung um das personifizierte Böse ist Freundschaft eines der ganz großen Themen des Buches. Wie ein Häuflein von Kindern, die alleine weder besonders mutig noch besonders stark sind, zusammensteht, die Macht der Gedanken und des Zusammenhalts erkennt und gemeinsam imstande ist, viel zu bewältigen und zu bewegen, war für mich das Spannendste an diesem Buch.
Für Leser mit langem Atem auf jeden Fall eine Empfehlung!